Offener Brief
Wem soll ich das jetzt schreiben? Vielleicht an die Presse. Kommentar der Anderen. Naja, Chefredakteur Michael Fleischhacker hat heute Samstag in der Presse das österreichische Nazi-Verbotsgesetz als notwendigen Ausdruck politischer Unreife bekräftigt. Alle schreiben jetzt über die FPÖ. Wird es etwas nützen? Was glauben Sie?
Warum schreiben jetzt wieder alle über die FPÖ, von den Gratiszeitungen in der U-Bahn zu den Mittelklasse-, Business-, Familien- und Alternativvehikeln?
“Es war ein Fehler, nicht anzutreten.” Das war die Schlagzeile von vorgestern, Donnerstag. Hab ich im Vorübereilen am Bahnhof gesehen. Wahrscheinlich Michael Ludwig, in der Brücke. Nein, der Landeshauptmann. Nicht der davor. Pröll, in der Krone. Nicht die Annemarie.
Also wissen es eh schon alle. Vielleicht schreib ich das nur für mich selbst. Politische Unreife. Ja, allerdings! Warum kann die ehemals größte und immer noch relativ wirtschaftliche Partei des Landes keinen eigenen Kandidaten für die Wahl des Staatsoberhauptes finden? Hat man dem amtierenden Parteisekretär wirklich überhaupt nichts entgegenzusetzen?
Und die Grünen? Ich würde sehr gerne Terezija Stoisits wählen, zum Beispiel. Sie hat im Parlament die Bundeshymne auf burgenländischem Kroatisch gesungen, oder war es die Eidesformel? Ist schon eine Weile her, aber sie hat Österreich sehr gut vertreten, in vielen Fragen. A senior figure. A seminal figure, too.
Don’t get me wrong, ich finde auch, dass wir einen recht guten amtierenden Bundespräsidenten haben. Aber ist das wirklich ein Grund? Alle fünf Jahre wird gewählt. So ist das in einer Demokratie. Ja, die Wahl kostet Geld. Aber sieht eine große Partei wirklich besser aus, wenn sie nicht antritt? Und eine Protestpartei, die die Grünen ursprünglich waren?
Jetzt reden alle von den Rechten. Die üben keine Zurückhaltung. Die treten an, stramm und gereckt. Also was können wir machen? Nicht wählen gehen. Oder Fischer. Versteht sich gut mit Li Peng. Das ist das einzige, was ich gegen ihn habe. Demonstrationsverbot anlässlich des Besuchs des chinesischen Premiers nach dem Tiananmen-Massaker. Die Grünen haben im Parlament protestiert. Cap und Fischer haben das Demonstrationsverbot verleugnet, verniedlicht und bekräftigt. Boot ist voll. Gesetze als Ausländerhetze. Das war damals die Politik der regierenden Sozialistischen Partei Österreichs. Sozialdemokratisch, Entschuldigung, den Namen haben sie auch noch nicht so lange geändert. Nein, ich bin kein Antimarxist. Finde es schön, wenn man an etwas glaubt. Meistens. Innenminister Löschnak ist extra aus der Kirche ausgetreten, damit ihm die nicht mehr gar so sehr auf die Nerven gehen können, die Frau Pfarrerin Christine Hubka zum Beispiel, die die Flüchtlinge aufnahm, als das Boot ach so voll war, im Jugoslawienkrieg. Sie war dann “Frau des Jahres”. Ich habe im Jahr darauf in Traiskirchen Deutsch unterrichtet, Zivildienst.
Alle sähen besser aus, wenn es eine Wahl gäbe. Zwischen dem amtierenden Staatsoberhaupt und ein paar ernstzunehmenden anderen Frauen und Männern. Alle sähen besser aus, auch die SPÖ. Von der großen Wirtschaftspartei ÖVP gar nicht zu reden, oder von den Grünen. Woher kommen die Grünen? Aus dem erfolgreichen Protest gegen das Atomkraftwerk der ersten Generation, das vielleicht doch auf einer Erdbebenlinie lag. Erfolgreich gegen Kreisky und Fischer, mit über 50 Prozent. Auch 1984 waren wir erfolgreich. Ja, auch ich habe damals mitdemonstriert, für die Erhaltung der Donauauen bei Hainburg.
Ich würde auch gerne Fischler wählen. Nein, das war kein Schreibfehler, das war der EU-Agrarkommissar, allseits geachtet, hatte man den Eindruck. Ist doch wirklich nicht schlecht, für Österreich.
Leider hat Franz Fischler gesagt, man soll sich den Wahlkampf nicht antun, wenn man nicht gewinnen kann. Als Partei. Leider gibt es da eine Tradition in der ÖVP, mit unreifen Aussagen und mit lähmenden innerparteilichen Machtkämpfen. Erhard Busek zum Beispiel, intelligent und sehr engagiert, in Osteuropa. Aber das war auch ungefähr damals, zu Beginn der 90er Jahre, vielleicht war er noch nicht Vizekanzler, jedenfalls hat er gesagt, man solle nicht immer weiter über den Krieg reden, über Verantwortung für die Naziverbrechen. Irgendwann sei Schluss, oder so ähnlich. Nicht lange davor war der Bundeskanzler zum ersten Mal in Israel gewesen.
Ist es zu spät? Wird es wirklich nur zwei Kandidaten geben, den Amtsinhaber und die Nazisse? Der Habsburger wird es offenbar auch nicht schaffen, da gibt es ebenfalls Verbotsgesetze. Alles sehr kompliziert, wie ein früherer Bundeskanzler anmerkte.
Als langjähriger Auslandsösterreicher, der manchmal auch tausende Kilometer zur nächsten österreichischen Botschaft reiste, um wählen zu können, muss ich mich wieder mal schämen. Obwohl es keine Sanktionen geben wird, nicht einmal internationale Schlagzeilen. Außerdem bin ich ja diesmal in Wien. Aber trotzdem. Ja, ich möchte, dass dieser Brief veröffentlicht wird. Deshalb heißt er so.
Herzliche Grüße,
Martin Winter
Wien/ Peking, Übersetzer aus dem Chinesischen