Das Stück Land
rechts von Vater und Mutter
will mich fressen.
Eines Tages
sperrt es sein Maul auf
und schluckt meine Asche.
Erst hebt sich
sein Bauch,
dann kann es langsam
verdauen.
Like squatting on the ground, watching ants moving house, black ants all in one line moving into the same direction. As the camera gets closer, their path becomes a wide street, marching ants become a big demonstration. The sound goes from silent to many loud voices, then even louder, the masses erupt into shouting, surging like a dark river.
In den 1970er Jahren stand Andrej Sacharow Jahr für Jahr am 7. November am Puschkin-Platz vor dem Denkmal des Dichters im Schnee. Die Silhouetten von Sacharow und von Puschkin haben sich im Schnee überlagert.
Schnee, Schnee fällt am 7. November vor der Statue, eure Figuren, Puschkin und Du aufeinander im Schnee, endlose Stille. Du hörst auf dich selbst, auf den Schnee.
Du stehst im Frost, in der Weite des Schnees. Sonne friert im Wasser, Wasser friert im Licht. Vom Glitzern des ersten Strahls zum Waschen der ersten eisigen Welle.
Du stehst, von Schnee zu Schnee im tiefen Schnee, aus dem Du nicht heraussteigst. Obwohl Wege im Schnee nach Osten und Westen unter Deinen Füßen nicht enden, obwohl
Puschkins Augen wieder auf Deine treffen, sieht er Dich nicht im strahlenden Schneelicht. Was aus dem Schnee kommt, bleibt im Schnee. Im Schnee begraben, Dein Opfer im Schnee.
Von Wasser bleibt in der Sonne nichts über als brennender Glanz, Glitzern trifft aufeinander auf klaren Flächen bis in die Tiefe. Schnee im Licht unverdeckt, Schnee verdeckt nicht,
so wie die Sonne im Wasser jedes Sandkorn herauswäscht, das Licht, das läuft und stürzt aus dem Schnee nichts verschlingt und nicht untergeht im wogenden Strom bis ins Meer. Schnee strömt aus Schnee, Schnee ohne Ufer.
Reinheit am Ende ist auch Vernichtung am Anfang, reiner Schnee wird leicht zu Schneeresten, Schneescherben. Schneetrauer gewandelt und wiedergeboren in Schnee. Schnee flüstert weiter in endloser Stille.
So wie Wasser Sonne zurückbringt, die nicht verwelkt, so bringt Sonne Wasser zurück, das nicht verfließt. Ich hör Deine reine Schwermut im Schnee, ich hör dich, die Dämmerung im Sommer ist die Weiße Nacht.
Oma ist vor vielen Jahren von uns gegangen. Auf ihren hinterlassenen Dingen liegt dicker Staub. Ich frage Opa, warum er nicht sauber macht. Er sagt: „Das sind auch noch ein Dutzend Jahre von ihr.“
In der vierten Klasse lernen wir Abakus-Rechnen. Vater geht mit mir zum Laden der Produktionsbrigade und kauft mir den größten und teuersten Abakus. Ich trag ihn heim. Mutter, die Buchhaltung gelernt hat, murmelt: Jetzt haben wir immer weniger Geld und er kann immer weniger rechnen. Wer kauft einem Volksschüler einen so großen Abakus? Vater wirderspricht nicht, sagt nur trocken: „So lernt er nicht kleinlich zu rechnen.“
In meinem Traum haben viele Leute Masken weggeworfen. Manche davon noch original in der Verpackung. Ich geh mit meiner Familie in Reisfeldern Masken auflesen. So wie ich als Jugendlicher Reisähren aufgelesen habe. Wenn ich eine aufhebe, eine Maske, wink ich jedesmal, ruf den anderen zu: Maske! Maske! Maske!
Your poetry’s tubes have been tied. I can tell, your loose tracts have been plugged with a metal ring. Actually, my poetry has cheated too. Before I went out I swallowed a few pills of Viagra. But however I tried, Poetry Periodical, state-owned flagship, you could never get pregnant. My poetry must be lonely for life.
Als er jung war hat er sich das Phoenix-Fahrrad im Brautpreis nicht leisten können und deshalb seine herzensgeliebte Xiao Fang nicht gekriegt. In mittleren Jahren hat sein Sohn als Mittelschüler mitgemacht beim Fahrraddiebstahl, wurde bei einer Großfahndung verhaftet, zu Gefängnis verurteilt. Als alter Mann lernt er, mit dem Smartphone den Barcode zu lesen, um ein Fahrrad zu leihen. Sieht Räder überall auf der Straße, lacht und lacht und weint.
Der Sohn meiner Kusine kommt aus Wuhan zurück. Sobald ich das erfahre, schärfe ich ihm am Telefon ein: Er soll mindestens ganze sieben Tage zuhause bleiben. Aber am nächsten Tag in der Früh steht er vor der Tür. Er kommt als Motorradchauffeur seiner Mama. Sie bringen ein lebendes Huhn. Außerdem einen kleines rotes Kuvert, Taschengeld zu Neujahr für meine Tochter. Es ist Mondneujahr, meine alte Mama will unbedingt, dass sie bleiben und mit uns essen. Ich bin überhaupt nicht froh, spiel mit der Tochter im Schlafzimmer. Meine Frau kommt herein, sagt ich soll rauskommen. Sie sagt, der Sohn der Kusine schaut eh ganz gut aus. Ich beiß die Zähne zusammen, komm ins Wohnzimmer und begrüße sie. Dann schluck ich meine Sorgen hinunter, setz mich mit meiner Kusine und ihrem Sohn zum Frühstück.
Disinfectant alcohol, distributed against the virus, some people drink it as liquor. Street committee worker stands at the door, shouts inside. Old guy sits on his old broken bed, drags on a cigarette. Drunk as a skunk, waves his hands, No hospital! No one pumps out his stomach! Just keeps muttering, “Fuck little thing, not worth the money!“
Jemand postet für eine Ausstellung internationaler Gedichte im Viruskampf die Liste der eingeladenen AutorInnen. Der erste Kommentar unten ist die Frage: „Da ist Jian Ming dabei, der ist doch schon voriges Jahr gestorben?“ Noch ein Kommentar: „Wu An ist bald fünf Jahre tot, hast du ihn gefragt ob er mitmacht?“ Ich les weiter und sage nichts. Vor einigen Jahren bei einer Veranstaltung hat eine Sprecherin der staatlichen Künstlervereinigung verkündet: „Der große Dicher Ai Qing [Vater von Ai Weiwei, 1910-1996] wird auch bei uns live davei sein!“ Als ich das gehört hab hab ich kalten Schweiß gespürt. Jetzt passiert mir das nicht mehr. Wenn du mir heute sagst, Konfuzius plant ein Buch der Lieder gegen Corona bin ich überhaupt nicht überrascht.
It was a beautiful time, it was a fucking bad time. We supposed-to-be-educated youths went off to exams and more than half fell through. If I had managed to fill in those two blanks, I would have survived. Who was Cao Xueqin? Who was Qin Keqing?
Forward to now, Cao wrote Dream of the Red Chamber, everyone knows. Qin Keqing, she’s one of 12 beauties in the mystery novel, the one most tight with Sister Feng. In that blank space, I drew a cow turd. In the space for Cao Xueqin, because I was mad, I wrote he was the third little girl of old Cao in our backyard.
2/10/20 Translated by MW, May 2020
He Jin, orig. name Jin Weixin, Muslim Hui nationality, born in the last lunar month of 1956. Published a story collection, one book of poetry and one book of essays. Poems and stories appeared in anthologies. In January 2018 he founded the poetry magazine Xiao Shi Jie (Small Verse World). He lives in Jilin city. 《新诗典》小档案:何金,原名金伟信,回族,1956年腊月出生。著有小说集《沉默的星空》、诗集《身体的宣言》、随笔集《平民天堂》。作品收入《中国口语诗年鉴》(2019年卷)、《中国回族文学通史·当代卷》。2018年1月创办《小诗界》诗刊,现居吉林市。
Nicht nur in New York lässt dieser Alp, dieser Wachtraum so viele Menschen niederfallen und nicht wieder aufstehen. In den Nachrichten rauchen Gewehrläufe, wenn du darin einen Hebel zu sehen meinst hast du noch nicht den Angelpunkt, kannst keinesfalls angehen, was der Instinkt der Scham in den Menschen verbirgt.
Jemand fragt mich auf Wechat ob ich in New York noch U-Bahn fahre.
Ich sag es dir, ich sitze wochenlang auf meinem Sessel und bin Gedanken dicht auf den Fersen. Ich bin es längst müde, ins Handy zu steigen und im Netz zu surfen.
Die U-Bahn-Karte in meiner Lederjacke möcht ich sehr gern in die Hand nehmen, aufladen, durchstecken. Das Problem ist, dass ich auch so jeden Tag meine Karte steche und nicht ins Leben einsteigen kann und wann hört das auf.
Zum Glück ist mir eingefallen, die allererste Erinnerung in der Kultur das muss der Schamane sein oben am Berg, der Himmel und Erde anruft, mit aller Kraft und ganzem Herzen.
28. März 2020 Übersetzt von Martin Winter am 1. Mai 2020
Corona ist ein Gedicht von Paul Celan. Es hat überhaupt nichts mit Krankheit zu tun, außer vielleicht mit der Krankheit der Liebe. Er hat es in Wien geschrieben, er war in Ingeborg Bachmann verliebt. Es ist ein schönes, ein stolzes Gedicht, ein Gesang an die Liebe. Manchmal helfen Gedichte in barbarischen Zeiten. Ruth Klüger hat Gedichte geschrieben, auch im KZ. Adorno war im Exil. Corona ist ein Gesang an die Liebe. Celan und Bachmann sind nicht sehr lange beisammen geblieben, aber die Zeit im Gedicht gilt noch und hilft solang du es liest.
Hör ihm zu, es gibt eine Aufnahme. Es ist Zeit, dass der Stein sich zum Blühen bequemt. Celan sagt „zum“. Es ist Zeit.
In my sights straight in the distance, a white dove goes through a fire up to the sky. Still it flies, changed into black. Maybe just its shadow, its soul flying. Maybe the ash can keep the shape of a dove sailing on.
Coming out of People’s Park I run into a shower and hide in the guardhouse at the gate. The grandpa on duty asks for my age and tells me his. He picks up a peanut, chews with a sigh: Today’s society is a good one. In the times of the First Emperor, 66 years, if you’re not dead you’d get buried alive.
Old Uncle, my mother’s brother cancelled his ticket, says last few days he dreamt of Big-Character-Posters all over the earth and the sky. So many people have the sky on their heads, blue mask, they catch them everywhere. I am an eighty-year-old, guess I should stay in America.
„Hauptsache es gibt kein Getreideproblem, dann geht es gut weiter in China.“ Diesen Kommentar les ich auf meinem Handy beim Einkaufen auf dem Gemüsemarkt. Ich schlag mir auf den Schenkel, schrei laut: „Genau!“ und der Schweinemetzger springt gleich vor Schreck.
Ältere Leute haben gesagt,
mein Onkel
hat von Natur aus gute Hände.
Als er ein Jahr war
hat der Wahrsager seine kleine Hand
gedrückt und hat nichts gesagt.
Mit 19 hat mein Onkel bereits
einen Ruf in gewissen Kreisen gehabt.
Er ist einer der besten Taschendiebe des Landes geworden.
Mein Onkel hat mir gesagt,
alle drei Male im Gefängnis,
das war jedesmal Absicht,
er wollte sich von seiner Sucht kurieren.
Aber jedesmal nach der Entlassung
auf dem Heimweg hat er weitergemacht.
Mein achtzigjähriger Onkel
hat vor einem Monat ein Feuer entfacht,
um sich zu wärmen,
hat sich als ganzer zu Kohle verbrannt,
nur seine Hände
waren noch unversehrt.
Qiu Shanshan: Große Pause 课间休息 裘山山 übersetzt von Carsten Schäfer(科隆)译
Huang Beijia: Die We-Chat-Gruppe 万家亲友团 黄蓓佳 übersetzt von Cornelia Travnicek(下奥地利)译
Zhang Yueran: Familie 家 张悦然 übersetzt von Helmut Forster(法兰克福)译
Xu Yigua: Schülerakte Huang Bohao 小学生黄博浩文档选 须一瓜 übersetzt von Martina Hasse(汉堡)译
Jiang Yitan: Durchsichtig 透明 蒋一谈 übersetzt von Martin Winter 维马丁 (维也纳)译
Zhou Xuanpu: Zu Diensten 雇佣 周瑄璞 übersetzt von Julia Buddeberg(慕尼黑)译
Cui Manli: Guan Ais Stein 关爱之石 崔曼莉 übersetzt von Maja Linnemann (不来梅、北京)译
Poesie 诗歌
Duo Yu: Daheim Gelassen, 9 Gedichte 被居家 朵渔 übersetzt von Martin Winter 维马丁 (维也纳)译
Yi Sha: Opa im Mund der Tante, 5 Gedichte 家庭诗 伊沙 übersetzt von Martin Winter 维马丁 译
An Qi: Wie kann ein Seelenbaum einschlafen ganz in der Angst, 3 Gedichte
诗三首 安琪 übersetzt von Martin Winter 维马丁 译
LEUCHTSPUR 2019: Neue chinesische Literatur
Deutsche Ausgabe der Zeitschrift Volksliteratur – People’s Literature 人民文学 (Renmin Wenxue), größte Literaturzeitschrift in China.
Erhältlich bei den Übersetzern, beim Konfuziusinstitut Wien (Prof. Richard Trappl), beim Konfuziusinstitut Frankfurt etc. sowie bei den Verlagen Edition FabrikTransit (www.fabriktransit.net unter Bücher/ Weitere lieferbare Bücher) und Drachenhaus (www.drachenhaus-verlag.com).
Außerdem erhältlich direkt bei Renmin Wenxue 人民文学 in Peking am nordöstlichen 3. Ring, südlich vom Landwirtschafts-Messegelände. Nongzhanguan Nanli 农展馆南里 Nr.10号, 7.Stock (Fremdsprachenabteilung, Frau Li Lanyu 李兰玉),U-Bahn Linie 10, Station Tuanjiehu 地铁十号线团结湖站B出口 Ausgang B
Oma flüchtet,
lässt Song-Porzellan und Jade zurück,
hat meinen Onkel in ihrer Hand.
Die Flüchtlinge drängen sich oben am Berg,
halten den Atem an.
Jemand steckt den Kopf raus und fragt:
Was ist wenn das Kind weint?
Die ganze Gruppe will Oma und das Kind weghaben.
“Wenn es weint, drück ich es tot,
eure Sicherheit ist nicht in Gefahr!”
Sechzig Jahre später frag ich sie,
und wenn der Onkel geweint hätt?
“Dann hätt ich ihn totdrücken müssen.”
Im Fernsehen bombardieren die Japaner Chongqing, 1939.
In einer Szene sieht man die Bomben ganz nah.
Meine Mutter zeigt hin und fragt,
schaut das nicht aus wie Gaskartuschen?
Wirklich ziemlich ähnlich.
Sie starrt den Fernseher an,
sagt langsam, wenn die Kartuschen aus sind,
verwenden wir Strom.
Damals in einer kalten Winternacht,
eisiger Wind
fegt durch die Ritzen der brüchigen Mauern.
Sie hält das Kind in seiner Decke
und streichelt die kleine magere Hand.
In der Nacht kommt ihr Mann
durch die schäbige Tür,
packt sie mit klammen Fingern und sagt voller Stolz:
Hast du Radio gehört?
Unser Land hat Atombomben!
Die Frau ruft laut mit leuchtenden Augen:
Wie viele kriegen wir dann zum Essen?
hong kong has to do with beijing
has to do with xinjiang has to do with fear of muslims
has to to with myanmar sri lanka christchurch
and killing latinos everyone who stands in the way
in texas. repression has to do with repression of the fear
that the system doesn’t deliver capitalism with
or without one-party-dictatorship doesn’t deliver
and mao didn’t ever. so we have to repress something
that broke out in 2008 or 1989 but had been brewing
for a long time before. obama was kind of a fix
for some kind of hope but not enough
to work without him. so strike down hard
abolish respect for anyone not han-chinese in xinjiang
any immigrant anyone abolish term limits
abolish any respect except for the president the military
making money with the right connections
the heartland, I guess
as perceived in global times fox news.
if you’re not from hong kong,
do you have any respect for hong kong?
depends, doesn’t it.
I like hk, taiwan, china, xinjiang how it was in 2000
pakistan how it was in 2000
many many places in europe and asia
and yes in america.
I really like peace and openness
however fraught
places where you don’t feel scared.
Guess everyone does.
Amen.
Heavens!
A grade ninethousandninehundredninety tornado
takes the earth
to
give himself up
7/06/19
Tr. MW, July 2019
Shi Dandan ANGEKLAGTER
Himmel!!
Ein Tornado der Stufe Neuntausendneunhundertneunzig
nimmt die Erde mit
um zu
kapitulieren.
2019-07-06
Übersetzt von MW im Juli 2019
Shi Dandan, geb. in den 1950er Jahren in Jiangsu, lebt in Beijing. War Landarbeiter, Fabriksarbeiter, Taxifahrer. Schreibt seit Dezember 2015. Zahlreiche Gedichtveröffentlichungen.
the danube flows
in the evening people sit in the sun
on the southwestern side
in the summer months
there are concerts on the main square
and in the cafés
the views are great from the castle
and from the liberation monument
and cemetery further up
some of the soldiers buried are women
in the summer months
the synagogue is open
as a museum
they have a nice garden
it is a functioning synagogue
all year round
the only one left
they had bigger ones
even after the war
after the holocaust
now this is the only one left
they built a freeway
interstate quality
right through the old city
it’s a functioning freeway
it’s a beautiful city
shabby in places, but proud
somehow still healing
the danube flows
In den Städten wo Panzer parken,
gestern. Ziehe ich drei
Intellektuellen die Haut ab. Auf dem Land
röst & verzehr ich Lebern & Nieren von sechs starken Bauern.
Blutspringbrunnen
verschönern die grünen Verkehrsinseln. Spatzen
fliegen über sonnige Dreschplätze
und sehen Statuen aus Fleisch.
Und Gedichte. Wie Kugeln
die Menschenmädchen erschießen.
Himmelslaternen. Eins zwei drei
Menschenwürste
zum letzten Abendmahl.
Das ist ein Befehl: Applaudiert mir!
In Friedenszeiten
kennt ihr keine Schmerzen.
Bei Nachkriegsprozessen stehen wir ganz vorne,
ich und meine Kunst
ausgezeichnet belohnt.
1991
Übersetzt von MW im Juni 2019
Yi Sha FASCIST ART
I order you: Applaud me!
In the city where tanks are parking,
yesterday. I peel off three hides
from intellectuals. In the country,
I roast and eat entrails of six sturdy peasants.
Fountains of blood
adorn the gardens dividing the roads. Sparrows
fly over the sunlight on threshing grounds
and see statues of flesh.
Also poems. Like bullets.
Mow down human sisters.
Sky lanterns up high, one after the other,
human sausages
for a last supper.
I order you: Applaud me!
In times of peace
you don’t know suffering.
At post-war trials, first-tier war criminals,
me and my outstanding art
receive their rewards.
Hui Lin ist 1942 geboren.
Liang Bo ist 1944 geboren.
Mein ältester Bruder ist 1946 geboren.
Der zweite Bruder ist 1949 geboren.
Der kleinste Bruder ist 1958 geboren.
Mein ältester Bruder ist mit 71 gestorben.
Der zweite Bruder ist mit 59 gestorben.
Der jüngste ist nicht einmal ein Jahr alt geworden.
Ich schmeichle Hui Lin und Liang Bo, sie seien jung.
Liang Bo setzt neckisch seine Schirmkappe auf,
deckt sein weißes Haar zu, ist gleich noch jünger.
“Ich bin vom Affenjahr,
geboren in Chungking im Widerstandskrieg gegen Japan,
wir habens nicht leicht gehabt.
Aber in Taiwan und in Amerika
waren kein Hunger und keine Kampfsitzungen.”
Wir sprachen von Daten sammeln,
die Spreu vom Weizen trennen.
Ich ließ die Studierenden
nachforschen
was die Zahl der Toten betrifft
in den drei Jahren der Großen Hungersnot
vom Großen Sprung nach vorn.
Es kamen viele verschiedene
Antworten.
Von über 40 Millionen
bis 30 Millionen
bis 20 Millionen
bis 10 Millionen
bis ganz normal
bis nicht daran rühren
bis das sei eine Verschwörung
des amerikanischen Imperialismus.
Ich mach mir Sorgen
vielleicht werden
meine Studenten und ich
eines Tages
auch eine solche
Statistik.
what does it mean to be human?
what does it mean to be alive?
means you’re not dead yet.
means you can ask superfluous questions.
goddammit, every animal knows
what it means to be an animal.
right?
our children are growing up
discovering love
they always had love, but
any animal knows this is different.
they are bewildered by their own bodies.
again, this has gone on for a while,
it just grows more acute,
and again, every animal knows.
goddammit,
what a luxury question.
what does it mean
to be mean?
not the golden mean.
everyone knows what it means to be mean.
he’s in the news
and on the news every day.
to be human
means to have rights.
doesn’t it?
1947, UN-declaration,
two people from China
worked on it.
Animal rights.
Post about dying whales,
you’ll get 1000s of likes,
about people, oh well.
I want to call this poem
stupid question.
Thank you!
Now go forth and profligate,
or whatever.
MW April 3, 2019
ALWAYS ONLY THE CULTURE
always
always only
always only the
always only the culture
always only the culture
always only the cultural
revolution
always only the cultural
revolution
since 1966
always only the cultural
revolution
always only the cultural
revolution
always only the culture
always only the culture
always only the
always only
always
not the famine
but
but still
but still also
the tens of millions
starved to death
but
but still
but still also
but still also
the terror
the totalitarian
terror
“totalitarian” is in dictionaries
and in chinese search engines
china is hardly
mentioned at all
as neighbor of the soviet union
and in art
in the art
of the cultural revolution
always only the culture
always only the culture
hannah arendt
died in 1975
before the end
of the cultural revolution
in the last edition she saw
of her seminal work
origins of totalitarianism
at least in the german edition
she mentioned china
in the cultural revolution
hardly anyone mentioned the famine
always only the culture
always only the culture
but
but still
but still also
the terror
the terror
pinochet
pol pot
kissinger
who downed more
who did more
who bombed more
1979, democracy wall
in beijing
since 1979
capitalism
reigns supreme
the party reigns supreme
through capitalism
or the other way
through kaputalism
or the other way
everything demolished developed
and demolished again
or the other way
of course only in china
but
but still
but still also
always only the culture
always only the culture
always only the
always only
always
always
MW March-April 2019
IMMER NUR DIE KULTUR
immer
immer nur
immer nur die
immer nur die kultur
immer nur die kultur
immer nur die kultur-
revolution
immer nur die kultur-
revolution
seit 1966
immer nur die kultur-
revolution
immer nur die kultur-
revolution
immer nur die kultur
immer nur die kultur
immer nur die
immer nur
immer
nicht die hungersnot
oder
oder doch
oder doch auch
die zig millionen
hungertoten
oder
oder doch
oder doch auch
der terror
der terror der
totalitären herrschaft
“totalitär” gibt es in wörterbüchern
und in chinesischen suchmaschinen
china wird dabei höchstens
ganz wenig gestreift
als nachbarstaat der sowjetunion
und in der kunst
der bildenden kunst
der kulturrevolution
immer nur die kultur
immer nur die kultur
hannah arendt
ist 1975 gestorben
also vor dem ende
der kulturrevolution
in der letzten auflage ihres hauptwerks
ursprünge und elemente totalitärer herrschaft
erwähnt sie china
in der kulturrevolution
kaum jemand sprach damals von hungersnot
immer nur die kultur
immer nur die kultur
oder
oder doch
oder doch auch
der terror
der terror
pinochet
pol pot
kissinger
wer hat mehr
wer hat mehr
wer hat mehr bombadiert
1979 war die mauer der demokratie
in peking
seit 1979
regiert der kapitalismus
die partei regiert
mithilfe des kapitalismus
und umgekehrt
mithilfe des kaputtalismus
und umgekehrt
es wird kaputt gemacht und neu gebaut
und wieder kaputt gemacht
und umgekehrt
Vorname Digua, Süßkartoffel.
Familienname Liän, aus Yuncheng in Shandong.
Seine Mutter bekam vor Hunger drei Jahre keine Periode.
1962 erst nach einer reichen Süßkartoffelernte
wurde etwas aus ihm.
Digua hätte auch noch drei jüngere Geschwister gehabt.
Vor Angst, dass sie sie nicht aufziehen kann,
hat seine Mutter sie vor der Geburt totgemacht.
Beim ersten hat sie sich auf eine Wassertonne gelegt und es totgedrückt.
Beim zweiten hat sie sich auf einen Getreidebehälter gepresst und es totgedrückt.
Beim dritten hat sie sich über die Bettkannte gelegt und es totgedrückt.
our son wakes up with the light
he’s 14 now
that’s our problem
we need a school
where he learns enough
to get a job
and so on and so on
our son wakes up with the light
MW March 2019
NOTHING
there is nothing
there is nothing
there is nothing more
there is nothing more
there is nothing more beautiful
there is nothing more beautiful
there is nothing more beautiful than light
there is nothing more beautiful than light
in the morning
MW March 2019
KOSICE
Kosice has several synagogues.
They razed the oldest one in 1960.
One is active, across the street
is a café called The Smelly Cat,
live jazz in the evening.
The biggest synagogue
is the concert hall
of the city.
1100 seats.
12,000 people deported in 1944.
There are many churches.
Elisabeth Cathedral
has a mural for Sára Salkaházi, 1899-1944.
She saved about 100 Jews.
2013-2019
OLOMOUC ART MUSEUM COLLECTION
we look very young,
you look very young
among the statues,
must be main square.
a surrealist flair.
astronomy clock plays with its bells
at noon. shows happy members
of working classes.
very nice college town,
behind the australian hostel
is a square hussite church.
2013-2019
IMMER NUR DIE KULTUR
immer
immer nur
immer nur die
immer nur die kultur
immer nur die kultur
immer nur die kultur-
revolution
immer nur die kultur-
revolution
seit 1966
immer nur die kultur-
revolution
immer nur die kultur-
revolution
immer nur die kultur
immer nur die kultur
immer nur die
immer nur
immer
nicht die hungersnot
oder
oder doch
oder doch auch
die zig millionen
hungertoten
oder
oder doch
oder doch auch
der terror
der terror der
totalitären herrschaft
“totalitär” gibt es in wörterbüchern
und in chinesischen suchmaschinen
china wird dabei höchstens
ganz wenig gestreift
als nachbarstaat der sowjetunion
und in der kunst
der bildenden kunst
der kulturrevolution
immer nur die kultur
immer nur die kultur
hannah arendt
ist 1975 gestorben
also vor dem ende
der kulturrevolution
in der letzten auflage ihres hauptwerks
ursprünge und elemente totalitärer herrschaft
erwähnt sie china
in der kulturrevolution
kaum jemand sprach damals von hungersnot
immer nur die kultur
immer nur die kultur
oder
oder doch
oder doch auch
der terror
der terror
pinochet
pol pot
kissinger
wer hat mehr
wer hat mehr
wer hat mehr bombadiert
1979 war die mauer der demokratie
in peking
seit 1979
regiert der kapitalismus
die partei regiert
mithilfe des kapitalismus
und umgekehrt
mithilfe des kaputtalismus
und umgekehrt
es wird kaputt gemacht und neu gebaut
und wieder kaputt gemacht
und umgekehrt
Opas Kamerad
hat keine Kinder.
Im Koreakrieg
hat er eine Hand dortgelassen.
Als Opa gestorben ist,
geht der Kamerad ganz in schwarz
mit leerem Ärmel
durch die Leute,
gibt Opa die Hand.
20 years ago I wrote my first Chinese poem.
It was in Chongqing. “Wanbao, wanbao!”
That’s what they cry, all over China. Every afternoon.
“Evening news, evening news!”
Evening paper, every town has one.
Some have morning papers, those are called Zaobao,
most of them.
“Get your evening paper!”
Anyway, “wanbao, wanbao!”
could mean late retribution. Bào, what comes back, gets back,
a report. Wan, late. Zao, early.
“Wanbao, wanbao!”
Chongqing was the wartime capital.
Jiefang bei, liberation monument, is the city center.
It’s not from 1945 or 1949,
it’s from the 1930s or so.
Most people don’t know exactly.
Emancipation column. One of my students called it that.
Kang Di, think it was her.
Emancipation in German means women’s lib.
“Emanzipationssäule”.
I was teaching German.
Women’s Liberation Monument.
Women’s Rights Monument.
She didn’t know emancipation means many things.
Didn’t want to correct her.
Another essay was about marriage.
Were they really so conservative, our elders,
when they married a stranger,
when they slept with a stranger they had never seen before?
Good question.
Good essays, especially the girls, the young women.
“Wanbao, wanbao!”
In Beijing it sounded more like “wanbo!”, although Beijing supposedly
is where Mandarin comes from.
“Wanbao, wanbao!”
Chongqing is a hilly city. No bicycles. What did they do, back in the 1960s,
1970s, ’80s, when no-one had a car?
They had porters, for the steep slopes with the stairs,
I guess they’re still there.
“Bang-bang”, people for hire.
They bang on their tools, bang their tools together.
Bang-bang are men, but there are women porters.
Hong Ying’s mother carried sand, rocks and gravel.
Daughter of Hunger, her most famous book.
Daughter of the River in English, it was a bestseller.
Hungry Daughter, Ji’e de nü’er.
That’s right, they have a “ü”, just like in German,
and like in Turkish. Ürümqi, city in China,
nowadays governed like North Korea.
Many re-education camps. They had prisons in Chongqing,
Liao Yiwu was in there,
another famous writer from China.
Didn’t know him then. But Chongqing is about war and imprisonment.
Lieshimu, that’s the address
of our university. We taught German and English.
Two universities, one foreign languages,
the other law and police. Law and politics. Yes, they are not separated.
“Wanbao, wanbao!” No zaobao in Chongqing,
although I’m not sure now.
Lie-shi-mu, Martyr’s Grave.
Geleshan, Gele Mountain, right behind our college,
other side of the train tracks.
Someone was murdered there, some gambling debt.
Students died, one or two every few months.
Nice walks on Geleshan, very peaceful, really.
“Wanbao, wanbao!” Every city in China.
Nowadays people have cell phones,
but there are printed newspapers and magazines.
And printed books, there is no crisis.
“Wanbao, wanbao!” Late reports, late reports.
From the guns. Or whatever.
Karma. Shan means good, doing good.
A Buddhist word. Shan you shanbao,
doing good has good returns.
Wouldn’t that be nice?
But teachers believe it, teachers and parents,
again and again, otherwise you go crazy.
They went crazy too, war and famine,
all the way till 1961, ’62. When Hong Ying was born.
No, also 1969,
Cultural Revolution, like civil war.
Shan you shan-bao,
good deeds, good returns.
“Shan you shanbao, e you e-bao.”
E like in Urgh! Like something disgusting, that’s what it means.
Ur yow ur-pow, something like that. But more like b.
Eh yow e-bao. Yes, “e” like ur. “You” like yo-uw.
Shàn you shànbào, è you èbao.
Do good for good returns, do bad stuff for bad returns.
Not that it doesn’t come back, time isn’t ripe.
That’s how it goes on.
You throw the boomerang, boomerang doesn’t come back,
they tell you wait, it’ll come back.
Karma.
And so I wrote a Buddhist newspaper poem.
Bu shì bu bào, shíhou wei dào.
Wei like in Ai Weiwei, “ei” like in Beijing.
Wei means not yet, that’s his name. Really.
“Wei” like the future.
His father was the most famous Communist poet
of the People’s Republic. Imprisoned in the 1930s,
maybe in Chongqing. Then again under Mao.
Exiled to Xinjiang, North Korea today, re-education camps.
Desert, somewhere between Dunhuang and Ürümqi,
what was the town? It’s a big city now.
Ai Weiwei grew up in a hole in the ground, with his brother.
They are both artists. Anyway, where was I?
Bu shì bu bào, shíhou wei dào.
Not that it doesn’t come back, time isn’t ripe.
Emancipation monument.
MLK day, I have a dream.
They had to memorize the whole speech,
in schools in China, 1970s.
Maybe earlier too, maybe till now.
Good deeds, good returns.
Bad deeds, bad returns.
The Chinese Dream.
Not that it doesn’t come back.
Zao you zaobao, wan you wanbao.
Morning has morning papers, evening has evening news.
Early deeds, early returns.
Late deeds, late returns.
Late returns after gambling.
Famous party secretary, famous police chief,
they are in prison now. Or one is dead?
Killed a British guy, now they imprison Canadians.
Anyway, my poem.
Wanbao, wanbao!
Wanbao, wanbao!
Zao you zaobao,
wan you wanbao.
Bushi bu bao, shihou wei dao.
Actually the saying goes on, the Buddhist Karma.
Once time is ripe, everything comes back.
You don’t need to say that. People know.
Ein Herbstnachmittag,
der alte Parteisekreträr mit der schönen Sonne und mir
senkt den Kopf. verbeugt sich
vor der Erde mit ganz vielen Reisfeldern
dreimal,
auf einem Feldrain
zündet er Zeichen an auf goldgerahmtem Papier,
im kräuselnden Rauch
steigt ein Haufen Verhungerter
auf in den Himmel.
Die anderen haben alle schon aufgegessen und sind gegangen,
bleiben nur die Frau Lehrerin und ich
mit meinen letzten zwei Bissen Reis.
Ich bin wirklich schon satt.
Aber sonst schimpft die Frau Lehrerin, dass ich verschwende.
Also kau ich gar nicht und schlucks nur hinunter.
Sofort nachher
ruft die Frau Lehrerin,
Zhang Yi!
Du hast ein Reiskorn im Gesicht.
allen ginsberg recites all naked gets himself famous
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
gary snyder takes to the mountains becomes a hermit gets famous too
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
robert frost recites at kennedy’s inauguration
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
sartre refuses his nobel & calls bukowski “america’s best poet”
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
camus accepts his nobel & calls bukowski “greatest writer of the us”
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
someone calls him a second shakespeare someone calls him new hemingway
he doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
sylvia plath does away with herself
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
anne sexton offs herself too
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
robert bly holds recitals & marches against vietnam war & it’s a big deal
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
czesław miłosz from poland lives in america & receives a nobel
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
joseph brodsky from soviet russia becomes american receives a nobel
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
his poetry sells better than ginsberg’s #1 in his country
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks when it’s time
one after one the elite of the era become bukowski fans
bukowski doesn’t care
drinks & writes writes & drinks fucks when it’s time
john ashberry flits like a butterfly between universities & poetry festivals
bukowski doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes fucks in time
doesn’t care doesn’t care doesn’t care doesn’t care
drinks & writes drinks & writes drinks & writes drinks & writes
fucks in time till he can’t anymore
alive in time croaks when it’s time
When I am old,
don’t have too much to say anymore,
I’ll be quiet and remember
my ordinary life
I couldn’t escape.
No too many things to keep in mind,
my whole life
I just wrote a few poems.
I will think of
these moments when it happened,
not the final results,
the hour when something came down from heaven.
2000
Translated by MW, November 2018
Yi Sha WENN ICH ALT BIN
wenn ich alt bin
nicht mehr zu viel zu sagen hab
werd ich mich still erinnern
das ganze gewöhnliche leben
dem ich nicht entkommen bin
ich werd nicht an sehr viele sachen denken
mein ganzes leben
hab ich nur ein paar gedichte geschrieben
was mir einfallen wird
sind die momente wo es passiert ist
nicht die resultate
die stunde wenn etwas vom himmel herunterkommt
Poets
with not one famous poem
can point their finger
when and wherever at any poet
who holds a whole bunch.
“He has not one good thing,
all he writes is garbage!”
This is
a most familiar sight.
But if you say
this is fair,
there is justice-
Yi Sha NPC-ATLAS
– als Vorwort für den Sammelband des 7. Jahres
Nach der Mittagszeit
am Bahnhof in Osaka
in einem Cafe
trink ich Kaffee
und denk an die Frage
ob in unserer Neuen Poesie aus China
Gedichte über Japan drin sind
oder in Japan entstandene.
Bei den ersteren fällt mir Zhu Jian ein,
bei den letzteren Su Liming.
Dann denk ich wie die heutigen Dichter
in NPC ihre Welt beschreiben
und vor meinen Augen entsteht
ein Weltreich der Poesie.
auf einem lastwagen in laos
frag ich zhang xiaoyun den laienbruder
hinayana und mahayana-buddhismus
was ist der unterschied
bruder zhang sagt langsam im südlichen ton:
“großes fahrzeug ist ein großer bus
kleines fahrzeug ist eigener wagen”
ich hab verstanden!
“hinayana ist selber schreiben,
mahayana ist NPC machen …”
“genau!” sagt bruder zhang,
aber 900 buddhas
wieviele busse braucht man da
denk ich im stillen
in letzter zeit brechen sich viele die beine
in der familie unter den freunden
die waren alle nicht gut ernährt
unter mao
ich möchte eine kur für sie finden
beim hühnerhalten als ich ein kind war
kalziumkur für die hühner
das waren zerstoßene eierschalen
im hühnerfutter
Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ 3. November 2018
Liu Xia ICH HAB SIE SATT
ich hab sie satt
ich hab sie satt, meine weissen pillen
ich hab es satt, mein lächeln für dich
ich hab sie satt, die toiletten im zug
ich hab sie satt, deine berühmtheit
ich hab sie satt, meine last im herzen
ich hab sie satt
ich hab sie satt, die straße die ich seh auf der ich nicht gehen kann
ich hab ihn satt, den schmutzigen himmel
ich hab es satt, das weinen
ich hab es satt, das sogenannte saubere leben
ich hab sie satt, die falsche sprache
ich hab es satt, dass die pflanzen sterben
ich hab sie satt, die schlaflosen nächte
ich hab ihn satt, den leeren briefkasten
ich hab sie satt, alle zurechtweisungen
ich hab sie satt, sprachlose monate, jahre
ich hab es satt, das rote zeichen das ich auf mir trag
ich hab ihn satt, meinen käfig
meine liebe
Welt, bleib wach
sagt meine Werbung für Thalia.at
Ich mag Buchhandlungen
Maybe they have Mary and the Witch’s Flower
or we’ll get it in China
Thalia is big enough
the main one at Wien Mitte
to have stuff in English and DVDs
and other languages maybe
I dream of a bookstore
with Turkish Arabic Czech and Hungarian
Slovac Italian Hebrew Slovenian
and many other books
in Vienna
a chain store
maybe Thalia even
that would be something
to stem the tide
of people glued to their smartphones
or screens with ebooks
from Thalia.at
maybe just a little
MW September 2018
I HATE UTUBE TUTORIALS
i hate my tube tutorials
i hate your tube tutorials
i hate his tube tutorials
i hate her tube tutorials
i hate its tube tutorials
i hate our tube tutorials
i hate your tube tutorials
i hate their tube tutorials
maybe we should have our tubes tied
just kiddin’
is there a tutorial for poetry?
MW September 2018
SOMEONE SAYS THERE ARE MORE EMOTIONS THAN THERE ARE EMOJIS
In a quick ad they say that very quickly
in German they are so excited
there is an extra r
Es gibtr mehr Gefühle als Emojis
Who cares
people ain’t gonna read any more books
if you tell them books are cooler than movies
or things on a screen
which could be books
or poetry
Anyway
sell your books
more power to you
Your campaign in German is rather retro
Welt, bleib wach
sounds like something from 1932
Afterwards
everyone knows
world didn’t stay awake, not enough
Racism
Fascism
Stalinism
Maoism
Neoliberalism
ILLIBERAL DEMOCRATIC
STRONGMANISM
Just how long would you have to stay awake
with a nice book
from the chain store
with this nice ad
to prevent
anything
I have a poem about emojis
no, it’s not written in emojis
it’s in Chinese
I translated it into German
its a very nice poem
They have it up in the streetcars
and buses in Stuttgart
Maybe two more months
I still don’t have a photograph
They sent me two posters
they also sent two posters to China
and a very nice letter
Poetry doesn’t prevent anything
Mao wrote poetry
Stalin wrote poetry
Don’t know if Mussolini
wrote poetry
or Tojo or Franco
or that fucking German Austrian fart
Emojis are nice
Emojis are not competing with books
The poem is by Jiang Xinhe
she was 14
when she wrote it in 2017
The poem is called USELESS CHINESE
that’s a short version
MY CHINESE IN SCHOOL IS USELESS SOMETIMES
On a train through the desert
I add
an Uighur boy on my WeChat
When I’m back in Shenzhen we say hello
but I don’t understand Uighur
and he doesn’t understand Chinese writing
Talking doesn’t work out either
so we can only send emojis
We have used every emoji available
all the way down
now
we are starting again
from the top
7/8/2017
So what’s your emotion
after reading this poem?
Do you know
what’s going on about Uighurs
in China?
Right now, in 2018?
The camps
must have been there
in 2017, last year,
some of them.
Hundreds of thousands, some say one million
mostly men and boys
caught up in camps
for re-education.
Women, too.
So where is that boy now?
I am afraid
to ask the poet.
MW September 2018
SCHADE
schade um kern
schade um die spö
schade um österreich
schade um wien
aber hauptsache
die u6
wird steril
MW September 2018
HEIMATLAND
schwiegersohn und sicher kein nazi
aber ein rechter mann für die wirtschaft
koaliert mit
abgehalftertem ex-neonazi
und konsorten
und die machen zusammen
die entsprechende politik.
oder soll ich’s vielleicht
netter sagen?
naja, es gibt noch den präsidenten
und lokal gibt’s auch noch ganz viel
und lokale gibt’s auch noch ganz viele.
MW September 2018
HEIMATLAND II
das kinderfreibad in wien ist sehr schön
ich mein das im dritten bezirk
über den gürtel
also vielleicht schon im zehnten
nicht weit vom elften
im schweizergarten
nicht weit von der welt
nämlich von der autobahn
vom hauptbahnhof sowieso
alte bäume
ein schönes gelände
heuer haben sie modernisiert
neue klos
alles größer
dort hinten war früher ein basketballring
jetzt im september sind keine leute
endlich hat es richtig geregnet
aber die sonne ist noch genug
MW September 2018
HEIMATLAND III: MARILLENKNÖDEL
marillenknödel
marillenknödel
noch einen
marillenknödel
noch einen
marillenknödel
noch einen
marillenknödel
noch einen
marillenknödel
noch einen
marillenknödel
sind es schon acht
noch einen
ich weiß ich hab
mindestens acht vertragen
Dieses Lied
hat Omi gern gesungen,
jahrzehntelang,
an jedem Geburtstag
singt sie das Lied.
Am Anfang von vorn bis hinten,
in den letzten Jahren
ist es immer kürzer geworden,
und heuer
singt sie nur drei Wörter:
“Ein großer Strom”,
den Rest vom Text hat sie vergessen.
Vor ihrem Elternhaus
der große Strom
hat ja auch nach vielen Jahrzehnten
aufgehört zu fließen.
aus ihrer hand kann man sehen
die letzten jahre haben sie zuviel flüssige seife verwendet
in ihren linien ist auch
klares wasser doch ohne fische
wie soll ich sagen
gottseidank wohl kein lobbyist
kein angler nach vermögensanteilen
ganz klares wasser
heißt also für sie
streben sie nach innerer klarheit
das problem ist
die linien sind einfach zu sauber
ich kann überhaupt keine spur verfolgen
Sometimes you can go back in time.
You go back to a house,
you go back to a beach,
you go back to picking blueberries.
You used to find many other small berries,
behind the house left from Soviet times.
They used to spy on the whole town from that house.
Not tall, rather long,
converted for tourists.
That house is gone now,
hope they left the woods alone.
Sometimes you can go back in time.
Trees would have swayed,
wind would have blown
almost the same in grandmother’s time.
I’m sure the sunset was just as beautiful
through war and holocaust and deportation.
Sometimes you can go back in time.
Grandmother’s house is here,
you sang the songs from grandmother’s time
on the big stage with thousands and thousands.
Zile is here,
your relatives will always be here.
Sometimes you can go back in time.
We were here five years ago
and before,
when the kids were small
and fit in a bicycle carrier.
We rode rented bikes and walked through the woods
to the tip of the peninsula.
Very nice there,
hope they preserve it.
Housing from the 70s maybe,
other historical memories
including 1990.
Independence,
rediscovery of your inheritance.
A precarious future.
Sometimes you can
go back in time.
Across the road from Tokyo Prince Hotel
in a train station basement
I ate a pasta I had never tasted
outside of my family’s home Matoushan
deep in China.
The flour is ground, dried in the sun,
beaten into a dough, pressed into strings,
these are dried again.
To the sound of the big village drums,
the pasta is born in a fine-tuned process.
It’s very resilient, every bite fills your mouth
with the scent of the grain.
I left home when I was 14,
had all sorts of pasta, sweet sour spicy,
strong kinds of taste, made very fast,
so the scent of my hometown
went very far away in the distance.
Never thought I would find it at this moment in Tokyo.
Above there are trains arriving and leaving,
producing a rhythm of deep and high notes
very much like the drums
of Matoushan.
alle menschen sind f
alle menschen sind ff
alle menschen sind fff
alle menschen sind fffr
alle menschen sind fffrr
alle menschen sind fffrrr
ei!!!
geboren
als vogel,
als wild.
alle haben dieselben würdenträger
und die gleichen rechten
von geburt an. nicht wahr?
alle sind mit vernunft begabt
und mit gewissen,
außer dem innenminister.
sie sollen einander begegnen
in brüderlichkeit. ach ja. 1948.
nach dem krieg
nach der shoah
auch zwei chinesen waren dabei.
muss man die menschenrechte erklären?
muss man oder frau die menschen erklären?
wahrscheinlich schon immer in jeder familie
in jedem dorf oder haushalt
jeder und jedem
an jedem sonn-und feiertag,
an jedem werktag.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin!
Bitte setzen Sie sich auf Ihrem Staatsbesuch in China für die Dichterin Liu Xia ein. Ich kenne sie seit über 30 Jahren. Ihr verstorbener Ehemann, der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, ist letztes Jahr nach langer Haft gestorben. Ich habe in Deutschland eine Biographie über Liu Xiaobo herausgebracht, die erste in einer westlichen Sprache. Liu Xia leidet an schwerer Depression. Das chinesische Außenministerium hat auf Anfrage wiederholt behauptet, Liu Xia sei eine freie Staatsbürgerin und habe auch die Freiheit, das Land zu verlassen. Ich möchte Sie bitten, sich dafür einzusetzen, dass Frau Liu Xia nach Deutschland reisen und behandelt werden kann.
Sehr geehrte Frau Merkel, Liu Xia geht es nicht gut. Sie steht schon jahrelang unter Hausarrest. Am Mittwoch, 23. Mai habe ich sie nach acht Uhr am Abend angerufen. Ihre Stimme war schwach, sie hat immer wieder geschluchzt. Sie lässt Sie grüßen! Liu Xia hat mir gesagt, sie hoffe sehr, möglichst bald ausreisen zu können, und nach Deutschland zu gelangen. Ich glaube ebenso wie Liu Xia, dass in der heutigen Welt vielleicht wirklich nur Deutschland und Sie ihr helfen kann. Liu Xia ist eine sehr unpolitische Künstlerin. Sie wird nur als Dissidentin behandelt, weil ihr verstorbener Ehemann, der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, Dissident war. Ich habe erfahren, dass bedeutende Vertreter der deutschen Literaturszene in Berlin bereits für Liu Xia bereits einen Ort gefunden haben, wo sie behandelt werden und sich erholen kann. Die Deutsche Botschaft in China hat auch schon ein Visum für Liu Xia bereit. Aber Liu Xia sagte mir am Telefon, sie habe immer noch keinen Pass, ihr werde kein Pass bewilligt.
Sehr geehrte Frau Merkel, warum wende ich mich jetzt an Sie? Demokratie und Freiheit brechen gerade zusammen, im Westen wie im Osten. Die Diktatur ist wieder im Aufschwung. Aber Sie, Sie sind immer noch eine Wächterin der Demokratie und der Freiheit. Sie waren bereit, diese Werte zu verteidigen, haben sich für Flüchtlinge eingesetzt und haben nicht nur nach unmittelbaren Vorteilen für Ihre Nation, Ihren Staat und seine Wirtschaft gefragt. Gerade weil Sie in der ehemaligen DDR unter einer Einparteienherrschaft aufgewachsen sind, bin ich überzeugt, dass Sie es schaffen, auf höchster Ebene zu erreichen, dass Liu Xia in Deutschland geholfen wird.
Natürlich dient Ihr Staatsbesuch in China in erster Linie dem Fortschritt der Beziehungen mit China in Handel und Wirtschaft. Aber viele Menschen, die sich in Deutschland und in China um Kultur bemühen, setzen gerade auch in der Angelegenheit von Liu Xia eine große Hoffnung in Sie. Ich glaube, in Ihrer Delegation werden Sie auch die richtigen Leute mithaben, die im Detail mit der chinesischen Seite darüber verhandeln können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bei Ling
Autor von „Ausgewiesen“ (Suhrkamp), „Der Freiheit geopfert: Biographie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo“ (Riva Verlag) etc. Vorsitzender des Unabhängigen Chinesischen PEN-Clubs.
Übersetzt von Martin Winter
ich halt eine pomelo in meiner hand
eine goldgelbe große
mit ihrem leicht bitteren duft
ein kleines messer ist schon genug
obwohl die haut recht dick gewirkt hat
ein wortloser schmerz
ich fang an zu zittern
ein leben in dem du keinen schmerz spürst
ein obst das niemand herunter nimmt
wartet nur aufs verfaulen
ich will wirklich gern die pomelo sein
geschnitten werden oder gebissen
besser im schmerz
in ruhe sterben
als im eigenen faulenden körper
die maden wimmeln sehen
einen ganzen winter
mach ich dieselbe sache
schneid eine pomelo nach der anderen auf
und hol mir nahrung aus ihrem tod
13. September 1999
Übersetzt von MW im März 2018
Liu Xia ist Malerin, Dichterin und Fotografin. Sie war mit dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo verheiratet. Geb. 1. April 1961 in Peking. Ehepartner: Liu Xiaobo (verh. 1996–2017) Geschwister: Liu Tong, Liu Hui (Wikipedia)
NEUE LYRIK,
übersetzt und vorgetragen von Martin Wnter.
Yi Sha 伊沙 aus Xi’an 西安 stellt seit 2011 jeden Tag ein Gedicht in chinesischen sozialen Medien vor. Jetzt sind es über 900 Autorinnen und Autoren mit über 2500 Gedichten. Die Initiative heißt auf Chinesisch 新世纪诗典, auf Englisch New Century Poetry Canon, abgekürzt NPC. “NPC” wird sonst für National People’s Congress verwendet, den Nationalen Volkskongress, die parlamentarische Versammlung in Peking, die jeden März zusammentritt. Yi Sha streicht die Abkürzung hervor, weil er stolz ist auf diese breite und dadurch relativ demokratische Versammlung der Poesie aus allen Teilen des Landes. Und das völlig abseits der offiziellen Strukturen wie Schriftstellerverband etc. Berühmte Namen sind vertreten, aber vor allem ist es eine Plattform für vielartige und immer wieder erstaunliche Entdeckungen. Viele dieser Texte werden schon am ersten Tag 10.000 Mal oder noch öfter angeklickt. Später werden sie in Büchern gesammelt, sieben Bände sind schon erschienen. NPC ist mit zahlreichen Aktivitäten in ganz China und darüber hinaus verbunden. Im Herbst erscheint bei fabrik.transit in Wien eine zweisprachige NPC-Anthologie. Am 24. Mai 2018 werden im Literaturhaus Wien bei der Präsentation des China-Schwerpunkts der Zeitschrift Podium AutorInnen vorgestellt, die in der Anthologie vertreten sind.
In München brachten wir neue Lyrik dieser Dichterinnen und Dichter: Chun Sue 春树, Li Xiaoxi 李小溪, Wang Qingrang 王清让, Jun Er 君儿. Und natürlich Yi Sha 伊沙. Dazu noch Liu Xia 劉霞.
Chun Sue 椿樹 AUFGEREIHT
am nachmittag ist mir fad
endlich les ich das buch
das mir vor einem jahr
jemand aus freundschaft geschenkt hat
ich les alle gedichte
traurig sein und betrübt
kommen ein paarmal vor
sex auch nicht wenig
große namen sind hasenlöcher
in der wildnis so häufig
ich les sogar meinen eigenen namen
und den von jemandem
mit dem ich früher beisammen war
das kommt davon dass wir alle dichter sind,
ai!
Übersetzt von MW im April 2017
Chun Sue, geb. 1983 in Beijing, stammt aus Shandong. Nach dem Welterfolg ihres Romans “Beijing Doll” war sie auf dem Cover von Time Magazine. Lebt mit Mann und Kind in Berlin.
In der letzten Nacht in Pjöngjang,
nach dem Abendessen und nach dem Schwimmen,
hab ich ein Rendez-vous
mit einem Burschen aus Hangzhou von unserer Gruppe.
Wir schleichen uns hinaus zum Mondspaziergang,
auf der Brücke
sind wir grad zwei Sekunden,
dann kommen schon Lichter
von Taschenlampen
von weitem. Und Rufe,
vielleicht Parolen zur Warnung.
Wir sind erschreckt
und drehen gleich um.
Ich sag beim Gehen,
mir ist kalt.
Er zieht seine Jacke aus, legt sie mir um.
Unter den prächtigen Säulen
des Kinos von Pjöngjang
umarmen wir uns,
immer noch aufgeregt.
Er sagt, schläfst du mit mir?
Ich lass die Leute in unserem Zimmer
andere Betten finden.
Das ist wirklich romantisch.
Ich sag, bist du lebensmüde?
Was glaubst du, wer ich bin?
Ringsum ist alles finster
Niemand sieht dieses Pärchen.
Nur das große Yanggakdo-Hotel
ist noch hell.
Im Schwimmbecken sind lauter Roboter
Im Kinderbecken auch
Schwimmlehrer sind ebenfalls Roboter
Die anderen bemerken dass ich nicht wie sie bin
Die Lehrerin schickt mich ins Roboterkrankenhaus
Wenn sie nicht aufpassen
renn ich nachhaus
mal mit bunten Stiften ein Bild
mal sie alle hinein
Mal mich selbst auch als Roboter
2015-07-02
Übersetzt von MW im April 2018
Li Xiaoxi (Shanghai), weibl, geb. am 28.7.2008.
机器人游泳池
李小溪(上海)
我去游泳的时候
机器人看着我
游泳池里全是机器人
儿童池里也是机器人
教练也是机器人
人家看我跟他们不一样
教练让我去机器人医院看看
我趁他们不注意
就跑回家
用彩笔画了一幅画
把他们都画下来
把自己也画成了机器人
Wang Qingrang 王清让 1960
Vater hat
zwei Maisdiebe erwischt.
Ein junges Paar, sie knien am Boden:
“Wir haben wirklich keine Wahl!
Das Kind schreit vor Hunger die ganze Nacht,
wir haben kein Körnchen Essen daheim …“
Vater winkt ab,
er lässt sie gehen.
Plötzlich fällt ihm etwas ein,
er ruft sie zurück.
Hebt ein paar Maiskolben auf,
drückt sie in ihre Hände.
Übersetzt von Martin Winter im Februar 2017
Wang Qingrang. Männl., geboren im August 1976. Wohnt in Xinxiang, Provinz Henan.
Als ich 14 bin in der Mittelschule,
schickt Mutter Vater, um mich abzuholen.
Er bringt mich direkt in die Dorf-Strickfabrik.
Sie geben mir ein Versprechen,
schafft meine große Schwester es nicht auf die Uni,
kommt sie statt mir in die Fabrik
und ich darf wieder in die Schule gehen.
Das heißt nur eine von uns zwei Schwestern
darf weiter lernen.
Das Schicksal benachteiligt meine Schwester,
um ein paar Punkte verfehlt sie die Uni.
Ich schaff es bis nach Jinan in Shandong.
Die Schwester arbeitet, heiratet,
hat eine Fehlgeburt, bringt sich um
mit einem Pflanzenschutzmittel.
Am Esstisch spricht Mutter zum x-ten Mal von der Vergangenheit.
Sie sagt, ihr habt es noch nicht so schwer,
wers schwer gehabt hat ist schon längst Asche und Rauch.
Übersetzt von MW, 2015-2018
Jun Er, geb. 1968 im Dorf Yunjiazhuang im Kreis Baochi unter der Stadt Tianjin. Reporterin. Mitarbeit bei der Poesiezeitschrift Kui (Sonnenblume). Lebt in Tianjin.
《针织厂》
上到初中二年级的时候
母亲派父亲去乡中接我
直接把我拉到村办针织厂上班
答应我的一个条件是
如果姐姐考不上大学
由她顶替我到工厂上班而我
可以继续上学
也就是说我们姐妹只能有一个
可以读书
命运薄待了姐姐却厚待了我
姐姐几分之差落榜而我重回校门
以后是我赴山东济南读书
姐姐上班,结婚
孩子死胎,她死于农药中毒
自己对自己下手
饭桌上第N次提起往事
觉悟了的母亲说你们还不是最惨的
是啊最惨的早已灰飞烟灭
Photo by Liu Xia
Liu Xia 刘霞 POMELO
ich halt eine pomelo in meiner hand
eine goldgelbe große
mit ihrem leicht bitteren duft
ein kleines messer ist schon genug
obwohl die haut recht dick gewirkt hat
ein wortloser schmerz
ich fang an zu zittern
ein leben in dem du keinen schmerz spürst
ein obst das niemand herunter nimmt
wartet nur aufs verfaulen
ich will wirklich gern die pomelo sein
geschnitten werden oder gebissen
besser im schmerz
in ruhe sterben
als im eigenen faulenden körper
die maden wimmeln sehen
einen ganzen winter
mach ich dieselbe sache
schneid eine pomelo nach der anderen auf
und hol mir nahrung aus ihrem tod
13. September 1999
Übersetzt von MW im März 2018
Liu Xia ist Malerin, Dichterin und Fotografin. Sie war mit dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo verheiratet. Geb. 1. April 1961 in Peking. Ehepartner: Liu Xiaobo (verh. 1996–2017) Geschwister: Liu Tong, Liu Hui (Wikipedia)
Xichang, Internationale Woche der Poesie.
Im Zhaojue-Center
hält Qinglang Lihan
eine programmatische Rede
über Anna Achmatowas
bitteres Schicksal.
Ihr erster Ehemann
Nikolai Gumiljow
wird wegen “Konterrevolution”
erschossen.
Gleich nachher springt
ein Mittelschüler
aus dem Volk der Yi
in moderner Kleidung
auf die Bühne.
In verzerrter Haltung,
mit zornig aufgerissenen Augen
gibt er spuckend von sich:
“Ihr Hundefurz-Poeten,
könnt keinen Stift gerade halten,
vor dem Elend der Leute
verlangt ihr keine Gerechtigkeit!
Dann kommt ihr in die Provinz
und redet von Konterrevolution …”
Wir sind alle baff,
völlig ratlos.
Nachher
fährt unser Bus
durch die Kleinstadt davon,
und ich seh den Schüler
allein auf der Straße,
immer noch zornig
gehen und schnauben.
Wie eine einsame
wandelnde Bombe.
wenn du eine reise tust
konzentrier dich
und alle sachen
werden dich tragen
bevor ich nach laos fahr
ein video: elefantengrenzübertritt
an der grenze china-laos
eine kamera wacht in der nacht
vor mitternacht
überschreitet eine elefantin die schranken
von china nach laos
frisst sich in laos den bauch rund
nach mitternacht
kehrt sie zurück
glaubst du liebt sie ihr vaterland?
dann gib ihr bürgerschaft und einen pass
eigentlich
kann man nicht einmal sagen sie liebt ihr zuhause
sie geht aus ihrem schlafzimmer
in ihre küche
auf einen snack
dann geht sie zurück und schläft sich aus
Der offene Brief von der Sprachkunst ist sehr gut. Gestern hab ich ihn gelesen und gedacht, jetzt möcht ich doch etwas schreiben. Vorgestern hab ich mir die Rede das erste Mal herausgesucht, angeschaut, angehört. Sehr, sehr sehr gut. Sehr, sehr wichtig. Selten. Nicht feig, wie er selbst sagt. Das ist in Österreich schon viel.
Er wollte nicht reden, das glaube ich ihm. Weiß nicht, wer das auswählt. Aber wenn er redet, sagt er, macht er es sich nicht einfach. Das glaub ich ihm auch. Österreich hat ein unheilvolles Bedürfnis nach Harmonie. Klingt mir selbst zu pathetisch, wenn ich das sage. Oder ist es auch Kalkül? Es ist vielleicht beides. Sag etwas Positives. Etwas Konstruktives, Aufbauendes. Das hat Köhlmeier dann im Interview auf ORF2 gemacht. Ich glaube schon, dass er glaubt, was er sagt. Er will es tun. Er will Herrn Schrecken beim Wort nehmen. Natürlich, das sollten wir alle, Politiker beim Wort nehmen.
Wenn du es ernst meinst, bin ich bei dir. Sagt Köhlmeier. Ich will dir erst einmal vertrauen, sagt er. Wenn du sagst, die Partei muss sich ändern. Soll ich mir jetzt die Rede von Herrn Schrecken bei diesem Deutschnationalen Ball heraussuchen? Ich mag keine Videos. Ich mag auch keine Podcasts. Youtube ist etwas Tolles, auch etwas Demokratisches, aber ich mag es nicht. Ich mag Musik auf Platten. Kassetten. Filme im Kino. Reden live, ab und zu. Trete gern selber auf. Genommen werden, ausgewählt werden. Wer hat Köhlmeier ausgewählt? Danke! Tausend Dank! Ich könnte nicht sagen, ich vertraue Herrn Schrecken. Ist das eine Schwäche von Köhlmeier, wenn er sagt, dass er vertrauen will? Vielleicht nicht. Es ist nur im Interview. Die Rede war und ist sehr, sehr, sehr wichtig.
Bei Youtube kommt man vom Hundersten ins Tausendste, auch wenn man sagt, Herrn Schrecken hör ich mir sicher nicht freiwillig an. Aber gleich neben der Köhlmeier-Rede ist die von Arik Brauer. Auch schön. Auch sehr persönlich. Wenn er sich erinnert, an das Kriegsende in Wien. Am Flötzersteig. Hinauf zum Steinhof. Schrebergärten, wo sich Arik Brauer versteckt hat. Als sechzehnjähriger Jude. Noch ein Kind, vom Aussehen und von der Stimme. Ein schöner Sopran, sagt er. Sehr, sehr sympathisch. Das ist Österreich. Wien. Diese Sprache. Jüdisch gefärbtes Wienerisch. Selten. Sehr sehr kostbar, unsere Sprache. Es tut weh. Das Erinnern. Es ist sehr schön. Auch dass er gleich sagt, die meisten Leute haben sich nicht befreit gefühlt. Die Frauen. Die Leute in den Trümmern.
Die Demokratie. Ein zartes Pflänzchen. Man passt auf die anderen auf. In Europa. In der EU. Die Ironie, mit der er das sagt, ist auch sehr schön.
Die Einwanderung, sagt er, sei schuld. Am Rechtsruck. Die Einwanderung aus arabischen Ländern, wo so viele Leute die Juden zurück ins Meer werfen wollen. Da fühlt er sich bedroht. Sagt er. Von der Einwanderung. Die Einwanderung sei schuld am Rechtsruck, auch in Polen, Ungarn und so weiter. Das sagt er dann im Interview. Und Ex-Bundespräsident Ernst Fischer sitzt konsterniert dabei. Fischer war Flüchtling, im Zweiten Weltkrieg. Es tut weh. Die Kameras zeigen, wie die Politiker schauen. Das ist sehr gut.
Arik Brauer wird ganz besonders geliebt und bejubelt. Auch von der Regierung. Und Arik Brauer verbeugt sich mehrmals und schüttelt Herrn Schrecken freudig die Hand.
Welche Einwanderung? Es gibt nach wie vor keine Araber in Polen. Oder in Ungarn.
Welche Einwanderung? In Polen gibt es viele ukrainische Gastarbeiter. Stalin hat ja die Ukraine und Polen nach Westen verschoben. Also dort, wo die ukrainischen Gastarbeitern teilweise herkommen, war vorher Polen.
Wandern die Gastarbeiter ein? Manche, wenn sie können. Glaube ich.
Noch einmal, es gibt keine Einwanderung aus arabischen Ländern in Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei. Überhaupt keine. Vielleicht ein paar ganz wenige SyrerInnen, die es doch irgendwie geschaftt haben. Arbeit. Heirat. Wenige. In Polen ganz sicher noch viel weniger als in Ungarn. Geographie.
Warum sagt Arik Brauer so einen Blödsinn?
Soll ich es analysieren? Warum fallen die Leute auf Schrecken herein?
Es ist alles sehr kompliziert. Sagte Sinowatz, sagt Arik Brauer. In der Demokratie, in Europa. Das ist ja das, was so weh tut. Dass er so gut redet. Bis auf den Blödsinn, bis auf den Schrecken.
Jetzt könnte ich aufhören. Warum fällt jemand auf Schrecken herein?
Moslems gibt es mehr als früher. Muslime. In Österreich. Türken. Tschetschenen. Innen. Frauen. Frauen, Männer, Kinder. Viel mehr Muslime als Juden. Dass es beides gibt, Muslime und Juden, in Österreich, ist sehr, sehr wichtig. Musliminnen, Jüdinnen. Identität. Gehört zu uns, seit über hundert Jahren. Seit ewig. Seit immer. Österreich ist Europa.
Unlängst war im Standard ein Kommentar, der an das Arabische im Römischen Reich erinnert hat. Einige Kaiser, aus Syrien und so weiter. Lukian. Etwas bei Lukian. Europa gabs nie ohne Araber.
Harmonie. Hab ich jetzt auch Harmoniebedürfnis?
Moschee und Kasino. Eines meiner besten Gedichte. Chinesisch, ursprünglich. Geschrieben in Malaysia. Handelt auch von Singapur. Da gibt es Fotos. Wie ich Moslem spiele. Sozusagen. Es war sehr schön.
Jetzt hab ich doch sehr viel geschrieben. Kein Gedicht. Einmal. Friede sei mit Euch, mit uns. Amen.
Shi Ran WIR RENNEN NOCH IMMER VATERS ERWARTUNGEN NACH
beim blättern in vaters manuskripten
fällt mir ein wie enttäuscht
er uns angeschaut hat
kein dichter darunter
als mein kleiner bruder, der jüngste
an die uni gekommen ist
hat vater geseufzt
so viele kinder
keiner wird arzt
heute schreib ich
aus interesse
doch noch gedichte
meine kleine schwester die lange bei medien war
steigt plötzlich um auf chinesische medizin
aber jetzt hat uns vater
schon zehn jahre verlassen
Texte von Li Jingrui 李静睿, Qiao Ye 乔叶, Xi Chuan 西川 und vielen NPC 新诗典 – AutorInnen (siehe unten).
Übersetzungen von Marc Hermann, Julia Buddeberg, Cornelia Travnicek (Erzählungen) und Martin Winter (Gedichte: 新世纪诗典 -NPC)
Im Herbst erscheint bei fabrik.transit in Wien eine zweisprachige 新世纪诗典 NPC -Anthologie.
NPC steht für New Poetry Canon, eigentlich New Century Poetry Canon, 新世纪诗典. Abgekürzt als NPC. NPC steht sonst für National People’s Congress, also der Nationale Volkskongress, Chinas Parlament, das allerdings nur einmal im Jahr im März zwei Wochen lang zusammentritt. Seit 2011 wird von Yi Sha 伊沙 im NPC-新世纪诗典 jeden Tag ein Gedicht vorgestellt, in mehreren chinesischen sozialen Medien zugleich. Oft wird ein einziges Gedicht schon in den ersten zwei Tagen zehntausende Male angeklickt, kommentiert und weitergeleitet. Ein nationaler Poesiekongress.
AAA (3A) 三个A, geb. in den 70er Jahren in Laibin, Provinz Guangxi. Dichter, Schriftsteller, Herausgeber. Erhielt 2015 den Li-Bai-Förderpreis. An Qi 安琪, eigentl. Huang Jiangpin, geb. im Februar 1969 in Zhangzhou, Provinz Fujian. Dichterin, Schriftstellerin, Herausgeberin. Lebt in Peking. A Wu 阿吾, “Dichter und Denker”. 1965 in Chongqing geboren. 1988 Mag. phil. Journalist und Redakteur bei Tageszeitungen, 1994 bis 2005 beim TCL-Konzern. Bei Dao 北岛, eigentl. Zhao Zhenkai. Geb. am 2.8. 1949 in Peking. Gründete Ende 1978 mit Mang Ke die Zeitschrift Jintian (Heute), zur Zeit der Demokratie-Mauer in Peking. Nach dem Massaker von 1989 im Exil. Seit 2007 Professor in Hongkong. Cai Xiyin 蔡喜印, geboren 1966, Hochschulabschluss 1989. Lebt in Hefei, Prov. Anhui. Büroangestellter. Poesieliebhaber über 50. Caiwong Namjack 才旺南杰, männlich, kommt aus Naqu in Tibet. Chun Sue 椿树, geb. 1983 in Beijing, stammt aus Shandong. Nach dem Welterfolg ihres Romans “Beijing Doll” war sie auf dem Cover von Time Magazine. Lebt mit Mann und Kind in Berlin. Eryue Lan 二月蓝, weibl., 1967 in Chongqing geboren. Lokale Regierungsbeamtin. Veröffentlicht seit 1989 in Zeitungen, Zeitschriften etc. Gao Ge 高歌, männl., eigentl. Zhang Chao, im Juni 1980 geb. in Tengzhou, Prov. Shandong. Gehört zum Kreis um die Zeitschrift “Kui” 葵 (‘Sonnenblume’) in Tianjin. Geng Zhankun 耿占坤, geb. im Chaidar-Becken in Qinghai, aufgewachsen in der nordwestlichen Hochebene, stammt aus Zhezhou in Henan. Lebt als Schriftsteller und Verleger in Qinghai. Huang Hai 黄海, geb in den 70er Jahren. Veröffentlichte Essays, Kurzgeschichten, Erzählungen und Gedichte. Lyrik-Preise und Auszeichnungen. Lebt in Xi’an. Huang Xiang 黄翔, geb. 1941 in Guidong, Prov. Hunan. Dichter und Kalligraph, führender Repräsentant der Guizhou-Schule. Ab 1978 Aktionen an der Demokratiemauer in Peking. Immer wieder inhaftiert, lebt seit 1995 im Exil in den USA. Huzi 虎子, eigentl. Zhou Haitao. 1962 geb. in Henan, lebt in Zhengzhou. Zuerst Soldat, später Regierungsbeamter. Publizierte Gedichte in Zeitschriften und Anthologien. Jian Tianping 简天平, weiblich, Angestellte in Beijing. Jiang Erman 姜二嫚, weibl., geb. am 26.12.2007 in Shenzhen. Jiang Xinhe 姜馨贺, weibl., geb. am 31.5.2003 in Shenzhen. Betreibt mit ihrer kleinen Schwester Jiang Erman zusammen eine Internet-Plattform für ab 2000 geborene AutorInnen. Jiang Xuefeng 蒋雪峰, männlich, geb. 1965 in Jiangyou, Provinz Sichuan. Lebt dort. Leitet den örtlichen Schriftstellerverband. Jun Er 君儿, geb. 1968 im Dorf Yunjiazhuang im Kreis Baochi unter der Stadt Tianjin. Reporterin. Mitarbeit bei der Poesiezeitschrift Kui (Sonnenblume). Lebt in Tianjin. Li Liuyang 李柳楊, weibl., geb. 1994 in Anhui. Schreibt Gedichte und Erzählungen, Veröffentlichungen in vielen Zeitschriften. Mitarbeit in und Betreiberin von Internet-Plattformen. Lebt in Peking. Li Qi 李琦, 1956 geb. in Harbin. Wurde als Jugendliche aufs Land geschickt, später Universitätslehrkraft und Redakteurin. Veröffentlicht seit 1977. Erhielt den Lu-Xun-Literaturpreis, den Ai-Qing-Lyrikpreis etc. Li Xiaoxi 李小溪 (Shanghai), weibl, geb. am 28.7.2008. Li Xunyang 李勋阳, geb. 1980 in Danfeng, Prov. Shaanxi. Lebt in Lijiang, Prov. Yunnan. Lyriker und Erzähler. Liu Chang 刘昶, geb. im Juli 1965 in Yudu, Provinz Jiangxi. Lebt in Zhuhai.Bauer, Arbeiter, Journalist, Angestellter. “Schreibt Gedichte und sucht nach einem Wert seiner Existenz.” Mo Shanghua 陌上花, weibl., geb. in den 1970er Jahren in Xinxian, Prov. Henan. Lebt in Huizhou, Prov. Guangdong. Qin Yuangu 秦原姑, eigentl. Qin Yuanyuan, 1989 in Lantian, Provinz Shaanxi geboren. Aspirantin an der Xi’an International Studies University. Kunstpreis der Baoshang-Bank in der Kategorie Lyrik. Qizi 起子, geb. 1974, eigentl. Huang Shunliang.Veröffentlichte in Zeitschriften und Anthologien, sowie den Gedichtband “Weiche Zunge”. Sa Dmar Grags Pa 沙冒智化, Tibeter. Freiberufler und Schriftsteller. Schreibt auf Tibetisch und Chinesisch. Geboren in den 80er Jahren in Gansu, lebt in Lhasa. Shen Haobo 沈浩波, geb. 1976 in Taixing, Provinz Jiangsu. 1999 Studienabschluss an der Beijing Normal University. Dichter, Schriftsteller, Verleger. Song Yu 宋雨, weiblich, geb. in den 80er Jahren, kommt aus Altay in Xinjiang. Gehört zur muslimischen Volksgruppe der Hui. “Wohnt in Gebieten, wo keine Pakete zugestellt werden.” Tu Ya 图雅, geboren 1964, lebt in Tianjin. Bekanntestes Gedicht: “Mutter ist in meinem Bauch”. Wang Qingrang 王清让, männlich, geboren im August 1976. Wohnt in Xinxiang, Provinz Henan. Xi Wa 西娃, weibl., 1972 geb. in Jiangyou, Provinz Sichuan. Teilweise tibetische Familie. Erhielt den Li-Bai-Preis in Gold, Silber und Bronze. Xiang Lianzi 湘莲子, weibl., eigentl. Xiao Gonglian, geb. im Februar 1963 in Hengyang, Prov. Hunan. Lebt in Humen, Provinz Guangzhou. Psychotherapeutin in Krankenhäusern. Xie Xiaodan 谢小丹, weiblich, geb. 1991. Xing Hao 邢昊 kommt aus Xiangtan, Provinz Shanxi. Schreibt und veröffentlicht seit den 80er Jahren. “Die Umgangssprache ist ein guter Löffel, um damit einigen Leuten den alten Grind aus ihren Ohren zu kratzen.” Xu Lizhi 许立志, geb. 18.7.1990, gest. 30.9.2014 (Suizid). Geboren in einem Dorf nahe Jieyang, Provinz Guangdong. Arbeitsmigrant bei Foxconn in Shenzhen, Dichter und Blogger. Yang Yan 杨艳, geboren im Oktober 1982 im Kreis Yourong, Provinz Fujian. Lebt in Ningde. Statistikerin. “Poesie ist meine Religion.” Yi Sha 伊沙, eigentl. Wu Wenjian. Geb. 1966 in Chengdu, seit 1968 in Xi’an. 1989 Studienabschluss an der Beijing Normal University. Veröffentlichungen seit den 80er Jahren, über 100 Bücher. Unterrichtet an der Xi’an International Studies University. Yu Zhen 余榛, weiblich, lebt in der Provinz Guangdong. Redakteurin der Zeitschrift “Huiyang Arts & Literature “. Mitglied des Schriftstellerverbandes von Huizhou. Zeng Rulong 曾入龙, geb, 1994 in Anshun, Provinz Guizhou. Gehört zur Volksgruppe der Buyi. Zhao Siyun 赵思运, geb. 1967. Professor an mehreren Universitäten. In der Jury für Literaturpreise in Südchina und Hongkong. Zheng Xiaoqiong 郑小琼, geb. 1980 in Nanchong, Prov. Sichuan. Ab 2001 Arbeitsmigrantin in Dongguan, Prov. Guangdong. Heute Redakteurin in Guangzhou. Zhou Tongkuan 周统宽, männl., gehört zur Volksgruppe der Zhuang. Geb. 1966 im Kreis Rong’an in Liuzhou, Prov. Guangxi. Vize-Chefredakteur der Zeitschrift “Spatzen” (Maque) in Guangxi.
one person
in his 27 years in power
with his own hands
set in motion 55
big and small political campaigns
plunged his country in misery
made his people suffer to death
when I get to know this information
my mouth stands open
I want to cry: “grandpa!”
I want to cry: “grandma!”
I want to cry: “papa!”
I want to cry: “mama!
I want to cry: “uncle! aunt!”
I need to cry out
for all my relatives
all my seniors in my relatives
I want to tell them:
you had it so hard
in your generation
I forgive you everything
May 2016
Tr. MW, Feb. 2018
Yi Sha ICH MUSS EUCH RUFEN
ein mensch
hat in 27 jahren seiner herrschaft
mit eigener hand
55 kleinere und größere
politische kampagnen in gang gesetzt
sein land ins elend gestürzt
sein volk auf den tod zugerichtet
als ich diese nachricht erfahr
bleibt mein mund offen stehen
ich will rufen: “opa!”
will rufen: “oma!”
will rufen: “papa!”
will rufen: “mama!”
will rufen: “onkel! tanten!”
ich muss alle rufen
alle meine verwandten
alle älteren verwandten
ich will ihnen sagen
ihr habt es viel zu schwer,
viel zu schwer gehabt
ich verzeihe euch alles
In Luang Prabang im Menghe-Hotel abgestiegen,
dann Abendessen im Sichuan-Laden.
Kellner sind hautsächlich Teenagerinnen.
Die Chefin aus Yibing erklärt:
In Laos gibt es überhaupt keine Altersbeschränkung,
also sei das keine
Kinderarbeit.
Haven’t been to Yishan Lake for a long while.
Tonight I am taking a stroll with my wife.
She says
so many people pop up all of a sudden.
I say probably very few of them know
This used to be the May Seventh Cadre School
labor camp of Suzhou.
Back then in the Cultural Revolution,
so many people all of a sudden.
I have never met anyone
who could express emotion
better than Bukowski.
I also can’t recall
any Chinese poet
who expressed emotion better than me.
A long time ago
from the very beginning
when our bunch of people
we who speak plain language
bravely invaded
the realms of lyrical poetry
made it new, strong
saved them
when they could not keep it up
gave them transfusions
fresh blood
so they survived
put on color
we never forgot
the original purpose
of poetry
is expressing emotion
International Poetry Week in Xichang.
At Zhaojue Center,
main auditorium,
Qinglang Lihan holds his speech.
Speaks of Akhmatova
and her tragic fate,
as when her first husband
Gumilev was shot
for “counterrevolution”.
Right after this
a high school student
from the Yi nationality
in modern dress
jumps on the stage.
He stands there contorted,
staring with rage,
spitting his words:
“You fart-head poets,
faced with the people’s misery
you are unable to raise your pens
and demand justice!
Then you run away
to a small place
to talk about counterrevolution…”
We are all baffled,
don’t know what to do
or what just happened.
Later
when our bus
drives through the town on our way out
I see that high school student
alone
on the street,
still foaming
and puffing.
Like a lonely
walking bomb.
October 2017
Translated by MW, 12/31/17
Yi Sha EINSAME BOMBE
Xichang, Internationale Woche der Poesie.
Im Zhaojue-Center
im großen Saal
Qinglang Lihan trägt vor
über Anna Achmatowas
bitteres Schicksal.
Ihr erster Ehemann
Nikolai Gumiljow
wird wegen “Konterrevolution”
erschossen.
Gleich nachher springt
ein Mittelschüler
aus dem Volk der Yi
in moderner Kleidung
auf die Bühne.
In verzerrter Haltung,
mit zornig aufgerissenen Augen
gibt er spuckend von sich:
“Ihr Hundefurz-Poeten,
könnt keinen Stift gerade halten,
vor dem Elend der Leute
verlangt ihr keine Gerechtigkeit!
Dann kommt ihr in die Kleinstadt
und redet von Konterrevolution …”
Wir sind alle baff,
völlig ratlos.
Nachher
fährt unser Bus
durch die Kreisstadt davon,
und ich seh den Schüler
allein auf der Straße,
immer noch zornig
gehen und schnauben.
Wie eine einsame
wandelnde Bombe.
ein freund vom volk der yi
erzählt mir sie wählen
chinesische namen
aus modischen wörten
und so war da ein kind
das nannten sie
sozialismus
wenn essenszeit war
hörte der ganze ort
eine mama rufen
die schrie und schrie:
sozialismus!
komm heim zum essen!
die japaner sind gekommen
auf ihrem kriegsschiff
die japaner sind weggefahren
auf ihrem kriegsschiff
aber einen hund
haben sie hier gelassen
der hund war herumgelaufen
vor verschiedenen imbisständen
hatte seine pfoten gefaltet
und wie ein mensch um fressen gebettelt
dann ist er zum hafen gerannt
um auf die japaner zu warten
die japaner sind nicht zurückgekommen
mein patenopa
hat den hund aufgenommen
viele jahre später
während einer politischen kampagne
hat ihn jemand angezeigt
und der hund war der beweis
für seinen landesverrat
18. September 2017
Übersetzt von MW im Dezember 2017
Foreword by @tengbiao to “The People’s Republic of the Disappeared: Stories From Inside China’s System for Enforced Disappearances”, a new book about China’s Residential Surveillance at a designated location Atrocity in the Name of the Law
Ich bin im Futian-Tempel geboren.
Das heißt nicht, dass ich von Geburt an
ein Mönch war.
Der Futian-Tempel ist am Futian-Deich,
ein Tempel aus der Song-Dynastie.
1965, in meinem Geburtsjahr,
hat man die Mönche hinausgetrieben.
Wer nirgendwo hinkonnte und noch zurückkam,
konnte höchstens für Schüler die Glocke läuten,
nicht die Klapper schlagen, den hölzernen Fisch.
Der Futian-Tempel wurde die Futian-Volksschule,
mit meiner Mutter als Direktorin.
Die große Buddha-Halle war ein Klassenzimmer,
was ringsum zum Kloster gehörte,
dort wurde Korn angebaut für die Schule.
Am Kindertag, dem 1. Juni,
für jeden zwei Dampfbrötchen aus dunklem Schrot.
Ich wurde im Schlafsaal geboren,
gleich rechts wenn man in den Tempel hineinkommt,
abgetrennt aus dem Fastengebäude.
Ich weiß noch, vorm Fenster waren Gemüsebeete.
Saubohnen, Gurken, Auberginen,
alle noch nicht so gut geraten wie ich.
Vorletztes Jahr war ich wieder dort,
ein alter Mann hat mich gerufen, wie damals als Kind.
Ein Herr Lei, damals der Dorfparteisekretär.
Er hat den tausendjährigen Osmanthusbaum zerstückelt.
Seine Tochter hat Pestizide genommen,
seine Frau ist verrückt.
Er ist jetzt Laienbruder.
Ich bin im Futian-Tempel geboren
und der einzige Mensch auf der Welt,
der für ihn ein Gedicht schreibt.
Aber bis jetzt hab ichs auch nicht geschafft,
den Osmanthusbaum wieder lebendig zu schreiben.
vater hat noch gegen japaner gekämpft
und einen granatsplitter behalten
wir haben ihn nicht operieren lassen
als er noch auf der welt war
jedesmal auf dem friedhof
verbrennen wir für vater
ein schmerzmittelrezept
At Wuwei airport near Nanning
with fellow poet Martin from Austria
near the security gate,
a child is crying.
Martin suddenly asks:
“Do you have children?”
“Yes, I have two.
And my children
also have children!”
Martin gives me a thumbs-up:
“Great!”
What is so great, I am thinking,
back then my wife with her big belly,
always trying to hide;
writing a heart-felt self-criticism,
undergoing sterilization,
forking out a huge fine,
still losing job and insurance.
Didn’t want to depress our guest,
so I told him nothing
about our Chinese characteristics.
My 80-year-old aunt
is a devout Christian.
She goes to St. Peter’s cathedral in Rome,
brings me a beautiful cross with a necklace,
sacredly hangs the cross on my neck.
She looks at me happily,
gushing:
“This is wonderful.
They always say on TV,
when the people have faith,
there is hope for the nation!”
der regenbogen von dem du erzählst
wie schön ist der am ende?
ich hab eine landesfahne gesehen
die sah wie ein urinstreifen aus
in dem schach das sich grad noch ausgeht
in meinem leben
hab ich dir geholfen
meine türme zu schlagen
ah!
du sagst mich quälen die farben
du sagst ich kenn nur den glanz
von licht und finsternis
ich sterb unter bunten lichtern
der großstadt
und starr immer noch auf wahr und falsch
ewig unverständlich
im vorbestimmten schicksal
fällt mein letzter blick
auf meinen großvater
ein farbenblinder bauer
der hat in seinem leben
blutrotes korn eingefahren
ein gedicht von martin
das ich übersetzt hab SEPTEMBER MORNING
hat die All-Seasons-Hotelkette gekauft
jeder gast bekommt eins
bei mir gegenüber
haben sie auch so ein hotel
soll ich vielleicht
dort übernachten
um das gedicht abzuholen
oder gleich wieder auschecken
nachdem ich das gedicht hab
oder noch einfacher
sagen ich will ein zimmer besichtigen
und das gedicht mitgehen lassen
22.September 2017
Übersetzt von Martin Winter, September 2017
“jeden tag euch bedienen
irgenwann hat euer diener genug!”
arger streit mit fahrgast
busfahrer schießt den ganzen wagen
zurück in die zeit vor der befreiung
September 2017
Übersetzt von MW im September 2017
《点射》
"天天伺候你们
老子已经伺候够了!"
与乘客恶吵
巴士司机爆出一语
把一车人喷回解放前
Yi Sha OHNE TITEL
in einer doku hab ich gesehen
george w. bush hatte vier ghostwriter
der von der rede nach 9/11
war ein dicker mann über dreissig
großer fan von hemingway
wollte immer so klingen
er sitzt im café beim weißen haus
im halbstock allein an einem tisch
hat in vier stunden
die herrliche rede fertig geschrieben
16 jahre später
die rede von trump vor der uno
die war auch so herrlich
wessen feder war das
und wen verehrt er oder sie
New semester has started,
teachers in our department
first have a meeting for everyone,
then one for party members.
In between,
four get kicked out:
one democratic party person,
one Christian,
one Buddhist,
one me.
The Christian one is not very serious
(many Christians in China
aren’t),
so he makes fun of me:
“Only you
have no faith …”
I look askance at him
and tell him slowly:
“What do you think
poetry does for me?”
September 2017
Tr. MW, Sept. 2017
Yi Sha GLAUBE
zum beginn des neuen semesters
haben die lehrenden im institut
zuerst eine sitzung für alle
dann eine parteisitzung
dazwischen werden vier rausgeschmissen:
einer: demokratische partei,
ein christ,
ein buddhist,
ein ich.
der christ ist nicht ernsthaft
(christen in china
sind oft nicht ernsthaft)
und sagt mir zum spass:
“nur du
hast keinen glauben.”
ich schau ihn schief an,
geb in ruhe zurück:
“was glaubst du,
was poesie für mich ist?”
Juliane Adler liest aus dem noch unveröffentlichten Manuskript VERGEGENWÄRTIGUNGEN
David Howard (Neuseeland) liest aus seinem neuen Buch THE ONES WHO KEEP QUIET (Otago University Press 2017)
Martin Winter liest aus ÜBERQUERUNG DES GELBEN FLUSSES 2 von Yi Sha und eigene neue Gedichte
NICHT ÜBERRASCHT – 江湖海 Jianghu Hai
五月 24, 2020Jiang Huhai
NICHT ÜBERRASCHT
Jemand postet für eine Ausstellung internationaler Gedichte
im Viruskampf die Liste der eingeladenen AutorInnen.
Der erste Kommentar unten ist die Frage:
„Da ist Jian Ming dabei,
der ist doch schon voriges Jahr gestorben?“
Noch ein Kommentar:
„Wu An ist bald fünf Jahre tot,
hast du ihn gefragt ob er mitmacht?“
Ich les weiter und sage nichts.
Vor einigen Jahren bei einer Veranstaltung
hat eine Sprecherin der staatlichen Künstlervereinigung
verkündet: „Der große Dicher Ai Qing [Vater von Ai Weiwei, 1910-1996]
wird auch bei uns live davei sein!“
Als ich das gehört hab
hab ich kalten Schweiß gespürt.
Jetzt passiert mir das nicht mehr.
Wenn du mir heute sagst,
Konfuzius plant ein Buch der Lieder
gegen Corona bin ich überhaupt nicht überrascht.
März 2020
Übersetzt von MW im Mai 2020
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