[In einem Kreis aus weißen Blüten in grauer Asche auf der Straße steht eine kleine Metalltonne. Darin werden Zettel verbrannt. Eine Menschenmenge sitzt auf der Straße und skandiert.]
Nieder mit der Militärdiktatur!
Protest! Protest!
Streik! Streik!
Revolution!
Die Revolution wird siegen!
Gerechtigkeit und Freiheit müssen gewinnen,
in unserem Land, in unserer Nation.
Wir sehen, wie sie unsere Nationalhymne auf die Guillotine zerren.
Ihre Ansage, die Zeit der Sandalen sei zu Ende,
kommt in die Öffentlichkeit
wie ein gebrauchtes Kondom aus einem Bordell.
Wütend wie das Feuer der Hölle,
schreit der Oger Alawaka Drohungen
und zeigt seine schrecklichen Krallen!
Aber er wird auf seiner Brust liegen,
zu Füßen von Dharma und Sila.
Das ist der Weg der Wahrheit.
Weil sie ihre Würde als Menschen
nicht gegen eine Mundvoll Reis eintauschen,
haben sie Widerstand geleistet, haben ausgehalten,
sind zusammengefallen und umgefallen.
Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen!
Die neue Nationalhymne kommt als Death-Metal-Version heraus. Kondomfirmen nehmen keine Kundenanrufe mehr entgegen.
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Wenn die Bastarde verlieren und um Gnade flehen,
indem sie unsere Eier umfassen,
werden wir ihnen ins Gesicht pissen.
Wir schlagen nicht auf Töpfe und Pfannen,
weil es lustig ist.
Wir haben keine Waffen.
Wir haben höchstens Töpfe und Pfannen.
Wir haben keine Macht.
Wir haben nur Töpfe und Pfannen.
Haut auf die Töpfe! Schlagt die Pfannen!
Haut drauf! Haut drauf! Das ist unsere Revolution!
Haut drauf! Haut drauf! Das ist der Weg zu unserem Ziel!
Haut drauf! Haut drauf!
Haut drauf! Haut drauf!
Eines Tages werde ich Sternen-Bumen streuen, auf das Grab meiner kleinen Schwester.
Diesen Sommer können wir die Hunde nicht wieder tollwütig werden lassen.
Diesen Sommer wird jede Blume knospen und wundervoll aufgehen.
Diesen Sommer werden die Fahnen des Volkes im Wind flattern und triumphieren.
In meiner Jugend gab es nur einen Min Ko Naing.
Jetzt ist jeder junge Mensch Min Ko Naing.
Schützt alle Min Ko Naings!
Schart euch um alle Min Ko Naings!
Jedesmal, wenn ein schlechter Samen auf einer Bühne aufgeht,
versinkt die ganze Welt im Chaos.
Sie wird krank, ihr Körper brennt vor Hass.
Ich bin krank und nehme eine zehn Jahre alte bittere Medizin.
Aber ich bleibe krank. Im Leben in dieser Welt werden wir alle krank.
Wir können uns nur selbst kurieren, haben keine Zeit, angefressen zu sein. Wenn wir am Esstisch Platz nehmen, schwärmen die Heuschrecken wieder herein.
Wie kannst du arbeiten gehen, wenn alle protestieren?
Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?
Wirst du ok sein, wenn sie auf deine Familie spucken?
Kannst du glücklich sein, wenn deine Kinder die Stiefel von Min Aung Hlaing lecken, während seine eigenen Kinder stinken vor Geld?
Kannst du sagen, “gut gemacht”, wenn deine Enkel kaum überleben, während Min Aung Hlaings Enkelin im Ausland studiert?
Kannst du in Frieden zur Arbeit gehen, wenn dich die Unterdrücker mit ihren Gewehren wie eine Kuh behandeln?
Kannst du froh ins Büro gehen?
Kannst du froh ins Büro gehen?
Jeden Morgen, wenn Papa und Mama zur Arbeit gehen,
schämen wir uns, meine Schwester und ich.
Wir möchten nicht für unsere Zukunft fürchten.
Papa, bleib daheim. Mama, geh nicht ins Büro.
Bleibt zuhause für unser Land und für uns.
Lasst uns euch danken, dass ihr uns aufgezogen habt, indem wir uns den Protesten anschließen.
Lasst uns den Garten unserer Zukunft bestellen.
Zu viele Blätter sind zu früh abgefallen!
Wir werden eure Barbarei im Namen der Wahrheit zerstreuen!
Die Blumen des Winters werden auf euch losgehen,
die Wasser des Monsuns werden euch ertränken.
Für eine gerechte Sache opfern wir unser Blut!
Wir lassen niemanden unseren Frühling wegnehmen, nicht einen Fingerbreit.
Ich war eingeladen zum UNESCO-Poesiefestival,
sollte online rezitieren, zur Feier des Welttags der Poesie.
Ich habe abgesagt.
Ich habe geschrieben,
Russland ist doch euer größer Sponsor, nicht wahr?
Meine Antwort auf eure Anfrage
entspricht den Gefühlen der Menschen in Myanmar.
Also scheint es so zu sein,
dass ich an der Revolution des Frühlings teilnehme,
nicht indem ich Gedichte lese,
sondern indem ich ablehne, zu lesen.
Seltsame Sache!
Mögen allen Arbeitsscheuen
ihre Verdienste vermehrt werden,
mögen ihre Gebete in Erfüllung gehen!
Mögen alle, die streiken,
reinen Herzens sein und von allen geliebt werden.
Mögen alle, die daheim bleiben,
von Geistern und Menschen gesegnet werden,
mögen alle, die diesen Boykott mittragen,
die Kraft finden, weiterzumachen!
Der Klang des Marsches unserer Herzen fließt bis in unsere Fingerspitzen!
Der Golf-Taifun ist weder hineingekommen noch weggegangen.
Ihr sollt wissen, wir sind Geister.
Wir sind schon gestorben.
Wenn wir heute wieder sterben,
werden wir euch für immer heimsuchen.
Wir sind Geister, wir sind schon tot!
Heute suche ich den ganzen Tag im Fernseher
und bekomme keine Sender herein.
Wegen der Störgeräusche
klopfen die Nachbarn an meine Tür.
Bratet das Schwein in seinem eigenen Fett!
Bratet die Tür darin!
Der Schweinekerl, den du gesehen hast,
versteckt sich vor der Guillotine!
Du magst davon gehört haben oder nicht,
aber das ist keine akzeptable Entschuldigung.
Weil wir nicht zurück können in die Vergangenheit,
haben die Kinder, die wir nicht bekommen haben,
Waffen ergriffen zu einer Zeit, in der wir nicht leben.
Sie sind gegen Befehle von oben aufgestanden.
Sie haben ihren Sklavengeist
in einen Salzsack gesteckt
und im Fluss ausgelassen.
Gedankenfetzen von Millionen
vereinen sich in einem zitternden
und doch festen Faden.
Ich bin Ma Seint Htet, der vom Berg herunterfällt.
Ich bin U Ko Ni, der am Flughafen steht,
der vergebliche Besuch von Ibrahim Gambari.
Ein EPC-Elektriker hängt tot von einem Strommast.
Und ein Wanderarbeiter …
Die Räder der Hirne in den Bäumen
drehen sich zusammen
in den Ohren in den Schwertern
in den Wänden.
Die Knöchel eines alten Gewandes
werden terrorisiert
und jeden Tag heimgesucht,
übertrieben, als Strategie.
Die Erde auf meinem Gesicht
ist ein Haufen zerbrochener Knochen.
Fünfzig Jahre in einer Kassette aufbewahrt,
ohne Tonband.
Ein trauriges Lied,
das wir sofort nicht mehr singen dürfen.
Niemand wird uns wieder auseinanderbringen!
Wir sind ein einziger Blutkreislauf geworden!
Mach deine Maske zu deiner Fahne,
mach deinen Facebook-Eintrag
zu deinem Ultimatum!
Wo immer du bist,
dort mach deinen Protest!
Heute halten die Mütter ihre Kinder nicht zurück,
wenn sie hinausgehen und Gerechtigkeit verlangen.
Sie reißen ein Stück von ihrem Longyi ab
und binden es um den Arm jedes Kindes,
damit es geschützt sei vor Kugeln und Patronen
Auf den Straßen der Revolution.
Bewegen sich Heldinnen und Helden
in einem roten Schwall.
Wolken türmen sich auf
und darunter zerfällt der Morgen
in eine Revolution.
Das Heulen eines riesigen Tintenfisches,
der durch die Straße bricht,
hallt noch im Himmel über der Stadt.
Auch wenn ihr unsere Handgelenke durchschneidet,
wie ihr nur wollt,
unsere Fäuste werden nicht aufgeben.
(12 Männer zusammen skandieren) :
Der dämonische Enkel, frisch vom Mönchstum, zischt:
Ein Riss im herausgebackenen Teig, ein Sohn, der das Land zerstört!
Der dämonische Enkel, frisch vom Mönchstum, zischt:
Ein Riss im herausgebackenen Teig, ein Sohn, der das Land zerstört!
Zum Gedenken an den Dichter K Za Win, der gegen den Militärputsch protestierte und am 3. März in Monywa in einer friedlichen Demonstration von Soldaten getötet wurde. Möge er in Frieden ruhen. Dichterinnen und Dichter werden überall in Myanmar verhaftet.
Es folgen die Namen von 32 Dichtern und Dichterinnen in der Reihenfolge ihres Auftretens in dem Video.
Aus Versehen drückt er auf die Hupe.
Dichtes Laub wird sofort rabenschwarz,
der ganze Wald zittert,
zehntausende Krähen
flattern auf
über der Geisterstadt
an der Linie des Waffenstillstands.
Schrille Schreie wandernder Seelen,
Krähen entfernen sich
wie ein schwarzer,
von Schüssen durchsiebter Umhang.
Im Dorf wenn man zurückkommt von einem Grab oder einem Begräbnis muss man vor seinem Hoftor ein Feuer aufschichten, übers Feuer springen und so hineingehen. Alte Leute sagen, so bringt man die Geister nicht zu sich ins Haus. Nach vielen Tagen Quarantäne Komm ich zum ersten Mal von draußen zurück, nehm Schmierpapier vom Kalligraphie-Üben und zünd es beim Haustor an. Meine Frau fragt, was ich mach. Ich sag, der Virusteufel scheut das Feuer. Sie kommt sofort heraus und springt übers Feuer vor und zurück.
Alcohol disinfectant, 75% Thermometer Facemask hangs by the entrance, ready for re-use Steamed bread, failed three times Fresh flowers from Yunnan, bought online from Taobo Cat hairs in the rug, always Unwashed dishes, several days 50 installments of a trite soap opera Uncontrolled feelings Three o’clock in the morning, tears on my pillow Six lamps turned on together News of people who died News of people waiting to die News of people dying in vain More and more in this apartment A kind of gloom I never felt before A heavy heart A heavy heart like in Du Fu (Ballad of Army Wagons) Spring rain outside, unceasing cold „Dark skies, rain wails and wails“ Layer on layer They weigh on my chest.
and people take photos
and look for demons in their phones
the sun is on the erlauf
and on the boulders
from the last ice age
or from another one,
Toni would know
crushed together sediments
something harder below
darker
something the river couldn’t cut through
paths, basically one secured path
including semi-caves
in the big one we told each other tales
of highway people, robbing
innocent tourists
don’t know if Anton writes anymore
sure hope he does
in his one published story
his class goes through a portal
and there is a wonderful female hero
from another planet
or galaxy or dimension
he’s in a different school now
there was a little bit of rain
in the beginning, when we came down
and started climbing
up on the boulders over the river
in the summer you can work up a sweat, just a little later
there is a cove
with real sand, there are several places
quite good for swimming
if you go in fast, it isn’t cold
you hardly notice once you are pulled
down by the current
not very fast, but once you’re in
you are in, you can come out
at the next little beach.
How old is Austria? .
How do they know, when the plough sends up shards
and they look at them, people were buried not in the war, not from
the prison camps from the First World War
onwards,
one thousand two hundred years ago roughly,
and they were Slavs, from their language. Nothing written
there in the field. They just know,
from one written document saying
the people round a new monastery
one thousand two hundred years ago roughly
were Slavs. Different language
from the bishop and maybe heathens
but there was some sort of arrangement and recognition.
Kingdoms, but not a nation
around one language, not at that time.
Austria isn’t Germany.
We aren’t German, we speak the language but we are Austrians.
History. Baggage. We were born later, all of us, but there are stories.
There was a shop owned by Jews,
in every little town, part of town,
roughly.
Erlauf gorge is a wonderful walk
for almost anyone,
anyone who walks,
it is a different world down below
through the portal
not far from the highway.
MW August 2019
ERLAUFSCHLUCHT
– für Paula, Anton & Toni
Oben Bundesstraße
unten Mittelalter
bis auf die Leute die fotografieren
und Dämonen suchen
in ihren Handys.
Die Sonne liegt
auf der Erlauf
und auf den Felsen
aus der letzten Eiszeit
oder aus einer anderen,
Toni weiß es.
Zusammengepresste Sedimente,
und unterm Wasser
liegt etwas Härteres,
Dunkleres,
wo der Fluss nicht durchkommt.
Pfade, ein befestigter Pfad
mit halben Höhlen.
In der großen Höhle
haben wir uns erzählt
wir sind Räuber
und überfallen
unschuldige Touristen.
Weiß nicht, ob Anton noch schreibt,
hoffentlich tut ers.
In seiner großen Geschichte,
in seinem Buch
geht seine Klasse durch ein Portal
und da ist eine ganz große Heldin
von einem anderen Planeten,
aus einer anderen Dimension
oder so.
Jetzt geht er in eine andere Schule.
Am Anfang war ein bisschen Regen,
wir sind runtergestiegen
und gleich hinaufgeklettert
über die Felsen mitten im Fluss.
Im Sommer wird dir ein bisschen warm,
und in der Nähe
ist eine Bucht mit gutem Sand,
ideal zum Schwimmen.
Wenn du schnell reingehst,
ist es nicht kalt,
du merkst es gar nicht
weil es dich zieht,
hinein und hinunter.
Nicht wirklich schnell,
aber wenn du drin bist
bist du wirklich drin,
du kannst heraus
bei der nächsten Bucht.
Wie alt ist dieses Land?
Wie wissen sie, wenn der Pflug
Scherben aufwirbelt,
und sie schauen einmal hin,
von wann die sind,
nicht aus den Gefangenenlagern
vom Ersten Weltkrieg und später,
sondern tausendzweihundert Jahre früher ungefähr, und dass sie Slawen waren,
von ihrer Sprache. Obwohl keine Inschrift dort ist.
Sie wissen es einfach, von einem
einzigen Dokument, da steht die Leute
rund um ein Kloster vor tausendzweihundert Jahren ungefähr
waren Slawen. Andere Sprache als
der Bischof und vielleicht Heiden,
aber man hat sich irgendwie respektiert
und zusammengelebt für eine Weile.
Awarenreich, Frankenreich und so weiter, aber keine Nation von der Sprache her, nicht zu der Zeit.
Österreich ist nicht Deutschland.
Wir sind keine Deutschen.
Wir sprechen die Sprache, aber
wir sind Österreicher. Geschichte.
Was man herumschleppt.
Wir sind alle Nachgeborene,
oder zugezogen,
aber es gibt die Geschichten.
In jedem Ort war ein Geschäft
das einem Juden gehört hat,
in jedem Ortsteil, ungefähr.
Erlaufschlucht ist eine wunderschöne
Wanderung für groß und klein,
eine andere Welt
gleich dort unten durch das Portal
ganz in der Nähe von der Bundesstraße.
On a path in the thick grass
a naked plastic mannequin
missing half an arm. Lying there
with a firm expression
as if only at night
she can walk into the main hall
put on clothes
and take a rest.
moon calendar, tenth month and first day, midnight
at the crossroads, still a few heaps of burnt paper
swaying in the cold wind
a beggar comes and kneels down, both knees on the ground,
makes a bow
to the rest of a fire
to light a cigarette
und das Wort
hat versagt
und das Wort
hat gegeben
und das Wort
wird erfüllt
von deinem glauben
und das Wort
war taub
und das Wort
wird gefunden
zu leicht
zu schwer
und das Wort
besteht vergeht
und entstehe
mit Gottes hilfe,
amen.
MW Dezember 2018, Regensburg
LIEBER GOTT,
vergib uns unsere Schuld. Danke für alles, das heil geblieben ist. Bitte hilf uns, wieder sprechen zu lernen. Segne alle, die guten Willens sind, jetzt und in Ewigkeit. Amen.
MW Dezember 2018, Regensburg
ÜBERLEBEN
überleben tun
freundliche worte.
überleben tun
gute taten
gute stunden
gute gerichte.
überleben tun
bilder und gestalten
die zeugnis ablegen
von uns allen
die wir nicht überleben.
MW Dezember 2018, Regensburg
AUTOZUG
Neben uns fährt ein zug
mit lauter autos.
Zuerst seh ich nur den ersten stock,
eine lange schlange alle fahren nach hinten
perfekt synchron,
ein bisschen langsamer als unser zug.
Zwei etagen ganz neue wagen,
bei manchen sind die türen verklebt,
die wirken ein bisschen weniger neu.
Alles sehr unpersönlich,
fast geisterhaft,
kein einziger mensch.
Vielleicht sitzt auch niemand
in der lokomotive.
Vater und meine zwei Onkel,
meine zwei Cousins von den zwei Onkeln und ich.
Sechs Mann von unserer Familie
im Kampf auf dem Friedhof.
Unsere Gegner sind jedes Jahr
zum Gräbertag, zum Geisterfest
zu Neujahr im Mondkalender
das Grab vom Opa,
die Gräber von drei Großonkeln,
von Oma und Opa auf Vaterseite.
Letztes Jahr
ist Vater zum Gegner übergewechselt,
unser Hauptmann ist im neuen Grab.
Ich zieh aus zum Kampf
und spür sogar etwas wie Stolz.
Einer unter den Feinden
gehört mir allein.
we were talking retirement. serious topic,
my friends are optimistic. problems will get
thoroughly solved. we can catch up.
there are so many dedicated new people: unselfish,
always smiling, full of skills and talents,
taking over their posts. oh my god, wasn’t that
my dream when I grew up. the internationale
unites the human race. and they are hailed as
intelligent robots. their only trouble
could be how to get rid of
half-zombies like me.
Halloween in Budapest
Do you need to call out the ghosts?
Do you need to call out the ghosts?
In Parliament
Brightly lit along the Danube
Do you need to call out the ghosts?
In Vienna
In Budapest
In many cities
Many, many towns
thousands of towns
thousands of thousands
brightly lit along the Danube
Dohany Synagogue
Greatest in Europe
Status Quo Synagogue
By Otto Wagner
On Rumbach Street
Actually many buildings are left
All over Europe
Yes, there are Jews
In Budapest
Yes, there are people
Do we need to call out the ghosts?
Everyone knows
Along the Danube
Behind the Parliament
Greatest in Europe?
It’s very big
Behind the Parliament
Along the Danube
They lined them up
Several places
Along the Danube
Just a few months
Hungarian Fascists
Finally able
1944
Fall ’44
German troops everywhere
Last few months of the war
Until the first month of ’45
Here in this city
Everyone knows
Hungarian Fascists
Established the ghetto
They passed laws against Jews
In Parliament
In 1920
Basically everyone knows
1944
Hundreds of thousands
in a few months
Around 600,000
Killed in Auschwitz
Along the Danube
Behind the Parliament
Several places
Szabadsag ter
On Freedom Square
There’s a new monument
For the victims
It says
German occupation
Doesn’t say that in German
Doesn’t say that in English
Any other language
For the victims
Only these words
Even in Hebrew
Only the victims
Victims of German occupation
Written in Hungarian
Only in Hungarian
Erected in secret
Protests from the beginning
Pebbles, chairs,
a few wires, photos
pebbles with names
and so on
Everyone knows
Over 300 Million
Hungarian money
Erected in secret
Law passed in Parliament
December 31st, 2013
Protests from the beginning
Szabadsag ter
Liberty Square
Halloween in Budapest
Do you need to call out the ghosts?
There are people enough
In Budapest
In many cities
Many, many cities
Towns and cities
All over Europe
Brightly lit along the Danube
Everyone knows
Actually many buildings are left
All over Europe
Halloween in Budapest
Do we need to call out the ghosts?
Everyone knows
Halloween is for kids
We have kids in Vienna
Kids like to dress up
For Halloween
Let them have fun
Nothing wrong
Halloween
My daughter knows
Austrian Fascists
Ghosts are alive
Zombies are real
Wish it was all
Pumpkins for kids
Halloween in Budapest
Greatest town
Along the Danube
Since Roman times
Basically
Everyone knows
in my hotel in my bathroom
there is a strange
cigarette
from the brand
I’m sure it wasn’t me
who left it in here
four days now
I have been seeing the cigarette
with eyes of desire
from my experience in society
I know I’m not going to smoke it
although I long for it more and more
2016
Tr. MW, 2016
Yi Sha 《一支烟》 EINE ZIGARETTE
im nassbereich
meines hotelzimmers
liegt eine fremde zigarette
von der marke her
hab sicher nicht ich
sie vergessen
seit vier tagen
seh ich sie täglich
schau sie sehnsüchtig an
von gesellschaftlichen
erfahrungen her
werd ich sie nicht rauchen
aber ich möchte sie mehr und mehr
An der Fremdsprachenuni Xi’an
im Unikrankenhaus
am Sonntag
alle Angestellten zur Untersuchung
eine Schlange
bei der Tür zum Ultraschall
“Habt ihrs schon gehört?
Terror in Paris,
über 100 Tote ….
“Weiß schon.
Mir war gerade sehr langweilig,
dort ist jetzt etwas los …”
“Das ist ordentlich stark,
wie ein richtiger Volksaufstand …”
“Die Franzosen, die lieben die Revolution,
jetzt fällt ihnen Revolution auf den Schädel …”
……
“Was ist da für ein Lärm? Was gibts zu debattieren?”
Die Tür geht auf,
eine Ärztin in Weiß in mittleren Jahren:
“Sie sind im Krankenhaus,
nicht am Gemüsemarkt.
Die nächsten fünf bitte,
fertig zum Ultraschall!”
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 590
auf der steppe
peitschenschwingend
treiben drei reiter ihre pferde
ich bin ihre seele
sie treiben ihre pferde vorwärts
ich bin schon heruntergefallen
drei kopflose reiter
am endlosen horizont
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 596
ich steh auf in der früh
draußen auf den fluren
sind lauter kornkreise
außerirdische sind schon gelandet
ich habe sie noch nicht gesehen
aber ich brech schon zusammen
ich hab die wissenschafter gesehen
die schickt die regierung um uns zu beschützen
lauter schwachsinnige!
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 598
hier ist ein satz aus meinem traum:
“obst und gemüse aus meinem garten
sind überreif:
äpfel fallen,
werden zu herzen
für vogelscheuchen.”
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 601
ein geschenk des himmels
ich besitze
eine kleine insel
so groß wie mein bett
mit bergen und flüssen
einem dichten dschungel
im dschungel tummeln sich
ganz viele tiere
mit einem fallschirm
spring ich auf die insel
lauter giftschlangen
wo soll ich landen?
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 602
Ich bin beim IS.
Trage eine AK47,
richte sie
auf junge Frauen in schwarzen Tüchern,
fang an zu schießen.
Ein Offizier mit Rauschebart
schreit mich an:
“He, Chinese!
Nicht töten!
Leben lassen als Sexsklavinnen!”
“Junge Mädchen
interessieren mich nicht”,
sage ich
und schieße weiter.
at the Eastern Tombs
they have a Spirit Road
when our lady guide
told us this path
was for calling the spirits
all of us poets
everyone diverted their feet
no matter which camp
intellectual or earthy
of the Third Generation
or the ones In Between
those with something to say
and those without
anyone who touched on the road by mistake
thought he stepped on a mine
and jumped back to the side
the road of the spirits
no trace of the living
no footprints at all
I n-need t-to b-b-break out
f-f-from y-y-your s-sp-pout-ting s-song
b-break o-out o-of y-your h-house
m-m-my sh-shoot-t-ting t-t-tongue
m-m-mach-chine g-g-gunn f-fire
it feels so good
i-in m-m-my s-st-tut-t-ter-ring l-life
the-there a-are n-no g-ghosts
ju-just l-llook at-t m-my f-face
I d-d-don’t c-care!
1991
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《结结巴巴》 ST-STO-TO-TT-TERN
m-mein st-sto-to-tt-ternd-der m-mund
b-b-behind-dderter schschlund
b-b-bei-sst- s-ich wund
an m-meinem r-rasenden hirn
und m-meine b-beine –
euer t-trief-fend-der,
schschimmliger schschleim
m-meine l-lunge
i-ist m-müd’ und hin
i-ich w-will r-r-aus
aus eurem g-gross-a-artiggen rh-rhythmus
a-aus eurem h-haus
m-m-meine
sch-schp-prache
m-masch-schinengewehr-s-salven
es tut so gut
in m-meinem st-stott-ttoterndem r-reim
auf m-mein l-leben g-gibt es k-keine l-leich-chen
s-s-seht m-mich a-an
m-m-mir i-ist all-les g-gleich!
1991
Übersetzt von MW im April 2013
<結結巴巴>
結結巴巴我的嘴
二二二等殘廢
咬不住我狂狂狂奔的思維
還有我的腿
你們四處流流流淌的口水
散著霉味
我我我的肺
多麼勞累
我要突突突圍
你們莫莫莫名其妙
的節奏
急待突圍
我我我的
我的機槍點點點射般
的語言
充滿快慰
結結巴巴我的命
我的命裡沒沒沒有鬼
你們瞧瞧瞧我
一臉無所謂
1991
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《精神病患者》 GEISTESKRANKE
theoretisch
weiß ich nicht
wie es sich äußert
wenn eine geisteskrankheit ausbricht
ich hab nur gesehen
in diesem land
in dieser stadt
wenn ein geisteskranker loslegt
streckt er den arm hoch und bricht aus
in parolen
der revolution
theoretically
I don’t know
how it should be
when a mental patient
suffers an outbreak
but what I have seen
in this country
in this city –
a mental patient suffers an outbreak:
up goes his arm
out come the slogans of revolution
1994
Tr. MW, 2013-2014
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《我想杀人》 ICH MÖCHTE JEMANDEN UMBRINGEN
ich fühle mich etwas komisch
ich will jemanden töten
oh! das war letztes jahr
herbst kroch über das laub
zwanzig todeskandidaten
am flussufer nördlich der stadt
“peng! peng!”
einer wurde aufgeschnitten
in der folgenden operation
erhielten WIR eine niere
I am feeling a little strange
– I want to kill someone
Oh! It was last year
autumn crept over the leaves
twenty death candidates lined up
at the river north of the city
„Peng! peng!“
One of them was cut open
and in the following operation
We got a kidney
1994
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《9/11心理报告》 9/11 AUF DER COUCH
erste sekunde mund offen scheunentor
zweite sekunde stumm wie ein holzhuhn
dritte sekunde das ist nicht wahr
vierte sekunde kein zweifel mehr da
fünfte sekunde das brennt nicht schlecht
sechste sekunde geschieht ihnen recht
siebte sekunde das ist die rache
achte sekunde sie verstehen ihre sache
neunte sekunde die sind sehr fromm
zehnte sekunde bis ich drauf komm
meine schwester
wohnt in new york
wo ist das telefon
bitte ein ferngespräch
komme nicht durch
spring zum computer
bitte ins internet
email ans mädl
zitternde finger
wo sind die tasten
mädl, schwester!
lebst du noch?
in sorge, dein bruder!
2001
Übersetzt 2013 von Martin Winter
Yi Sha 9.11 REPORT FROM THE COUCH
Ist second: mouth barn-door open
2nd second: wooden-chicken stiff
3rd second: couldn’t believe it
4th second: it must be true
5th second: what a great fire
6th second: well they deserve it
7th second: this is retribution
8th second: these buggers have guts
9th second: must be their religion
10th second: before I realize
my own little sister
lives in new york
I need a telephone
long distance call!
can’t get a connection!
I go storming for a computer
where is the internet
typing out characters
writing an email
shaky fingers
“sister, sister!
are you alive?
your elder brother is worried sick!”
Li Cheng’en, born in the 1980s. Published poetry, essays and a novel.
As soon as I read this, I was reminded of Woeser 唯色, the Tibetan poet. Didn’t know Li Cheng’en was also a woman. All those verses with “I give” could be “I gave”. In the Chinese, there is no difference. The sentence construction is also unique. It is the “ba-construction”. Sometimes the “ba” is a “jiang”, but not here. Anyway, it’s a construction often discussed in Chinese grammar. Literally I think it’s like saying “I take my flesh and give it to the mud for keeping”. Maybe you could also just say “I put my flesh into the mud”, or into the soil. But why would you call on the mud to hold it for you? MW
My translation was originally based on this picture version sent around on Tencent Weibo and Sina Weibo as part of Yi Sha‘s regular New Century Poetry Canon. Li Cheng’en has since told me about a mistake in the copying process. In the Weibo image “warmth” or literally body warmth occurs twice. Li Cheng’en says it should be “eyes” instead of warmth the first time. So originally I had “I give my warmth to the sun and the moon. When I need it, please give it back!” I like both versions. Somehow I’m glad about the mistake. Makes for closer attention.
In German, I first had “ich borg’ meine wärme der sonne dem mond – wenn ich sie brauche, gebt mir’s zurück!”.
I am still not sure about how to translate all these “ba-construction” – verses in German. Now they sound stranger than before, but this is how I had them first. The German equivalents of “please give it back” or “please give them back” sound very colloquial. It’s not standard grammar. Some people don’t like that. Maybe I’ll find a better version later.
MW
Li Cheng’en
GEISTERBESCHWÖRUNG
im traum im hotel
hör’ ich ein lied
“ich nehme mein fleisch und geb’ es dem lehm.
wenn ich es brauche, gib mir’s zurück!
ich nehm’ meine knochen und gib sie den steinen.
wenn ich sie brauche, gebt mir’s zurück!
ich nehme mein blut und geb es den flüssen.
wenn ich es brauche, gebt mir’s zurück!
ich nehme mein hirn und geb es dem berg.
wenn ich es brauche, gib mir’s zurück.
ich borg’ meine augen der sonne dem mond –
wenn ich sie brauche, gebt mir’s zurück.
ich nehm’ meine wärme und geb sie dem herd
wenn ich sie brauche, gib mir’s zurück.
nur das herz muss ich selbst mit mir tragen … ”
ich wache auf
öffne das fenster
seh’ eine kleine bewegung am berg.
ein dünner bach
aus meinem traum.
ist es meine
wandelnde seele?
kommt sie zurück?
ich behalte
ein staubiges herz.
doch meine seele
wo ist sie verborgen?
wer gibt sie zurück?
Übersetzt von Martin Winter im Oktober 2013
Li Cheng’en, geboren in den 1980er Jahren. Publizierte einen Roman, Gedichtbände, Essays.
Picture by Sara Bernal
李成恩
招魂歌咒
我在旅馆的梦里
隐隐听到了招魂歌咒
“我把肉体寄存给泥土
要的时候你可得还啊
我把骨头寄存给石头
要的时候你可得还啊
我把鲜血寄存给江水
要的时候你可得还啊
我把脑浆寄存给雪山
要的时候你可得还啊
我把眼睛寄存给日月
要的时候你可得还啊
我把体温寄存给炉火
要的时候你可得还啊
只有心我得自己带走… …”
我醒来后
推开窗户
看见雪山缓缓移动
一条薄薄的河流
像是从我的梦里流出
我的魂魄
游走了?
还是回来了?
我守住了
一颗沾满灰尘的心
但我的魂魄
寄存在哪里?
谁又能还我?
Li Cheng’en
GEISTERBESCHWÖRUNG
im traum im hotel
hör’ ich ein lied
“ich habe mein fleisch dem lehm anvertraut.
wenn ich es brauche, gib’s mir zurück!
ich hab’ meine knochen den steinen gegeben.
wenn ich sie brauche, gebt mir’s zurück!
ich habe mein blut den flüssen gegeben.
wenn ich es brauche, gebt mir’s zurück!
ich hab’ mein gehirn dem berg anvertraut.
wenn ich es brauche, gib mir’s zurück.
ich borg’ meine wärme der sonne dem mond –
wenn ich sie brauche, gebt mir’s zurück.
ich nehm’ meine wärme und geb sie dem herd
wenn ich sie brauche, gib mir’s zurück.
nur das herz muss ich selbst mit mir tragen … ”
ich wache auf
öffne das fenster
seh’ eine kleine bewegung am berg.
ein dünner bach
aus meinem traum.
ist es meine
wandelnde seele?
kommt sie zurück?
ich behalte
ein staubiges herz.
doch meine seele
wo ist sie verborgen?
wer gibt sie zurück?
Übersetzt von Martin Winter im Oktober 2013
Li Cheng’en, geboren in den 1980er Jahren. Publizierte einen Roman, Gedichtbände, Essays.