snow is black
the five stars on the flag are black
the sun has been black for a while
black under the light
song is black
scent is black
roses are black
doves are black
documents are black
the suit of the speaker is black
the question mark the ellipsis are black
the lover’s fingernails done black
the land is black
the grain that grows
the air is black
black water flows
chinese medicine is made black
blood is black
tears black
iron black
faith black
black is black
black is ‘hei’, the neighbors’ little Heiheihei laughs hehhehheh!
in the blind person’s eyes the day is black the sky is black
white is black
just black
2/18/22
Tr. MW in February 2022
Lan Du SCHWARZ
Schnee ist schwarz
Die fünf Sterne auf der Fahne sind schwarz
Die Sonne ist schon lange dunkel
Schwarz unterm Licht
Das Lied ist schwarz
Der Duft ist schwarz
Die Rose ist schwarz
Die Taube ist schwarz
Die Texte sind schwarz
Der Anzug des Vortragenden ist schwarz
Das Fragezeichen, die Auslassungspunkte sind schwarz
Die Fingernägel der Geliebten, schwarz angemalt
Die Erde ist schwarz
Was herauswächst ist schwarz
Luft schwarz
Wasser fließt schwarz
Medizinkräuter werden schwarz gemacht
Blut ist schwarz
Tränen schwarz
Eisen schwarz
Glaube schwarz
Schwarz ist schwarz
Schwarz ist “heh”, Klein Hehehe von den Nachbarn lacht Hehehe!
Der helle Tag im Aug des Blinden der blinde Himmel
Weiß ist schwarz
nur schwarz
Im WeChat
tauschen positive Nachbarn Erfahrungen aus.
Einer sagt,
“Ich hab so hohes Fieber gehabt,
ich war ganz dumm im Schädel.
Ich hab immer an Dr. Li gedacht,
dem ist es sicher noch schlechter gegangen,
so schade.”
“Welcher Dr. Li, Li Wenliang?”
“Ja! Genau der.”
Außer dem Amtsinhaber
unterstützt von den Grünen –
Except the incumbent,
who comes from the Greens –
sind angetreten (there are):
die Geschmacksverstörerpartei
MSG (Anti-Vaxxers),
der Schmerzensreiche Rosenkranz
(One from the notorious Freedom Party),
der rechte Kolumnist der Kronenzeitung
(A columnist of Austrian Fox News),
ein Schuhfabrikant,
der die Welt retten will –
warum nicht?
A guy who makes shoes
who wants to save the world –
Why not actually?
But wait, there’s more:
Another rightist,
Noch ein schmerzlicher Rechter,
und nicht zuletzt die Bierpartei
mit Marco Pogo.
The youth candidate
with his own beer.
He wants to save the earth too
and talk about it.
Der Amtsinhaber hat gewonnen.
The incumbent has won.
Could have been much worse,
look at the last time.
Tu felix Austria,
for your next wedding
maybe invite someone else?
Oh well, in other news…
Der erste Todestag meines Vaters ist da.
Früher hatten wir Essen zusammen,
jetzt brennen drei Räucherstäbchen.
Wie geht es Dir, Vater, dort drüben?
Bei Familienfeiern sagt es dem Alten.
Was kann ich Dir sagen zum Trost?
Oh, mein “Li Bai” ist schon gedruckt!
Der das hinterlassen hat mit der Feier,
über den mach ich auch noch ein Buch.
Niemand fragt mich,
obs mir gut geht.
Das ist der Anfang
von einem Lied.
Aber mich fragt wirklich niemand,
obs mir gut geht.
Wenn mich einer fragt,
obs mir gut geht,
werd ich ihm sagen,
mir gehts nicht gut.
Die Bäume an der Strasse
sind alle umgehaut!
Sauerstoff wird immer weniger.
Wir werden uns
die Nase zuhalten beim Atmen,
damit wir nicht so viel verbrauchen.
Manche können es gar nicht erwarten,
anderen die Tür zu versiegeln.
Manche verbieten anderen zu pflügen,
verbannen das Rind und den Menschen dazu.
Manche verprügeln alte Leute auf ihrem Spaziergang im Hof.
Manche schnappen ein Ehepaar auf dem Weg ins Spital.
Manche kaufen mit Lebensmitteln in isolierten Höfen
die Körper von Frauen.
Andere verkaufen Passierscheine.
Manche isolieren infizierte Bewohner
von ihren Kindern,
verweigern Versorgung und Medizin bis zum Tod.
Manche verkaufen Tofu so teuer wie Fleisch.
Manche ziehen weiße Kittel an
wie die Parteiuniform der Armee.
Sie sind die Übermenschen
in Macht im Glück,
die anderen sind Juden.
Diese Leute versündigen sich
und handeln im öffentlichen Auftrag.
Da und dort bis zum Himmel sind noch viele Leute,
die können es gar nicht erwarten
“zu helfen”.
The pandemic has brought original problems out for all to see very clearly War has brought original problems out for all to see very clearly and even faster economy problems society problems relationship problems ordinary people what can they do? we need to help each other that’s clear for all to see what else can we do? we thought society as it was economy as it was relations as they were would go on like that nothing could stop it well, we were wrong
MW April 2022
PROBLEME, DIE DA WAREN
Die Pandemie bringt die Probleme, die da waren, ganz klar heraus. Der Krieg bringt die Probleme, die da waren, ganz klar heraus, und zwar noch schneller. Die Wirtschaft, die da war. Die Gesellschaft, die da war. Die Beziehungen, die da waren. Was können die Leute da tun? Wir müssen einander helfen, das ist auch ganz klar. Was kann man noch tun? Früher haben wir geglaubt, die Gesellschaft, die da war, die Wirtschaft, die da war, die Beziehungen, die da waren, das geht immer so weiter, das hält niemand auf. Das ist gar nicht so, da kommt man halt drauf.
Wenn alle im Alter Pension bekommen,
werden viele Filme
verschwinden.
Wenn es vom Kindergarten bis zur Oberstufe Pflichtschule gibt,
werden viele Filme
verschwinden.
Wenn alle Menschen öffentlich krankenversichert sind,
werden viele Filme
verschwinden.
Wie wenn ein Meer plötzlich austrocknet!
Z.B. 1981 “Xi Ying Men”, dieser Film mit dem alten Hoftor.
In a bar in Beijing
I ask Mang Ke, if he‘s still writing.
He asks me back, openly,
are there any changes?
A few years later
when I was at that age
I didn’t write for a while,
and I was even proud,
even content.
Later Yi Sha went back
to editing and presenting poetry.
I knew I had to come forth,
to write something for NPC.
10 years have gone by,
to me it’s like yesterday.
NPC is the boat,
I have saved myself on it.
2021-03-06
Translated by MW in April 2021
Hou Ma LAGE
In Beijing in einem Lokal
frag ich Mang Ke, ob er noch schreibt.
Er fragt mich völlig gelassen zurück,
hat sich an der Lage etwas geändert?
Ein paar Jahre später
war ich auch in dem Alter
und hab eine Zeit nichts geschrieben,
und war sogar stolz
und hielt es für richtig.
Nachher hat Yi Sha wieder angefangen,
Gedichte zu suchen und zu präsentieren.
Ich hab gewusst, da muss ich hin,
für NPC schreiben.
Zehn Jahre sind verflossen,
es ist noch wie gestern.
NPC ist das Boot,
auf das ich mich gerettet hab.
picture by 邢昊 Xing Hao, click on the image for more
Mo Gao EMPRESS DOWAGER TRUMP
When he said
“America first!“,
when he said
“No-one understands better than I“,
when he said
“Drink disinfectants to cure the virus!“;
when he withdrew from even more groups and assemblies,
when he put even more business and people from China
on sanctions lists;
I saw a shadow behind him,
of a dowager empress from the Qing dynasty.
I was thinking,
shouldn’t I remind folks in America,
but
wouldn’t they think I had idle concerns?
Your poetry’s tubes have been tied. I can tell, your loose tracts have been plugged with a metal ring. Actually, my poetry has cheated too. Before I went out I swallowed a few pills of Viagra. But however I tried, Poetry Periodical, state-owned flagship, you could never get pregnant. My poetry must be lonely for life.
SALUTIERT DEN VERDÄCHTIGEN!
向那些涉嫌犯罪的人致敬
Aus dem kommenden Buch „Der Jordan fließt durch Chengdu“
選自《約旦河穿過成都》
Von Liao Yiwu
Übersetzt von Martin Winter
Meinem Freund Wang Yi wurde in der Vorweihnachtszeit im Geheimen der Prozess gemacht, dann wurde er vom Mittleren Volksgerichtshof von Chengdu zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Die Behandlung entspricht der für meinen 2017 in der Haft verstorbenen Freund, den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Deshalb veröffentliche ich hier als Protest dagegen einen Ausschnitt aus dem neuen Buch, an dem ich gerade schreibe: „Der Jordan fließt durch Chengdu“.
Erst viele Jahre später, nachdem er sie mir gegeben hat, habe ich endlich Wang Yis Gedichte gelesen. Erst als er und seine Frau Jiang Rong schon verhaftet und der „Anstiftung zum Umsturz“ angeklagt waren. Ich habe selbst in der Nacht des Massakers von 1989 das lange Gedicht „Massaker“ geschrieben und auf Tonband gesprochen. Deswegen war ich vier Jahre im Gefängnis, und als ich herauskam, hatte ich einen Abscheu gegen Dichter in den Knochen. Abgesehen von Höflichkeitsgesten habe ich deshalb nie mehr ernsthaft Werke von Leuten aus meiner Generation gelesen. Wang Yi, der jünger ist als ich, hat mir unzählige Male Gedichte und sogar Gedichtbände geschickt. Manchmal hat er sogar etwas gesagt: „Alter Liao, bitte gib mir doch einen kleinen Kommentar, auch wenn es dir nicht gefällt, streich nur an und verbessere es einfach.“ Ich habe immer den Kopf geschüttelt: „Ich bin nur Musikant, kein Dichter.“ Wang Yi war peinlich berührt, er hat mich angeschaut, und nach einer Weile erst hat er gesagt: „Na dann nicht.“
Im Buddhismus sagt man, was du schuldest, zahlst du irgendwann doch zurück. Wang Yi war jahrelang mein bester Freund, abgesehen von Familie war er mir am nächsten. Wir haben oft geplaudert und sind am Stadtrand spazieren gegangen. Er hat mich gerne eingeladen und war nie geizig. Wenn irgend etwas los war, hat er sofort für mich sein Wort eingelegt, abgesehen von dem Zuspruch, den er mir immer gegeben hat. Aber ich hab das völlig unbewegt einfach als selbstverständlich empfunden – ich hatte ja „Massaker“ geschrieben und war über Nacht zum Helden geworden, obwohl das schon eine Weile her war und mir die Leute mittlerweile auf dem Gehsteig ausgewichen sind wie einem Haufen Hundescheiße. Meine innere Verfassung war auch verändert; wenn ich allein war, hab ich an die Folter und die Erniedrigungen im Gefängnis gedacht und geweint, ich hab mir sogar an die Brust geschlagen. Ich hab mir vorgesagt, du darfst nie wieder verhaftet werden. Ein geprügelter Hund mit gebrochenem Rückgrat. Das Einzige, das mir meine Selbstachtung erhalten hat, war das Schreiben nicht aufzugeben. Ich hatte Angst vor dem Vergessen, also hab ich alles aufgezeichnet über die Menschen, denen ich begegnet war. Aber Wang Yi und auch Yu Jie, die haben mir am meisten geholfen, und ich habe sie fast nie erwähnt.
Außerdem hat Wang Yi wirklich ein großes Talent als Dichter!
In dieser Zeit schreib unbedingt ein verdächtiges Gedicht!
Eine Zeile Chinesisch stürzt eine Regierung.
Ein Sonett mit vierzehn Zeilen stürzt 14 Regierungen.
Auf dem Maskenball lass dich erkennen
von denen, die dich kennen. Die anderen lass dich ja nicht erkennen.
In dieser Zeit schreib ein Gedicht, das dem Führer Angst macht!
Eine Metapher ist eine Atombombe.
Die Sängerin weiß nichts, absurdes Papier, Tränen ums verlorene Land.
In den schlimmsten Tagen kommen die höchsten Wellen.
Der Tod, als Gefangener, festgehalten vom Wasser.
Wer ist kein Angehöriger politischer Gefangener?
Wer ist kein Hinterbliebener wandernder Seelen?
In dieser Zeit sag ein Gedicht auf, das sind zwei, drei Verbrechen.
Wenn du nichts aufsagst, wirst du aufgesagt.
In dieser Zeit führen Blinde Selbstgespräche,
heilig, heilig, heilig. Blinde fragen Taube, hast dus gesehen?
In dieser Zeit schreib ein verdächtiges Gedicht!
Salutiert den Verdächtigen!
Das ist von 2015. Jiang Rong und er waren schon lange getauft, und waren schon alte Bekannte auf Wachstuben und im Polizeikommissariat. Weit entfernt vom Dicken Wang, der mit mir im Drei-Eins-Buchladen auf der Zhazi-Straße herumgesessen und Tee getrunken hat. Das ist ein Heldengedicht, das auf einmal herausspringt aus der anhaltenden allgemeinen Gemeinheit nach dem Massaker vom 4. Juni 1989. Es lässt mich an Filme denken wie Braveheart oder Der letzte Mohikaner. Am Ende von Braveheart wird der Held von den königlichen Soldaten gefesselt aufs Schafott geführt. Ein Priester kommt und fragt ihn, ob er bereut. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet, alles ist still, und er brüllt mit letzter Kraft: „Freiheit!“
Der Henker lässt die Axt niedersausen. Wang Yi hat dieser Film sehr gefallen, aber er hat auch vorausgeahnt, dass er selbst um seinen Kopf fürchten muss. Er war zwar Pastor, aber er war eben nicht mehr irgendein Stammgast im Drei-Eins-Buchladen, der sowohl in den Alltag als auch in die Bibliothek und in Gelehrsamkeit eintauchen konnte. Sein guter Freund aus Studentenzeiten, der Schriftsteller Lei Ligang, erinnert sich:
„Damals waren sie ziemlich arm. Einmal waren wir zusammen im Carrefour, und Wang Yis Frau Jiang Rong hat vor den vollen Regalen geseufzt: „Wenn wir nur eines Tages einfach kaufen könnten, was wir gerne essen!“ Das hat mich traurig gemacht, wir haben alle zu den Schwachen gehört, die beim Lebensmittel-Einkaufen genau auf den Preis achten müssen.Damals waren wir vier, also Jiang Rong und Wang Yi und Yuhuan und ich, wir waren jeden zweiten Tag beisammmen, wir haben gegessen und Karten gespielt. Yuhuan und ich, wir waren vom Temperament her die Stärkeren, Wang Yi und Jiang Rong waren viel sanfter und nachgiebiger. Jedesmal haben Yuhuan und ich ausdiskutiert, was und wie gespielt wird; wenn wir uns dann einig waren, haben die anderen gleich zugestimmt. Aber in Wirklichkeit haben die zwei viel schärfer gesehen, was in dieser Welt los ist, das haben sie in den Knochen. Wenn das jemand hat, und dann noch im Leben so sanft sein kann, das muss ich einfach bewundern. Gerade weil ich es selbst nicht kann, habe ich davor immer noch Achtung. Wang Yi ist im selben Jahr geboren wie ich, aber ich habe ihn jahrelang immer wieder als einen viel Älteren empfunden, für den ich Respekt haben muss.
Auch wenn es ihm bestimmt sein mag, aber was hat er durchgemacht, das aus dem sanften Wang Yi, den Lei Ligang beschrieben hat, ein solcher Don Quichotte geworden ist? Was geht da innerlich in ihm vor? Dazu hat er nicht lange nach dem oben zitierten Heldengedicht auch einen wichtigen Text geschrieben:
Wang Yi
GIB MIR EIN PAAR MINUTEN UM TRAURIG ZU SEIN
Gib mir ein paar Minuten, um traurig zu sein.
Soviel ist passiert, das lässt einen ersticken.
Lass mich ein bisschen schwach sein,
im dunklen, abgeschlossenen Zimmer,
wie meine Freunde, die sie abgeführt haben,
in der Nacht abgeführt haben wie Jesus,
durch die Stadt, die böse geworden ist.
Gib mir ein paar Minuten, um traurig zu sein,
ich erwarte die Freude, überraschende Freude.
Unterbrich mich nicht durch Hüsteln,
sag mir nichts weiter, nur ein paar Minuten
lass mein Handy stumm sein, kein Kurier soll an die Tür klopfen.
Ich muss allein sein mit meiner erstickenden Seele,
auch wenn die Welt gerade jetzt einstürzt,
wenn ein wichtiger Mensch gerade jetzt stirbt,
das ist für mich alles als wär nichts geschehen.
Denn ich bin traurig
wie eine Frau mit zerrauften Haaren.
Gib mir ein paar Minuten, um traurig zu sein.
Ich will mich nicht waschen, will mich nicht kämmen,
will nicht herauskommen, will dich nicht sehen.
Dafür, dass der Tränen-Damm bricht
wegen einer unglaublichen Nachricht
gib mir ein paar Minuten, um traurig zu sein.
Damit das Licht noch mehr sticht,
damit ich hunderttausendmal üb
für den Augenblick wenn du zur Tür hereinkommst.
2015-07-11, Rüsttag
Lieber Dicker Wang, ich hab es endlich gelesen, ich hab es angeschaut und werde dafür sorgen, dass es noch mehr Leute lesen und sehen. Du bist im Gefängnis, und ich muss dir einfach ein paar Minuten geben, oder ein paar Jahre, oder noch länger. Ich werde nicht schreien wie früher, und auch nicht einfach verschwinden, wie damals, als ich aus China geflohen bin. Vielleicht muss ich auch einmal richtig bereuen, haha, du weißt, das war nicht ernst gemeint, einen lahmen Hund hebt man nicht auf die Mauer. Lei Ligang kennt dich besser als ich, aber er hat noch viel weniger aufgemuckt […]
Jacqueline,
die Frau von Martin Winter,
kontaktiert mich, sagt Martin
hat auf einmal eine fixe Idee
für einen neuen Gedichtband,
er geht in Wien ins Irrenhaus,
eine Lebenserfahrung.
Ich kontaktiere Martin
und sag ihm:
„Geh auf keinen Fall,
sobald du hingehst
sind alle Patienten geheilt,
alle Ärzte rennen weg,
aber du bist verrückt.“
November 2019
Übersetzt von MW am 1. Dezember 2019
Auch nach so vielen Jahren
bis heute
jedesmal wenn jemand fragt
wieviele Kinder sie habe
zählt sie das zweite
das dritte
und das vierte
die sie abtreiben musste
dazu.
20 years ago I wrote my first Chinese poem.
It was in Chongqing. “Wanbao, wanbao!”
That’s what they cry, all over China. Every afternoon.
“Evening news, evening news!”
Evening paper, every town has one.
Some have morning papers, those are called Zaobao,
most of them.
“Get your evening paper!”
Anyway, “wanbao, wanbao!”
could mean late retribution. Bào, what comes back, gets back,
a report. Wan, late. Zao, early.
“Wanbao, wanbao!”
Chongqing was the wartime capital.
Jiefang bei, liberation monument, is the city center.
It’s not from 1945 or 1949,
it’s from the 1930s or so.
Most people don’t know exactly.
Emancipation column. One of my students called it that.
Kang Di, think it was her.
Emancipation in German means women’s lib.
“Emanzipationssäule”.
I was teaching German.
Women’s Liberation Monument.
Women’s Rights Monument.
She didn’t know emancipation means many things.
Didn’t want to correct her.
Another essay was about marriage.
Were they really so conservative, our elders,
when they married a stranger,
when they slept with a stranger they had never seen before?
Good question.
Good essays, especially the girls, the young women.
“Wanbao, wanbao!”
In Beijing it sounded more like “wanbo!”, although Beijing supposedly
is where Mandarin comes from.
“Wanbao, wanbao!”
Chongqing is a hilly city. No bicycles. What did they do, back in the 1960s,
1970s, ’80s, when no-one had a car?
They had porters, for the steep slopes with the stairs,
I guess they’re still there.
“Bang-bang”, people for hire.
They bang on their tools, bang their tools together.
Bang-bang are men, but there are women porters.
Hong Ying’s mother carried sand, rocks and gravel.
Daughter of Hunger, her most famous book.
Daughter of the River in English, it was a bestseller.
Hungry Daughter, Ji’e de nü’er.
That’s right, they have a “ü”, just like in German,
and like in Turkish. Ürümqi, city in China,
nowadays governed like North Korea.
Many re-education camps. They had prisons in Chongqing,
Liao Yiwu was in there,
another famous writer from China.
Didn’t know him then. But Chongqing is about war and imprisonment.
Lieshimu, that’s the address
of our university. We taught German and English.
Two universities, one foreign languages,
the other law and police. Law and politics. Yes, they are not separated.
“Wanbao, wanbao!” No zaobao in Chongqing,
although I’m not sure now.
Lie-shi-mu, Martyr’s Grave.
Geleshan, Gele Mountain, right behind our college,
other side of the train tracks.
Someone was murdered there, some gambling debt.
Students died, one or two every few months.
Nice walks on Geleshan, very peaceful, really.
“Wanbao, wanbao!” Every city in China.
Nowadays people have cell phones,
but there are printed newspapers and magazines.
And printed books, there is no crisis.
“Wanbao, wanbao!” Late reports, late reports.
From the guns. Or whatever.
Karma. Shan means good, doing good.
A Buddhist word. Shan you shanbao,
doing good has good returns.
Wouldn’t that be nice?
But teachers believe it, teachers and parents,
again and again, otherwise you go crazy.
They went crazy too, war and famine,
all the way till 1961, ’62. When Hong Ying was born.
No, also 1969,
Cultural Revolution, like civil war.
Shan you shan-bao,
good deeds, good returns.
“Shan you shanbao, e you e-bao.”
E like in Urgh! Like something disgusting, that’s what it means.
Ur yow ur-pow, something like that. But more like b.
Eh yow e-bao. Yes, “e” like ur. “You” like yo-uw.
Shàn you shànbào, è you èbao.
Do good for good returns, do bad stuff for bad returns.
Not that it doesn’t come back, time isn’t ripe.
That’s how it goes on.
You throw the boomerang, boomerang doesn’t come back,
they tell you wait, it’ll come back.
Karma.
And so I wrote a Buddhist newspaper poem.
Bu shì bu bào, shíhou wei dào.
Wei like in Ai Weiwei, “ei” like in Beijing.
Wei means not yet, that’s his name. Really.
“Wei” like the future.
His father was the most famous Communist poet
of the People’s Republic. Imprisoned in the 1930s,
maybe in Chongqing. Then again under Mao.
Exiled to Xinjiang, North Korea today, re-education camps.
Desert, somewhere between Dunhuang and Ürümqi,
what was the town? It’s a big city now.
Ai Weiwei grew up in a hole in the ground, with his brother.
They are both artists. Anyway, where was I?
Bu shì bu bào, shíhou wei dào.
Not that it doesn’t come back, time isn’t ripe.
Emancipation monument.
MLK day, I have a dream.
They had to memorize the whole speech,
in schools in China, 1970s.
Maybe earlier too, maybe till now.
Good deeds, good returns.
Bad deeds, bad returns.
The Chinese Dream.
Not that it doesn’t come back.
Zao you zaobao, wan you wanbao.
Morning has morning papers, evening has evening news.
Early deeds, early returns.
Late deeds, late returns.
Late returns after gambling.
Famous party secretary, famous police chief,
they are in prison now. Or one is dead?
Killed a British guy, now they imprison Canadians.
Anyway, my poem.
Wanbao, wanbao!
Wanbao, wanbao!
Zao you zaobao,
wan you wanbao.
Bushi bu bao, shihou wei dao.
Actually the saying goes on, the Buddhist Karma.
Once time is ripe, everything comes back.
You don’t need to say that. People know.
Are you from room service?
Translate into Spanish:
all-inclusive service,
gagged,
biting,
reading stories,
contemporary historical service,
service in the times of the cholera.
Voluntary,
involuntary man-service
in the name of the lord
of the manor
and the overlord
of the hotel chain
in the interests of
the all-Europe hotel
short story competition
and so on.
Make a story
out of who stayed
in Regensburg
before sunrise,
before sunset,
after Ethan Hawke,
what was the name of the bar,
something with Max.
Different city?
No, we’re not mad,
we’re very glad
we found this hotel
at the end of December.
The local paper says
these are six precious days
not including Christmas
to recuperate.
No tourists,
Merry-Turks- street,
what a wonderful place.
Pustet is a very good bookstore.
Better than some biggest book shops in bigger cities.
Churches are free,
just like the thousand year old bridge
with its museum. This used to be
one of two biggest cities in Germany.
They are building a synagogue.
A place of hope. End of a year.
Not a good one.
Re-education camps. War on terror, they say.
War on the people. Not a good story.
Are you from room service?
Please translate into Spanish
and Catalan:
Who translates into English?
Anyway, I write poems.
Some are good stories,
like Mosque And Casino.
I wrote it years ago in Chinese.
mein erstes kind
war mit meinem mann vor der heirat
keine wahl konnte nur abtreiben
wusste nicht wie um urlaub ansuchen
ging am nächsten tag ins büro
nach meinem sohn
war noch drei mal
habs nicht gewagt
es wär auch nicht gegangen
bin brav ins krankenhaus hab abgetrieben
einmal daheim pillen genommen
mir war so übel bin fast gestorben
jedesmal mit meinem mann
gestritten einen monat sogar ein halbes jahr
deshalb hat unser eheleben
schon lange aufgehört
jetzt leben wir nebeneinander
einigermassen
freundschaftlich
wie tief die staatliche politik
in einem haushalt in china
ins eheleben eindringt
ich glaub ich hab das recht
auch etwas zu sagen
one person
in his 27 years in power
with his own hands
set in motion 55
big and small political campaigns
plunged his country in misery
made his people suffer to death
when I get to know this information
my mouth stands open
I want to cry: “grandpa!”
I want to cry: “grandma!”
I want to cry: “papa!”
I want to cry: “mama!
I want to cry: “uncle! aunt!”
I need to cry out
for all my relatives
all my seniors in my relatives
I want to tell them:
you had it so hard
in your generation
I forgive you everything
May 2016
Tr. MW, Feb. 2018
Yi Sha ICH MUSS EUCH RUFEN
ein mensch
hat in 27 jahren seiner herrschaft
mit eigener hand
55 kleinere und größere
politische kampagnen in gang gesetzt
sein land ins elend gestürzt
sein volk auf den tod zugerichtet
als ich diese nachricht erfahr
bleibt mein mund offen stehen
ich will rufen: “opa!”
will rufen: “oma!”
will rufen: “papa!”
will rufen: “mama!”
will rufen: “onkel! tanten!”
ich muss alle rufen
alle meine verwandten
alle älteren verwandten
ich will ihnen sagen
ihr habt es viel zu schwer,
viel zu schwer gehabt
ich verzeihe euch alles
one child becomes deaf
two children become deaf
100 children become deaf
1000 children become deaf
10000 children become deaf
30000 children become deaf
every year in china
over thirty thousand children
become deaf
from injections or taking medicine
which means they will never again
understand anything clearly
in the end it means they won’t hear a thing
even if you play the national anthem
To attain US citizenship,
at the official exam,
there was this question:
The US is under rule of law.
What does that mean?
Most Chinese applicants
answer it means
citizens have to obey the law.
The correct answer is
the government must obey the law.
Translated by MW in March 2018
Hong Junzhi ANTWORT
Die US-amerikanische Behörde
stellt bei der Prüfung für die Staatsbürgerschaft
die folgende Frage:
Die USA ist ein Rechtsstaat.
Was bedeutet das?
Die allermeisten Chinesen antworten,
das heißt, die Bürger müssen Gesetze beachten.
Die richtige Antwort lautet,
die Regierung muss die Gesetze beachten.
little donald still wants his wall
and someone else to pay for it
if you give it to him
if all you taxpayers give it to him
he won’t deport dreamers
but everyone else
unless maybe
you give him more money
MW January 31, 2018
ÖSTERREICH
grinsende deutsche fahnen
liederbücher mit nazitexten
in der regierung
MW Januar 2018
MOND
wolken ziehen über den mond
ich weiß nicht, wo ich herkomme,
ich weiß nicht, wo ich hinfahre.
wolken ziehen über den mond.
leo freut sich über den mond.
ich freu mich mit.
ich komm von meiner oma, von meinen omas.
unsere kinder kommen von uns.
es ist kalt.
wolken ziehen schnell,
mit ungeduld.
maia freut sich, wenn nainai da ist.
yeye freut sich auch mit den kindern.
laplao und laoye gehts hoffentlich gut.
hoffentlich sehen wir sie bald wieder.
insgesamt ist es ein warmer winter.
heute wählt niederösterreich.
tschechien hat diesen kasperl verlängert.
in österreich hat man entdeckt,
dass deutschnationale burschenschaften
naziliedtexte haben.
der wohnbaustadtrat in wien
wird bürgermeister.
wird er gemeindewohnungen bauen?
hätt es der andere mehr gemacht?
ich freu mich jedesmal über den mond.
MW Januar 2018
FORTSCHRITT
ich hab meinen vater
unnötig beschimpft
jetzt macht es meine tochter mit mir
aber ich schimpf zurück
MW Januar 2018
AM SCHÖNSTEN
am schönsten bist du
ganz in der früh
du schläfst noch und
du musst noch nicht auf
am wochenende vielleicht
in den tagen um weihnachten
Foreword by @tengbiao to “The People’s Republic of the Disappeared: Stories From Inside China’s System for Enforced Disappearances”, a new book about China’s Residential Surveillance at a designated location Atrocity in the Name of the Law
you allowed this ape
this strong-reeking filth
worse than any animal
you helped this grinning
creep
this neo-nazi turned
lord of angry losers
free angry losers
free-for-all
all for strong
protection
against
conscience
solidarity
consciousness
of what they do
how they make you screw
the weak
which means you
your own family
some time down the road
always
sooner than you think
don’t think
vote
for the grinning
strong
du wirst es nicht herausfinden
oder es wird nicht bekannt
was passiert wenn du tot bist
oder ich
wir sind nicht wichtig genug
aber auch bei den wichtigen
weiß mans nicht wirklich
MW Oktober 2017
YOU CAN BE SURE
you are not going to find out
or people won’t know
what happens after you die
or I for that matter
we aren’t important enough
but even with those who are
no-one really knows
gestern war mondfeiertag,
mondfeiertag war heuer recht spät.
15.8. im mondkalender.
oft ist es ende september,
paar tage vorm nationalfeiertag.
nationalfeiertag in der volksrepublik,
staatsgründungstag 1. oktober,
proklamiert 1949
vom tor des himmlischen friedens.
also nicht in taiwan,
dort haben sie am 10.10.
nationalfeiertag.
mondfest ist nahe bei den paraden.
stillgestanden!
rührt euch!
stillgestanden!
alle augen nach vorn
auf das gold!
das ist ein gedicht von yi sha.
wàng qián kàn,
alle augen nach vorn auf das geld.
das war die parole
seit den 80er jahren.
yi sha schreibt in xi’an.
xi’an hat früher chang’an geheißen,
es war sehr lange hauptstadt,
viel länger als peking.
also sehr viele mondfeiertage.
vielleicht auch paraden?
jedenfalls hauptstadtparaden
vor 1000 jahren
vielleicht vor 1300 jahren
erste millionenstadt auf der erde
vielleicht sogar größer als konstantinopel
aber noch ohne panzer.
also kein platz des himmlischen friedens.
keine demonstrationen von millionen.
yi sha hat in peking studiert,
ende 1989
ist er nach xi’an zurückgekommen.
mondfest hat nichts mit paraden zu tun.
mondfest ist für die familie.
man steigt auf eine höhe,
bringt essen und trinken,
alle sehen den mond.
man denkt auch an die, die nicht dabei sind
die dazugehören
und vielleicht den mond sehen können.
mondfest ist überall
in vietnam und in japan
in korea, norden und süden,
in malaysia, auf den ryukyu-inseln,
auch auf hawaii.
ich glaub eher nicht bei den tibetern,
aber doch bei mongolen
obwohl die mondkuchen
oder das allgemeine verschenken
von diesen kuchen mit zetteln drinnen
angeblich gegen mongolen gewirkt hat.
mondkuchen gibts in vietnam und korea,
auf okinawa und den ryukyu-inseln.
in japan sonst gibt es sowas wie knödel.
wir haben zwetschgenknödel gegessen.
zwetschgenknödel aus topfenteig
von meiner mutter.
also ohne mondkuchen
aber mit großeltern und zwetschgenknödeln.
wir haben auch an andere gedacht,
die anderen großeltern
die vielen freunde
alle denen mondfest vielleicht etwas sagt.
alles gute an alle!
auch an nitram retniw!
meine tochter glaubt das muss eine frau sein
sehr verdächtig
vielleicht eine verhüllte
das ist in österreich jetzt verboten
der mond hat sich gestern nicht dran gehalten
bitte lest nitram retniw von hinten
er wünscht euch alles gute!
Going up the Eiffel tower
means walking up all the way
to the second platform
if you don’t have a ticket beforehand
and want to wait in the shortest line
at the south tier, which still takes an hour.
That is after you stood in line
and went through security
to get onto the square under the tower.
So the line takes an hour at least.
Then it costs 7 Euro per adult, 5 if you’re under 19,
3 under 10. That’s for walking up.
And we had walked all the way from the Louvre.
Through the Tuileries, took a left at the Obelisk
to get over the Seine. The Orangerie museum
looks interesting. We had already seen sculptures
by Germaine Richier and others in the Tuileries park.
I remember a sculpture by her in Bilbao at the art museum.
Would have loved to get a closer look in the Tuileries,
but they don’t let you walk on the grass. Weird sculptures,
not at all like the one in Bilbao. We had of course seen the Venus of Milo
and the winged Nike of Samothrake. No, those aren’t cereals.
And a hermaphrodite, son of Hermes and Aphrodite,
merged with a Nymph by Zeus at her urgent request.
Yes, male and female organs. Many, many Aphrodites,
many clothed, actually. Artemis, Pallas,
and all the men. Marsyas, soon to be flayed.
Not to speak of the paintings. Or the old Egypt stuff,
very well organized, shows daily life, work
and many, many details
from 4000 years ago and so on. Better than in Vienna.
Lots of busts and other stuff from Palmyra,
many other places in Syria. Yemen, too.
A whole room from Palmyra.
Anyway, up on the Eiffel tower.
Thousands of people up there at night.
Very special feeling. We had lunched in the park,
there is a place with benches on a little hill
very close to the tower. Yuhuan started sketching,
Including the lamppost in front of us. Everyone else flew
paper planes and ate and drank what was there
from the small supermarket
around the corner. Lunch at seven thirty or eight.
We came home to the hotel at two o’clock in the morning.
Subway at Bir Hakeim, not very close.
But interesting and working late. Some people get in free.
We are content with smuggling in a small child every time.
People ask for centimes when they’re asking for money.
Very polite, actually. Centimes, from the old currency.
Probably means fifty Euro cents now. I think one was asking for less
when I had my hands full this morning with groceries from the bakery
after getting up before noon. No, you don’t really notice
the permanent state of emergency
more than the propaganda for 2024,
for the Olympics. They made a deal with Los Angeles, right?
One comes first, one four years later.
Whatever. Should really eat something now.
Hung Hung ONE MAN VS. ONE COUNTRY – FOR LIU XIAOBO
one man dies
one country awakes from a dream
actually it wasn’t sleeping
the country was just pretending to dream
it keeps its eyes open behind its mosquito net
watching who dares to dream their own dream
who dares in their dreams to sing their own song
who dares to call each stag a stag, each horse a horse
this country never sleeps
its atm’s count their money 24 hours
its warriors patrol on the net day and night
to bury alive every weathercock showing his head
this country infects with its disease
the livers that aren’t asleep
so they can’t detox anymore
they can’t tell the limbs to move around freely
the case history of this country is painted as poetry
everyone of the people it calls its citizens
must memorize and recite without rest
just like that hottest summer 28 years ago
a summer that seems to go on forever
one person dies
and the blood that was washed off
flows out steaming again on the square
to jump the dark floodgate
only when this sick country dies
every person can finally wake up alive
7/13/17
Translated by Martin Winter, July 2017
───────────────────────
Hung Hung EIN MENSCH GEGEN EIN LAND — IN GEDENKEN AN LIU XIAOBO
Ein Mensch stirbt.
Ein Land erwacht aus einem Traum.
Eigentlich hat das Land gar nicht geschlafen.
Es hat nur so getan, als würde es träumen.
Hinter seinem Moskitonetz sperrt es die Augen auf:
Wer wagt es und träumt seinen eigenen Traum?
Wer wagts, singt im Traum sein eigenes Lied?
Wer nennt einen Hirsch einen Hirsch, und ein Pferd auch ein Pferd?
Dieses Land kann nicht schlafen.
Seine Bankomaten zählen sein Geld Tag und Nacht.
Seine Krieger patrouillieren 24 Stunden im Netz:
jeder Wetterhahn der seinen Kopf hebt
wird lebendig begraben.
Dieses Land steckt mit seiner Krankheit
jede Leber an, die nicht schläft:
sie können alle nicht länger entgiften
oder Glieder anstiften, sich frei zu rühren.
Es malt seine Krankengeschichte aus als Gedicht
und befiehlt allen jenen, die es seine Bürger nennt
das Gedicht vorzutragen bis sie nicht mehr können.
So wie in jenem heißesten Sommer vor 28 Jahren.
Der Sommer geht offenbar nie vorüber.
Ein Mensch ist gestorben:
Das abgewaschene Blut
spritzt wieder heiß hervor auf dem Platz,
schlägt gegen das finstere Schleusentor.
Nur wenn das schwerkranke Land endlich stirbt
kann jeder Mensch erst lebendig erwachen.
ich geh zur volksschule auf der volksstrasse und hol meinen sohn ab.
geh vorbei am volkskrankenhaus nr. 1, volkskrankenhaus nr. 2,
volkskrankenhaus nr. 4. an der volksregierung, dem volksgericht, der volksstaatsanwaltschaft. 9 wachtposten sind auf dem weg, ich treffe x volkspolizisten.
jetzt geh ich auf der volksstraße
aber ein volksgefühl hab ich nicht
everyone wants deliberation
what do workers want
more money
more rights
less accidents
less insecurity
less misery
less discrimination
what do employers
and state agents want
nothing
in comparison
they have everything
only in certain cases
certain uncertain cases
they are very certain
everyone needs deliberation
rather than killing and maiming
each other
china has talked about democracy
very much
at least since 1919
austria too
so let us deliberate
how to give workers
in certain uncertain cases
maybe just a little bit
of deliberation
MW May 2017
From a small conference on Monday, May 15. Law studies and Petition Office representants from China. Vienna University law faculty and East Asian studies professors. Well-meaning reports on labor conflicts and “deliberative democracy”. Meanwhile we’ll have another big election in Austria in October. Last year was just the figurehead president. Could have been a Neo-German alt-right figurehead. It was close. Would have been ok with the foreign minister. Also with the governors of Burgenland and Lower Austria, the provinces around Vienna. They are working with the xenophobe extreme right Freedom party. Or looking forward to that. No, we don’t rally around the republic against neo-fascist and anti-European forces like they do in France. Although we finally tried last year and succeeded. And our president now is a Green independent. Yeah, that’s where my poems come from. China and Asia, Austria and Europe. Taiwan. Czech Republic. And so on. Like The Sun Also Crashes. That was in Vermont, right before the last US mid-term elections.
Bei der großen Wahl in den USA
taten viele Chinesen –
ich war einer von ihnen –
als hätten sie auch das Recht zu wählen;
wägten sorgfältig ab
ob sie denn Trump
oder Hillary unterstützten;
als der Tag herankam
vergaben sie feierlich
eine Stimme in ihrem Herzen.
1 Ferrari
1 Bentley
2 Land Rovers
3 BMW
stuck right in the middle.
I am standing solemnly
inside a bus
glued to a window,
my right hand stretched up,
holding tight.
In a short minute
I have inspected the entire parade.
Published online in Yi Sha’s NPC (New Poetry Canon) series on Febr. 18, 2017
Translated by Martin Winter, February 2017
Mo Ming [“Nameless”], orig. name Li Yongbiao, born in 1994 in Huizhou, Guangdong province. Finished Jiaying academy in Meizhou city in 2016, works in Shenzhen.
1 Ferrari
1 Bentley
2 Land Rover
3 BMW
verstopfen die Straße.
Ich stehe ernst und feierlich
am Fenster des Busses
dicht an der Scheibe,
die rechte Hand hochgestreckt,
fest in Position.
In knapp einer Minute
hab ich die komplette Parade beisammen.
Mo Ming [”Namenlos”], eigentl. Li Yongbiao, geboren 1994 in Huizhou, Provinz Kanton. 2016 Abschluss an der Jiaying/Hochschule in Meizhou. Arbeitet in Shenzhen.
“Österreicher gehts wählen! ”
“Sonst werden wir bald
von Flüchtlingen regiert! ”
Ruft ein Mann in der Schnellbahn.
Wir wurden von einem Flüchtling regiert:
1970-1983
am Ballhausplatz.
Wir wurden von einem Flüchtling regiert:
1998-2016
in der Hofburg.
Es gibt noch einige
Beispiele.
Liebe Österreicherinnen
und Österreicher,
die wählen dürfen,
bitte gehts wählen.
Damit wir nicht
von Vergessern
regiert werden.
wie hält es china mit der demokratie
wie hält es österreich
kann es österreich halten
pisst sich österreich an
wer bemerkt es
wie hält es china mit der demokratie
fragt ein vortrag
eine diskussion
zwei tage vor einer wahl
die in österreich
die republik
gefährdet
was ist für uns demokratie
seit 1945
seit 1955
was ist für ungarn demokratie
vor 1956
vor 1989
kann es österreich halten
scheisst sich österreich an
wer merkt es
seit 1984
lern ich chinesisch
13 jahre war ich in china
ich war grad in taiwan
1988 in taiwan
war demokratie etwas anderes
als fünf oder zehn jahre später
oder auch früher
oder vor zwei jahren
kann es österreich halten
brunzt sich österreich an
tut mir leid
ich war nicht bei dem vortrag
irgendjemand hat den zettel
mit den öffnungszeiten
der wahlkartenbehörde
runtergenommen
das bezirksamt stellt wahlkarten aus
heute freitag noch
vielleicht bis 2
am sonntag ist wahl
den zettel im lift
tief drinnen im haus
vielleicht wars der wind
wenigstens war er 2 wochen dort
MW Dezember 2016
Ich war bei der Demo gegen Abschiebungen am Samstag, dem 26. November 2016. Mit meinen Kindern. Eine solche Demo war nötig, finde ich. Wäre schon lange nötig gewesen. Hätte besser und breiter unterstützt gehört. Ob der Zeitpunkt des ersten Adventsamstags und die Route durch die Mariahilferstraße falsch waren, weiß ich nicht. Wichtiger wäre gewesen, überhaupt eine große Demo zu machen. Überhaupt ein großes Zeichen zu setzen. Ein Lichtermeer vielleicht. Hauptsächlich gefehlt hat eine breite Unterstützung, das Mitmachen vieler verschiedener Organisationen und Personen, die mit Flüchtlingshilfe zu tun haben. Weiß nicht, wer schuld war oder nicht. Jedenfalls war die Stimmung insgesamt nicht so gut wie bei anderen Demos, größeren und kleineren, bei denen es um Ähnliches ging. Leider. Aber wir, die dabei waren, und jene, die trotz allem versucht haben, eine möglichst große Demo zu machen, hatten recht. Ein Zeichen setzen gegen Abschiebungen bestens integrierter Menschen, die schon gut Deutsch können, in die Schule gehen etc. Gegen Abschiebungen von Menschen, die genau dafür qualifiziert wären, die besten Österreicher zu werden, die sich alle nur wünschen können, die guten Willens sind. Wir hatten recht. Jede und jeder hat recht, der oder die darauf hinweist. Christian Kern sollte es tun. Michael Häupl. Alle, die für Alexander Van der Bellen sind. Also auch Vranitzky, Busek und so weiter. Alle, die guten Willens sind. Dann hätten wir einen Cordon Sanitaire, wie in Frankreich. Am Ende hätten wir dann eine deutliche Mehrheit gegen jene, die diesen Staat und dieses Land bedrohen. Viellicht würden das sogar Niessl, Schüssel und Pröll einsehen. Wenn jemand Asyl verdient und bereits in Österreich integriert ist, warum soll er oder sie nach Kroatien? Was genau geschieht mit den Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern, die abgeschoben worden sind? Warum steht das nicht in Dem Standard? Geschweige denn in anderen aktuellen Medien, abgesehen vielleicht von der Wiener Zeitung? Oder habe ich es nur nicht bemerkt? Steht es vielleicht in der Tiroler Tageszeitung, hört es jemand auf Radio Stephansdom? Jedenfalls glaube ich trotz allem, wir hatten recht, zu demonstrieren. Und viele haben versäumt, mehr gemeinsam zu tun. Ich auch, wahrscheinlich.
der billiganbieter
hat “für österreich”
mit schmalz und weihrauch
so wahr ihm seine goten helfen
und um den bauch
eine deutsche fahne
bei wichtigen anlässen
mit polizeischutz.
zu risiken und nebenwirkungen
fragen sie bitte
ihre vielbemühte
frau hausverstand.
affen für deutschland
ist keine respektable partei
faschisten-pier österreichs
ist auch nicht besser
man muss die leute danach behandeln
in frankreich geht es
in österreich wär es viel nötiger
wir haben keinen cordon sanitaire
wir haben keinen standard
unser ex-staatsoberhaupt
hat sich auch noch bedankt
als die verfassungsrichter
denjenigen recht gaben
die die verfassung gefährden
warum spricht fischer
nicht gegen hofer?
warum beschützt er nicht die verfassung?
warum spricht der verfassungsgerichtshof
in österreich
nicht gegen die rechten?
woher kommt die verfassung?
wovor soll sie schützen?
die leute sind nach plato benannt
die leute führen nichts gutes im schild
die halten sich für die fürsten und richter
die leute zeigen der menschheit die richtung
davon träumen sie ständig
die fetten schillernden käfer
bewegen versteckte giftige härchen
verbannen wölfe und löwen
verbannen verzweifelte jugend
verbannen unkeusche frauen
verbannen verrückte und bettler
verbannen diebe und räuber
verbannen den teufel
den schlimmen jesus
vertreiben die dichter
vertreiben mich
bitte nicht
ihr braucht mich nicht verbannen
ich bin grad nur zu gast
ein bisschen schauen wie ihr hier wohnt
ich hab schon verstanden
euer staat
ist nicht für verrückte und nicht für mich
dass es österreich gibt
dass es nicht geteilt wurde
1945
dass es eine regierung gab
und nur eine
im konsens aller
antifaschistischen parteien
dass dieses reiche und blühende land
auf etwas beruht
der führer der fpö
heißt angst und schrecken
er war ein neonazi
in seiner jugend
war er im gefängnis
er hetzt gegen arme
und spart bei den ärmsten
an den schulden in kärnten
unter seiner partei
zahlt jedes kind in österreich
tausende euro
wer solch einen menschen
und seine deutschdümmelnde bande
an der spitze des staates will
der oder die
wirft österreich weg
In my dream
they hung me up,
dipped a whip in cold water
to beat me,
so I should confess.
Their question
was tricky:
“Why do you write poems?”
I told the truth:
“I don’t know.”
The leather lashed as heavy rain,
thicker, harder.
Really couldn’t stand it,
so I roared, “Pain! …”
A miracle happened,
the rain stopped.
in der nacht
geh ich raus aufs klo
sehe
die schaukel
an der weinranke
schwingt noch
mondlicht
sitzt
und freut sich
2015
Übersetzt von MW im Januar 2016
馬非 《小时候》
夜半
出门小便
看见
挂在葡萄架
的那具秋千
还在晃荡
月光
优哉游哉
坐在上面
2015
Ma Fei IN DOUBT
Some people say this country
resembles a public toilet.
Some go further and say
it is a latrine.
I am not of the same opinion.
Whenever I enter such a latrine
I feel I am going to
spit out all my entrails.
In real life
I don’t feel this
all the time.
2015
Tr. MW, 2016
Ma Fei ZWEIFEL
manche sagen dieses land
gleiche einem pissoir
andere meinen sogar
es sei eine latrine
ich hege nicht dieselbe meinung
auf einer latrine
hab ich immer das gefühl
ich spucke alle innereien heraus
sonst im leben
ist das
nicht immer so
Dog poems,
even if they are good ones,
I’m not going to write them,
after my wife said,
“once our son
has left for college,
we’ll get a dog too.”
2016
ENTSCHEIDUNG
hundegedichte
auch wenn sie gut sind
werd ich nicht schreiben
nachdem meine frau gesagt hat
“wenn unser sohn
weit weg auf der uni ist
dann nehmen wir
uns auch einen hund”
my feeling against The People
comes from my childhood,
from the movies I saw.
those guys on the screen
they always killed
in the name of the people
one time they shot
the father of a girl I was fond of
the girl was so desperate
she saw no way out
drowned herself in the river
2016
DAS VOLK
meine abneigung gegen das volk
kommt aus den filmen
aus meiner kindheit
auf der leinwand
haben sie immer
im namen des volkes
leute getötet
einmal
wurde einer erschossen
der war der vater
eines mädchens
das ich gern hatte.
sie war untröstlich
sah keinen ausweg
und ging ins wasser
Concerning the end of a tv drama,
I had an argument with my wife,
it got rather intense.
The revolutionary cadre,
about to take leave from this world,
trembling while reading his file,
secretly printed out by his son,
saying: “You all take a look,
my whole life is blameless
not one little blemish!
I am happy, I am content.”
Then he dies with a smile.
And I ruined it and said:
“He should have been in agony!”
obwohl man sagt
leben ist endloses ertragen
manchmal kann man es nicht mehr halten
würd ich nicht schreiben
für umleitung sorgen
müsst ich explodieren
obwohl ich durchs schreiben
erst richtig erfahre
leben ist endloses ertragen
This summer in Xiaozhai in Xi’an,
on a pedestrian bridge.
A friend from college,
my former girlfriend,
she took my picture but didn’t know it.
Only later she went through her mobile.
She sent it to me, then I realized,
we had been there at the same time,
but missed each other.
She took a photograph of a beggar,
I was in there by accident.
You can see on the photo,
I passed the beggar,
gave him no money.
2015
Tr. MW, 2016
Ma Fei VERPASST
im grad erst vergangenen sommer
xiaozhai in xi’an, eine fussgängerbrücke
dort hat mich meine frühere freundin
und studienkollegin fotografiert
sie hat es zuerst nicht gewusst
später in ihrem handy hat sie mich entdeckt
mir das foto geschickt dann habs ich erst gewusst
wir waren gleichzeitig am selben ort
und haben uns ausgerechnet verpasst
sie hat einen bettler fotografiert
mich dabei zufällig auch aufgenommen
auf dem foto sieht man
ich geh an dem bettler vorüber
und geb ihm kein geld
Tu Youyou received her Nobel
in Stockholm
Biology prize or Medicine prize
and thanked them
on China Central Television
they didn’t air her for long
but I started sweating
I was afraid
the speaker would blurt out:
“This is another victory
for the working masses’ wisdom
of the Chinese people.”
If it was a victory for Chinese medicine,
I guess
that would be ok.
an einem tag
unterwegs
im bus
beim abendlichen spaziergang
haben drei leute
wie ausgemacht
mich dasselbe gefragt:
“da ist etwas in der luft,
es stinkt, riechen sie das?”
ich sag jedesmal
“meine nase ist entzündet”
wie ausgemacht
haben alle drei nicht nur neid im gesicht
sondern antworten auch noch dasselbe:
“entzündete nase haben ist gut!”
tief in meinem traum
hat mich jemand leise erwähnt
ich spitz die ohren
hör nur einen satz
aber das ist genug:
“dieser kerl ma fei
ist ziemlich stolz.”
ich bin gleich erleichtert
und kicher sogar
das war gute nachrede
jedenfalls
für einen dichter
ich glaube nicht
dass der schornstein
der hinter der statue
des dichters Du Fu
in dem ort wo er lebte
fröhlich paffend
schwarze wolken ausstößt
böse absicht ist
im gegenteil
er meint es gut
es ist eine aktion
er will kontrastieren
kontrastieren und stärken
die sorge des dufu
um sein ganzes volk
dieser klassische ausdruck
das ist ihm gelungen
2016
Ma Fei ART PIECE
I don’t think
the smokestack
spouting
clouds of dark smoke
behind Du Fu’s statue
in the town where he lived
was put there with ill will.
On the contrary,
I think it is well-intentioned.
It is a performance,
they want to contrast and emphasize
Du Fu’s great sorrow
for the land and the people
that classic expresssion
it shows very well
In middle school, second year,
my older brother and his whole school
are brought in a truck to the highway,
made to stand on both sides.
Each one holds a fake flower.
They wait for a long time,
then they wave plastic flowers,
shouting “Welcome! Welcome! …”
A few cars rushing by,
they climb back on the truck,
return to school.
From beginning to end,
nobody tells them
who they are welcoming.
Hauptsache, es wird geredet. Über Ashraf Fayadh und das Todesurteil über ihn. Die Schande. Auch ein arges Wort. Shame. Starker Roman von Salman Rushdie, auch wenn er damals verrissen wurde. Früh, gleich nach Midnight’s Children. Verurteilt wegen Glaubensabfall. Stinkt nach Öl. Vor ein paar Tagen war eine schöne Lesung hier in Wien. Für viele Frauen und Männer, die Gedichte geschrieben und sich zu Wort gemeldet haben. Sollte es öfter geben. Die Bedrohung ist leider die ganze Zeit da. An vielen Orten.
Zugleich entlarven sich die ach so Christlch-Sozialen selbst. “Der Nächstenliebe Grenzen setzen”. Unter diesem Schild, oder war es ein Transparent? Da sind sie alle gestanden. Der Außenminister. Die Innenministerin. Der Präsidentschaftskandidat. Zu wünschen ist ihnen ein Ergebnis bei der nächsten Wahl wie bei der letzten, der Wahl in Wien im Oktober 2015.
Im Österreichischen Konsulat in Kairo, oder im Außenministerium wird irgend jemand entschieden haben, Omar Hazed kein Schengen-Visum zu gewähren. Über den Dichter Omar Hazed ist in letzter Zeit auch schon öfters berichtet worden. Leider konnte er nicht ausreisen, gestern oder vorgestern. Das ist auch Ai Weiwei passiert, damals 2011. Dann wurde er verschwunden, wie es so schön heißt. 被失踪了。He was disappeared. Für eine Zeit. Oder wie sagt man auf Deutsch? Fünf Buchhändler und Buchhandelsangestellte wurden kassiert. Alle aus Hongkong. Von der Staaatssicherheit. Der Chinesischen.
Liao Yiwu hat darüber geschrieben, dass auch er gewarnt wurde, im Jahr 2011. Von der Staatssicherheit. Die war alarmiert, durch den Arabischen Frühling. Viele durften nicht ausreisen. Auch wenn sie schon Tickets hatten. Und sogar Visa. Wie auch Liao Yiwu. Ai Weiwei fuhr trotzdem zum Flughafen. Er wollte nach Taiwan, zu einer Ausstellung.
Wir hätten auch ein Gedicht von Liao Yiwu vortragen können bei der Lesung für Ashraf Fayad. Hätte auch gut gepasst. Etwa das Lied für Ilham Tohti, der 2014 in Ürümqi in China zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Fürs Reden, Schreiben, Unterrichten. Für offene Worte. Im Dezember ist es gesungen worden, in Berlin. Das Lied für Ilham Tohti. Ich habe es übersetzt. Ins Englische und ins Deutsche. Auch für ihn gab es große PEN-Aktionen, in New York und anderswo.
Heute wird in Taiwan gewählt. Bei der Lesung für Ashraf Fayadh am Mittwoch in Wien habe ich ein Gedicht von Hung Hung vorgetragen. Über einen jungen Mann, der sich umgebracht hat. Nachdem er gesucht worden war, nach einer Demonstration. Hung Hung hat Erich Fried übersetzt und vorgetragen. “Die Gewalt”. Bei der Besetzung der Legislative, des “Legislative Yuan” vor zwei Jahren. Poesie muss nicht immer absichtlich von Politik sprechen. Hauptsache, es wird geredet.
1) Thou shalt not display Oklahoma
2) Thou shalt not install Kansas
3) Thou shalt satisfy Utah
4) Ignore Kentucky
5) Thou shalt not take the name of any state of anything in vain
6) Remember Kentucky
7) Why Kentucky?
8) Honor Kentucky
9) No graven images of Kentucky
10) Thou shalt not covet Texas
stars in different shapes
painted on paper
kids are playing under the stars
his son finished painting
now he’s outside
father looks at the stars
till he can’t stand it
picks up a red pen
to make sure
each one is a five-pointed star
8/13/15
Tr. MW, Sept. 2015
More poems by Liu Tianyu in English: Click down below the picture.
Liu Tianyu UNTER DEN STERNEN
sterne in vielen formen
gemalt auf papier
unter den sternen spielen die kinder
auch sein sohn hat fertig gemalt
und ist hinausgerannt
der vater schaut sich die sterne an
schaut bis er es nicht mehr aushält
er nimmt einen rotstift
macht aus allen sternen
fünfzackige
13. August 2015
Übersetzt von MW im September 2015
er ist zoologe
zuerst war er soldat
mit 15 log er über sein alter, kam in die armee der republik
bis heute ist sein alter ein rätsel
er kämpfte in vietnam gegen franzosen
damals gab es die ganze zeit krieg
durch die kanonen bei dien bien phu
hörte er nichts mehr, obwohl sie dann siegten
später wurde er forscher
durchs qinling-gebirge, auf die hochebene
erforschte die yaks und moschushirsche der republik
durchquerte alaska mit amerikanischen imperialisten
obwohl er jetzt nicht mehr weiß ob der nordpol im meer ist
im alter betrogen ihn die betrüger der republik um den familienbesitz
leider zweifelt er noch an der polizei
I n-need t-to b-b-break out
f-f-from y-y-your s-sp-pout-ting s-song
b-break o-out o-of y-your h-house
m-m-my sh-shoot-t-ting t-t-tongue
m-m-mach-chine g-g-gunn f-fire
it feels so good
i-in m-m-my s-st-tut-t-ter-ring l-life
the-there a-are n-no g-ghosts
ju-just l-llook at-t m-my f-face
I d-d-don’t c-care!
1991
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《结结巴巴》 ST-STO-TO-TT-TERN
m-mein st-sto-to-tt-ternd-der m-mund
b-b-behind-dderter schschlund
b-b-bei-sst- s-ich wund
an m-meinem r-rasenden hirn
und m-meine b-beine –
euer t-trief-fend-der,
schschimmliger schschleim
m-meine l-lunge
i-ist m-müd’ und hin
i-ich w-will r-r-aus
aus eurem g-gross-a-artiggen rh-rhythmus
a-aus eurem h-haus
m-m-meine
sch-schp-prache
m-masch-schinengewehr-s-salven
es tut so gut
in m-meinem st-stott-ttoterndem r-reim
auf m-mein l-leben g-gibt es k-keine l-leich-chen
s-s-seht m-mich a-an
m-m-mir i-ist all-les g-gleich!
1991
Übersetzt von MW im April 2013
<結結巴巴>
結結巴巴我的嘴
二二二等殘廢
咬不住我狂狂狂奔的思維
還有我的腿
你們四處流流流淌的口水
散著霉味
我我我的肺
多麼勞累
我要突突突圍
你們莫莫莫名其妙
的節奏
急待突圍
我我我的
我的機槍點點點射般
的語言
充滿快慰
結結巴巴我的命
我的命裡沒沒沒有鬼
你們瞧瞧瞧我
一臉無所謂
1991
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《精神病患者》 GEISTESKRANKE
theoretisch
weiß ich nicht
wie es sich äußert
wenn eine geisteskrankheit ausbricht
ich hab nur gesehen
in diesem land
in dieser stadt
wenn ein geisteskranker loslegt
streckt er den arm hoch und bricht aus
in parolen
der revolution
theoretically
I don’t know
how it should be
when a mental patient
suffers an outbreak
but what I have seen
in this country
in this city –
a mental patient suffers an outbreak:
up goes his arm
out come the slogans of revolution
1994
Tr. MW, 2013-2014
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《我想杀人》 ICH MÖCHTE JEMANDEN UMBRINGEN
ich fühle mich etwas komisch
ich will jemanden töten
oh! das war letztes jahr
herbst kroch über das laub
zwanzig todeskandidaten
am flussufer nördlich der stadt
“peng! peng!”
einer wurde aufgeschnitten
in der folgenden operation
erhielten WIR eine niere
I am feeling a little strange
– I want to kill someone
Oh! It was last year
autumn crept over the leaves
twenty death candidates lined up
at the river north of the city
„Peng! peng!“
One of them was cut open
and in the following operation
We got a kidney
1994
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《9/11心理报告》 9/11 AUF DER COUCH
erste sekunde mund offen scheunentor
zweite sekunde stumm wie ein holzhuhn
dritte sekunde das ist nicht wahr
vierte sekunde kein zweifel mehr da
fünfte sekunde das brennt nicht schlecht
sechste sekunde geschieht ihnen recht
siebte sekunde das ist die rache
achte sekunde sie verstehen ihre sache
neunte sekunde die sind sehr fromm
zehnte sekunde bis ich drauf komm
meine schwester
wohnt in new york
wo ist das telefon
bitte ein ferngespräch
komme nicht durch
spring zum computer
bitte ins internet
email ans mädl
zitternde finger
wo sind die tasten
mädl, schwester!
lebst du noch?
in sorge, dein bruder!
2001
Übersetzt 2013 von Martin Winter
Yi Sha 9.11 REPORT FROM THE COUCH
Ist second: mouth barn-door open
2nd second: wooden-chicken stiff
3rd second: couldn’t believe it
4th second: it must be true
5th second: what a great fire
6th second: well they deserve it
7th second: this is retribution
8th second: these buggers have guts
9th second: must be their religion
10th second: before I realize
my own little sister
lives in new york
I need a telephone
long distance call!
can’t get a connection!
I go storming for a computer
where is the internet
typing out characters
writing an email
shaky fingers
“sister, sister!
are you alive?
your elder brother is worried sick!”
Auf dem Bus an einem Tag mit viel Schnee
stehen zwei Kinder hinter mir,
eingestiegen im besseren Viertel.
Aus ihrem Gespräch
weiß ich sie wollen Schneebrillen kaufen,
von Prada und im Restaurant neben Prada
etwas einschaufeln.
Sie kommen von
Brillen zu Luxuswagen,
dann zu tausend-Dollar-Handys.
Ich seufze schon.
Die Reichen haben gern ihren Willen.
An der Station “Zweite Technik-Straße”
sehen sie jemanden telefonieren
und einer sieht sogar,
der Mensch mit dem Handy
verwendet ein Apple 6.
Und so planen die beiden Kinder
einen Raubüberfall.
Die Ausführung, die Flucht,
etwaige Verfolgungsszenarien,
wie zu reagieren ist –
mit bestechender Logik,
sie denken an alles,
sind wirklich begabt.
Vorbei an der früheren Adresse
der 1. Grundschule Hoch-Neu,
sprechen sie von früheren Mitschülern.
Das Mädchen So-und-so sei zwar hübsch
aber vom Dorf;
der Schüler So-und-so
ein armer Teufel,
die besten Noten nützen ihm gar nichts.
Jetzt dreh ich mich um,
sie sind von einer berühmten Schule in Uniform,
einen halben Kopf größer als ich,
ungefähr 16, 17.
Aus den sauberen Gesichtern
blitzen Durchtriebenheit
und kühles Blut.
Sie schaffen es sicher
auf die beste Uni.
Ein paar Semester in Europa, Amerika
und Doktorabschlüsse.
Ich hab keinen Zweifel
sie werden zu Stützen des Staates
und zucken nicht mit der Wimper
wenn es ans Töten geht.
Am liebsten würde ich ein ganzes Heft gestalten. Das Cover. Malala gewinnt den Friedensnobelpreis. Apple Daily in Hongkong. Malalas Kopf, rundherum alles Chinesisch.
“Ich möchte weder Rache an den Taliban, noch an irgendeiner anderen Organisation. Ich möchte meine Stimme nur dafür erheben, dass jedes Kind ein Recht auf Unterricht hat. Mein Traum ist, dass alle Kinder, auch die Söhne und Töchter der Terroristen und Radikalen, in die Schule gehen können und Bildung bekommen. Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch, ein Stift – kann die Welt verändern.” Hat sie das wirklich gesagt? Ich habe mir ihre Rede angeschaut, auf Youtube. Englisch, Urdu, Pashto. Auf der Bühne mit ihrer Familie. Ihr Bruder, ihre Eltern. Der Bruder wird neidisch sein. Sie bemüht sich sehr um Harmonie, ist wirklich froh, dass auch jemand aus Indien gewonnen hat, der für Kinderrechte einsteht.
Dieses Cover. Nur das Bild. Foto: Apple Daily. Das ist auch schon ein Hinweis auf die Proteste in Hongkong von August bis Dezember 2014. In den USA gab es auch Proteste, für Bürgerrechte, in der Nachfolge von Martin Luther King. Und in Österreich meldet wenigstens das Gratisblatt “Österreich” wieder einmal, dass Strache als Neo-Nazi im Gefängnis war. Strache heißt Furcht und Schrecken. Graz heißt Stadt. Eine wichtige Stadt für die Literatur. Eine gar nicht so heimliche Hauptstadt, zu manchen Zeiten. Für den Schrecken. Für die Literatur, etwas später. Yi Sha 伊沙, der am 17. März in Graz seine Texte vorstellt, die in manchem an Ernst Jandl erinnern, kommt aus Xi’an 西安. Hauptstadt schon vor über 2000 Jahren. Terrakottakrieger. Tang-Gedichte. Von daher kommt Gustav Mahlers Lied von der Erde.
Eine wilde Mischung. Sich der Gewalt stellen. Respekt geben, zeigen, und damit auch fordern. Haben sie das gemeinsam? Yang Lian 楊煉, ein großer Dichter, aktiv und engagiert seit den 1970er Jahren. Liu Zhenyun 刘震云, bis vor zwei Jahren vielleicht bekannter als Mo Yan, auf jeden Fall unterhaltsamer. Richard Claydermann und die Trommeln in den Bergen. Klingt vielleicht eskapistisch. Aber Liu Zhenyun geht es um Aufarbeitung, und um Respekt für die kleinen Leute. Er kommt aus einem armen Dorf und ging zur Armee, um schreiben zu können – wie auch Mo Yan 莫言 und manche andere.
Respekt zeigen, und damit einfordern. Zheng Xiaoqiong 郑小琼 tritt auch am 17. März in Graz auf. Ihre Texte kommen aus den Fabriken in Dongguan. Das ist im Perlflussdelta, nicht weit von Kanton 広州, Hongkong 香港 und Shenzhen 深圳. Xu Lizhi 许立志 sprang in Shenzhen in seinen Tod. Bei Foxconn 富士康, wo sich schon viele Arbeiter und Arbeiterinnen umgebracht haben. Foxconn fertigt Computer und Telefone für Apple. Xu Lizhi war ein sehr begabter Dichter. Bei Zheng Xiaoqiong kommen viele Kolleginnen vor, die nicht mehr am Leben sind. Oft wegen Unfällen. Viele sind auch verschwunden.
Respekt zeigen, und Hoffnung geben. Wie Malala. Viele Frauen sind in diesem Dossier, verglichen mit anderen Kunstsammlungen, nicht nur chinesischen. Fünf Frauen, von elf Autorinnen. Zwei mit Prosatexten. Zheng Xiaoqiong hat sehr gute Reportagen geschrieben, leider habe ich bis zum Redaktionsschluss noch keine fertig übersetzt. Aber von Zheng Xiaoqiong kommt bald ein Buch in Österreich heraus, mit Reportagen und Gedichten. Bei FabrikTransit. Und in Wien gibt es am 20 März am Ostasieninstitut der Universität Wien einen Workshop mit Zheng Xiaoqiong, auf der Grundlage von einer Reportage und anderen Texten. Und eine Lesung gibt es, veranstaltet vom Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst.
Hao Jingfangs 郝景芳 Science-Fiction-Geschichte ist der längste Text in diesem Dossier. Widerstand. Wie ist Widerstand möglich, wenn aller Widerstand gegen den Staat längst gebrochen wurde?
Kaufen Sie das Heft, lesen Sie, wie es geht. Oder lesen Sie von Ma Lans 马兰 ”Doppeluterus“, und unerklärlichen Spuren im Schnee. Von Liu Xias 刘霞 Charlotte Salomon. Soll noch einer sagen, chinesische Literatur sei nur über China. Alle Beiträge reden über Respekt, und über Rechte. Sehr allgemein.
on august 23rd 1931
sholohov and pasternak
sat down together for breakfast
at moscow airport
before bording a plane bound for kiev
to watch the soviet soccer team
they were invited
70 years ago in the soviet union
the official writer’s association chairman
and a dubious poet
the only time they went out together
it was all in the name of soccer
70 years later in china
one week ago
I had the same experience
2001
Tr. MW, June 2014
Yi Sha
MEMOIREN
am 23. august 1931
saßen scholochow und pasternak
am moskauer flughafen
im kaffeehaus zusammen beim frühstück
dann stiegen sie in ein flugzeug nach kiew
dort spielte das sowjetische team
sie waren beide eingeladen
vor 70 jahren in der sowjetunion
der präsident des autorenverbandes und ein dichter der grauzone
auf dieser einen gemeinsamen reise
und nur für den fußball
siebzig jahre später in china
vor einer woche
hatte ich die gleiche erfahrung
all those so-called platonists
all those rotten at heart
all those taking themselves for judges and kings
all those dreaming of giving
directions to mankind
all those fat shining bugs
wagging their hidden poisonous hairs
banning lions and wolves
banning desperate youths
banning indecent wives
banning loonies and thieves
banning beggars and thugs
banning satan
banning contrary jesus
banning poets
banning me
without need
you don’t need to ban me
I was just passing by
just came looking to see how you’re doing at home
I have seen enough
your republic
holds no place for loonies and no place for me
an einem verschneiten tag
spritzt matsch auf der strasse
einmalig auf dieser welt
brüllend wie sonst
ein polizeiwagen
flott unterwegs
und sehr unterhaltsam
in seinem kleid
ganz gleich wie er drängt
das kriegt er nicht runter
auf einmal ganz gleich
nicht zu unterscheiden
von anderen autos
sie schleichen daher
wie leichenwagen
das macht ihn nervös
von seinen rädern
spritzte der schmutz
auf den der vorbeikam
den stapfenden zeugen
dem kamen die tränen
es dachte der dichter
an die poesie
die sei doch wie schnee
in beziehung
zum wagen des staates
Übersetzt von MW im Februar 2008