Ich schwing meinen Stift,
hock am Schreibtisch,
blas meinen Chef auf.
Der Neffe bläst die Suona
bei der Hochzeit, beim Begräbnis,
mit vollen Wangen so stark er kann.
Ich sag: “Bläser sein
ist gar nicht so leicht.
Ich blas Kleines groß,
ich blas Schlechtes gut,
ich blas Böses heilig,
bis ganz gute Augen
auf einmal blind werden.”
Der Neffe sagt: “Ah,
Onkel, wenns dus schwer hast,
ich habs sicher schwerer.
Du sitzt in der Stube,
brennst nicht in der Sonne,
spürst keinen Wind,
wirst im Regen nicht nass.
Aber beim frohen oder traurigen Anlass
obs stürmt oder regnet,
ich muss draußen blasen.
Ich bin zwar noch jünger
aber überall zwickts mich.
Einmal in Wuxiang im Tal von den Wangs,
hab in der Nacht bei den Gräbern geblasen,
auf einmal schneits große Flocken.
Mir war so kalt,
ich hab mich ins Grab gezwängt
und hab mich eingerollt bis in der Früh.”
Heuer schneit es sehr spät.
Heut früh ist die ganze Stadt weiß.
Ich geh mit Mama zum Morgengebet,
in der Kirche sind nur ein paar alte Frauen,
die murmeln mit gesenkten Köpfen.
Eine Alte steht da
mit großen Augen und weißen Haaren.
Sie schaut mich an, stumm.
Dann sagt sie, ich seh wie ihr Sohn aus.
Sie sagt, ihr Sohn sei vor ein paar Tagen gestorben.
Sie sei hier, um zu beten.
Sie wolle mir ein Geheimnis anvertrauen.
Sie macht ein geheimnisvolles Gesicht.
Ich beug mich zu ihr.
“Heute ist ein Weißes Begräbnis!”
Sie schaut sich um
und schließt die Augen.
Mir kommt es so vor, als wollte sie sagen,
“Gott ist gestorben.”
Ich schau in mein WeChat
und ruf aus dem tausende Meilen entfernten Süden
meinen Vater an.
“Bei Euch ist es so schön,
alles weiß,
wie als ich klein war,
möcht gleich zurückfliegen!”
“Dein Großonkel ist gestern abend gestorben,
gefrorener Boden, die Strasse ist eisig,
es ist niemand da, um den Sarg zu tragen.”
Stille Klause in Zhanjiang, Januar 2022
Übersetzt von MW im April 2022
Vaters kleinen Geheimschrank
haben wir Jungen gemeinsam aufgemacht.
Mit fiebrigem Blick und flinker Hand
hab ich mir wie der Blitz was geschnappt.
Nach dem Brauch im Dorf
verbrennen wir Vaters Sachen vorm Tor.
Das Feuer schlägt hoch,
ich werf hinein, was ich geschnappt hab.
Sie machens genauso,
niemand hat mich gefragt,
was ich mir gegriffen
und wieder verbrannt hab.
Die allerletzte alte Dame im Dorf
mit gebundenen Füßen stirbt auf einmal.
Die Trauernden aus ihrer Familie mütterlicherseits
sagen denen, die sich darum kümmern,
sie wollen der alten Dame
eine goldene Halskette mitgeben.
Das hat sie selbst so bestimmt.
Die Kinder der Alten in Trauerkleidung
sagen, sie werden die Halskette kaufen.
Als der Sarg ins Grab kommt,
liegen eine blinkende Kette
und ein Sack mit Getreide
neben der alten Dame im Sarg.
Manche flüstern,
das sei keine echte,
nur mit Kupfer lackiert.
Sie haben Gräber gesprengt,
der kleine Schneider
hat einen kleinen Stein
an die Schläfe bekommen.
Er war im Spital,
über zehn Jahre später
schreibt er mir auf WeChat.
Sie haben etwas Neues,
nicht mehr Dynamit wie im Bergbau.
Die Bäume dort oben
haben seine Hosen an,
liegen im Sarg.
Hab gehört, er sei reich geworden,
er macht seit Jahren Live-Videos,
dabei steht er vor einem Schornstein,
redet mit Händen und Füßen,
lässt sein Publikum raten
welche Art von Hose
er dem Rauchfang anzieht.
in einer nacht letztes jahr im august
ruft sie mich auf einmal an.
sie heult und klagt am telefon,
ihr älterer bruder war gestorben.
am nächsten tag flieg ich nach kunming,
ich halte totenwache mit ihr,
nehme an der verabschiedung teil,
stehe an ihrer seite.
vielleicht wenn wir zusammen
einen letzten abschied erfahren,
vielleicht wird unsere beziehung
dadurch ein bisschen wärmer?
ich hab natürlich zuviel erhofft,
es war einfach nicht möglich.
die leute glauben oft,
die toten hätten geheime kräfte,
sie könnten lebende menschen beschützen.
wenn es so wäre,
ihr bruder hätte es sicher gern,
wären wir noch beisammen.
aber die verstorbenen
haben gar keine solchen kräfte,
sie sind hilfloser als sie je waren.
Ich bin zurückgefahren zum Begräbnis,
da hab ich noch nicht gewusst, dass es im Dorf
möglich ist, Verstorbene im Eiswasser-Kristallsarg
zu sehen. Aber niemand ist hinter den Opferaltar
gegangen und hat die Tante im Kühlsarg besucht,
nicht einmal ihre Kinder.
Ich bin hingegangen,
bin lange bei der Tante gestanden,
mir sind die Tränen heruntergeronnen.
Ihre Kinder haben sich gewundert,
haben fast gefragt:
wieso trauerst du mehr als wir?
Sie kommen nie darauf, als ich klein war,
und Mama war nicht da,
ich hab die Milch von der Tante getrunken.
Eine alte Lehrkraft, grad pensioniert,
war erkrankt und gestorben.
Die Hochschule wollte in zwei Gruppen
zur Bestattung gehen und Abschied nehmen.
Busse waren organisiert,
Kränze bestellt.
Eine Stunde vor der Abfahrt
die plötzliche Absage.
Das Krankenhaus, wo die Lehrkraft verstorben war
da wurde ein Brite, der in Hangzhou lebte
positiv auf Corona getestet.
Jemand von uns hat gesagt,
wir sollten im Herzen Abschied nehmen.
Ich hab mir gedacht,
im Himmel gibt es kein Covid,
hoffentlich hast dus dort gut.
Und bitte verzeih uns
was unter den Menschen hier noch passiert.
2021-01-07
2020-07-08
Übersetzt von MW im Juni 2021
Omi waschen und in den Sarg legen. Das linke Handgelenk, leblos nach einem Schuss Penicillin, ist geschwollen und starr. Der Armreif, der nicht mehr herunter geht, funkelt grün.
Im Dorf wenn man zurückkommt von einem Grab oder einem Begräbnis muss man vor seinem Hoftor ein Feuer aufschichten, übers Feuer springen und so hineingehen. Alte Leute sagen, so bringt man die Geister nicht zu sich ins Haus. Nach vielen Tagen Quarantäne Komm ich zum ersten Mal von draußen zurück, nehm Schmierpapier vom Kalligraphie-Üben und zünd es beim Haustor an. Meine Frau fragt, was ich mach. Ich sag, der Virusteufel scheut das Feuer. Sie kommt sofort heraus und springt übers Feuer vor und zurück.
An official from the civil aviation board said, because of the virus, they reimbursed tickets for over 20 billion yuan.
All these banknotes should fly in the sky, now they are down in the dust, they change into rice, pasta and oil, change into water fee, electricity fee, gas fee, change into masks, toilet paper, 84-disinfectant
Some even change into hospital admittance fee, medicine expense, funeral costs. From now on they’ll never fly anymore.
In der Virus-Krise empfehlen Psychologen den Stadtbewohnern folgende Bücher:
„Mut zur Trennung“ – „Necessary Losses“ (Auch wenn die ganze Familie tot ist, dieses Buch sagt Ihnen, ohne Begräbnis gibt es keine Zukunft.)
„Zum Himmel aufsteigen“ – Ein Harvard-Psychologe. (Die Verstorbenen können nicht sagen, wie es sich anfühlt, wenn man schnell weg muss. Aber dieses Buch lässt Sie verstehen, die meisten Probleme sind psychische Probleme, und der Himmel liegt immer im Herzen.)
„Einwandfrei“ – A Complaint Free World. (Das Unglück schlägt zu, Sie verlieren Ihre Lieben. Hauptsache, Sie akzeptieren es heiter. Dieses Buch erinnert Sie, Klagen ist nutzlos und verbraucht unnötig viel Energie.)
„Gewaltfreie Kommunikation“ (Der Titel sagt alles. Sei ein braver und sanfter Untertan!)
Opas Kamerad
hat keine Kinder.
Im Koreakrieg
hat er eine Hand dortgelassen.
Als Opa gestorben ist,
geht der Kamerad ganz in schwarz
mit leerem Ärmel
durch die Leute,
gibt Opa die Hand.
Seven years ago
at Qinghai Lake International Poetry Festival
one morning at breakfast
at Qinghai Hotel
I sat with two poets from Taiwan.
20 years before I had received them in Xi’an.
Time has flown very fast.
Now they are already 80 years old.
One of them was very eager to tell me: “This morning I still had an erection!”
I liked the old guy very much, so I said: “You should write this into a poem!”
Suddenly he took back everything I found so cute about him
and told me seriously:
“How could you write such a thing!”
Seven years have passed.
On the occasion of 100 years
of New Chinese Poetry
I thought about him.
I want to say,
this is a limitation in our New Poetry
or in our nation,
except for Avantgarde poets
or colloquial poems.
I am sleeping
with a poetess I have haven’t known very long
on the same bed
in our clothes feet to feet
late at night
I am beginning to wriggle,
thinking: such a great opportunity
if I don’t do anything
it would be a shame
if I don’t do anything
what will they think
in the poetry world
in arts and literature
they’ll take me for a eunuch!
der jähzornige onkel ist tot
so viele trauernde leute
bezeugen er war ein guter direktor
ich als der sohn seiner schwester
bin bei den verwandten gut angesehen
das ist das verdienst meiner mutter
bei diesem begräbnis
hab ich meinen onkel fast gar nicht erkannt
auf dem letzten bild
es ist 19 jahre her
seit unserer letzten begegnung
in diesen 19 jahren
war ich vier mal in shanghai
aber ich bin nie zu ihm gegangen
denn bei jeder begegnung
muss er mich fragen wieviel ich verdiene
dann sagt er meine kusine
in ihrer ausländischen firma
bekommt ein vielfaches
Juni 2016
Übersetzt von MW im Juni 2016
Yi Sha 《外甥送舅》 ONKEL BEGLEITET
jedesmal vor einer reise
zünd ich drei räucherstäbchen an
vor dem bild meiner mutter
aber dieses mal
ist ein räucherstäbchen
von selbst abgebrochen
ich hör auf einmal mein herz
fürcht es kommt etwas schlechtes
herzinfarkt und tod meines onkels
ich seh meinen sohn auf dem uni-theater
der beijing normal university
die nachricht kommt bevor ich hineingeh
also wird meine reise nach peking und zhejiang
auch eine nach shanghai
in shanghai
bei der longhua-bestattung
begleit ich den onkel
schau wie sie ihn wegführen
im herz ruf ich mama
hier kommt dein kleiner bruder
Yu Cui-fang 于翠芳 has grown old,
can only go to her grave.
Funeral music played on and on,
becoming a shroud,
big enough to wrap up a life.
Yu Cui-fang, I don’t know her at all.
I’m a young Chinese guy in a small town
Yu Cui-fang must be kin to our landlord,
downstairs they set up a funeral tent.
I just went down to empty the garbage,
all I could see were these three characters.
Yu Cui-fang has grown old,
funeral music played on and on.
I must get up early for my driver’s exam.
month of long days
and of strong sun
fresh-bought cabbage
curled at the sides
all turned to mush
it’s graduation day
the day I became a worker
at the cement factory
the day of the operation
my wife borrowed money for from everyone
the birthday of
one of my daughters
the day my father
dies
sun like an oven
there is no way to let father stay
after a hurried funeral
I lead my shaking mother back to the cave onto the kang
no sound from mother
all through the month
there is no sound
du you think you are an existentialist?
do you think you like to eat zha jiang mian?
do you think you are collecting antiques?
do you think you are following fashion?
do you think you have improved since you started?
do you think you have fulfilled your ideals?
do you think you’re a patriot?
do you think you love the truth?
do you think you dare to say it?
do you think you don’t fear retribution?
do you think you’re a good writer?
do you think you’re a poet?
do you think you’re a good mother?
do you think you’re a good father?
do you think you have loved?
do you think you are moral?
do you think microblogging makes China improve?
question mark mark mark
do you think they are prophets?
do you think you’re a groupie?
do you think there are things you don’t talk about?
do you think there are people you cannot offend?
do you think this novel is your autobiography?
do you think you have talent?
do you think your stuff is going to last?
do you think you have secrets?
do you think you have a big heart?
do you think you are fair to everyone?
do you think you’re responsible?
do you think you play by the rules?
do you think you have nothing to be ashamed of?
do you think you are self-important?
do you think you want revenge?
do you think you are scared of dying?
do you think you make people like you?
do you think you make people hate you?
do you think you have a future?
do you think you are falling behind?
do you think you are lonely?
do you think you are writing a poem?
this girl makes you crazy
let her go on babbling
asking herself
Tr. MW, June 2014
Chun Sue DREAMING OF LIVING INSIDE A DREAM
Tr. MW, June 2014
Published in EPIPHANY magazine, fall 2014. Go on, look for this great Chinese Dream! I spent October 2014 at Vermont Studio Center with Yi Sha, editor of the daily New Century Poetry series 新世纪诗典. Chun Sue is one of the most well-known figures within this huge independent circle of poets.
Chun Sue MORNING, AVENUE OF ETERNAL PEACE
Little Brother says: dad, Avenue of Eternal Peace
take a good look
This is the road you walked for over 20 years
I am sitting with Papa and Little Brother
I am almost crying
Finally I know
why I like the Avenue of Eternal Peace
Slowly the car passes the Military Museum
and the red walls of Zhongnanhai
and Xinhua Gate
Papa is small now he fits in an ash box
sitting between us
doesn’t take up much space
We pass the Gate of Heavenly Peace
and I see him
He stands on the square
watching us while we’re passing
Why was it so hard to write about you
You’re the son of a peasant
I was born in a village
I am also the child of a peasant
I put on army songs for you all night
Crying my heart out —
I like all that too.