Er nimmt ein Messer aus der Bar,
geht zum Extrazimmer 809, verletzt Herrn Cai
an der linken Hand, ca. 1:30 morgens. Hat sich nicht beruhigt,
geht zurück, hackt wieder in die linke Hand des Herrn Cai.
Eine halbe Stunde später, an der Kreuzung, sieht er Herrn Cai
auf dem Weg ins Spital, zwingt Herrn Cai, niederzuknien,
um Verzeihung zu bitten, stampft dabei mit dem Fuß
auf die linke Hand des Herrn Cai. Bis zum Schluss
haben die Nachrichten uns nicht verraten,
warum hasst er die linke Hand des Herrn Cai?
Eine Mauer in der Mitte der Strasse,
lauter Glasscherben oben.
Jemand will auf die andere Seite,
er sagt, es riecht von dort nach Brot,
außerdem Blumenduft und frische Luft.
Schüsse brechen die Stille,
der Kletterer fällt auf den Boden.
Der Himmel wird hell.
Die Lebenden werden hinaus getrieben,
ihre trüben Blicke gehen herum.
Da ist ein Haufen verbrannter Leichen,
der einen “Duft” verbreitet.
You think
you have to say what’s right.
So you write
sodden poetry.
No one has to say what’s true or not.
If you have a feeling
you can write how the war is absurd,
how people suffer.
You can write what you feel.
You cannot write
what people should think.
Yesterday I told a friend
a story from the year 2000.
I was in Xinjiang,
spent the night in Kashgar.
In the lobby at the hotel,
someone screamed:
Wanna fight?
In several languages,
including Chinese.
Huge guy,
not a bad fighter.
Some people tried,
couldn’t get past him.
I said something,
don’t remember exactly,
maybe let’s sit down,
have a drink.
He calmed down a little,
sat down with me, told me his story.
He was from Kazakhstan,
going back and forth
buying and selling,
had been on the road for many years.
He spoke Russian at home.
At that time Putin had just come to power.
He really liked Putin,
Putin would reinstate the Soviet Union.
We were sitting and talking,
sometimes he would get up
to see if anyone
would want to fight him.
Calming down
was a process.
I remember feeling
he was very direct,
I could respect him.
At the same time
I was hoping no one would get hurt.
I respect him,
like every ordinary person.
He is a person,
his Putin is a fantasy.
A rather funny fantasy at the time.
You are an ordinary person,
you tell me your fantasy,
I don’t get mad at you.
You think a poet
has to tell you what’s true.
On the contrary,
you can say what you feel,
what’s in your heart.
Some say it well,
it gets very moving.
If you take your fantasy
to tell people
what you think is right,
I’d rather have that guy
who wanted to fight.
du glaubst
du musst sagen was richtig sei
deshalb schreibst du
schlechte gedichte
niemand muss sagen was stimmt oder nicht
wenn du das gefühl hast
kannst du schreiben wie absurd der krieg sei
wie hilflos die leute
du kannst schreiben was du spürst
du kannst nicht schreiben
was irgendwer denken soll
gestern hab ich einem freund
eine geschichte erzählt
im jahr 2000, vor über 20 jahren
war ich in xinjiang unterwegs,
nicht weit von pakistan
hab in kashgar übernachtet
im hotel in der lobby
hat auf einmal einer geschrien
wer will mit mir raufen?
in mehreren sprachen
auch auf chinesisch
ein grosser kerl,
wahrscheinlich betrunken
nicht schlecht im raufen,
ein paar habens versucht
ich hab mit ihm geredet,
vielleicht hab ich gesagt,
trinken wir was zusammen
er hat sich hingesetzt und erzählt,
er sei ein händler aus kasachstan,
er lebe schon viele jahre auf reisen,
kaufen und verkaufen
in seiner familie spreche er russisch
putin war damals erst grad an der macht
der raufende händler
war sehr für putin
putin werde die sowjetunion wiederherstellen
wir sind gesessen und haben geredet
manchmal ist er noch aufgestanden
er hat sehen wollen
ob noch wer bereit war zu raufen
es hat länger gedauert
es war ein prozess
ich hab das gefühl
er war sehr direkt
ich kann ihn respektieren
gleichzeitig hoff ich
dass niemand verletzt war
ich respektier ihn
ich respektier alle gewöhnlichen leute
hoffentlich
er ist ein mensch
sein putin ist seine vorstellung
damals eine eher lustige vorstellung
du bist ein gewöhnlicher mensch
du erzählst mir was du dir vorstellst
ich reg mich nicht auf
du glaubst ein dichter
muss sagen was richtig sei
ich mein im gegenteil
du kannst von deinen gefühlen erzählen
was du auf dem herzen hast
manche können das sehr bewegend
wenn du deine vorstellung nimmst
und allen sagst was stimmt oder nicht
dann hab ich noch lieber
den raufenden händler
MW auf Chinesisch am 5. April,
auf Deutsch am 6. April 2022
A very long table.
One lone guy
sits at one end.
He’s dead.
Maybe this is the last thing recorded.
Maybe all other records are lost.
Hard to say
who is going to watch it.
MW 30/3/22
AUFZEICHNUNG
Ein sehr langer Tisch.
Ein einsamer Kerl
sitzt an einem Ende.
Er ist tot.
Vielleicht ist das die letzte Aufzeichnung.
Vielleicht sind alle anderen verloren gegangen.
Schwer zu sagen
wer sie anschauen wird.
MW Chinesisch 29. März 2022, deutsche Fassung 5. April 2022
GEDICHTE SCHREIBEN
Gedichte schreiben ist keine Schule,
es ist ein Spiel für zwischendrin.
Schreiben ist nicht etwas begründen,
Gedichte sind grundlos.
Manche haben Regeln,
Regeln des Klanges,
eine Stimmung für die Musik.
Klang und Bedeutung sind nicht zu trennen.
Im Kern des Gedichts steckt dein Gefühl.
Dein Gefühl, wenn dus schreibst,
dein Gefühl, wenn dus liest.
Dein heimlicher Spaß außer der Schule,
deine diebische Freiheit.
MW Chinesisch März 2022, deutsche Fassung 5. April 2022
Gestern hier in der Klasse
hat jemand gesagt,
Gedichte Schreiben sei grundlos.
Heute werden wir diskutieren
warum diese Annahme
völlig grundlos ist.
Werfen wir einen Blick
auf das Buch der Lieder,
aufgezeichnet um 500 vor unserer Zeitrechnung.
Darin sieht man ganz deutlich
den Stand der Gesellschaft,
die Situation der Zentralebene.
Schauen wir noch
auf andere Kulturen,
zum Beispiel sumerische
oder ägyptische alte Gedichte,
die sind von Gesellschaft und Religion
überhaupt nicht zu trennen!
Ich glaub hier in der Klasse
hat noch jemand gesagt,
durch dreitausend Jahre
seien im Buch der Lieder
die Liebesgeschichten
immer am beliebtesten gewesen!
Das sei ähnlich wie mit dem Hohelied
in der hebräischen Bibel!
Liebesgeschichten
als Liebesgeschichten
sind völlig grundlos!
Gut, Schluss für heute,
morgen schreiben wir Prüfung,
ihr müsst euch gut vorbereiten!
MW Chinesisch März 2022, deutsche Fassung 7. April 2022
Hoffentlich hat jeder gern keinen Krieg,
hoffentlich hat jeder gern keinen Streit.
Ich muss nicht unbedingt sehr viel schreiben.
Deutsch zwei Gedichte, Englisch zwei Texte,
noch ein paar Chinesisch ist schon genug.
Manche Wut muss ich nicht wieder herzeigen.
what did we have ten years ago?
what did not have ten years ago?
we had everything
we must have lacked something
where did we screw up?
where did we succeed?
some things I know
some things I don’t know
it was yesterday
it was long ago
world day of snot
world day of coughing
world day of short breath
world day of exhaustion
world day of pain
world day of forgetting
world day
of spring
or fall
Fenstertag,
heute war Schule,
jedenfalls in Leos Schule.
Nächstes Schuljahr
gibt’s nicht mehr,
die Bildungsdirektion
der Stadt Wien,
der Stadtschulrat,
sagt, es gibt kein Geld
vom Ministerium,
um denen, die es brauchen,
noch Schule zu geben.
Das betrifft uns.
Und noch ein paar Eltern
und Kinder, Jugendliche.
Und Friederike Mayröcker
ist gestorben.
Und heute ist 4. Juni,
Gedenktag für 1989 in China,
nur nicht offiziell halt.
Offiziell hat der junge Oberdissident
von Belarus
alles zugegeben,
im Fernsehen.
Wohin soll ich noch fliehen?
Dörfer sind keine Dörfer mehr, auch in den Bergen
kann man sich nicht verstecken. Kann nur hier warten,
Schafott oder sonst ein Schicksal. Der Zug
steht am Bahnsteig, die Leute schauen aus den Ritzen,
beneiden mich wahrscheinlich. Ich dagegen
beneide die flatternden Spatzen,
die Wolken, die reinen Asketen, die sich bald auflösen.
Weiß keinen Ausweg, dreh mich im Kreis,
denk mir das Ende ist mir ganz klar, aber dann
wein ich doch. Bin noch verwirrt,
über den Augen sitzen nur Weißkopfraben,
Köpfe am Stadttor, krah krah.
Zwei Mäuse, zwei Ratten!
Eine auf der Kommode,
eine unter der Kommode.
Sie schauen vom Fell her
beide nicht gut aus,
wie nass vom Regen,
oder sie haben
was Schlechtes gefressen.
Hocken da, rennen nicht weg.
Hab noch nie eine totgeschlagen,
aber
dieses Mal,
die schaut krank aus,
fürchte, die wird nicht entkommen.
Nehm einen Stock,
erwisch die eine,
jag die andere,
aber
die kanns noch,
kann immer ausweichen.
Ich schlag mich ganz wach,
aber sie krieg ich nicht.
0 Uhr,
Feuerwerk prasselt von weitem
wie kochende Suppe,
Abschiedsfeier
der Ratte.
[In einem Kreis aus weißen Blüten in grauer Asche auf der Straße steht eine kleine Metalltonne. Darin werden Zettel verbrannt. Eine Menschenmenge sitzt auf der Straße und skandiert.]
Nieder mit der Militärdiktatur!
Protest! Protest!
Streik! Streik!
Revolution!
Die Revolution wird siegen!
Gerechtigkeit und Freiheit müssen gewinnen,
in unserem Land, in unserer Nation.
Wir sehen, wie sie unsere Nationalhymne auf die Guillotine zerren.
Ihre Ansage, die Zeit der Sandalen sei zu Ende,
kommt in die Öffentlichkeit
wie ein gebrauchtes Kondom aus einem Bordell.
Wütend wie das Feuer der Hölle,
schreit der Oger Alawaka Drohungen
und zeigt seine schrecklichen Krallen!
Aber er wird auf seiner Brust liegen,
zu Füßen von Dharma und Sila.
Das ist der Weg der Wahrheit.
Weil sie ihre Würde als Menschen
nicht gegen eine Mundvoll Reis eintauschen,
haben sie Widerstand geleistet, haben ausgehalten,
sind zusammengefallen und umgefallen.
Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen!
Die neue Nationalhymne kommt als Death-Metal-Version heraus. Kondomfirmen nehmen keine Kundenanrufe mehr entgegen.
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Wenn die Bastarde verlieren und um Gnade flehen,
indem sie unsere Eier umfassen,
werden wir ihnen ins Gesicht pissen.
Wir schlagen nicht auf Töpfe und Pfannen,
weil es lustig ist.
Wir haben keine Waffen.
Wir haben höchstens Töpfe und Pfannen.
Wir haben keine Macht.
Wir haben nur Töpfe und Pfannen.
Haut auf die Töpfe! Schlagt die Pfannen!
Haut drauf! Haut drauf! Das ist unsere Revolution!
Haut drauf! Haut drauf! Das ist der Weg zu unserem Ziel!
Haut drauf! Haut drauf!
Haut drauf! Haut drauf!
Eines Tages werde ich Sternen-Bumen streuen, auf das Grab meiner kleinen Schwester.
Diesen Sommer können wir die Hunde nicht wieder tollwütig werden lassen.
Diesen Sommer wird jede Blume knospen und wundervoll aufgehen.
Diesen Sommer werden die Fahnen des Volkes im Wind flattern und triumphieren.
In meiner Jugend gab es nur einen Min Ko Naing.
Jetzt ist jeder junge Mensch Min Ko Naing.
Schützt alle Min Ko Naings!
Schart euch um alle Min Ko Naings!
Jedesmal, wenn ein schlechter Samen auf einer Bühne aufgeht,
versinkt die ganze Welt im Chaos.
Sie wird krank, ihr Körper brennt vor Hass.
Ich bin krank und nehme eine zehn Jahre alte bittere Medizin.
Aber ich bleibe krank. Im Leben in dieser Welt werden wir alle krank.
Wir können uns nur selbst kurieren, haben keine Zeit, angefressen zu sein. Wenn wir am Esstisch Platz nehmen, schwärmen die Heuschrecken wieder herein.
Wie kannst du arbeiten gehen, wenn alle protestieren?
Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?
Wirst du ok sein, wenn sie auf deine Familie spucken?
Kannst du glücklich sein, wenn deine Kinder die Stiefel von Min Aung Hlaing lecken, während seine eigenen Kinder stinken vor Geld?
Kannst du sagen, “gut gemacht”, wenn deine Enkel kaum überleben, während Min Aung Hlaings Enkelin im Ausland studiert?
Kannst du in Frieden zur Arbeit gehen, wenn dich die Unterdrücker mit ihren Gewehren wie eine Kuh behandeln?
Kannst du froh ins Büro gehen?
Kannst du froh ins Büro gehen?
Jeden Morgen, wenn Papa und Mama zur Arbeit gehen,
schämen wir uns, meine Schwester und ich.
Wir möchten nicht für unsere Zukunft fürchten.
Papa, bleib daheim. Mama, geh nicht ins Büro.
Bleibt zuhause für unser Land und für uns.
Lasst uns euch danken, dass ihr uns aufgezogen habt, indem wir uns den Protesten anschließen.
Lasst uns den Garten unserer Zukunft bestellen.
Zu viele Blätter sind zu früh abgefallen!
Wir werden eure Barbarei im Namen der Wahrheit zerstreuen!
Die Blumen des Winters werden auf euch losgehen,
die Wasser des Monsuns werden euch ertränken.
Für eine gerechte Sache opfern wir unser Blut!
Wir lassen niemanden unseren Frühling wegnehmen, nicht einen Fingerbreit.
Ich war eingeladen zum UNESCO-Poesiefestival,
sollte online rezitieren, zur Feier des Welttags der Poesie.
Ich habe abgesagt.
Ich habe geschrieben,
Russland ist doch euer größer Sponsor, nicht wahr?
Meine Antwort auf eure Anfrage
entspricht den Gefühlen der Menschen in Myanmar.
Also scheint es so zu sein,
dass ich an der Revolution des Frühlings teilnehme,
nicht indem ich Gedichte lese,
sondern indem ich ablehne, zu lesen.
Seltsame Sache!
Mögen allen Arbeitsscheuen
ihre Verdienste vermehrt werden,
mögen ihre Gebete in Erfüllung gehen!
Mögen alle, die streiken,
reinen Herzens sein und von allen geliebt werden.
Mögen alle, die daheim bleiben,
von Geistern und Menschen gesegnet werden,
mögen alle, die diesen Boykott mittragen,
die Kraft finden, weiterzumachen!
Der Klang des Marsches unserer Herzen fließt bis in unsere Fingerspitzen!
Der Golf-Taifun ist weder hineingekommen noch weggegangen.
Ihr sollt wissen, wir sind Geister.
Wir sind schon gestorben.
Wenn wir heute wieder sterben,
werden wir euch für immer heimsuchen.
Wir sind Geister, wir sind schon tot!
Heute suche ich den ganzen Tag im Fernseher
und bekomme keine Sender herein.
Wegen der Störgeräusche
klopfen die Nachbarn an meine Tür.
Bratet das Schwein in seinem eigenen Fett!
Bratet die Tür darin!
Der Schweinekerl, den du gesehen hast,
versteckt sich vor der Guillotine!
Du magst davon gehört haben oder nicht,
aber das ist keine akzeptable Entschuldigung.
Weil wir nicht zurück können in die Vergangenheit,
haben die Kinder, die wir nicht bekommen haben,
Waffen ergriffen zu einer Zeit, in der wir nicht leben.
Sie sind gegen Befehle von oben aufgestanden.
Sie haben ihren Sklavengeist
in einen Salzsack gesteckt
und im Fluss ausgelassen.
Gedankenfetzen von Millionen
vereinen sich in einem zitternden
und doch festen Faden.
Ich bin Ma Seint Htet, der vom Berg herunterfällt.
Ich bin U Ko Ni, der am Flughafen steht,
der vergebliche Besuch von Ibrahim Gambari.
Ein EPC-Elektriker hängt tot von einem Strommast.
Und ein Wanderarbeiter …
Die Räder der Hirne in den Bäumen
drehen sich zusammen
in den Ohren in den Schwertern
in den Wänden.
Die Knöchel eines alten Gewandes
werden terrorisiert
und jeden Tag heimgesucht,
übertrieben, als Strategie.
Die Erde auf meinem Gesicht
ist ein Haufen zerbrochener Knochen.
Fünfzig Jahre in einer Kassette aufbewahrt,
ohne Tonband.
Ein trauriges Lied,
das wir sofort nicht mehr singen dürfen.
Niemand wird uns wieder auseinanderbringen!
Wir sind ein einziger Blutkreislauf geworden!
Mach deine Maske zu deiner Fahne,
mach deinen Facebook-Eintrag
zu deinem Ultimatum!
Wo immer du bist,
dort mach deinen Protest!
Heute halten die Mütter ihre Kinder nicht zurück,
wenn sie hinausgehen und Gerechtigkeit verlangen.
Sie reißen ein Stück von ihrem Longyi ab
und binden es um den Arm jedes Kindes,
damit es geschützt sei vor Kugeln und Patronen
Auf den Straßen der Revolution.
Bewegen sich Heldinnen und Helden
in einem roten Schwall.
Wolken türmen sich auf
und darunter zerfällt der Morgen
in eine Revolution.
Das Heulen eines riesigen Tintenfisches,
der durch die Straße bricht,
hallt noch im Himmel über der Stadt.
Auch wenn ihr unsere Handgelenke durchschneidet,
wie ihr nur wollt,
unsere Fäuste werden nicht aufgeben.
(12 Männer zusammen skandieren) :
Der dämonische Enkel, frisch vom Mönchstum, zischt:
Ein Riss im herausgebackenen Teig, ein Sohn, der das Land zerstört!
Der dämonische Enkel, frisch vom Mönchstum, zischt:
Ein Riss im herausgebackenen Teig, ein Sohn, der das Land zerstört!
Zum Gedenken an den Dichter K Za Win, der gegen den Militärputsch protestierte und am 3. März in Monywa in einer friedlichen Demonstration von Soldaten getötet wurde. Möge er in Frieden ruhen. Dichterinnen und Dichter werden überall in Myanmar verhaftet.
Es folgen die Namen von 32 Dichtern und Dichterinnen in der Reihenfolge ihres Auftretens in dem Video.
고양이가 고양이라면, 일상 말하는 고양이가 아니고
울림이 울림이라면, 일상 말하는 울림이 아니다
울림이 없으면, 지하의 시작이고
울림이 있다면, 모든 쥐들의 어미이다
그러므로 항상 독이 없어, 그 신묘한 모습을 관찰하고
항상 독이 있어, 그 포악함을 관찰한다
이 둘은, 똑같으나 이름이 달라
이를 위험이라 한다
위험하고 더 위험함이, 뭇 쥐들의 문이다
음식이 변변치 못하여, 미식은 먹지 않는다
착한 쥐는 변하지 않고, 변한 쥐는 착하지 않다
먹는 자는 박하지 않고, 박한 자는 먹지 않는다
나머지 쥐는 쌓이지 않고, 쥐로 되었으니 더 많이 챙기고
기왕에 쥐로 되었으니 더욱 가까워진다
하늘의 고양이는, 해로우나 이롭고
남은 쥐의 고양이는, 애는 쓰지만 다투지는 않는다
2020년12월31일 목요일
Die Mayflower hat keine
Freiheit des Glaubens gebracht.
Plündern und Totschießen
und der Erfolg war eine Nation.
Ich feiere in diesem Land
in diesem blühendsten
von Grund auf gottlosen
New York
die zehnte Christnacht.
Rockefeller Square,
unter dem weltgrößten Christbaum,
unzählige rote Weihnachtsmützen
treiben und schweben
wie wandelnde Seelen.
Übersetzt von Martin Winter im Oktober 2020
Hong Junzhi, geb. in den 1960er Jahren. Dichter und Übersetzer aus dem Chinesischen ins Koreanische, Verleger, Redakteur in New York. 《新诗典》小档案:洪君植,60后,汉韩双语诗人、翻译家、出版人,居纽约。有著作50余部,现美国《HPW国际诗坛》杂志主编,纽约新世纪出版社社长。
Shen Haobo AMERICA RUSHES INTO THE STREETS (Second version)
America holds down America America oppresses America America pleads with America America ignores America America kills America
America suffocates America cries for America America rushes into the streets America fights against America America burns America
America’s rocket shoots into the sky America’s blacks rush into the streets Remember that time? We are all people People massacre people
People fight and resist people People pursue freedom People thirst for equality The battle is not up in the sky Always has been down in the streets
June 1st, 2020 Translated by Martin Winter, June 2020
Picture by Wang @oa___aob
美国冲上街头 (修改)
美国摁住美国 美国压迫美国 美国哀求美国 美国漠视美国 美国杀死美国
美国窒息而死 美国哭喊美国 美国冲上街头 美国反抗美国 美国焚烧美国
美国火箭上天 美国黑人上街 记住这个时刻 我们都是人类 人类屠杀人类
人类反抗人类 人类追求自由 人类渴望平等 战场不在天上 从来都在街头
2020.6.1
Shen Haobo AMERICA RUSHES INTO THE STREETS
America holds down America America oppresses America America pleads with America America despises America America kills America
America can’t breathe and dies America cries for America America rushes into the streets America protests America America burns America
America’s rockets shoot into the sky America’s blacks take to the streets Remember that time We are all humans Humans govern humans Humans slaughter humans Humans resist humans
Humans have dreams Dreams soar up to the universe Humans crave dignity The greatest dignity Called freedom & equality The battle is not up in the sky Always has been down in the streets
June 1st 2020 Translated by Martin Winter, 6/2/2020
In der Virus-Krise empfehlen Psychologen den Stadtbewohnern folgende Bücher:
„Mut zur Trennung“ – „Necessary Losses“ (Auch wenn die ganze Familie tot ist, dieses Buch sagt Ihnen, ohne Begräbnis gibt es keine Zukunft.)
„Zum Himmel aufsteigen“ – Ein Harvard-Psychologe. (Die Verstorbenen können nicht sagen, wie es sich anfühlt, wenn man schnell weg muss. Aber dieses Buch lässt Sie verstehen, die meisten Probleme sind psychische Probleme, und der Himmel liegt immer im Herzen.)
„Einwandfrei“ – A Complaint Free World. (Das Unglück schlägt zu, Sie verlieren Ihre Lieben. Hauptsache, Sie akzeptieren es heiter. Dieses Buch erinnert Sie, Klagen ist nutzlos und verbraucht unnötig viel Energie.)
„Gewaltfreie Kommunikation“ (Der Titel sagt alles. Sei ein braver und sanfter Untertan!)
Gott ist groß. Größer als alles. Größer als wir. Als unser Jahrhundert. Größer als unser Leben. Größer als alles Leben. Größer als aller Streit. Als alle Welten. Alle Steine. Größer als alles in und um uns und alles andere. Gott gibt uns Raum. Gott ist der Flügelschlag. Gott ist wo wir versagen. Wo du nicht hinkommst. Gott ist im Herzen. Gott ist was wir haben. Was wir uns gönnen. Was wir tun. Was wir schreiben, was nicht. Gott ist das Gericht des Tages. Des Lichts. Der Nacht.
Gott, lass uns offen sein. Amen.
Hauptsache der Himmel ist offen.
Hauptsache du kannst hinausgehen
und den Himmel offen sehen.
Hauptsache du kannst hineingehen
und überleben
und dann hinausgehen
und den Himmel offen sehen.
Hauptsache der Himmel ist offen
und gleichzeitig etwas auf Erden.
We are living in violent times.
I don’t, I am from Austria,
cops are mostly peaceful,
they can kill a child,
and the media still supports them,
happened a few years ago.
And 70 people died in a lorry.
But all in all, we are very peaceful,
we here in Austria.
A few people are very rich,
most people aren’t.
But social services work,
although not all work how they did
just a few years ago.
And we are not taken over by Putin, Erdogan, Trump etc.,
although they try.
We let them take other people,
as long as it’s elsewhere.
There is a video
of our vice-chancellor,
came out in May.
He said on hidden camera,
they wanted Austria to be like Hungary.
No free press, almost none.
And there are records
of casino people
in cahoots with the government,
making laws.
Nothing special, I guess.
All in all, Austria is peaceful.
Carpe diem, what not.
Ich bin 15, im Sommer,
steh allein vor dem Fabrikstor,
starr vor mich hin.
Hinter mir plärrt ein Lautsprecher.
Ich steh weiter da.
Ein Kerl mit lauter Muskeln
geht auf mich zu,
schimpft laut,
fragt ob ich lebensmüde sei.
Ich wach auf wie aus einem Traum
und starr ihn an.
Er dreht sich um, geht zu seinem Lastwagen,
nimmt eine Eisenstange heraus.
Er und ich
starren einander an
eine ganze Weile
dann erst geh ich auf die Seite
und bleib leben bis heute.
Im Unterricht,
ein elfjähriges Kind,
groß und stark,
einen halben Kopf größer als ich.
Nachdem ich ihn kritisiert hab
kommt er mit einem Stock auf mich zu.
Ich sag: Du bist ein gutes Kind,
bitte setz Dich an Deinen Platz.
Ich weiß,
wenn er mich mit dem Stecken erschlägt
ist er vor dem Gesetz nicht verantwortlich.
Auch nach so vielen Jahren
bis heute
jedesmal wenn jemand fragt
wieviele Kinder sie habe
zählt sie das zweite
das dritte
und das vierte
die sie abtreiben musste
dazu.
mein erstes kind
war mit meinem mann vor der heirat
keine wahl konnte nur abtreiben
wusste nicht wie um urlaub ansuchen
ging am nächsten tag ins büro
nach meinem sohn
war noch drei mal
habs nicht gewagt
es wär auch nicht gegangen
bin brav ins krankenhaus hab abgetrieben
einmal daheim pillen genommen
mir war so übel bin fast gestorben
jedesmal mit meinem mann
gestritten einen monat sogar ein halbes jahr
deshalb hat unser eheleben
schon lange aufgehört
jetzt leben wir nebeneinander
einigermassen
freundschaftlich
wie tief die staatliche politik
in einem haushalt in china
ins eheleben eindringt
ich glaub ich hab das recht
auch etwas zu sagen
The Peruvian poetess Momo
adds me on Wechat
and has a chat with me.
She asks what I do for a living.
I say I’m a policeman.
She fires off three urgent questions:
Have you taken part in forced evictions?
Have you violated human rights?
Why do you want to be a policeman?
I am a little taken aback
but then I answer truthfully:
I have never evicted anyone
etc. etc.
She professes
extreme disbelief
and says as if to herself:
Sorry,
I cannot
have this contact with a policeman.
So I’m on her blacklist.Oct. 11, 2018
Final draft Nov. 28, 2018
Translated by MW on Nov. 30, 2018
Liu Tianyu
HIMMELSFRAGEN
die peruanische dichterin momo
hat mich auf weChat hinzugefügt
und sich mit mir unterhalten
sie fragt mich nach meinem beruf
ich sag polizist
sie feuert drei dringliche anfragen los:
nimmst du an zwangsräumungen teil?
hast du schon menschenrechte gebrochen?
warum willst du polizist sein?
ich bin ein bisschen baff
antworte aber ehrlich:
ich habe noch nie zwangsgeräumt
etc. … …
sie bezeugt ein
extremes misstrauen
sagt wie im selbstgespräch:
sorry
ich kann nicht
mit einem polizisten verkehren
dann setzt sie mich
auf ihre schwarze liste
Ein Bub in der ersten Klasse
hat mich immer sekkiert.
Ich habs nicht mehr ausgehalten
und ihm eine geschmiert.
Ich hab gewusst,
er geht nicht zur Frau Lehrerin.
Seine Noten sind schlechter als meine,
die Frau Lehrerin glaubt ihm nicht.
Dianqiu Gujiu, 1959 in Miluo, Provinz Hunan, geboren. Eisenbahnpolizist in der Provinz Guangdong (Kanton). Publiziert seit 1985. Gehört zur Richtung der Abfalldichter (Laji shipai).
am feiertag denk ich an meine mutter
einmal bei einem streit
heb ich einen hocker
du vieh! schreit die nachbarin-tante
schlägst sogar deine mutter
ich hab den hocker trotzdem geworfen
nur absichtlich bisschen daneben
ich bin sonne
bin licht
ein gesicht
im fenster
im zug
ich bin
tür
tor
türen
fenster
dichter
oder auch
kein großes licht
im tunnel
im zug
nicht am zug
ich hab zeit
ich bin noch ganz ganz viele
sachen da draußen
MW Oktober 2017
JETZT
jetzt noch im fluss schwimmen wär herrlich
in einem dorf in frankreich
die haben dort sogar einen strand
und einen wasserfall
den wasserfall kann man hinaufklettern
direkt im wasser, ich habs gesehen
ich habs nicht geschafft
aber ich bin hinuntergerutscht
mein sohn hinter mir auch
er hat sich ein bisschen weh getan
war mir dann böse
aber wir sind wieder geschwommen
jetzt bin ich in frankfurt
auf der buchmesse
hab alles vergessen
solang die sonne da war
die veranstaltungen
meine bücher
leute treffen ist auch nicht schlecht
eine zeitlang alles vergessen
im wasser
in der sonne
die wahl in österreich
kommt früh genug
rilke
atmete
pausenlos
sagte jandl
sommer atmete pausenlos
sagte winter
ich habe einen schöneren namen
schönerer das war doch ein nazi
adorno hat recht gehabt
das waren jetzt schon ganz viele
ganz tolle namen
und nur ein einziger hat gebissen
vielleicht
ein guter schnitt?
MW Oktober 2017
500
ob martin luther
gelebt hat
oder gestorben ist
oder beides
ist nicht besonders wichtig
für mich persönlich
martin luther king
war sehr sehr wichtig
und der vor 500 jahren
hat eine sehr wichtige bibel geschrieben
die immer noch gut klingt
und er war wichtig für widerstand
obwohl dann gegen bauern
und in der hinsicht ist er mir
eh auch nicht wurscht.
MW Oktober 2017
BEIDES
poesie
hat alles & nichts
mit politik zu tun
wie wir alle
gleichzeitig
Gao Xingjian
hat das immer gesagt
alle sagen das
wenn du aufpasst
is it important who conquered whom?
is it important who ruled the world?
many times i guess it was important
many times i know it was the world.
is it important who took the money?
is it important who took the slaves?
many times i know i don’t have the money,
many times i know there’s not much left.
is it important if it’s right or left?
if it’s right, it is right.
if it’s left, i guess
sometimes you can take it.
if it’s fresh, if it keeps,
if you’re hungry.
so what about his or her story?
is it important?
you’ ll see.
the great chairman
was the con of the century
trump
is the con of the moment
that’s why putin likes him so much
the current chairman
is the current chairman
MW September 2017
KONZERT
am besten lass ich mich überraschen
am besten weiß ich nicht genau was gespielt wird
am besten hör ich einfach zu
ich bin frei
MW September 2017
WOZU
wozu ist die baustelle da
hab endlich wieder
einen hasen gesehen
MW September 2017
KLOPAPIER
unser klopapier
riecht nach vanille
es hat ungefähr dieselbe farbe
wie unsere balkone im haus
nur unsere balkone spielen ins grüne
MW September 2017
HAIZI
haizi hat sich umgebracht
die große hoffnung der lyrikszene
vielleicht gar nicht so groß
aber haizi bedeutet auch kinder
viele junge leute
wurden im selben jahr
auf einmal umgebracht
ich hab in der zeitschrift Jintian
jintian, today
im exil wieder gegründet
zum ersten mal von haizi gelesen
ein schwarzer rand war um seinen namen
ein schwarzer kasten
viele leute sind damals gestorben
er hatte überhaupt nichts zu tun
mit den demonstrationen
er hat sich vorher umgebracht
und vorher noch hoffnungsvolle
gedichte geschrieben
überhaupt nicht politisch
aber die ganze kombination
sein name, die kinder
die sinnlosigkeit
die hat ihn sehr berühmt gemacht
MW August 2017
FERTIG
meine gedichte
sind fertig.
es sind vollkommen fertige
gedichte.
ich will nichts anderes
damit sagen.
the leader and a few people
from the birth control team
search out my mother
hiding in the cotton. she is nine months pregnant,
they pin her down on the ground,
she thrashes and wails till she has no voice,
her hands clutching stalks she has pulled.
My little brother is like a green cotton boll,
plucked from her womb.
I am 5 years old when I see this.
It remains stronger than any lesson
I am ever taught
on this world.
3/8/17
Translated by MW, October 2017
Xi Wa LEKTION AUS DER KINDHEIT
ein paar von der familienplanungskommission
samt ihrer leitperson finden meine mutter
im baumwollfeld, sie ist im 9. monat.
sie wird auf dem boden fixiert
sie wehrt sich schreit bis sie keine stimme hat
in der hand hält sie ausgerissene stengel
mein kleiner bruder ist eine grüne baumwollknospe
herausgepflückt aus der gebärmutter
ich bin fünf und seh diese szene
das ist die lektion die stärker ist
als alles was ich
noch lerne im leben
LIU XIA. Eine Fotografin aus China. Vernissage am 10.Februar 2015. Ausstellungsdauer: 21.Februar – 19.April 2015 m Martin Gropius Bau Berlin. LIAO YIWU
KLAGE UM LIU XIAOBO
Von Liao Yiwu
Er ist tot, was kann das ändern.
Hell scheint die Sonne, Schnee auf den Alpen
glitzert wie Fischschuppen. Seine Asche im glitzernden Meer,
Fischschuppen. Unsere Erinnerung an ihn
schwimmt weg wie Fischschuppen?
Was wird das ändern, er ist tot.
Ein zerrissenes Buch.
Seine Frau, ein verletzes Lesezeichen
rutscht aufs Bettpolster. Sie schaut ihn an,
möcht sich hinwerfen, schrein: „Du darfst nicht sterben! Mein Lieber, stirb nicht, oh Gott!”
Aber sie darf nur schweigend zuschauen,
ein rausgefallenes Lesezeichen,
schaut wie sein Buch zerrissen wird, Seite für Seite.
Die ganze Welt sieht, wie er umgebracht wird.
Weißkittel geistern rund um ihn im Käfig.
Ein Büchermensch, wollt um den Tod nicht China verlassen.
Politischer Häftling, vier mal im Gefängnis,
sagt nun er will im Westen sterben. Hört es irgendwer?
Bist du taub, hast du doch einen Mund.
Bist du stumm, du schaust doch noch zu!
Bist du blind – können Blinde sich aufregen?
Über eine Milliarde Blinde, werden sie sich aufregen?
Was kann das ändern, er ist tot.
Ich wart noch auf die Nachricht, dass sein Flieger abhebt.
Vögel schreien im Wind, in der Nacht.
Blüten fallen, Gras wächst. Frau und Tochter im süßen Schlaf.
Ich geh als Geist auf und ab in der Nacht. Er kommt näher,
fegt als Komet am Horizont. Flug in den Himmel, von 1989?
Lässt die Hand seiner Frau los,
sagt ihr noch, sie soll leben, so gut sie nur kann.
Das war vor vielen Jahren am Tian’anmen.
Panzer dröhnen. Schüsse, Schüsse.
Kinder fallen in Reihen, im Reigen. Seelen steigen,
sagen ihm Lebewohl. Sagen ihm, er soll leben,
so gut er nur kann für die Geister des Massakers.
Was wird das ändern, er ist tot.
Angenagelt von der KP, ewig wie Jesus;
steht auf in Folter und Tod.
Ich wart noch, dass sein Flieger abhebt,
dass er seine letzten Zeilen an seine Liebe zu Ende schreibt,
seine Frau in die Ferne begleitet, in der Fremde begraben wird.
Dass wir oft hingehen können, um nach ihm zu sehen;
wenn die Nacht niedersinkt, die Vergangenheit fließt durch die Zweige.
Aber alles ist uns zersprungen. Er hat keine Freiheit,
im Leben nicht und nicht im Sterben. Seine Asche, seine Liebe.
Die ganze Welt schaut zu, wie ein aufrechter Mensch,
ein besonderes Buch, wie es langsam zerrissen wird.
Niemand kann sie aufhalten, die ignorante Gewalt.
Aber jeder möchte sie aufhalten!
Was kann das ändern, lieber Gott.
Er ist tot.
three dreams in one night
one after the other
three blossoms opened
on the same topic:
violence
I dream of two female journalists
from Chinese Business View
they used to interview me all the time
but then I beat up a male reporter
because he stuffed sweet crumbs into my mouth
when I didn’t want it
I dream of a real
Japanese devil
seems very friendly
but there’s no need for mobilization
I want him dead
though those war films haven’t fooled me
I know killing him won’t be easy
I am preparing a saw
I dream of my roommates
at college
we move into a new place together
it’s an apartment with bathroom
I am taking a pee
someone kicks me from behind
I turn around and kick him
to the ground
almost killing him
i have done every major German poet from behind
their puppies squished by the garage door
on their northern flanks in the middle of winter
held open by Keats.
the garage door, not the puppies,
somewhere in New Zealand. the forbidding garage doors
with their North German puppies
shepherded by Coleridge
on the southern island
right after Dunedin
the electric piano.
i sing the puppies electric
held open by Coleridge
on the fourth staircase
in Vienna’ s tenth district
at the new railway station
gentrified by the new park
for the dead former mayor
multiplying like rabbits
chased by North German shepherds
through the construction sites.
who’s doing whom?
ah! poetry.
“listen: there is a hell
of a good universe next door.
let’s go.”
of the Cultural Revolution,
I braved it out among the people.
Such a low starting point
that my life afterwards
has become very easy.
As long as I haven’t killed
in the violent clashes;
as long as I haven’t gone
beating, smashing and looting;
I haven’t done evil
with the worst of the rebels;
as long as my soul
has not become
a hairy lump of crap;
I can say I’ve made it!
My life has been a roaring success.
I am rich and happy
and well satisfied.
May 19, 2017
Tr. Mw, 5/19/17
Yi Sha 51. GEBURTSTAG
heute vor 51 jahren
am dritten tag nach dem ausbruch
der kulturrevolution
kam ich unter die menschen
ein sehr niedriges ausgangsniveau
hat mein künftiges leben
sehr sehr einfach gemacht
solange ich niemanden umbringe,
nicht knüppele, schlage und plündere,
solang ich nicht mit den rebellen
mein unwesen treibe
solang meine seele
kein klumpen scheiße wird
mit langen borsten
solang ist mein leben
ein großer erfolg
ich bin reich und glücklich
und vollauf zufrieden
everyone wants deliberation
what do workers want
more money
more rights
less accidents
less insecurity
less misery
less discrimination
what do employers
and state agents want
nothing
in comparison
they have everything
only in certain cases
certain uncertain cases
they are very certain
everyone needs deliberation
rather than killing and maiming
each other
china has talked about democracy
very much
at least since 1919
austria too
so let us deliberate
how to give workers
in certain uncertain cases
maybe just a little bit
of deliberation
MW May 2017
From a small conference on Monday, May 15. Law studies and Petition Office representants from China. Vienna University law faculty and East Asian studies professors. Well-meaning reports on labor conflicts and “deliberative democracy”. Meanwhile we’ll have another big election in Austria in October. Last year was just the figurehead president. Could have been a Neo-German alt-right figurehead. It was close. Would have been ok with the foreign minister. Also with the governors of Burgenland and Lower Austria, the provinces around Vienna. They are working with the xenophobe extreme right Freedom party. Or looking forward to that. No, we don’t rally around the republic against neo-fascist and anti-European forces like they do in France. Although we finally tried last year and succeeded. And our president now is a Green independent. Yeah, that’s where my poems come from. China and Asia, Austria and Europe. Taiwan. Czech Republic. And so on. Like The Sun Also Crashes. That was in Vermont, right before the last US mid-term elections.
Kleine Füße
und die kunstvoll
bestickten Schuhe
welche die Frauen
selbst herstellten
galten als
Schmuck und Stolz
der chinesischen Frau.
Bei den chinesischen Frauen
zeigte das wiederholte Verbot
des Füßebindens
durch den manschurischen Kaiser
keinerlei Erfolg.
Gebundene Füße
wurden somit
in Zeiten der Fremdherrschaft
zu einem nationalen Zeichen
des Chinesentums.
Als reine
Frauentradition
brach die Mutter ihrer Tochter
ab dem Alter von etwa fünf Jahren
erstmals die Füße.
Genauso wie
die Herstellung von Textilien
galt es als wichtige Fertigkeit
die Mütter ihren Töchtern
in den sogenannten Inneren Gemächern
vermittelten.
Museumsführer 2013, Übersee-Museum Bremen.
Auswahl und geringe Modifikation eines Verbs:
MW Oktober 2016
In 1950
on the eve of the liberation of Hainan Island
grandpa was still in Wenchang
as a fisherman.
One time
he was out on the sea,
three days and two nights,
without any catch;
hanging his head, going back.
Suddenly
he hauled up
a sea creature just like a human.
Black everywhere all over the body,
darker than Africans,
eyes full of tears.
Grandpa
loosened the net,
let him go.
Coming home,
he told the village what happened;
everyone thought it was a bad omen.
On the same day they beat drums and gongs,
called a meeting,
banishing
grandpa.
He went back to Qiongshan, working the soil.
When I was small,
he told me this story;
he said on this world,
there were not only mer-cows and sea hogs,
there were also mer-people;
everything that lived on the land,
the sea had it all.
In 1966
grandpa was dragged up on the stage;
head smashed, a dozen shovels;
sank into the mud,
could never be found.
15 years ago
I was on the boat
leaving the island.
Stood at the railing,
stared into endless surge all around;
thinking of grandpa,
there was this idea
spinning round in my head.
Under the sea,
do they have also
a tribe of people,
living in fear?
and death shall have every single dominion
every single sovereign of the realm
every hour st. george slays the dragon and it lets out a frightful wail
every morning there is the harbor there are the ships from ancient times
and when the walls came tumbling down joshua’ s men killed every man woman or child they could find
there are the fields by the cathedral there are the stones in the old ships
every flower every fruit every child is more important
and you can have every single dominion
every single sovereign of the realm
In my dream
they hung me up,
dipped a whip in cold water
to beat me,
so I should confess.
Their question
was tricky:
“Why do you write poems?”
I told the truth:
“I don’t know.”
The leather lashed as heavy rain,
thicker, harder.
Really couldn’t stand it,
so I roared, “Pain! …”
A miracle happened,
the rain stopped.
in der nacht
geh ich raus aufs klo
sehe
die schaukel
an der weinranke
schwingt noch
mondlicht
sitzt
und freut sich
2015
Übersetzt von MW im Januar 2016
馬非 《小时候》
夜半
出门小便
看见
挂在葡萄架
的那具秋千
还在晃荡
月光
优哉游哉
坐在上面
2015
Ma Fei IN DOUBT
Some people say this country
resembles a public toilet.
Some go further and say
it is a latrine.
I am not of the same opinion.
Whenever I enter such a latrine
I feel I am going to
spit out all my entrails.
In real life
I don’t feel this
all the time.
2015
Tr. MW, 2016
Ma Fei ZWEIFEL
manche sagen dieses land
gleiche einem pissoir
andere meinen sogar
es sei eine latrine
ich hege nicht dieselbe meinung
auf einer latrine
hab ich immer das gefühl
ich spucke alle innereien heraus
sonst im leben
ist das
nicht immer so
Dog poems,
even if they are good ones,
I’m not going to write them,
after my wife said,
“once our son
has left for college,
we’ll get a dog too.”
2016
ENTSCHEIDUNG
hundegedichte
auch wenn sie gut sind
werd ich nicht schreiben
nachdem meine frau gesagt hat
“wenn unser sohn
weit weg auf der uni ist
dann nehmen wir
uns auch einen hund”
my feeling against The People
comes from my childhood,
from the movies I saw.
those guys on the screen
they always killed
in the name of the people
one time they shot
the father of a girl I was fond of
the girl was so desperate
she saw no way out
drowned herself in the river
2016
DAS VOLK
meine abneigung gegen das volk
kommt aus den filmen
aus meiner kindheit
auf der leinwand
haben sie immer
im namen des volkes
leute getötet
einmal
wurde einer erschossen
der war der vater
eines mädchens
das ich gern hatte.
sie war untröstlich
sah keinen ausweg
und ging ins wasser
Concerning the end of a tv drama,
I had an argument with my wife,
it got rather intense.
The revolutionary cadre,
about to take leave from this world,
trembling while reading his file,
secretly printed out by his son,
saying: “You all take a look,
my whole life is blameless
not one little blemish!
I am happy, I am content.”
Then he dies with a smile.
And I ruined it and said:
“He should have been in agony!”
obwohl man sagt
leben ist endloses ertragen
manchmal kann man es nicht mehr halten
würd ich nicht schreiben
für umleitung sorgen
müsst ich explodieren
obwohl ich durchs schreiben
erst richtig erfahre
leben ist endloses ertragen
This summer in Xiaozhai in Xi’an,
on a pedestrian bridge.
A friend from college,
my former girlfriend,
she took my picture but didn’t know it.
Only later she went through her mobile.
She sent it to me, then I realized,
we had been there at the same time,
but missed each other.
She took a photograph of a beggar,
I was in there by accident.
You can see on the photo,
I passed the beggar,
gave him no money.
2015
Tr. MW, 2016
Ma Fei VERPASST
im grad erst vergangenen sommer
xiaozhai in xi’an, eine fussgängerbrücke
dort hat mich meine frühere freundin
und studienkollegin fotografiert
sie hat es zuerst nicht gewusst
später in ihrem handy hat sie mich entdeckt
mir das foto geschickt dann habs ich erst gewusst
wir waren gleichzeitig am selben ort
und haben uns ausgerechnet verpasst
sie hat einen bettler fotografiert
mich dabei zufällig auch aufgenommen
auf dem foto sieht man
ich geh an dem bettler vorüber
und geb ihm kein geld
Tu Youyou received her Nobel
in Stockholm
Biology prize or Medicine prize
and thanked them
on China Central Television
they didn’t air her for long
but I started sweating
I was afraid
the speaker would blurt out:
“This is another victory
for the working masses’ wisdom
of the Chinese people.”
If it was a victory for Chinese medicine,
I guess
that would be ok.
an einem tag
unterwegs
im bus
beim abendlichen spaziergang
haben drei leute
wie ausgemacht
mich dasselbe gefragt:
“da ist etwas in der luft,
es stinkt, riechen sie das?”
ich sag jedesmal
“meine nase ist entzündet”
wie ausgemacht
haben alle drei nicht nur neid im gesicht
sondern antworten auch noch dasselbe:
“entzündete nase haben ist gut!”
tief in meinem traum
hat mich jemand leise erwähnt
ich spitz die ohren
hör nur einen satz
aber das ist genug:
“dieser kerl ma fei
ist ziemlich stolz.”
ich bin gleich erleichtert
und kicher sogar
das war gute nachrede
jedenfalls
für einen dichter
ich glaube nicht
dass der schornstein
der hinter der statue
des dichters Du Fu
in dem ort wo er lebte
fröhlich paffend
schwarze wolken ausstößt
böse absicht ist
im gegenteil
er meint es gut
es ist eine aktion
er will kontrastieren
kontrastieren und stärken
die sorge des dufu
um sein ganzes volk
dieser klassische ausdruck
das ist ihm gelungen
2016
Ma Fei ART PIECE
I don’t think
the smokestack
spouting
clouds of dark smoke
behind Du Fu’s statue
in the town where he lived
was put there with ill will.
On the contrary,
I think it is well-intentioned.
It is a performance,
they want to contrast and emphasize
Du Fu’s great sorrow
for the land and the people
that classic expresssion
it shows very well
der mond ist schneller als andere leute
der führer sagt
die leute in thailand sind ein bisschen langsam
ihr müsst euch dran gewöhnen
aber dann ist es dunkel
der mond kraxelt sehr schnell
in position
ich glaub er ist sehr fleißig
so viele chinesen
er bedient die touristen
passt sich wundervoll an.
people are slow here
says our guide
you have to get used to them
then it’s dark in a jump
and the moon climbs very fast
to her highest position
guess she is happy
to serve Chinese tour groups
so these few years
she runs faster and faster
January 2016
DER MOND MUSS PERFEKT SEIN
in singapur
erklärt uns die führerin
(ihr name heißt schwalbe)
die strengsten gesetze
klingt wie sie in thailand
buddha anbeten.
um mitternacht sind wir am hotel,
halten noch eine lesung,
gegenüber gleich an der straße.
man kann sogar rauchen,
hauptsache es landet nichts auf dem boden.
man darf bier bestellen,
nicht zuviel auf einmal.
wo ist der mond?
in singapur
hält sich der mond streng an die regeln,
sonst schlägt man ihn hinten.
er schwebt aus den wolken
schön wie sichs gehört.
In Singapore
we have a new guide.
Her name means “swallow”.
She explains about their laws.
Sounds a bit like Thailand
talks about Buddhism.
“You have to be careful,
you can’t just sit down anywhere.”
We get in very late
but we still call a reading.
Across the street from the hotel
you can sit outside,
you can even smoke.
Long as you don’t toss the butt.
When you order a beer,
one bottle per person may be too much.
Where is the moon?
In Singapore
she obeys the law to the letter,
otherwise they beat her behind.
She steps out of the clouds
in her most perfect poise.
January 2016
《詩會主義》
詩會主义好,
詩會主义好。
我们的新詩典人民地位高。
体制派被打倒,
作家协会夹着尾巴逃跑了。
2016.1.26
SOZIALISMUS LESUNGEN = GUT
lesungen sind gut, lesungen sind gut.
unsere neue lese
bringt euch frisches blut.
offiziell gibts uns nicht,
denn dafür fehlt euch der mut!
2016
POETRY READING IS GOOD
Poetry Reading’s good,
Poetry Reading’s good.
In our New Poetry Canon, people’s dignity is high.
System clique’s in the dregs,
state-sanctioned writers scurry with their tails between their legs!
god is for humans
god is for earthquakes
god is for bishops
god’s for the birds
god is for pawns
god is for efforts
god is for nothing
god’s beyond words
people are slow here
says our guide
you have to get used to them
then it’s dark in a jump
and the moon climbs very fast
to her highest position
guess she is happy
to serve Chinese tour groups
so these few years
she runs faster and faster
January 2016
SLEEPING PALACE
actually the palace is very still
tourists stream in and out
serious people stay in their pictures
the palace is sleeping
in history
Bangkok, January 2016
IN THE EMPORIUM OF PRECIOUS STONES
In the emporium of precious stones
there is a smoking room,
looks a bit like a prison.
Men who need separation
quietly gather,
with their heavy hearts
just for a short spell;
then go on buying things.
January 2016
TRANSVESTITES IN THAILAND
“Some are half-demon,
half-demon, half human.”
I am sure our guide is a man.
He is open-minded, just like his country.
“We in China this, China that …”
I wish his China was a real country.
MW January 2016
VACATION
Let us go diving into the deep.
Last year in August
someone in Tianjin
said one thousand people had died.
He was put in jail.
Let us go diving.
Elections this year in Taiwan,
first female president.
Let’s go now, let’s go.
These few days
someone gave an interview
voice of freedom or something.
Said the city he lived in
was not free,
autonomous region was not autonomous.
Let us go diving now.
He got fourteen years.
He wasn’t the first.
Let’s go now, go.
There’ll be other things
planned for the afternoon.
January 2016
SHE HAS TO BE PERFECT
In Singapore
we have a new guide.
Her name means “swallow”.
She explains about their laws.
Sounds a bit like Thailand
talks about Buddhism.
“You have to be careful,
you can’t just sit down anywhere.”
We get in very late
but we still call a reading.
Across the street from the hotel
you can sit outside,
you can even smoke.
Long as you don’t toss the butt.
When you order a beer,
one bottle per person may be too much.
Where is the moon?
In Singapore
she obeys the law to the letter,
otherwise they beat her behind.
She steps out of the clouds
in her most perfect poise.
January 2016
POETRY READING IS GOOD
Poetry Reading’s good,
Poetry Reading’s good.
In our New Poetry Canon, people’s dignity is high.
System clique’s in the dregs,
state-sanctioned writers scurry with their tails between their legs!
January 2016 (to the tune of Socialism Is Good)
MOSQUE & CASINO
Mosque and casino
both have Adam and Eve.
The casino in Singapore
at the Botanical Garden
greets you with Dali and with Botero.
Botero’s sculptures Adam and Eve
at the gate of the casino.
What would the artist think of this sight?
Art is a rather ambivalent thing.
Poetry makes you a better person?
The mosque in Malaysia’s government district
is a sight to behold.
I am folding my hands.
An old lady asks me if I am a Muslim.
I just bow and keep silent,
so she lets me go in
and helps me taking pictures.
She sees I don’t know how to pray
so she gives me a folder and tries to explain.
There’ll be prayer time in forty minutes.
Men at the bottom, women up there.
She hopes I can make it.
The folder says
Adam and Eve were also Muslims.
Adam was the first Prophet.
The Mosque has Quran editions in English.
I flip through a section.
Allah bestows many signs on mankind.
Sleep is also a sign,
along with creation
and languages and different colours.
We haven’t had enough sleep on this trip.
Soaring up with my eyes,
I think being a Muslim is good.
I know why it’s forbidden to make any idols.
Half an hour later we are drinking beer.
I am still a believer
in beauty in art.
Poetry and art are signs of Allah.
January 2016
HEROES’ MONUMENT OF MALAYSIA
Was it a glorious thing when they died?
Did they go to war
for peace and freedom?
In World War I
In World War II
In civil war
they hardly had any choice.
In 1966
Malaysia’s prime minister had them erected
a park of monuments.
They already had one from World War I.
With names from Europe, also from India.
Probably officers.
To make this park for all those who died,
all those who gave their lives in the wars.
In 1966.
I was born in that year.
Maybe this monument
was a good idea.
January 2016
COMING BACK FROM ABROAD, LADEN WITH TREASURE
Coming back from abroad, laden with treasure.
Thanks everybody!
Thanks to Rong Bin,
to Niu Yihe, to 3A.
Thank you, Li Zhenyu.
You said my diarrhoea
was as fast as my poetry.
Thank you, Benben.
You made me eat Durian.
Thank you, Jun Er.
You bought me beer.
Thank you, Xiang Lianzi,
you offered me coffee.
Let’s all thank Jiang Tao
helping us to get back on the bus.
Thank you, Gao Ge
you helped me smuggle pillows.
Thank you, An Qi,
you helped me buy a mattress.
Thank you, Ru Ye,
we slept in one bed,
you recited erotic poetry for me.
Thank you, Xing Hao.
You sang praise to my body hair.
Thanks everyone for beautiful poetry.
Let’s say thanks to our guides,
A Fu and A Ping, Ms. Yan, Ms. Chen –
and on our last day
Mr. Chen, who had studied in Canada.
They taught us how to speak,
how to say thank you.
Kap kun ka – your credit card is empty.
Dai ni ma kan xi – take your mom to a theatre.
Our guides taught us history
and facts about Chinese minorities.
The Chinese platoon #93
in the Golden Triangle.
The Singapore Church of The Law.
Their story of independence.
The state of Malaysia,
elections and tribes.
Thank you, Yi Sha!
We had so many readings.
We broke every record.
We come back from the south,
laden with treasure.
someone talking
someone listening
someone not listening
someone not hearing
someone listening somewhere else
someone pretending to listen
someone forgets everything
someone doesn’t follow
someone oblivious
someone asks later if someone was listening
someone going to beat up someone
9/2/15
Tr. MW, Jan. 2016
Qin Bazi SITZUNG
manche reden
manche hören zu
manche sind nicht beim zuhören
manche hören nicht
manche hören’s woanders
manche tun als ob sie zuhören
bei manchen geht es hinein und hinaus
manche kommen nicht mit
manche sind gar nicht mehr da
manche fragen hat jemand zugehört
manche wollen manche verprügeln
EINE KLEINE NACHTMUSIK – 伊沙 – DREI GEDICHTE VON 2002
Yi Sha 《傍晚的一個瞬间》 EINE SZENE AM ABEND
eine gruppe von teenagern
umringen und schlagen
eine schöne junge frau
mit fäusten und füßen
mit steinen
das war auf einer landstraße
im süden von frankreich
oder auf sizilien
das hab ich auf einmal im fernsehen gesehen
eine szene am abend
ich hab gewusst es war ein film
ich hatte noch etwas anderes zu tun
konnte nicht weiter schauen
ich fühlte mich ein bisschen schlecht
nicht nur ein bisschen schlecht
sondern selten schlecht
ich weiß schon
das hat mit der handlung konkret nichts zu tun
da kommt nur ein gefühl hoch
weil ich keinen bestimmten grund finden kann
häng ich in der luft
und find keinen halt
eine frau
mit einer stahlsäge
sägt meine nerven
sie weiß
meine nerven
halten gar keine säge aus
sie weiß
was am meisten weh tut
das ist der klang
wenn eine stahlsäge
nerven durchschneidet
ihr guten menschen
hört
eine kleine nachmusik
euch wird weit ums herz und leicht um den sinn
ein sehr schönes gefühl
die nerven sind schon durchgesägt
aber nachher
sieht man kein blut
euch guten menschen
tut es unerträglich weh
ich hab noch das herz
euch zu sagen
ich hab ein herz aus stahlbeton
dass ich nicht gerührt bin
das kommt von einem einfachen grund
einem ganz banalen
ich möchte leben
mitten unter den leuten
Yi Sha DIE GROSSE WILDGANSPAGODE BEHALT ICH, HIER IST EINE KLEINE PAGODE FÜR DICH
meine reisegefährten sind aufgestiegen
auf die wildganspagode
ich streck meine glieder
tief hinten im garten am alten tempel
hab ich mich so angenehm angelehnt
zitherklang aus der oper liang zhu
und die alte glocke an die ich gestoßen bin
lassen mich in den schlaf sinken
ein tausendjähriger mittagsschlummer
kurz und traumlos
schwarz vor den augen
beim aufwachen
sind meine wangen ganz feucht
mein gesicht ist noch immer
im weinen befangen
ich hab doch keinen grund
es muss etwas sein
etwas größeres
höheres
etwas kleineres
niedrigeres
das mich gebraucht hat
um sich auszuweinen
Hinter dem Bahnhof das Hotel Fuchs.
Fuchsgasse hat meine Oma gewohnt.
Die Wohnung war von einem Juden.
Ihr Mann war im Krieg.
Ist im Krieg geblieben.
Eine Wohnung mit Wasser draußen am Gang.
Meine Oma mit Kind.
Sie ist fast verhungert gleich nach dem Krieg.
Läuft nackt aus dem Haus und kommt nach Steinhof.
Steinhof war ein Ort des Schreckens in Wien.
Eine schöne Kirche von Otto Wagner.
Meine Oma hat viel gearbeitet.
Der Jude ist lange noch dort gestanden.
Mariahilferstraße.
Hat hingeschaut zu seiner Wohnung.
Noch mehrere Tage.
Meine Oma wars nicht hat sie gesagt.
Niemand in der Familie.
Niemand den sie gekannt hat.
Der Jude ist tagelang noch dortgestanden.
Meine Oma hat Maria geheißen.
MW 1. August 2015
KATASTROPHE
maia gibt leo eine schallende ohrfeige
ich gebe maia eine schallende ohrfeige
alle weinen
MW Juli/August 2015
DAS WICHTIGSTE
– für Daniel
das wichtigste war nicht das klo
das klo war wichtig und interessant
es ging um gerechtigkeit
ich hab das gedicht dann ganz übersetzt
wir haben es diskutiert
am lcb in berlin
ein workshop für übersetzer
das wichtigste war die gretchenfrage
wie hältst du es mit der religion
ich sing gerne mit
beim abendmahl bin ich gern dabei
aber ich bin nicht in der kirche
es hat sich so ergeben
ich glaube gern an die revolution
in china glaub ich nicht an die linke
an den widerstand ja
aber nicht an die linken
bevor sie nicht kacken
auf den vorsitzenden
wie hält es yi sha
mit der religion?
er glaubt an poesie
poesie macht dich zu einem besseren menschen
stimmt leider nicht immer
hab ich ihm gesagt
schau dir nur deinen papiertiger an
MW 2. August 2015
OSTERN
Christus starb 1944.
Christus starb 1943.
Christus starb 1942.
Christus starb 1941.
Leider auch früher
und später.
Christus starb im Holocaust.
Marc Chagall hat es gemalt.
I write
not compared to grown-ups
or kids
but compared to
my shadow
2014-12-15
Tr. MW, 1/7/15
《比》
我写诗
不和大人比
不和小孩比
只和自己的
影子
比
2014.12.15
You Ruoxin AT THE SUPERMARKET
supermarket, papa and I
I see something to wear
beautiful
I want to buy it
papa agrees
but from the rack
he takes out the hanger
to beat me
I’m standing stiff
then
I wake up
a group of teenagers
surrounding and beating
a beautiful girl
with fists and feet
with rocks
a country road
in southern france
maybe on sicily
just this one scene
seen on tv
it was in the evening
and I knew it was a movie
I had other things to do
so I could not go on watching
a little sick
all the way sick
abnormally sick
I know what I felt
had nothing to do with the content they showed
but something was kindled inside
I could not pinpoint a reason
I was left hanging
with no place to land
er ist ein vergewaltiger, war im gefängnis deswegen.
nachher hat er am straßenrand fahrräder repariert,
hat auf der straße scherben und reissnägel verstreut.
er hat einen schlanken vergewaltigerkörper,
ein typisch törichtes gesicht und ein
kaltes geschau, das auf die straße schießt.
ein blick der sagt: “Ich werde dich vergewaltigen.”
seine blicke sind blitzende reissnägel,
zerfetzen von weitem die reifen der mädchen.
mir kommt die ganze zeit vor er ist kein fahhradmechaniker,
oder ein reissnägelstreuer.
egal wie er fleißig ist, von seiner arbeit lebt,
für mich ist er ein vergewaltiger.
aber jetzt ist er alt, streut keine reissnägel.
ein bisschen ansprechende frauen fahren nur mit dem auto,
stopfen sich hupend in gänsedärme der kleinen gassen.
im schatten der bäume auf seinem alten segeltuchlehnstuhl –
er ist immer noch mager, aber vertrocknet.
er will nicht aufwachen als vergewaltiger.
als vergewaltiger seh ich ihn auch nicht mehr,
höchstens als einen in späten jahren. was mich beschäftigt:
gibt es bald keine fahrradmechaniker?
There were demonstrations in Vienna yesterday. I went during the day, but in the evening I was too tired. It was important in the evening, of course. They let far-right organizations march through the city, canvass at universities and so on, aggressively protected by police. Anti-fascist protesters have a hard stand. Police brutality is fatal sometimes. A young subway sprayer was beaten into a coma by Wiener Linien public transport security and police in early April, and has not woken up since then. In the evening of June 3rd, the East Asian Studies department at Vienna university held an open discussion. The most interesting thing was three young female students who had interviewed Fang Zheng 方政 via Skype. He was that athlete whose legs were severed by a tank when he helped a female student get out of the way in the morning of June 4th, 1989. He became a disabled athlete and set records. But they were always worried he would get too much publicity, so he was barred from some international events. He kept quiet during the Olympics in 2008, so that he would get his passport and could leave in 2009. Lives in San Francisco, chairs an exile organization there. That presentation was great. The North Korea specialist made some interesting remarks, and in the end a Chinese professor finally made a brief personal statement. Vienna University vice president Prof. Weigelin-Schwiedrzik asked the students present what they would have done, if they would have stayed on the square under the threat of martial law. It is a romantic question – the protests in 1989 are always romanticized, as if it had been one great student party. Students took the lead, but the most important thing about any nationwide protest is popular participation, workers and many common people, not elites. Same with Taiwan’s recent Sunflower Movement. Anyway, I raised my hand and said I could not know what I would have done. Several people said so. I said I was in Taiwan in 1989, they also had demonstrations, with different aims. The February 28th, 1947 massacre in Taiwan had not yet been acknowledged. What I should have said when I raised my hand was that everyone present should think about taking part in the anti-fascist protests the next day in Vienna, on June 4th, 2014.
Hung Hung
MARTIAL LAW ERA – AFTER HEARING THAT SUN YAT-SEN’S STATUE AT THNG TEK-CHIONG PARK IN TAINAN HAD BEEN TORN DOWN
all those bronze statues
are busy at night
patrolling the streets
lest people get drunk and say the wrong thing or kiss in the alleys
or play mahjong at home
statues will check at the newspaper press
is there a piece on the chief like last year?
is there a space for respect at the top?
has someone scribbled in the blank spot?
bronze statues are busy
they are scared of too many things
scared stamps could bear other portraits
scared streets and squares, schools, libraries
would all change their names
no more school kids saluting
no more chatting with sparrows
scared that one day
there’d be a rope
to pull them down
“mama, why is the statue green in the face?”
“no finger-pointing, your fingers fall off!”
“mama, the statue hides for a smoke at the fire brigade!”
“he just takes a break, he got burned in the sun every day.”
those statues have long forgotten the killings
of another generation
forgotten how they are still being used
they only remember the heat of the forge
it was hard to bear
and once you cool down, then come the years
standing empty and cold
Written on the eve of Febr. 28th, 2014,
67 years after the Febr. 28th, 1947 massacre.
Tr. MW, May 2014
I was very astonished when I first saw the picture. It does look like violence, the statue is smeared red. The poem is a revelation. Why would people have something against Sun Yat-sen? Nice guy, compared to what came later. Late retribution, for the killing of Thng Tek-Chiong, governor of Tainan in 1947, one of the first dead in the February 28 massacre? Sun Yat-sen is rather far from home in Tainan, far from his home base. I remember that small park near the train station in Taipei, where Sun Yat-sen lived when he visited Taiwan, it was a Japanese hotel back then. Small garden, very peaceful. A little forlorn and frail among the hustle and bustle around Taipei train station. Why would anyone be angry at a statue of Sun Yat-sen? In 2011 and early 2012, there were many conferences around the world in memory of the 1911 辛亥革命. People talked about many interesting things, but something like this? Without this poem, I would never have thought people would think that way about these statues. Not that much. So many killings back then, so much White Terror in decades, and no retribution. And the KMT still in power. There is repressed violence in people’s hearts, and everybody can count there lucky stars if they take it out only on statues.
Taiwan is a very peaceful and safe place, all in all. One-party dictatorship does create a sense of security for some, at least in retrospect. The world gets more complicated in those new-fangled pluralist societies. So there are people who blame the subway knife attack of a deranged student on May 21 on the student-led protests in March and early April this year. In Austria, the shameless tabloid that is much bigger than Murdoch and Berlusconi in their countries, still says things like all demonstrations and protest are leftist, and cost a lot of public money. When there are anti-foreigner rightists marching in Vienna, and the police need to protect them, it is not their fault, right? And if they want to have a ball in the emperor’s palace and parade on the square where Hitler proclaimed the Anschluss in 1938, it is their right and they should be protected, and if the whole city center is full of police barricades, it is the fault of those leftists.
It’s the other way around! In a more open society, there is much less repressed violence. Look at the recent bloody clashes and attacks in many cities in China. That won’t get less, probably. Taiwan people should be very proud of that big, peaceful demonstration on March 30. Their country has become a much better place through the changes of the last 25 years. The KMT could and should be proud of that, too. But they are the 中國國民黨, so they have to think about stability in a much bigger way, don’t they?
a bunch of poets
on a big bus
arrive at a station
getting off
I take Ms. Xiang Lianzi’s trunk by mistake
pulling her pink
draw-bar trolley
what a show-off
coming through
Great Peace alley
where I lived when I was small
looking behind me
all the poets are gone
a young Uighur guy
is dragging by baggage
— no, Ms. Xiang Lianzi’s
draw-bar trunk, running like mad
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #396
father picks out
books from my school bag
points at a novel by one female author
growling:
“your teacher said you read books under your bench
now I see this is pornography
are you not ashamed?”
(this scene really happened
when I was young)
“You should be ashamed!
your whole generation
should all be ashamed!”
one rousing reply
then I turn around
and laugh at the sky
while I walk out the door
(this scene never happened
in my whole life)
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #398
Zhuang Sheng stands there
in jeans shorts
doesn’t do anything
he just stands there
there is joy in my heart
because I remember
though this is a dream
he told me on Weibo
he hoped one day
he could appear in my dreams
the ones I write down
a series of poems
now it has happened
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #401
I grab an old friend
by the throat
and push him
to the edge of a pit
snarling at him:
“I can throw you down
then bury you alive
do you believe me?”
“I … believe ….”
he stutters at me
I release him
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #402
I receive
miraculous news
Malaysian Airlines flight MH370
the plane has been found
in a picture by Li Yi
DREAM #403
In a lush
botanical garden
there is Yu Youyou
she is like Afanti
in those Nasreddin Afanti stories
she says: “I am Shen Haobo’s sister”
I say: “I know who you are”
she says: “stretch out your hands”
so I stretch out my hands
she says: “now step forward and grasp that plant”
so I step forward and grasp that plant
she says: “close your eyes. when you open your eyes
you have grown together with that plant”
I close my eyes
after a long while I open them —
no-one is there
no botanical garden
only city streets in the dusk
someone playing a violin
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #404
I am with a gang
we are robbing a store
a bookstore
the others are at the cash register
counting banknotes
I am at the book racks
counting the books
under the system
you learn to compromise
anyone
the system
is a huge condom
never let no-one pierce it
you might get pregnant
being pregnant
means all sorts of things
you could get aborted
you could be induced
and end up dead
compromise
the english word
you make a promise
a common promise
collective promise
“tuŏxié” in mandarin
“xié” like in “xiéshāng”
negotiation
“tuŏ” like in “tuŏdang”
suitably done
one huge silence
from teeming noise
in a cold front from the mainland
shrouding Taiwan
particulates off the charts
until one black flood
breaks worn embankments
one hard rain on the president’s palace
and the sky of tonight
and the road of tomorrow
are swept very clean
3/30/14
Tr. MW, 4/1/14
Mit “DIE GEWALT” von Erich Fried, übersetzt ins Chinesische von Hung Hung
Obama gave his yearly trade report, he wants to sell American pork to Taiwan. Obama is the first African American president. Black people are saved, pigs aren’t saved. Neither are cows. No matter how many hormones they feed them, all humanity has to eat your meat, and it has to be minced, so you don’t know which piece is an eye that saw the sky or a butt tired from needles. Nowadays no-one will eat black people. But there are people who want to swallow Ukrainians, Uighurs, Tibetans. They try out nuclear bombs at Lop Nor, they shoot a movie at Chernobyl, they build a nuclear power plant in Gongliao in Taiwan. Obama is happy to sell uranium for Taiwan nuclear power, I guess Americans like to eat up Taiwanese, barbecued by the torch of the Statue of Liberty. At the beginning of Kafka’s novel “America”, Lady Liberty’s torch is mistaken for a sword, piercing the suddenly brightening sky. Actually, isn’t it really a sword? Lady Liberty wielding the sword, cowering beauty beyond compare. America the beautiful. Beautiful cows, beautiful pigs, beautiful people. But definitions of beauty are changing. Beautiful Oscar movies, a junkie or a female star in a breakdown, garbage floating in space, we have to get membership, purchase tickets online, complete with Coke and popcorn (from genetically modified American corn), and put on our 3D glasses to see it all clearly.
Tr. MW, 4/1/14
Die Nummer 62 des Literaturmagazins “Wienzeile” ist gedruckt! Mit Texten von Hsia Yü 夏宇, Yan Jun 顏峻, Hung Hung 鴻鴻, Zheng Xiaoqiong 鄭小瓊, Yu Jian 于堅, Ma Lan 馬蘭, Qi Ge 七格, Wu Yinning 吳音寧, Lin Weifu 林維甫, Tong Yali 彤雅立, Pang Pei 厖培, Liao Yiwu 廖亦武 und vielen anderen. Dazu gibt es Grafik und Bilder von Yang Jinsong 楊勁松, Chen Xi 陳熹, Emy Ya 葉宛玲, Ursula Wolte und anderen mehr.
Wu Yinning 吳音寧, Hsia Yü 夏宇, Hung Hung 鴻鴻 und mehrere andere SchriftstellerInnen und KünstlerInnen in dieser Nummer sind aus Taiwan. Gedichte von Wu Yining gibt es auch hier. Zwei der sieben Gedichte, die ich von ihr übersetzt habe, zitieren taiwanische Rockmusik. Eines ist über einen Kanalarbeiter. Die lokalen Details in Verbindung mit Wu Yinnings starkem sozialen Engagement machen die Faszination aller ihrer Texte aus. Sie war z.B. 2001 in Chiapas in Mexico und berichtete von der zapatistischen Revolte.
Wir haben Texte über Wahlen und Demokratie, 1979 – zur Zeit der Demokratiemauer – und heute. Helmut Opletal, langjähriger Rundfunk- und Fernsehkorrespondent, berichtet von den politischen Verhältnissen im Peking der Demokratiemauer und zieht Vergleiche mit aktuellen Ereignissen. Wir haben Han Hans 韓寒 Essay über Demokratie, übersetzt von Ingrid Fischer-Schreiber. Das ist einer von drei Texten – über Revolution, Demokratie und über Freiheit- die Ende Dezember 2011 herauskamen, gerade als wieder einige Dissidenten zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Han Hans Texte wurden weltweit heftig diskutiert, unter anderem im Zusammenhang mit 100 Jahre Chinesische Revolution/ Abdankung des letzten Kaisers 1911/1912, auch bei einer großen Konferenz an der Universität Wien Anfang dieses Jahres. Wir haben einen Text des Computer- und Internetexperten Hu Yong 胡泳, ebenfalls übersetzt von Ingrid Fischer-Schreiber 殷歌麗, Kuratorin der Ars Electronica in Linz, Übersetzerin zahlreicher chinesischer Artikel und Bücher aus politisch-sozialen und wissenschaftlich-technischen Bereichen. Nicht zuletzt enthält diese Sonderausgabe einen Vergleich zweier hochbrisanter politischer Texte, der Charta 77 aus der damaligen Tschechoslowakei und der chinesischen Charta 08, erstellt von einer Politologin und Sinologin aus Tschechien.
Das Cover ist von Linda Bilda, einer Künstlerin aus Wien. Innerhalb der Redaktion war es von Anfang an umstritten. Aber eine wichtige chinesische Schriftstellerin, die in dieser Ausgabe vertreten ist, findet es gut, gerade auch wegen der Gewalt. Heutiges China, sagt sie.
Ein weiterer Punkt, der zuletzt heftig diskutiert wurde, war die Inkludierung von Texten von und über Wanderarbeiterinnen in China. Im September letzten Jahres war hier in Wien eine große Konferenz über Arbeitskonflikte in China. Vorträge und Berichte gibt es online auf den Konferenzwebseiten und bei Transform! . Eine der Vortragenden war Astrid Lipinsky vom Ostasieninstitut der Univ. Wien, die schon 2008 in der Zeitschrift Frauensolidarität über Arbeitsmigrantinnen, ihre Sprache und ihr Schreiben berichtet hat. In der Wienzeile haben wir den ersten Teil eines langen Gedichtes von Zheng Xiaoqiong 鄭小瓊. Sie ist Arbeitsmigrantin in Dongguan 東莞 und hat neben ihrer Fabrikarbeit seit ungefähr 10 Jahren viele literarische Texte veröffentlicht, die nicht nur auf dem chinesischen Festland, sondern auch in Taiwan und darüber hinaus bekannt und geschätzt sind. Für Hung Hung 鴻鴻, Regisseur und Schriftsteller in Taipeh, erinnern manche Gedichte von Zheng Xiaoqiong an “Akte 0” von Yu Jian 于堅, einem der renommiertesten chinesischen Dichter, der ebenfalls in dieser “Wienzeile” vertreten ist.
Mit dem Kopf durch die Chinesische Mauer – 橫穿長城的頭顱。Der chinesische Titel stammt von Liu Jixin 劉紀新 aus Peking. Liu Jixin unterrichtet klassisches und modernes Chinesisch am Ostasieninstitut der Universität Wien. Im jetzigen gesprochenen und geschriebenen Chinesisch sind klassische Wendungen durchaus häufig, und auch heute sind Bildung, Erziehung und Sprache in vielen Aspekten brisante Themen. Liu Jixin hat einen kleinen, recht subjektiven Artikel über Schulen in Wien und in Peking geschrieben. Die in Peking tätige Architektin Chen Ing-tse 陳穎澤 aus Taiwan schreibt über Lang- und Kurzzeichen in der chinesischen Schrift. Sie hat eine sehr prononcierte Meinung. 100 Jahre nach den ersten Ansätzen der Sprachreform, die eine enorme Kluft zwischen gesprochener und geschriebener allgemeiner Verkehrssprache und eine hohe Schriftunkundigen-Rate beseitigen wollte, gibt es auch auf dem Gebiet der Sprachen und Schriften im chinesischen Sprachraum viele aktuelle Konflikte.
Josef Goldberger interviewt eine chinesische Absolventin eines Studiums in Wien.
Wer erinnert sich noch an 1990? “Keine Mauern mehr” hieß der österreichische Beitrag zum Eurovisions-Songcontest. Leider begannen noch im selben Jahr die Jugoslawien-Kriege der 1990er Jahre, die 1999 auch China berührten, mit dem NATO-Bombardement der chinesischen Botschaft in Belgrad. Diese “Wienzeile” enthält eine Erzählung von Tamara Kesic, die 1990 in Kroatien spielt. Außerdem haben wir weitere literarische Beiträge von deutschsprachigen Autoren, etwa Gedichte von Isa Breier und einen Text von Thomas Losch.
Die Wienzeile 62 wird am 17. Mai im Venster 99 in Wien mit einer Multimedia-Lesung präsentiert (siehe Plakat). Der Dichter und Musiker Yan Jun 顏峻 tritt live auf. Die Zeitschrift ist bei der Redaktion, im Sekretariat der Abteilung Sinologie des Ostasieninstituts an der Univ. Wien und auch bei mir (Martin Winter) erhältlich.
Wienzeile, a literature magazine coming out in Vienna, Austria, with entries in Chinese, English and German. Lots of new literature by Hsia Yü 夏宇、Yan Jun 顏峻、Hung Hung 鴻鴻、Zheng Xiaoqiong 鄭小瓊、Yu Jian 于堅、Ma Lan 馬蘭、Qi Ge 七格、Wu Yinning 吳音寧、Lin Weifu 林維甫、Tong Yali 彤雅立、 Pang Pei 龐培、Liao Yiwu 廖亦武 and many others.
Art work and photos by Linda Bilda, Yang Jinsong 楊勁松, Chen Xi 陳熹, Emy Ya 葉宛玲 and others.
Articles by Han Han 韓寒 and Hu Yong 胡泳. And an article comparing Charter 08 to Charter 77, written by Helena Nejedla, Czech Republic. If you get hungry while reading, we have a recipe for 四川鍋盔.