Er hat sich unlängst vernarrt
in ein Strategiespiel.
Die Spieler bilden von sich aus ein Team,
stellen jeden Tag ihre Truppen auf,
schicken Soldaten aus, brechen die Fronten,
gehorchen Befehlen der Teamkommandanten.
Sie kämpfen zusammen im Internet,
erobern Städte und gründen ihr Reich.
Nach einer Weile hat er bemerkt,
dass viele hochrangige Spieler
gar nicht spielen können,
sie tun nur so,
sie haben überhaupt keinen Plan.
Es ist alles erkauft.
Ihm ist auf einmal fad geworden,
er hat aufgehört
und ist zurück in seiner wirklichen Welt.
Schönheit des Flusses der durch die Stadt geht mit hohen Häusern am Ufer
Schönheit der Wolken die langsam vorbeiziehen vor Fensterwänden im leeren Cafe
Schönheit von Baumkronen im dichten Wald egal ob von oben oder von vorn
Schönheit des Verkehrs in der Nacht auf der Brücke
Schönheit der Sterne auf dem Bildschirm auch auf dem Bildschirm der Himmel ist schön
Schönheit des Windes den du nicht siehst im Frühling von vorn von oben im Herbst
Schönheit des Regens der prasselt auf Köpfe auf Autodächer der vor den Wischern rasch zurückweicht
Schönheit wenn Ketten am Hals an den Händen im Kopf aufgehen
Schönheit die schwankt vom Licht in der halbvollen Teetasse oder natürlich
auch manchmal im Whiskey
Schönheit der Zeichen die vom Pinsel fließen oder die springen von der Tastatur
Schönheit wenn Poesie verschwindet, und du der Wiedergabe nachjagst
Schönheit von abgeriebenen Holzschüsseln
Schönheit im Traum im Traum sich winden egal in welchem Traum dann steigst du auf und fliegst wieder zurück
Schönheit von Zigaretten die brennen im Nichts und ihre einzelnen Schreie
Schönheit von Katzenspuren im Schnee oder von anderen kleinen Tieren
Schönheit des Kriegs der alles vernichtet
Nein! Scheiß auf den stinkenden Krieg in dem alles nicht mehr existiert
You think
you have to say what’s right.
So you write
sodden poetry.
No one has to say what’s true or not.
If you have a feeling
you can write how the war is absurd,
how people suffer.
You can write what you feel.
You cannot write
what people should think.
Yesterday I told a friend
a story from the year 2000.
I was in Xinjiang,
spent the night in Kashgar.
In the lobby at the hotel,
someone screamed:
Wanna fight?
In several languages,
including Chinese.
Huge guy,
not a bad fighter.
Some people tried,
couldn’t get past him.
I said something,
don’t remember exactly,
maybe let’s sit down,
have a drink.
He calmed down a little,
sat down with me, told me his story.
He was from Kazakhstan,
going back and forth
buying and selling,
had been on the road for many years.
He spoke Russian at home.
At that time Putin had just come to power.
He really liked Putin,
Putin would reinstate the Soviet Union.
We were sitting and talking,
sometimes he would get up
to see if anyone
would want to fight him.
Calming down
was a process.
I remember feeling
he was very direct,
I could respect him.
At the same time
I was hoping no one would get hurt.
I respect him,
like every ordinary person.
He is a person,
his Putin is a fantasy.
A rather funny fantasy at the time.
You are an ordinary person,
you tell me your fantasy,
I don’t get mad at you.
You think a poet
has to tell you what’s true.
On the contrary,
you can say what you feel,
what’s in your heart.
Some say it well,
it gets very moving.
If you take your fantasy
to tell people
what you think is right,
I’d rather have that guy
who wanted to fight.
du glaubst
du musst sagen was richtig sei
deshalb schreibst du
schlechte gedichte
niemand muss sagen was stimmt oder nicht
wenn du das gefühl hast
kannst du schreiben wie absurd der krieg sei
wie hilflos die leute
du kannst schreiben was du spürst
du kannst nicht schreiben
was irgendwer denken soll
gestern hab ich einem freund
eine geschichte erzählt
im jahr 2000, vor über 20 jahren
war ich in xinjiang unterwegs,
nicht weit von pakistan
hab in kashgar übernachtet
im hotel in der lobby
hat auf einmal einer geschrien
wer will mit mir raufen?
in mehreren sprachen
auch auf chinesisch
ein grosser kerl,
wahrscheinlich betrunken
nicht schlecht im raufen,
ein paar habens versucht
ich hab mit ihm geredet,
vielleicht hab ich gesagt,
trinken wir was zusammen
er hat sich hingesetzt und erzählt,
er sei ein händler aus kasachstan,
er lebe schon viele jahre auf reisen,
kaufen und verkaufen
in seiner familie spreche er russisch
putin war damals erst grad an der macht
der raufende händler
war sehr für putin
putin werde die sowjetunion wiederherstellen
wir sind gesessen und haben geredet
manchmal ist er noch aufgestanden
er hat sehen wollen
ob noch wer bereit war zu raufen
es hat länger gedauert
es war ein prozess
ich hab das gefühl
er war sehr direkt
ich kann ihn respektieren
gleichzeitig hoff ich
dass niemand verletzt war
ich respektier ihn
ich respektier alle gewöhnlichen leute
hoffentlich
er ist ein mensch
sein putin ist seine vorstellung
damals eine eher lustige vorstellung
du bist ein gewöhnlicher mensch
du erzählst mir was du dir vorstellst
ich reg mich nicht auf
du glaubst ein dichter
muss sagen was richtig sei
ich mein im gegenteil
du kannst von deinen gefühlen erzählen
was du auf dem herzen hast
manche können das sehr bewegend
wenn du deine vorstellung nimmst
und allen sagst was stimmt oder nicht
dann hab ich noch lieber
den raufenden händler
MW auf Chinesisch am 5. April,
auf Deutsch am 6. April 2022
A very long table.
One lone guy
sits at one end.
He’s dead.
Maybe this is the last thing recorded.
Maybe all other records are lost.
Hard to say
who is going to watch it.
MW 30/3/22
AUFZEICHNUNG
Ein sehr langer Tisch.
Ein einsamer Kerl
sitzt an einem Ende.
Er ist tot.
Vielleicht ist das die letzte Aufzeichnung.
Vielleicht sind alle anderen verloren gegangen.
Schwer zu sagen
wer sie anschauen wird.
MW Chinesisch 29. März 2022, deutsche Fassung 5. April 2022
GEDICHTE SCHREIBEN
Gedichte schreiben ist keine Schule,
es ist ein Spiel für zwischendrin.
Schreiben ist nicht etwas begründen,
Gedichte sind grundlos.
Manche haben Regeln,
Regeln des Klanges,
eine Stimmung für die Musik.
Klang und Bedeutung sind nicht zu trennen.
Im Kern des Gedichts steckt dein Gefühl.
Dein Gefühl, wenn dus schreibst,
dein Gefühl, wenn dus liest.
Dein heimlicher Spaß außer der Schule,
deine diebische Freiheit.
MW Chinesisch März 2022, deutsche Fassung 5. April 2022
Gestern hier in der Klasse
hat jemand gesagt,
Gedichte Schreiben sei grundlos.
Heute werden wir diskutieren
warum diese Annahme
völlig grundlos ist.
Werfen wir einen Blick
auf das Buch der Lieder,
aufgezeichnet um 500 vor unserer Zeitrechnung.
Darin sieht man ganz deutlich
den Stand der Gesellschaft,
die Situation der Zentralebene.
Schauen wir noch
auf andere Kulturen,
zum Beispiel sumerische
oder ägyptische alte Gedichte,
die sind von Gesellschaft und Religion
überhaupt nicht zu trennen!
Ich glaub hier in der Klasse
hat noch jemand gesagt,
durch dreitausend Jahre
seien im Buch der Lieder
die Liebesgeschichten
immer am beliebtesten gewesen!
Das sei ähnlich wie mit dem Hohelied
in der hebräischen Bibel!
Liebesgeschichten
als Liebesgeschichten
sind völlig grundlos!
Gut, Schluss für heute,
morgen schreiben wir Prüfung,
ihr müsst euch gut vorbereiten!
MW Chinesisch März 2022, deutsche Fassung 7. April 2022
Hoffentlich hat jeder gern keinen Krieg,
hoffentlich hat jeder gern keinen Streit.
Ich muss nicht unbedingt sehr viel schreiben.
Deutsch zwei Gedichte, Englisch zwei Texte,
noch ein paar Chinesisch ist schon genug.
Manche Wut muss ich nicht wieder herzeigen.
what did we have ten years ago?
what did not have ten years ago?
we had everything
we must have lacked something
where did we screw up?
where did we succeed?
some things I know
some things I don’t know
it was yesterday
it was long ago
world day of snot
world day of coughing
world day of short breath
world day of exhaustion
world day of pain
world day of forgetting
world day
of spring
or fall
Das Notebook vom Anfang des Jahrtausends,
irrsinnig teuer, irrsinnig schwer.
Über zehn Jahre unten im Bücherschrank
praktisch vergessen.
Beim Bücherordnen entdeckt, bisschen schlechtes Gewissen.
Schnell den Staub abgewischt von der Tasche,
aufgestellt, angesteckt, grumbelnd wirds hell.
Er lebt noch! Leben in Dokumenten!
Nacheinander aufgemacht, wie war Xiaolong?
Nicht viele zweifelhafte Stellen,
Aber viel Mist.
Er brummt und vibriert,
gefrorene Erde fängt an zu schmelzen.
Uralte Viren wachen auf,
kriechen aus dem Dunkel, es steht auf dem Schirm
die Armee des Khan in Reihen um Reihen.
All diese Zeichen, diese Jahre,
all die Zeit
in meinem Leben.
Auf einmal ist es 7.7., Liebestag, wenn Mondkalender. Viruskampf wie Widerstand gegen Japan, Autofahren wie frischer Führerschein, Tastatur wie früher, Bildschirm wie gestern…
Daheim im Büro durch das Jahr, immer wieder desinfizieren, im Herzen am ersten Arbeitstag, immer noch
überall Staub aufgewirbelt.
Shen Haobo
EIN STREUNENDER MANN IN MEDELLIN AUF DER STRASSE ZU MITTAG IM SCHLAF MIT SEINEM SCHWANZ IN DER HAND
Wenigstens hat er noch einen Schwanz
für seine Hand.
Wenigstens hat er noch eine Hand
für seinen Schwanz.
2019-07-03
Übersetzt von MW im Dez. 2019
Shen Haobo
VERZWEIFLUNG
In der Nacht, im Online-Freundeskreis
bringt er ein Gedicht von Verzweiflung.
Wir haben es alle gelikt
und gelobt wie tief er hineingeht.
Er sitzt die ganze Nacht vor seinem Handy,
schaut wie wir seine Verzweiflung preisen.
one phalanx
after the other
of paper soldiers
passing in goose step
paper trucks
passing slowly
carrying
paper rockets
paper tanks
have to have tanks
they drive on their own
armoured vehicles
glued out of paper
and paper air-planes
pass in the sky
just like kites
with broken strings
don’t know where they’re flying
don’t know where they’re going
don’t know whose hands
have glued them together
guess they’ll be burned
on tomb-sweeping day
burned for some ghost
way down below
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM # 555
Shen Haobo and I
are in a coffee shop talking poetry,
talking into the night.
“I am hungry”, says Haobo.
“What do they have here for eating?”
“There is nothing to eat here”, I say.
“But there is a cake shop next door.
Maybe they can deliver a cake.”
“I don’t want to eat cake”, Haobo says.
“I want to eat hotpot.”
”Then we let them bring hotpot”, I say.
So I pick up my phone to call them.
Right away they deliver
a twelve-inch cream cake
in the form of a hotpot
with burning candles.
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM # 556
Qin Bazi and I
stay in one room
in a hotel
(this actually happened last month).
Someone barges in,
it is a person
shaped like a cylinder
and there’s a head.
My old friend says:
“Is this a person?
If you look like this
maybe you don’t want to
live as a human …”
I say,
“You have to live as a person.
First you’re a person,
all other possibilities
come afterwards.”
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM #557
a computer screen
with my identity card
I have to squeeze myself
my whole living body
into the computer
to substitute that photo
after several attempts
I succeed
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM #561
this question on the exam
is harder than I thought
I have to sort every person I know
into:
1) our side
2) other nations
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM #564
she wants to stand
making love
with her back to a wall
when we’re done
she is gone
but there’s a shadow
left on the wall
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM #565
I’m lying down on a lawn
on my left side
on my right side
then on my back
then on my belly
everything comfortable
I give thanks
to the blue sky above
I n-need t-to b-b-break out
f-f-from y-y-your s-sp-pout-ting s-song
b-break o-out o-of y-your h-house
m-m-my sh-shoot-t-ting t-t-tongue
m-m-mach-chine g-g-gunn f-fire
it feels so good
i-in m-m-my s-st-tut-t-ter-ring l-life
the-there a-are n-no g-ghosts
ju-just l-llook at-t m-my f-face
I d-d-don’t c-care!
1991
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《结结巴巴》 ST-STO-TO-TT-TERN
m-mein st-sto-to-tt-ternd-der m-mund
b-b-behind-dderter schschlund
b-b-bei-sst- s-ich wund
an m-meinem r-rasenden hirn
und m-meine b-beine –
euer t-trief-fend-der,
schschimmliger schschleim
m-meine l-lunge
i-ist m-müd’ und hin
i-ich w-will r-r-aus
aus eurem g-gross-a-artiggen rh-rhythmus
a-aus eurem h-haus
m-m-meine
sch-schp-prache
m-masch-schinengewehr-s-salven
es tut so gut
in m-meinem st-stott-ttoterndem r-reim
auf m-mein l-leben g-gibt es k-keine l-leich-chen
s-s-seht m-mich a-an
m-m-mir i-ist all-les g-gleich!
1991
Übersetzt von MW im April 2013
<結結巴巴>
結結巴巴我的嘴
二二二等殘廢
咬不住我狂狂狂奔的思維
還有我的腿
你們四處流流流淌的口水
散著霉味
我我我的肺
多麼勞累
我要突突突圍
你們莫莫莫名其妙
的節奏
急待突圍
我我我的
我的機槍點點點射般
的語言
充滿快慰
結結巴巴我的命
我的命裡沒沒沒有鬼
你們瞧瞧瞧我
一臉無所謂
1991
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《精神病患者》 GEISTESKRANKE
theoretisch
weiß ich nicht
wie es sich äußert
wenn eine geisteskrankheit ausbricht
ich hab nur gesehen
in diesem land
in dieser stadt
wenn ein geisteskranker loslegt
streckt er den arm hoch und bricht aus
in parolen
der revolution
theoretically
I don’t know
how it should be
when a mental patient
suffers an outbreak
but what I have seen
in this country
in this city –
a mental patient suffers an outbreak:
up goes his arm
out come the slogans of revolution
1994
Tr. MW, 2013-2014
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《我想杀人》 ICH MÖCHTE JEMANDEN UMBRINGEN
ich fühle mich etwas komisch
ich will jemanden töten
oh! das war letztes jahr
herbst kroch über das laub
zwanzig todeskandidaten
am flussufer nördlich der stadt
“peng! peng!”
einer wurde aufgeschnitten
in der folgenden operation
erhielten WIR eine niere
I am feeling a little strange
– I want to kill someone
Oh! It was last year
autumn crept over the leaves
twenty death candidates lined up
at the river north of the city
„Peng! peng!“
One of them was cut open
and in the following operation
We got a kidney
1994
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《9/11心理报告》 9/11 AUF DER COUCH
erste sekunde mund offen scheunentor
zweite sekunde stumm wie ein holzhuhn
dritte sekunde das ist nicht wahr
vierte sekunde kein zweifel mehr da
fünfte sekunde das brennt nicht schlecht
sechste sekunde geschieht ihnen recht
siebte sekunde das ist die rache
achte sekunde sie verstehen ihre sache
neunte sekunde die sind sehr fromm
zehnte sekunde bis ich drauf komm
meine schwester
wohnt in new york
wo ist das telefon
bitte ein ferngespräch
komme nicht durch
spring zum computer
bitte ins internet
email ans mädl
zitternde finger
wo sind die tasten
mädl, schwester!
lebst du noch?
in sorge, dein bruder!
2001
Übersetzt 2013 von Martin Winter
Yi Sha 9.11 REPORT FROM THE COUCH
Ist second: mouth barn-door open
2nd second: wooden-chicken stiff
3rd second: couldn’t believe it
4th second: it must be true
5th second: what a great fire
6th second: well they deserve it
7th second: this is retribution
8th second: these buggers have guts
9th second: must be their religion
10th second: before I realize
my own little sister
lives in new york
I need a telephone
long distance call!
can’t get a connection!
I go storming for a computer
where is the internet
typing out characters
writing an email
shaky fingers
“sister, sister!
are you alive?
your elder brother is worried sick!”
at vermont studio center
drugs are taboo
no smoking inside
in case of sexual harassment
please dial this number
with a sigh I said to martin:
“even charles bukowski
such a great writer
had to go out himself to buy alcohol
this would never happen
in china …”
later we found
johnson town supermarket
stacked all kinds of booze
we breathed a sigh of relief
for old bukowski
one day later
we found the shop at the gas station
closer from the studios
another sigh of relief
for old bukowski
even later than that
we found a place
looked like a liquor store
complete selection
of local specialties
at cheaper prices
now
we could be rather sure
bukowski’s days at vsc
were happy days
drinking
and writing to his heart’s content
bukowski was happy
we were happy too
Oct. 2014
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《与布靠斯基同行》 MIT BUKOWSKI UNTERWEGS
im künstlerzentrum
sind drogen verboten
besonders das rauchen
bei sexueller belästigung
gibt es einen notruf
ich sage seufzend zu martin:
“sogar charles bukowski
der große dichter
musste hier selbst nach alkohol suchen
das wäre in china
undenkbar ….”
nachher fanden wir
im großen supermarkt mitten im ort
die regale voller alkohol
wir atmeten auf
in gedanken an bukowski
später fanden wir
bei der tankstelle auch einen supermarkt
noch näher am künstlerzentrum
wir atmeten noch einmal auf
für den alten bukowski
noch später
entdeckten wir ein spezialgeschäft
lauter alkohol in allen sorten
außerdem billiger
jetzt war es entschieden
wir konnten sicher sein
im vermont studio center
war bukowski glücklich
trank in frieden
schrieb in frieden
bukowski war glücklich
wir waren es auch
Oktober 2014
Übers. v. MW, 2014-2015
Yi Sha 《飞越太平洋》 FLUG ÜBER DEN PAZIFIK
von china nach amerika
von peking nach detroit
ich hatte geglaubt
wir würden den weiten pazifischen ozean
überqueren
doch unser flugzeug
war praktisch die ganze zeit
über festem boden
von peking nach nordosten
über harbin hinweg
ich sah die lichter
dann ging es nach russland
über das äußere hinggan-gebirge
über die halbinsel kamtschatka
über die beringsee
(der einzige schmale streifen meer
den wir überflogen)
dann kam alaska
(also war ich schon in amerika)
wir überquerten die kordilleren
flogen durch kanadas öde weiten
und dann nach südosten
bald darauf die landung
im üppigen grün
der häuser und villen rund um detroit
nach meinen informationen
gelangten die eskimos
aus der mongolischen hochebene
über genau diese route
auf den amerikanischen kontinent
Ende Sept. 2014
Übers. v. MW, 2015
Yi Sha 《窗外》 DRAUSSEN VORM FENSTER
jede nacht
fährt ein auto
auf der pearl street an meinem fenster vorbei
schnell wie der wind
ein mobiles
heavy metal konzert
lang nachdem der wagen verschwindet
hallt die musik in meinem herzen
das ist amerika
jedenfalls hab ich in china
oder in anderen ländern
so etwas nicht erlebt
Okt. 2014
Übers. v. MW, 2014-2015
Yi Sha 《异国小镇》 KLEINE ORTE IM AUSLAND
“solche kleinen orte
da krieg ich gleich
ein unheimliches gefühl
wahrscheinlich hab ich
zu viele amerikanische filme gesehen”
sag ich zu martin
martin antwortet:
“das geht mir auch so”
(hätt ich nicht erwartet)
“gibt es in österreich
auch solche orte?”
“natürlich, sehr viele”
“wenn du solche orte siehst
hast du dort auch
ein unheimliches gefühl?”
“ja”
“warum? dort ist deine heimat
dort muss dir alles vertraut sein …”
“in solchen orten
gibt es auch neonazis”
Okt. 2014
Übers. v. MW 2014-2015
Yi Sha 《在天涯》 AN DEN RÄNDERN DES HIMMELS
drückt mich lässt mich nicht los
heimatland
im computer
the night they announced
the lu xun literature prize
my mobile phone rang
it was the ningxia muslim poet
shan yongzhen. he said:
“only if you are never considered
for the biggest official prize,
you can become
a great poet in china.
tonight my first candidate
would have been chang yao
(who died in 2000)
the second one I thought of
was you, brother yi!”
hearing these words
brother yi stammered
didn’t know what to say
would have liked to hang up
brother shan said:
“so you don’t want to
discuss this topic
in any way?”
I said:
“yes, yes ….”
he didn’t know
what I was doing
I didn’t want to discuss any topic
I was watching a porn flick
on my computer
there was this great
piece of ass from thailand
in front of my eyes