Von Zeit zu Zeit
sperrt sie den Tresor auf,
schaut in die Schmuckschatulle,
starrt jeden schönen perfekten Ring an,
wischt sie ab, reibt sie sauber,
jeden einzelnen, bis er glänzt.
Aber sie steckt sich keinen an.
Wenn sie fertig geputzt sind,
starrt sie lange
auf ihre Hand.
ich denke immer noch sehr viel an dich
bevor du gestorben bist
hab ich dich kaum gesehen
ich hab dich nur einmal zweimal besucht
in deinen letzten monaten
ich hab geglaubt wir gehn in den garten
wie die jahre davor sobald es wärmer wird
du wirst vielleicht glauben dass du bei uns bist
dass wir bei dir sind dass deine familie
ich erinnere mich sehr gut an den garten
es gab auch ein zimmer
einen raum der frei war jedenfalls manchmal
dort war etwas wie ein klavier
etwas altes da hab ich geklimpert
wir haben manchmal ein bisschen gesungen
einander erkennen geht nicht sofort
nur dass jemand da ist von der familie
meine mutter war dort, meine mutter mein onkel
mein vater meine tante cousinen cousins
meine schwester meine neffen
zivildienst rotkreuz die beiden mädchen
sozialdienst du warst immer noch
du warst die familie
der garten
die himbeeren brombeeren ribisel
das gras und die wege die bäume die rosen
die anderen leute ich frag mich oft
was aus dem geworden ist
der erwin? den hat man von weitem gehört
am ende ist er sehr schnell gealtert
woher kommen die leute
wer wem etwas sagen darf und was herauskommt
die anderen leute die schwestern die pfleger
manche waren ein segen
die verbindung war da der stadtrand die liesing
der autobus geht alle zwanzig minuten
oder auch nicht. mit dem fahrrad am bach entlang
gehen am bach entlang
es ist auch nicht weit vom lainzer tiergarten
die verbindung war da du warst die verbindung
die stimme wie früher am telefon
deine welt deine wohnung deine erinnerung
einander erkennen geht nicht sofort
unlängst war ich am friedhof
solang du da warst war etwas da
es wird immer da sein solang wir da sind
wir sind in der nähe
wir sind nicht in china
nur leider sehen wir uns nicht sehr oft
I n-need t-to b-b-break out
f-f-from y-y-your s-sp-pout-ting s-song
b-break o-out o-of y-your h-house
m-m-my sh-shoot-t-ting t-t-tongue
m-m-mach-chine g-g-gunn f-fire
it feels so good
i-in m-m-my s-st-tut-t-ter-ring l-life
the-there a-are n-no g-ghosts
ju-just l-llook at-t m-my f-face
I d-d-don’t c-care!
1991
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《结结巴巴》 ST-STO-TO-TT-TERN
m-mein st-sto-to-tt-ternd-der m-mund
b-b-behind-dderter schschlund
b-b-bei-sst- s-ich wund
an m-meinem r-rasenden hirn
und m-meine b-beine –
euer t-trief-fend-der,
schschimmliger schschleim
m-meine l-lunge
i-ist m-müd’ und hin
i-ich w-will r-r-aus
aus eurem g-gross-a-artiggen rh-rhythmus
a-aus eurem h-haus
m-m-meine
sch-schp-prache
m-masch-schinengewehr-s-salven
es tut so gut
in m-meinem st-stott-ttoterndem r-reim
auf m-mein l-leben g-gibt es k-keine l-leich-chen
s-s-seht m-mich a-an
m-m-mir i-ist all-les g-gleich!
1991
Übersetzt von MW im April 2013
<結結巴巴>
結結巴巴我的嘴
二二二等殘廢
咬不住我狂狂狂奔的思維
還有我的腿
你們四處流流流淌的口水
散著霉味
我我我的肺
多麼勞累
我要突突突圍
你們莫莫莫名其妙
的節奏
急待突圍
我我我的
我的機槍點點點射般
的語言
充滿快慰
結結巴巴我的命
我的命裡沒沒沒有鬼
你們瞧瞧瞧我
一臉無所謂
1991
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《精神病患者》 GEISTESKRANKE
theoretisch
weiß ich nicht
wie es sich äußert
wenn eine geisteskrankheit ausbricht
ich hab nur gesehen
in diesem land
in dieser stadt
wenn ein geisteskranker loslegt
streckt er den arm hoch und bricht aus
in parolen
der revolution
theoretically
I don’t know
how it should be
when a mental patient
suffers an outbreak
but what I have seen
in this country
in this city –
a mental patient suffers an outbreak:
up goes his arm
out come the slogans of revolution
1994
Tr. MW, 2013-2014
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《我想杀人》 ICH MÖCHTE JEMANDEN UMBRINGEN
ich fühle mich etwas komisch
ich will jemanden töten
oh! das war letztes jahr
herbst kroch über das laub
zwanzig todeskandidaten
am flussufer nördlich der stadt
“peng! peng!”
einer wurde aufgeschnitten
in der folgenden operation
erhielten WIR eine niere
I am feeling a little strange
– I want to kill someone
Oh! It was last year
autumn crept over the leaves
twenty death candidates lined up
at the river north of the city
„Peng! peng!“
One of them was cut open
and in the following operation
We got a kidney
1994
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《9/11心理报告》 9/11 AUF DER COUCH
erste sekunde mund offen scheunentor
zweite sekunde stumm wie ein holzhuhn
dritte sekunde das ist nicht wahr
vierte sekunde kein zweifel mehr da
fünfte sekunde das brennt nicht schlecht
sechste sekunde geschieht ihnen recht
siebte sekunde das ist die rache
achte sekunde sie verstehen ihre sache
neunte sekunde die sind sehr fromm
zehnte sekunde bis ich drauf komm
meine schwester
wohnt in new york
wo ist das telefon
bitte ein ferngespräch
komme nicht durch
spring zum computer
bitte ins internet
email ans mädl
zitternde finger
wo sind die tasten
mädl, schwester!
lebst du noch?
in sorge, dein bruder!
2001
Übersetzt 2013 von Martin Winter
Yi Sha 9.11 REPORT FROM THE COUCH
Ist second: mouth barn-door open
2nd second: wooden-chicken stiff
3rd second: couldn’t believe it
4th second: it must be true
5th second: what a great fire
6th second: well they deserve it
7th second: this is retribution
8th second: these buggers have guts
9th second: must be their religion
10th second: before I realize
my own little sister
lives in new york
I need a telephone
long distance call!
can’t get a connection!
I go storming for a computer
where is the internet
typing out characters
writing an email
shaky fingers
“sister, sister!
are you alive?
your elder brother is worried sick!”