Sie hat auf ihrem Konto
100.000 gespart.
Als der Sohn sich verlobt hat,
hat sie am selben Tag
die Karte der Schwiegertochter gegeben.
Die SMS-Nachrichten der Bank
hat sie vergessen abzubestellen.
Jedesmal, wenn die Schwiegertochter abhebt,
tuts ihr innerlich weh.
Manchmal zweimal pro Tag!
Sie hälts nicht mehr aus,
muss das Handy abschalten.
Nach einer Woche dreht sies wieder auf,
das Konto ist leer.
Eine ganze Weile
nach unserer Heirat
als unsere Familien
sich immer näher gekommen sind
(mein Schwiegervater hat noch gelebt)
haben sie halb im Scherz angezweifelt
dass ich von meinen Eltern abstamme.
Von wegen arbeitet, hält etwas aus,
da sei mein kleiner Bruder besser.
Von wegen Intelligenzquotient
sei ich nicht so gut wie die kleine Schwester,
und die beiden schauen
genau wie meine Eltern aus.
Erst als meine Tochter größer geworden ist,
da hat sie gelacht und die Stirn gerunzelt
ganz wie meine Mutter,
und was mir gefehlt hat,
das haben sie alles bei ihr gesehen.
Dann haben sies erst geglaubt,
dass ich nicht adoptiert bin.
(Mein Schwiegervater hat
nicht mehr gelebt)
Zu Mittag
bringt Papa meinen Gedichtband
“Champion”
nach Hause.
Ich juble.
Dann sag ich Papa,
wir gehen zum Großelternort,
zum Familientempel der You
und verbrennen das Buch
für Oma und Opa.
Damit sie wissen,
die Enkelin
die im Stammbaum
nicht stehen hat dürfen,
die hat
was drauf.
Du Sishang AM DRITTEN NEUJAHRSTAG REZITIERT MEINE MUTTER DIE ZEHN GEBOTE
Viele Jahre war der zweite Tag im Mondjahr der fröhliche Tag im Haus vom Onkel. Heute ist von der Generation nur meine Mutter noch da. Die Jüngeren sind auch vom Leben enttäuscht. Dieses Jahr am dritten Tag kommen der jüngere Cousin vom Onkel her und der ältere von der Tante her zu meiner Mutter. Wir spielen und trinken wie früher, reden von Politik und Gesellschaft im Land in Sorgen, im Streit. Die 89jährige Mutter sagt plötzlich auswendig die Zehn Gebote aus der Bibel. An der Tafel wirds ganz still. In der kalten sinkenden Sonne spür ich auf einmal ein anderes Licht.
Vor dem Familientempel der Chen stehen 8 Fahnenstangen.
Jede Fahnenstange wird an beiden Seiten von Steinen gehalten.
Auf den Steinen stehen die Absolventen der Palastprüfungen von der Song- bis zur Qing-Dynastie.
Auf dem Platz davor liegen 6 abgezogene Föhrenstämme.
Bürgermeister Chen sagt, manche Stangen müssen ersetzt werden.
Ich frage, was ist, wenn jetzt jemand aus der Familie
seinen Doktor macht und so weiter, kriegt er vielleicht eine Stange?
Der Bürgermeister schüttelt den Kopf.
Aber er fügt gleich hinzu, bei der letzten Renovierung vor über zehn Jahren
haben die Ältesten sich besprochen,
falls ein Nachfahre
etwas Höheres wird als Vize-Kreisvorstand,
dann kann man schon darüber beraten.
Meine Uroma
hat sechs Kinder geboren.
Bei jedem hat sie im Tempel
100 Teigtaschen geopfert,
für die Kinder gebetet,
langes Leben, Gesundheit.
Uroma war Pächterin,
Getreide war knapp,
die Teigtaschen waren
in Daumengröße.
Den Gottheiten waren
die Teigtaschen vielleicht zu klein.
Von den Kindern
ist eines 18 geworden,
das kleinste nur 6,
sie sind alle gestorben,
nur eines von ihnen
ist alt geworden,
meine Oma.
Meine große Schwester und ihr Mann
kommen nach Chongqing zurück auf Besuch.
Bevor sie wieder abreisen, machen wir
zum ersten Mal mit Vater und Mutter
ein „offizielles“ Familienphoto.
Bei genauer Betrachtung fällt mir auf,
im Lächeln von Vater kann man deutlich sehen,
dass er gerade erst operiert worden ist.
Der Mann neben meiner Schwester
ist auch nicht ihr erster.
Meine kleine Schwester und ich,
wir sind nacheinander wieder Single geworden.
Von meinen kleinen Brüdern trägt der große schon Altersgläser,
der ganz kleine hat ein Bein verloren.
Auf unserem Weg weiter ins Alter
weiß ich nicht, ob der Freund meiner Tochter
und die Freundin von meinem Neffen
schließlich am Ende mit uns gemeinsam
zur Familie gehören.
Gute Nacht!Alle Trauer eines Tages,
Bäume lassen den Kopf hängen,
der kühle Herbst ist im Anmarsch.
Gute Nacht! Alle Trauer eines Jahres,
das Virus wütet weiter,
der kühle Herbst ist noch unterwegs.
Gute Nacht! Alle Scherben im ganzen Tunnel,
Menschen, die sie im Mund hatten, sind weg,
neugierige Leute kommen und kosten,
zu zweit und zu dritt.
Gute Nacht! Alle ferneren, helleren, hoffnungsfroheren Blätter mit Zeichen,
Gedichtmanuskripte, Banknoten der Zeit,
Verstorbene Seelen, eine Schicht auf der anderen,
ihr Turm reicht auf den Mond, sie steigen auf einer Regenleiter.
Gute Nacht! Gelbes Gold der Muttersprache,
keine Zeiten, nein, nur das Gold,
goldene Zeiten hat es nie gegeben,
das heißt aber nicht, dass nie welche kommen.
Gute Nacht! Die verdrehten Schatten der Becher in unseren Händen,
verdrehte Schatten des Rauchs, der Stimmen, der Musik,
verdrehte Schatten eines ganzen Lebens,
aufgetürmt werden sie neues Leben, fremd und vertraut.
Gute Nacht! Alles in Gute Nacht
wird Guten Morgen in der guten Nacht,
eine Verrücktheit geht nach der anderen.
Kommt! Die Nacht ist es wert, verrückter zu werden,
In letzter Zeit isst meine Mutter wenig Obst,
am Abend geh ich zu meinen Eltern
und sag ihr im Ernst:
„Der Doktor hat ganz klar gesagt,
du musst viel Obst essen,
nur dann brauchst du weniger Medikamente.
Mach es, wie du es siehst…“
Meine Mutter trinkt ein Glas Apfelsaft
langsam aus und erklärt,
„Ich bin manchmal mundfaul
und manchmal denkfaul.“
Ich schau mir
klassische Fotos
von Patt Blue an:
“Ich, meine Mutter, meine Grossmutter”.
In den Fotos,
drei Generationen
alternde
Brüste,
die hängen
immer weiter herunter.
In dieser Stunde
spür ich meine
Brüste
hängen bis auf den Boden.
Die ältere Generation der Familie, die geben ihm einige hundert Yuan, das darf er nicht ablehnen zum Mondneujahr. Als sie gegangen sind, nimmt er die Sprühflasche mit Alkohol und desinfiziert jeden einzelnen Schein.
Magst du Rock ‘n‘ Roll?
Sehr!
Welche Rock-Gruppe magst du?
Die B’z!
Was bringt dir das?
Ich bin ein wahrer Fan, geh mit meinem Idol ans Ende der Welt!
Trenn dich von ihnen!
Wieso?
Ich mag auch die B’z!
Häh?
Du nimmst mir mein Ende der Welt!
wenn meine tochter teigtaschen isst
braucht sie essig
und zwar dunklen reisessig
eine halbe schüssel voll
sie beugt sich hinüber
nimmt mit stäbchen einen jiaozi
knabbert ein eck ab
dass ein bisschen die füllung rausschaut
dann geht der jiaozi
in der essigschüssel tauchen
wenn er voll saft ist
wird er vorsichtig aufgehoben
und in den lange wartenden mund geschoben,
ganz wie bei papa!
Der offene Brief von der Sprachkunst ist sehr gut. Gestern hab ich ihn gelesen und gedacht, jetzt möcht ich doch etwas schreiben. Vorgestern hab ich mir die Rede das erste Mal herausgesucht, angeschaut, angehört. Sehr, sehr sehr gut. Sehr, sehr wichtig. Selten. Nicht feig, wie er selbst sagt. Das ist in Österreich schon viel.
Er wollte nicht reden, das glaube ich ihm. Weiß nicht, wer das auswählt. Aber wenn er redet, sagt er, macht er es sich nicht einfach. Das glaub ich ihm auch. Österreich hat ein unheilvolles Bedürfnis nach Harmonie. Klingt mir selbst zu pathetisch, wenn ich das sage. Oder ist es auch Kalkül? Es ist vielleicht beides. Sag etwas Positives. Etwas Konstruktives, Aufbauendes. Das hat Köhlmeier dann im Interview auf ORF2 gemacht. Ich glaube schon, dass er glaubt, was er sagt. Er will es tun. Er will Herrn Schrecken beim Wort nehmen. Natürlich, das sollten wir alle, Politiker beim Wort nehmen.
Wenn du es ernst meinst, bin ich bei dir. Sagt Köhlmeier. Ich will dir erst einmal vertrauen, sagt er. Wenn du sagst, die Partei muss sich ändern. Soll ich mir jetzt die Rede von Herrn Schrecken bei diesem Deutschnationalen Ball heraussuchen? Ich mag keine Videos. Ich mag auch keine Podcasts. Youtube ist etwas Tolles, auch etwas Demokratisches, aber ich mag es nicht. Ich mag Musik auf Platten. Kassetten. Filme im Kino. Reden live, ab und zu. Trete gern selber auf. Genommen werden, ausgewählt werden. Wer hat Köhlmeier ausgewählt? Danke! Tausend Dank! Ich könnte nicht sagen, ich vertraue Herrn Schrecken. Ist das eine Schwäche von Köhlmeier, wenn er sagt, dass er vertrauen will? Vielleicht nicht. Es ist nur im Interview. Die Rede war und ist sehr, sehr, sehr wichtig.
Bei Youtube kommt man vom Hundersten ins Tausendste, auch wenn man sagt, Herrn Schrecken hör ich mir sicher nicht freiwillig an. Aber gleich neben der Köhlmeier-Rede ist die von Arik Brauer. Auch schön. Auch sehr persönlich. Wenn er sich erinnert, an das Kriegsende in Wien. Am Flötzersteig. Hinauf zum Steinhof. Schrebergärten, wo sich Arik Brauer versteckt hat. Als sechzehnjähriger Jude. Noch ein Kind, vom Aussehen und von der Stimme. Ein schöner Sopran, sagt er. Sehr, sehr sympathisch. Das ist Österreich. Wien. Diese Sprache. Jüdisch gefärbtes Wienerisch. Selten. Sehr sehr kostbar, unsere Sprache. Es tut weh. Das Erinnern. Es ist sehr schön. Auch dass er gleich sagt, die meisten Leute haben sich nicht befreit gefühlt. Die Frauen. Die Leute in den Trümmern.
Die Demokratie. Ein zartes Pflänzchen. Man passt auf die anderen auf. In Europa. In der EU. Die Ironie, mit der er das sagt, ist auch sehr schön.
Die Einwanderung, sagt er, sei schuld. Am Rechtsruck. Die Einwanderung aus arabischen Ländern, wo so viele Leute die Juden zurück ins Meer werfen wollen. Da fühlt er sich bedroht. Sagt er. Von der Einwanderung. Die Einwanderung sei schuld am Rechtsruck, auch in Polen, Ungarn und so weiter. Das sagt er dann im Interview. Und Ex-Bundespräsident Ernst Fischer sitzt konsterniert dabei. Fischer war Flüchtling, im Zweiten Weltkrieg. Es tut weh. Die Kameras zeigen, wie die Politiker schauen. Das ist sehr gut.
Arik Brauer wird ganz besonders geliebt und bejubelt. Auch von der Regierung. Und Arik Brauer verbeugt sich mehrmals und schüttelt Herrn Schrecken freudig die Hand.
Welche Einwanderung? Es gibt nach wie vor keine Araber in Polen. Oder in Ungarn.
Welche Einwanderung? In Polen gibt es viele ukrainische Gastarbeiter. Stalin hat ja die Ukraine und Polen nach Westen verschoben. Also dort, wo die ukrainischen Gastarbeitern teilweise herkommen, war vorher Polen.
Wandern die Gastarbeiter ein? Manche, wenn sie können. Glaube ich.
Noch einmal, es gibt keine Einwanderung aus arabischen Ländern in Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei. Überhaupt keine. Vielleicht ein paar ganz wenige SyrerInnen, die es doch irgendwie geschaftt haben. Arbeit. Heirat. Wenige. In Polen ganz sicher noch viel weniger als in Ungarn. Geographie.
Warum sagt Arik Brauer so einen Blödsinn?
Soll ich es analysieren? Warum fallen die Leute auf Schrecken herein?
Es ist alles sehr kompliziert. Sagte Sinowatz, sagt Arik Brauer. In der Demokratie, in Europa. Das ist ja das, was so weh tut. Dass er so gut redet. Bis auf den Blödsinn, bis auf den Schrecken.
Jetzt könnte ich aufhören. Warum fällt jemand auf Schrecken herein?
Moslems gibt es mehr als früher. Muslime. In Österreich. Türken. Tschetschenen. Innen. Frauen. Frauen, Männer, Kinder. Viel mehr Muslime als Juden. Dass es beides gibt, Muslime und Juden, in Österreich, ist sehr, sehr wichtig. Musliminnen, Jüdinnen. Identität. Gehört zu uns, seit über hundert Jahren. Seit ewig. Seit immer. Österreich ist Europa.
Unlängst war im Standard ein Kommentar, der an das Arabische im Römischen Reich erinnert hat. Einige Kaiser, aus Syrien und so weiter. Lukian. Etwas bei Lukian. Europa gabs nie ohne Araber.
Harmonie. Hab ich jetzt auch Harmoniebedürfnis?
Moschee und Kasino. Eines meiner besten Gedichte. Chinesisch, ursprünglich. Geschrieben in Malaysia. Handelt auch von Singapur. Da gibt es Fotos. Wie ich Moslem spiele. Sozusagen. Es war sehr schön.
Jetzt hab ich doch sehr viel geschrieben. Kein Gedicht. Einmal. Friede sei mit Euch, mit uns. Amen.
An Qi WHY GUAN YU DOESN’T PRETEND TO GIVE HIMSELF UP TO SUN QUAN
each day at dusk
ma has a video chat with me
she refused WeChat at first
but my younger sister set it up
ma falls in love with it
she says it’s cheap, monthly 70 yuan
and she sees me every day
now she has a new job
reports from listening to Three Kingdoms
my sister sends her two chapters per day
finally old ma isn’t bored anymore
her life is the fate of the heroes
today she tells me
Guan Yu gets caught by Sun Quan
they will cut off his head
but he is too stupid
he doesn’t pretend to give up
why won’t he capitulate?
she asks me three times
I can only say
I don’t know
one guy in our dormitory bought us a model
made in usa
must be 30 centimeters
silver all over
golden shine, lines very clear
you can take him for real
he has to stand on our table
dirt all around him
coke-bottles, mcdonalds
fruit bags, rice box, waste paper
sprite cans. one heap of chaos.
he has to live in our garbage
can’t see his way out
flies round his ears
no wonder his fists are so tight
his face speaks of wrath
though he can do nothing
but this cannot go on forever
one day
his soul will break out
under the flesh
of the steel
one pitch-dark night
his angry eyes
will burn to cinders
squalor and chaos
whatever holds him
burn everything
sie haben ein altes theater abgerissen
sie haben einen ahnentempel demoliert
sie haben den hof ausradiert, wo der urgroßvater geboren wurde
wo sein urenkel hochzeit halten wollte
sie haben das ganze dorf abgerissen mit dreihundert haushalten
und stammbäumen von 400 jahren
und die alten gräber die keiner mehr kennt
sie wollen ein vergnügungsviertel errichten
sie wollen ein kaufhaus erbauen
und noble wohnhäuser
das kann ich verstehen
was ich nicht verstehe
tut was ihr halt tut
aber dass ihr hier wo das dorf der familie shen war
ein großes schild hinstellt
“slumviertel-umgestaltung”
ihr stößt leute nieder
und spuckt auch noch drauf
oma hält eine schale voll schnee,
geht in den schuppen, kocht ihre suppe
manchmal gibt es nicht viel zu essen, dann kommt die schneeschaufel.
noch einmal schnee in den reis,
es ist guter schnee, gut für drei mahlzeiten.
langsam werden wir großgefüttert.
das war in meiner kindheit.
wenn ich jetzt wieder hinkomm,
schaufelt oma mit hundert jahren
noch immer schnee.
schnee kommt zu ihr,
wie ihre kinder und kindeskinder
aus weiter ferne.
am brunnenrand hält er seinen sohn, seinen liebling,
sagt zu meinem vater: “in zukunft
können unsere kinder nur zum militär gehen,
einen anderen weg wird es nicht geben. “
sie haben noch etwas anderes gesagt,
wahrscheinlich über die ernte.
sie hatten nicht so viele themen,
aber kinder bespricht man nicht wie das wetter.
niemand hätte gedacht, dass eines der kinder
sich an die worte erinnert. außerdem weiß er noch
schmerz im gesicht eines vaters.
vielleicht war es nur eine lästige motte.
vierzig jahre später erinner ich mich an die szene.
am brunnenrand sind keine väter,
erst recht keine söhne. nur dieser kopflose satz
geht durch offene maisblätter,
durch teufelszwirn der sich schlängelt,
im abendlicht und im schatten
von unten herauf.
hat sich das andere kind
vielleicht auch einen satz meines vaters gemerkt?
sucht er auch nach mir,
um einen satz auszutauschen? jedenfalls
reden wir noch über das heurige wetter.
Die Oma vom 6. Stock
die ausschaut wie meine
verstorbene Oma
wenn sie hinunter fährt
drückt sie oft den falschen Knopf
kommt dann zu Fuß wieder hinauf
jedesmal wenn die Lifttür aufgeht
und ich sie seh
denk ich
ha, Oma
wieder mal kommst du
von unten herauf.
I want a lamp.
No incandescent lamp;
no energy-saving lamp;
no neon lamp;
no path light either,
but what I saw
at my grandmother’s place when I was small:
a barn lantern.
In a dream
I pick it up from a trash heap.
Like my grandmother,
I am lighting the lamp.
Tr. MW, December 2015
Jiang Caiyun LAMPE
ich möchte eine lampe
keine glühlampe
keine energiesparlampe
keine neonlampe
keine lampe draußen
sondern was ich als kind
im alten haus von meiner oma gesehen hab
eine petroleumlampe
in meinem traum
heb ich sie auf aus dem abfall
und wie meine oma
zünd ich sie an
ich denke immer noch sehr viel an dich
bevor du gestorben bist
hab ich dich kaum gesehen
ich hab dich nur einmal zweimal besucht
in deinen letzten monaten
ich hab geglaubt wir gehn in den garten
wie die jahre davor sobald es wärmer wird
du wirst vielleicht glauben dass du bei uns bist
dass wir bei dir sind dass deine familie
ich erinnere mich sehr gut an den garten
es gab auch ein zimmer
einen raum der frei war jedenfalls manchmal
dort war etwas wie ein klavier
etwas altes da hab ich geklimpert
wir haben manchmal ein bisschen gesungen
einander erkennen geht nicht sofort
nur dass jemand da ist von der familie
meine mutter war dort, meine mutter mein onkel
mein vater meine tante cousinen cousins
meine schwester meine neffen
zivildienst rotkreuz die beiden mädchen
sozialdienst du warst immer noch
du warst die familie
der garten
die himbeeren brombeeren ribisel
das gras und die wege die bäume die rosen
die anderen leute ich frag mich oft
was aus dem geworden ist
der erwin? den hat man von weitem gehört
am ende ist er sehr schnell gealtert
woher kommen die leute
wer wem etwas sagen darf und was herauskommt
die anderen leute die schwestern die pfleger
manche waren ein segen
die verbindung war da der stadtrand die liesing
der autobus geht alle zwanzig minuten
oder auch nicht. mit dem fahrrad am bach entlang
gehen am bach entlang
es ist auch nicht weit vom lainzer tiergarten
die verbindung war da du warst die verbindung
die stimme wie früher am telefon
deine welt deine wohnung deine erinnerung
einander erkennen geht nicht sofort
unlängst war ich am friedhof
solang du da warst war etwas da
es wird immer da sein solang wir da sind
wir sind in der nähe
wir sind nicht in china
nur leider sehen wir uns nicht sehr oft
one poet
wrote hundreds of poems
before he died
after hundreds of years
I saw his name
in the notes to a poem
by another poet
and I learned
he had written hundreds of poems
not a word had survived
I started to sweat
but I thought he died
I was secretly glad that he died
without knowing this fact
it seems that guy hundreds of years ago
he was called ma
he was a relative
Tr. MW, Sept. 2015
Ma Fei EIN DICHTER
ein dichter
schrieb ein paar hundert gedichte
dann starb er
ein paar hundert jahre später
hab ich in den fußnoten
zu einem gedicht eines anderen dichters
seinen namen gesehen
und auch erst erfahren
er schrieb ein paar hundert gedichte
kein wort blieb erhalten
mir brach kalter schweiß aus
ich dachte daran dass er starb
und war heimlich froh dass er starb
ohne davon zu wissen
dieser kerl vor paar hundert jahren
hieß ebenfalls ma
er war offenbar mein verwandter
she went through the cultural revolution
through the great leap famine
through working her farm on her own
went through village loneliness
went through labour pains
went through years of poverty
she carried her son on her back
a dozen miles to the next clinic
went through years of not speaking
went through times of great fires
she did not change one bit
like other people of the same age
she became old in her best years
in their richest dreams they became skinny
she had five children
her five children gave birth in turn
to her ten grandchildren
through her busy life
through stomach aches and tinnitus
through fevers and colds
through getting sick
through the moon waxing and waning
when she gets tired and falls asleep
she will go through a big fire
becoming the air
I breathe every day
in junior high
I went to her place
her mom drying peanuts out in the sun
turning them over
telling us
don’t eat the peanuts
they’re for your big brother’s wedding
she graduated from college
her mom was still drying peanuts
she married
her mom drying peanuts
for her big brother’s wedding
now her own son is already married
her mom is still drying peanuts