Als Mutter Krebs gehabt hat,
als es ihr immer schlechter gegangen ist,
hat sie beschlossen wer Schuld war:
Vater, der sich die ganze Zeit um sie gekümmert hat.
Vater sei ja ein Tiger
und sie ein Huhn, die bekämpfen einander.
Würde sie Vater nicht mehr sehen,
dann würde es langsam besser werden.
Vater ist nichts übriggeblieben,
er hat sich in der Ecke versteckt
und still geweint.
Als Mutter eingesargt worden ist,
hat Vater seine Schweizer Uhr,
die er über 20 Jahre getragen hat,
Mutter um die Hand gelegt
und ein Foto von ihm als er jung war,
an der Brust eine große rote Blüte,
das hat er Mutter heimlich
unters Kopfkissen geschoben.
Der alte Vater, vor Jahren gestorben,
hat gewusst, dass seine dritte Tochter geisteskrank war.
Die große Schwester in hohem Alter,
die zweite Schwester, die nicht mehr lebt
und die seit langem verwitwete vierte
wussten und wissen nicht, was die dritte hat.
Der vom anderen Ufer aus Shanxi adoptierte Bruder
und sein siebzigjähriger jüngerer Bruder,
die wissen es auch beide nicht.
Ihr über 80jähriger Mann,
sie sind mehr als 60 Jahre verheiratet,
der weiß nicht, dass sie krank ist.
Ihr großer Sohn ist 60 Jahre gequält, er weiß es,
auch seine Frau, die oft Unfälle verursacht.
Ihr zweiter Sohn und seine Frau haben keine Ahnung,
die beiden Enkel wissen nicht, was mit Oma los ist.
Alle sonstigen Verwandten,
Nachbarn oben, unten, links, rechts
wissen nicht, was sie hat,
finden sie nur komisch.
Sie selbst weiß es manchmal
und manchmal nicht.
Die es wissen,
stehen ihr am nächsten
und sind innerlich am meisten verzweifelt.
Pang Qiongzhen IN DER LINKEN DAS MESSER, IN DER RECHTEN DIE STÄBCHEN
Beim gemeinsamen Kochen zum Frühlingsfest
fällt mir auf, die Schwägerin vom großen Bruder
schneidet Gemüse mit der linken Hand.
Aber sie hat doch immer die Stäbchen
von rechts gehalten beim Essen!
Die Schwägerin erklärt:
Als sie klein war und essen gelernt hat,
haben die Großen sie geschlagen, damit sie es richtig macht.
Als sie alt genug war für das Messer,
haben die Großen sich nicht mehr gekümmert.
Als ich als Reporter
das erste Mal hinunterstieg,
verstand ich nach vielen Jahren,
dass mein Vater, der Bergarbeiter,
überall hinspuckte und dauernd rauchte,
um den Kohlenstaub aus seiner Lunge
herauszukriegen wie es nur ging.
In einer Idee ein Held, in einer Idee ein Verräter.
In einer Idee lebt der Vater, die Mutter gestorben, in einer Idee.
In einer Idee, das leere Blau.
In einer Idee, der Himmel ist nicht leer.
In einer Idee kommt der Mond, die Sonne sinkt in einer Idee.
In einer Idee die Ehefrau, in einer Idee die Geliebte.
Der Tempel in einer Idee.
Der Massagesalon.
So bevorzugt von oben,
was kann da noch werden?
[In einem Kreis aus weißen Blüten in grauer Asche auf der Straße steht eine kleine Metalltonne. Darin werden Zettel verbrannt. Eine Menschenmenge sitzt auf der Straße und skandiert.]
Nieder mit der Militärdiktatur!
Protest! Protest!
Streik! Streik!
Revolution!
Die Revolution wird siegen!
Gerechtigkeit und Freiheit müssen gewinnen,
in unserem Land, in unserer Nation.
Wir sehen, wie sie unsere Nationalhymne auf die Guillotine zerren.
Ihre Ansage, die Zeit der Sandalen sei zu Ende,
kommt in die Öffentlichkeit
wie ein gebrauchtes Kondom aus einem Bordell.
Wütend wie das Feuer der Hölle,
schreit der Oger Alawaka Drohungen
und zeigt seine schrecklichen Krallen!
Aber er wird auf seiner Brust liegen,
zu Füßen von Dharma und Sila.
Das ist der Weg der Wahrheit.
Weil sie ihre Würde als Menschen
nicht gegen eine Mundvoll Reis eintauschen,
haben sie Widerstand geleistet, haben ausgehalten,
sind zusammengefallen und umgefallen.
Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen!
Die neue Nationalhymne kommt als Death-Metal-Version heraus. Kondomfirmen nehmen keine Kundenanrufe mehr entgegen.
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Möge ich verlieren, möge die Wahrheit siegen!
Wenn die Bastarde verlieren und um Gnade flehen,
indem sie unsere Eier umfassen,
werden wir ihnen ins Gesicht pissen.
Wir schlagen nicht auf Töpfe und Pfannen,
weil es lustig ist.
Wir haben keine Waffen.
Wir haben höchstens Töpfe und Pfannen.
Wir haben keine Macht.
Wir haben nur Töpfe und Pfannen.
Haut auf die Töpfe! Schlagt die Pfannen!
Haut drauf! Haut drauf! Das ist unsere Revolution!
Haut drauf! Haut drauf! Das ist der Weg zu unserem Ziel!
Haut drauf! Haut drauf!
Haut drauf! Haut drauf!
Eines Tages werde ich Sternen-Bumen streuen, auf das Grab meiner kleinen Schwester.
Diesen Sommer können wir die Hunde nicht wieder tollwütig werden lassen.
Diesen Sommer wird jede Blume knospen und wundervoll aufgehen.
Diesen Sommer werden die Fahnen des Volkes im Wind flattern und triumphieren.
In meiner Jugend gab es nur einen Min Ko Naing.
Jetzt ist jeder junge Mensch Min Ko Naing.
Schützt alle Min Ko Naings!
Schart euch um alle Min Ko Naings!
Jedesmal, wenn ein schlechter Samen auf einer Bühne aufgeht,
versinkt die ganze Welt im Chaos.
Sie wird krank, ihr Körper brennt vor Hass.
Ich bin krank und nehme eine zehn Jahre alte bittere Medizin.
Aber ich bleibe krank. Im Leben in dieser Welt werden wir alle krank.
Wir können uns nur selbst kurieren, haben keine Zeit, angefressen zu sein. Wenn wir am Esstisch Platz nehmen, schwärmen die Heuschrecken wieder herein.
Wie kannst du arbeiten gehen, wenn alle protestieren?
Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?
Wirst du ok sein, wenn sie auf deine Familie spucken?
Kannst du glücklich sein, wenn deine Kinder die Stiefel von Min Aung Hlaing lecken, während seine eigenen Kinder stinken vor Geld?
Kannst du sagen, “gut gemacht”, wenn deine Enkel kaum überleben, während Min Aung Hlaings Enkelin im Ausland studiert?
Kannst du in Frieden zur Arbeit gehen, wenn dich die Unterdrücker mit ihren Gewehren wie eine Kuh behandeln?
Kannst du froh ins Büro gehen?
Kannst du froh ins Büro gehen?
Jeden Morgen, wenn Papa und Mama zur Arbeit gehen,
schämen wir uns, meine Schwester und ich.
Wir möchten nicht für unsere Zukunft fürchten.
Papa, bleib daheim. Mama, geh nicht ins Büro.
Bleibt zuhause für unser Land und für uns.
Lasst uns euch danken, dass ihr uns aufgezogen habt, indem wir uns den Protesten anschließen.
Lasst uns den Garten unserer Zukunft bestellen.
Zu viele Blätter sind zu früh abgefallen!
Wir werden eure Barbarei im Namen der Wahrheit zerstreuen!
Die Blumen des Winters werden auf euch losgehen,
die Wasser des Monsuns werden euch ertränken.
Für eine gerechte Sache opfern wir unser Blut!
Wir lassen niemanden unseren Frühling wegnehmen, nicht einen Fingerbreit.
Ich war eingeladen zum UNESCO-Poesiefestival,
sollte online rezitieren, zur Feier des Welttags der Poesie.
Ich habe abgesagt.
Ich habe geschrieben,
Russland ist doch euer größer Sponsor, nicht wahr?
Meine Antwort auf eure Anfrage
entspricht den Gefühlen der Menschen in Myanmar.
Also scheint es so zu sein,
dass ich an der Revolution des Frühlings teilnehme,
nicht indem ich Gedichte lese,
sondern indem ich ablehne, zu lesen.
Seltsame Sache!
Mögen allen Arbeitsscheuen
ihre Verdienste vermehrt werden,
mögen ihre Gebete in Erfüllung gehen!
Mögen alle, die streiken,
reinen Herzens sein und von allen geliebt werden.
Mögen alle, die daheim bleiben,
von Geistern und Menschen gesegnet werden,
mögen alle, die diesen Boykott mittragen,
die Kraft finden, weiterzumachen!
Der Klang des Marsches unserer Herzen fließt bis in unsere Fingerspitzen!
Der Golf-Taifun ist weder hineingekommen noch weggegangen.
Ihr sollt wissen, wir sind Geister.
Wir sind schon gestorben.
Wenn wir heute wieder sterben,
werden wir euch für immer heimsuchen.
Wir sind Geister, wir sind schon tot!
Heute suche ich den ganzen Tag im Fernseher
und bekomme keine Sender herein.
Wegen der Störgeräusche
klopfen die Nachbarn an meine Tür.
Bratet das Schwein in seinem eigenen Fett!
Bratet die Tür darin!
Der Schweinekerl, den du gesehen hast,
versteckt sich vor der Guillotine!
Du magst davon gehört haben oder nicht,
aber das ist keine akzeptable Entschuldigung.
Weil wir nicht zurück können in die Vergangenheit,
haben die Kinder, die wir nicht bekommen haben,
Waffen ergriffen zu einer Zeit, in der wir nicht leben.
Sie sind gegen Befehle von oben aufgestanden.
Sie haben ihren Sklavengeist
in einen Salzsack gesteckt
und im Fluss ausgelassen.
Gedankenfetzen von Millionen
vereinen sich in einem zitternden
und doch festen Faden.
Ich bin Ma Seint Htet, der vom Berg herunterfällt.
Ich bin U Ko Ni, der am Flughafen steht,
der vergebliche Besuch von Ibrahim Gambari.
Ein EPC-Elektriker hängt tot von einem Strommast.
Und ein Wanderarbeiter …
Die Räder der Hirne in den Bäumen
drehen sich zusammen
in den Ohren in den Schwertern
in den Wänden.
Die Knöchel eines alten Gewandes
werden terrorisiert
und jeden Tag heimgesucht,
übertrieben, als Strategie.
Die Erde auf meinem Gesicht
ist ein Haufen zerbrochener Knochen.
Fünfzig Jahre in einer Kassette aufbewahrt,
ohne Tonband.
Ein trauriges Lied,
das wir sofort nicht mehr singen dürfen.
Niemand wird uns wieder auseinanderbringen!
Wir sind ein einziger Blutkreislauf geworden!
Mach deine Maske zu deiner Fahne,
mach deinen Facebook-Eintrag
zu deinem Ultimatum!
Wo immer du bist,
dort mach deinen Protest!
Heute halten die Mütter ihre Kinder nicht zurück,
wenn sie hinausgehen und Gerechtigkeit verlangen.
Sie reißen ein Stück von ihrem Longyi ab
und binden es um den Arm jedes Kindes,
damit es geschützt sei vor Kugeln und Patronen
Auf den Straßen der Revolution.
Bewegen sich Heldinnen und Helden
in einem roten Schwall.
Wolken türmen sich auf
und darunter zerfällt der Morgen
in eine Revolution.
Das Heulen eines riesigen Tintenfisches,
der durch die Straße bricht,
hallt noch im Himmel über der Stadt.
Auch wenn ihr unsere Handgelenke durchschneidet,
wie ihr nur wollt,
unsere Fäuste werden nicht aufgeben.
(12 Männer zusammen skandieren) :
Der dämonische Enkel, frisch vom Mönchstum, zischt:
Ein Riss im herausgebackenen Teig, ein Sohn, der das Land zerstört!
Der dämonische Enkel, frisch vom Mönchstum, zischt:
Ein Riss im herausgebackenen Teig, ein Sohn, der das Land zerstört!
Zum Gedenken an den Dichter K Za Win, der gegen den Militärputsch protestierte und am 3. März in Monywa in einer friedlichen Demonstration von Soldaten getötet wurde. Möge er in Frieden ruhen. Dichterinnen und Dichter werden überall in Myanmar verhaftet.
Es folgen die Namen von 32 Dichtern und Dichterinnen in der Reihenfolge ihres Auftretens in dem Video.
Der Hals ist doppelt so dick,
der Arzt stellt eine Fettgeschwulst fest,
die müsse man operativ entfernen.
Die Stelle ist relativ heikel.
Nachdem der Termin festgelegt ist,
gibt sich Vater vor mir
ganz gelassen.
Aber in meinem Mittagsschlaf
ruft er meine jüngere Schwester an,
gibt ihr seine Kontonummer durch,
den Kontostand und den PIN.
Pa-ta-pa-ta!
Opa weckt die Hausschlapfen auf.
Schua-la-schua-la!
Opa weckt die Jalousie.
Di-da-di-da!
Opa weckt den Wasserhahn.
Gu-lu-gu-lu!
Opa weckt seine dritten Zähne.
Peng!
Opa weckt den Kühlschrank.
Ding-dong!
Opa weckt den Topf.
Zisch-zisch!
Opa weckt das Feuer.
Blubber-blubber!
Opa weckt Kochwasser,
Nudeln und Jiaozi.
Ke-teng!
Opa weckt die Schachtel mit Geld.
Kuang-dang!
Opa weckt die Tür,
geht zum Supermarkt, weckt dort Gemüse auf.
Chrr-Pitschipüü!
Ka-bumm-ka-bumm!
Ich stehle noch Zuckerl im Traum.
Übersetzt von MW im März 2021
Lu Shiyu, geb. im Juli 2014, geht in Wenzhou zur Schule. Begann mit 5 zu publizieren, nahm erfolgreich an lokalen und nationalen Wettbewerben teil. 《新诗典》小档案:鲁诗语,女,6周岁,2014年7月出生,浙江省温州乐清市丹霞路小学一(3)班学生。5岁开始发表诗歌 … …
der frauentag
und mein geburtstag
ist derselbe feiertag
so viele jahre
frag ich mich schon
was ist dahinter
gibt es einen
geheimen zusammenhang
erst am 50. geburtstag
kapier ich es ist nichts
besonders hohes und tiefes
vor vielen jahren
am 8. märz
weltweiter feiertag
für alle frauen
vor dem freudigen hintergrund
hat meine mama nicht ausgehen können
sondern schmerzen gehabt
und mich geboren
sowas vergisst man nicht
In the south in the countryside,
when it gets cold suddenly,
you have old people leaving this world.
Some from old age,
some in sickness and pain,
some sit in the sun
and then they are gone.
The most envied ones,
they pass in their sleep.
After my great-aunt went, in the morning,
when the sun came out,
a cook said
it was a good day.
Komme in ein kleines Land,
Flussufer endlos am Abend,
Sträucher mit Blüten, in Wellen nach außen
wie Wolken
wie Schnee.
Ich zwick den Bub in die Arme, Beine,
er hat hat sehr wenig an.
Dein Papa hat schon
Bleistifte und Hefte
in deine Schultasche gepackt.
Wir sind am Äquator,
auf der Südhalbkugel.
Kommen wir zweimal im Jahr,
feiern wir zweimal Neujahr.
Zweimal im Halbjahr
heißt zweimal zwei Neujahr.
Und Hitze zu Neujahr!
Übersetzt von MW im März 2021
Hai Qing, geb. in den 1960er Jahren, Avantgarde-Dichterin, Erzählerin, Fotografin. Fabriksgedichte 1986-1996. Zahlreiche Publikationen in mehreren Sprachen. 《新诗典》小档案:海青,六零后先锋诗人,写小说,摄影。诗作发表或入选《新世纪诗典》,《当代诗经》,《山东文学》,《当代传世诗歌三百首》,《诗探索》,《流派诗刊》,《中国诗影响》,《中国当代诗经》(韩国,双语),《中国女诗人先锋诗选》2018年,2019年卷,《舌尖上的诗——中国口语诗年鉴·2019》等选本刊物,及多个公众号。部分诗歌被翻译成英,韩,德语等。有工厂组诗《大俗的年代——1986—1996》。纽约新世纪出版社出版,中文无限制长诗诗集《梦境》和中韩双语诗集《花落的方式》。
Sitze vorm Grab der Urgroßeltern.
Trinke Limo, sehe Flugameisen rauskrabbeln,
ungeschickt auf den Grabstein klettern,
sich in die Luft schwingen, torkelnd fliegen.
Süß!
Mama, was ist wenn heute
hier jemand eine Atombombe runterwirft,
wirst du dann wegrennen?
Ob ich dann wegrenne?
Kleiner, wenn heute jemand
hier auf diese Kapelle eine Atombombe abwirft,
kann wahrscheinlich gar niemand wegrennen.
Wenn es passiert,
sitz ich weiter neben dir,
schau wie die Ameisen
sich bemühen zu fliegen.
bisschen nach sechs, noch dunkel, im traum
vom telefon aufgeschreckt. große schwester sagt, zu neujahr
kommen geschenke. meine alte mutter, mitten in der nacht,
steht auf, zieht sich ordentlich an, steckt geld in die taschen,
am arm ihrer zugehfrau die stiegen hinunter, im morgengrauen
schon auf dem weg. das ziel ist beijing,
den sohn besuchen. sie sagt, die großen straßen entlang,
so wird sie hinkommen. die große schwester hält die beiden auf,
zurück zu hause rät sie der mutter, zuerst mit dem sohn zu sprechen.
und so kommt es, ach, sie ist 88, ich bin 59;
eine neue reise hat schon begonnen.
Ich bin ganz klein,
sitz auf dem Schemel,
hör Omi erzählen
eine Diebesgeschichte.
Der Dieb gräbt ein Loch
in eine Lehmwand,
steckt seinen Kopf hinein;
wird von dem Herrn
des Hauses entdeckt.
Der Herr verstopft
das Loch so dicht,
dass der Kopf nicht hinaus kann,
kocht einen Topf Hirse;
füttert dem Dieb
den brennheißen Brei
bis er tot ist.
„Zu grausam“,
sagt der Onkel, der neben uns
die Geschichte gehört hat.
Ich wollt gerade
dem Herrn applaudieren,
stopp mittendrin;
merk mir, was er
gesagt hat, bis heute.
30. September 2020
Übersetzt von MW im Februar 2021
Der Arzt aus dem Nachbardorf
war krank, ist gestorben. Als die Nachricht kommt,
an dem Abend sind in unserem kleinen Geschäft
sechs, sieben alte Leute vorm Fernseher,
jeder ein sorgenvolles Gesicht.
Das war der einzige Arzt in der Gegend,
der hat sie ihr ganzes Leben behandelt.
Alle seufzen, in Zukunft
wird niemand sich um sie kümmern.
26. 12. 2020
Übersetzt von MW im Februar 2021
Yang Yan, 1982 geboren, Waage. Lebt in Ningde, Provinz Fujian.《新诗典》小档案:杨艳,1982年生,天秤座,现居福建宁德。
Mir fällt ein Stein fällt vom Herzen,
ich strahl übers ganze Gesicht.
Mein schlechtes Gewissen ist reduziert,
ich bin voller Glückwünsche.
Ein bisschen fühlt es sich an
wie meine kleine Schwester verheiraten,
meine Tochter verheiraten.
Nur nicht wie
meine Ex-Frau verheiraten.
Kleine wilde Chrysanthemen
springen überall auf.
Aber sie überstehen
den ersten Winter nicht.
Wenn die Schneeflocken blühen und den Himmel erfüllen
stickt Mutter Faden für Faden
rote gelbe lila blaue Blumen
in unsere Polsterüberzüge
von uns vier Kindern,
jede voll aufgeblüht.
Meine Mutter, als sie auf der Welt war,
sie hat sehr lang
auf dem Land gelebt.
Ein Zehntausend-Yuan-Hof, das wollte sie sein.
Sie hat lange gekämpft
und ihr Ziel nie erreicht.
Bis sie in die Stadt gezogen ist
und mit uns zusammen gewohnt hat.
Ich hab gesehen, sie hat viele Zähne verloren,
da hab ich zehntausend Yuan aufgewendet
und ihr im Mund alles neu machen lassen.
Als die neuen Zähne fertig waren, hab ich gesagt:
„Jetzt brauchst du niemanden mehr beneiden,
dein ganzer Mund
ist ein Zehntausend-Yuan-Hof!“
Seit ich mich erinnern kann, war Oma alt.
Ein gebückter alter Mensch mit Feuerholz und Stroh auf dem Rücken.
Ein alter Mensch mit einem Eimer, der Hühner füttert.
Ein alter Mensch, der früh aufsteht und kocht.
Ein alter Mensch, der mich in der Nacht auf den Schoß nimmt, wenn mein Bauch weh tut.
Sie redet sehr gern,
sagt oft zu mir: Gib diesem Bettler eine Schale Reis,
wasch dich nicht immer mit kaltem Wasser an heißen Tagen…
Zu Leuten, die streiten, sagt sie: Langes und kurzes Gras wird beides geschnitten.
Wenn sie in den Himmel schaut, sagt sie: Du alter Halsabschneider im Himmel…
Aber im Alter hat sie die Sprache verloren.
Sie liegt nur im Bett und macht keinen Mucks.
Übersetzt von MW im Januar 2021
Ding Xiaowei, geb. 1974, kommt aus Yunyang bei Chongqing. Mitglied der Chinesischen Schriftstellervereinigung, Magister der Künste. Publizierte Gedichtbände, Essays, einen Roman, Reportage etc. 《新诗典》小档案:丁小炜,1974年生,重庆云阳人,中国作家协会会员,艺术硕士。著有诗集《不朽之旅》《漫过时间之水》、散文集《心灵的水声》《一路盛宴》、长篇纪实文学《在那遥远的亚丁湾》《一腔无声血》、长篇小说《秋山几重》等。
Vor zwei Jahren ist ihr Alter gestorben.
Alle in der Familie haben geweint,
nur sie allen nicht.
Die Nachbarn haben gesagt,
ihr Kopf sei schon zu alt und kaputt.
Heute sitzt sie vor der Haustür,
schaut in die Ferne
und fängt an zu weinen.
Übersetzt von MW im Januar 2020
Na Yan, Künstlername von Yang Meiyan, gehört zum Volk der Miao. Sie wurde 1990 in Guangxi geboren und arbeitet als Lehrerin. 新诗典》小档案:那燕,原名杨美艳,苗族,1999年出生于广西百色隆林,河池学院在校生。
I sit on the chair of June 1st
and think of things of last month.
Last month was May,
only one day ago.
I can’t grasp anything
that went on in there.
47th birthday,
fight with my wife,
unused coupons.
Bought pants, couldn’t return them.
These things,
just let them be gone.
If there is a wall
between May and June
and there is a crack
that allows me to travel
from June into May
there is this one thing I would do:
Great-grandmother who passed on May 1st
at 99, let her live past 100.
Nachdem Vater von uns gegangen ist,
hat sich an seinem Platz am Esstisch
keiner mehr hingesetzt.
An dem Tag, als meine Tochter nach der Uni
eine Arbeit gefunden hat,
setz ich mich an den Platz,
schenk mir ganz allein ein,
bis ich nicht mehr kann.
Der Dichter 3A
betreibt ein kleines Geschäft,
speziell für bizarre Steine aus Laibin.
Seit unlängst macht er Live-Videos,
am Anfang ruft er immer:
Alter Tiä! (Tiä heißt Eisen, Alter Tiä heißt alter Freund)
Aber seine Aussprache stimmt nicht, es klingt wie
Alter Diä, alter Dad.
Ich korrigier ihn nicht.
Unser Familienname ist Shi, das heißt Stein,
wir sind Söhne der Steine.
Und ich weiß auch,
sein richtiger Dad
liegt schon jahrelang krank im Bett,
kann ihn längst nicht mehr abhalten,
sich für Poesie
herumzutreiben.
Übersetzt von MW im Januar 2020
Tuo Fu, Künstlername für Shi Caifu, kommt aus Laibin in Guangxi. Schreibt Gedichte und Essays, lebt in Nanning. 《新诗典》小档案:拓夫,本名石才夫,广西来宾人。有诗集《以水流的姿势》《八桂颂》《流水笺》、散文集《坐看云起》《天下来宾》等出版。有作品译介到越南、泰国、俄罗斯等,现居南宁。
Könnte ich wählen,
hätt‘ ich ein Haus mit einem Holzzaun rundherum,
bisschen Boden anbauen, Hühner füttern.
An einem bedeckten Tag, wie ichs gern hab,
sie macht Esssen, ich mit einem Bruder,
wir liegen im Lehnstuhl, beim Schachspiel.
Könnte ich wählen,
wär‘ ich das Unkraut bei meiner Oma,
wär‘ eine Fliege,
aber nicht so lästig,
würd‘ mich verstecken in einer Ecke,
still auf den Tod warten.
Könnte ich wählen,
möchte ich nicht Ezher sein.
Ich wäre gern Rustem, Si Tunan aus „Renegade Immortal“
oder Zhou Yi aus demselben Roman.
Übersetzt von MW im Januar 2020
Ezher, geb. 1999 in Bortala, Xinjiang. Uighur. Schreibt seit 2019 Gedichte auf Chinesisch. Studiert in Beijing, liebt Musik. 《新诗典》小档案:艾孜哈尔,一九九九年生,维吾尔族,新疆博乐人。二零一九年尝试汉语写作,作品见于《白夜谭》《磨铁读诗会》。现在北京上学,喜欢听音乐。
Weiß nicht, wann ich angefangen hab,
bei Jobinterviews, wenn ich ausfülle
was meine Eltern arbeiten,
immer zu schreiben „Einzelunternehmer“.
In Wirklichkeit haben die beiden
nie irgendwelche Unternehmen geführt.
Mein Papa ist Schrottsammler,
manchmal auch Zeitarbeiter.
Meine Mama hat in ihrem Leben
nie offiziell eine Arbeit gehabt.
Sie war daheim bei den Kindern,
später hat sie draußen für ihren Mann gekocht,
heute schaut sie daheim auf die Enkel.
30. 11. 2020
Übersetzt von MW im Januar 2020
Lü Yu, Papa von Cijun und Ziyi, geb. am 21. 1. 1990 in Guoyang, Provinz Anhui. 2012 Abschluss der Fachschule für Rundfunk, Film & Fernsehen der Provinz Shanxi. Arbeitet & lebt in Beijing. 《新诗典》小档案:绿鱼,此君和子衣的爸爸,1990年1月21日出生,安徽涡(guō)阳人。2012年毕业于山西广播电影电视管理干部学院,目前在北京工作及生活。
Meine Mutter hat von klein auf ein gutes Gedächtnis,
müht sich und sorgt sich,
fleißig ihr ganzes Leben.
Aber dann,
eines Tages,
steht sie auf
und kann Traum
und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden,
die beiden sind ineinander verschmolzen.
Es war so:
Sie ist aufgestanden bevor es hell war,
hat sich gewaschen und gekämmt,
fertig angezogen zum Ausgehen,
ihr Gepäck vorbereitet
und sich hingesetzt und gewartet.
Mein Vater fragt was sie vorhat,
sie sagt
mein Sohn kommt gleich mit dem Wagen
mich abholen.
Ich hab nichts davon gewusst.
Aber es ist ein paarmal passiert,
dann frag ich Mama,
ich hol dich ab und wohin fahren wir?
Sie sagt,
du hast es mir nicht gesagt.
Die Familie verhandelt,
wir wollen, dass sie im Spital untersucht wird.
Sie will auf keinen Fall,
niemand kann sie überzeugen.
Wenn keiner mehr da ist
wird sie auf einmal wach,
ihre Augen leuchten,
sie sagt mir ganz deutlich
sie sei Wong Tai Sin, die große Fee Huang,
das dürfe ich nicht weitersagen.
Ich weiß jetzt, sie muss untersucht werden
und bin sicher sie wird sich erholen.
Sie braucht sich in Wirklichkeit
nicht mehr abmühen
und sich um alle kümmern.
Ich glaube, sie versteht gar nicht,
wer diese Fee sein soll.
Sie hat sich nur erinnert,
ihr eigener Familienname ist Huang.
Xiao Xia CRAWLING ALL OVER TO LOOK FOR THEIR TEETH
Fireworks for the ancestors
at Tomb-Sweeping Day were too loud,
Elder Brother Shu’s 6000-Yuan false teeth
got shattered and knocked out of his mouth.
Eldest Brother saw what happened
and helped in the search.
Brother Shu whispered to his older brother,
smaller movements, please!
Don’t let the young ones know two local cadres
are crawling all over looking for teeth.
Translated by MW, December 2020
Xiao Xia, orig. name Xie Zihong, born in the 1980s in Laibin, Guangxi. Writes poetry since 2017, has published in local and foreign magazines and anthologies. 《新诗典》小档案:小虾,原名谢字红,女,广西来宾人,80后,汉族,2017年开始写诗。主要作品有《买烟》《殉情者》《敬》《查房》等,作品发表于《新世纪诗典》《AAA诗歌排行榜》《麒麟》《文学桂军二十年》《广西当代诗歌集》(俄语版)《中国口语诗歌年鉴》(2019卷)等。
Yan Jin was in the army in Shandong,
he had a one-week holiday.
He had figured it out,
altogether two days from Shandong to Xi’an
and from Xi’an to his home town in northern Shaanxi.
Going back to his unit, also two days.
So he could stay at home for three days.
In Xi’an,
at the north bus station
they screwed him and took him to Fugu
at the most northern tip of Shaanxi, 300 kilometres from home.
When he got to his family,
he was four days into his holiday
and could stay home just one day.
In letzter Zeit isst meine Mutter wenig Obst,
am Abend geh ich zu meinen Eltern
und sag ihr im Ernst:
„Der Doktor hat ganz klar gesagt,
du musst viel Obst essen,
nur dann brauchst du weniger Medikamente.
Mach es, wie du es siehst…“
Meine Mutter trinkt ein Glas Apfelsaft
langsam aus und erklärt,
„Ich bin manchmal mundfaul
und manchmal denkfaul.“
Der Wagen ist geparkt, ich komm in den Aufenthaltsraum.
Hinter dem Teetisch eine dicke Frau, große Brille mit schwarzem Rahmen,
sie grüßt mich mit ihren Augen.
Ich setz mich, sie schaut mich immer noch an,
sagt aber nichts.
Ihre linke Hand klopft die ganze Zeit,
die rechte liegt flach auf dem Tisch.
Ich erkenne die Chefin, nach ihrem Schlaganfall.
Mein Wagen ist fast schon fertig gewaschen.
Ich frag, wie es ihr geht, ob sie sich besser bewegen kann,
ob ihre zwei Kinder schon verheiratet sind.
Sie schüttelt nur den Kopf,
dann hör ich ein Wort,
das klingt wie “bitter”.
Ich bin schon weit weg mit dem Auto
und denk noch daran,
von ihren Lippen her
wird es bitter gewesen sein.
Meine Frau
wird in ihrer Firma
gekränkt.
Daheim
ist sie wie sonst,
kocht die Nudeln,
die ich gern hab,
macht die Tomaten mit Ei die ich mag,
hilft der Tochter beim Lernen,
postet im WeChat
die aktuelle Legende
mit ihren Pflichten
ohne mich irgendwie
spüren zu lassen
was sie auf und ab
in Wellen
erlebt hat.
Ich räum meinen Kleiderschrank auf,
seh wieder diesen
brandneuen Daunenmantel,
ein Erbstück von meinem Vater.
2012 im Spätherbst hat er ihn noch nicht getragen
und ist von uns gegangen.
Mutter sagt, Verbrennen wär schade,
lass ihn für dich zum Anziehen.
Acht Jahre
hängt er still da drinnen,
ich hab ihn nicht ein Mal angehabt.
Tag für Tag
seh ich er wird
langsam, langsam
zu meinem Erbstück.
Außer der Krankheitsvorbeugung Hat sie die Funktion
der Verhüllung Räuber gehen immer gerne maskiert,
respektable Leute Fühlen sich ein bisschen deplaziert
Eines Tags in der Früh Komm ich mit dem Rad nach Haus
Bei der Fußgängerunterführung Treff ich auf eine
junge Frau die ihr Fahrrad die Stufen hinaufschiebt
Und bemerke Offenbar interessiert sie sich
für mich! Komisch Starrt mich einfach so an
Was will sie Beim Vorbeigehen Schulter an Schulter Macht sie
auch noch den Mund auf! Papa! Ich geh zuerst ins Büro
Jetzt erst In diesem Moment Kapier ich
Oh Das ist es Sie ist meine Tochter!
Ich will Sonne sammeln
Die Sonne verstreut auf Blütenblättern
Die Sonne ausgebreitet aufs Meer
Die Sonne die sich ins Gras legt
Die Sonne die sprüht aus Wasserperlen
Die Sonne die drückt auf den Balkon
Dann füll ich sie in einen kleinen Behälter,
warte bis mein kleiner Bruder schläft
und gieß sie auf ihn aus.
Duftblüten vorm Tor
beginnen zu fallen.
Menschen sind noch mehr
beschäftigt als sonst.
Ein weißes Tuch unter zwei Bäumen.
Weich und weit, leicht gewellt,
still halten Steine gegen den Wind.
Jede goldene Blüte fällt ohne Zögern
frei
wann sie will.
Für den großen Sohn der sich mit 45 in Beijing herumtreibt
einen Osmanthusblütenpolster.
Menschen sind noch mehr beschäftigt als sonst.
Duftblüten vorm Tor beginnen zu fallen,
von diesem Tag an hofft man
auf heitere Tage,
endlosen Herbstmond.
18. September 2020
Übersetzt von MW im November 2020
Omi waschen und in den Sarg legen. Das linke Handgelenk, leblos nach einem Schuss Penicillin, ist geschwollen und starr. Der Armreif, der nicht mehr herunter geht, funkelt grün.
Das Stück Land
rechts von Vater und Mutter
will mich fressen.
Eines Tages
sperrt es sein Maul auf
und schluckt meine Asche.
Erst hebt sich
sein Bauch,
dann kann es langsam
verdauen.
Every time I go back
my weak soul
falls sick for days.
3/18/20
Translated by MW, Nov. 2020
Xiqin Baihe, orig. name Zhang Meiqin, born in October 1972 in Wu county, Jiangsu province. She lives in Suzhou. In February 2020, after the start of the Corona virus crisis, she started to read and write colloquial poetry. 《新诗典》小档案:西芹百合,原名张美琴,1972年10月生,江苏吴县人,现居苏州,于2020年2月(疫情期间)开始关注口语诗并相信自己也可以成为诗人。
Ich sag meinem Sohn die Nachricht,
dass er es nicht geschafft hat.
Am Telefon
hör ich ihn schluchzen.
Nach einer Weile ruft meine Frau an,
fängt sofort an zu schimpfen.
„Habs euch gesagt, kein Kunstschule!
Wolltest nicht hören, jetzt ist er nicht aufgenommen,
grad ist er heulend zum Fluss hinunter, zum Huangpu gerannt!“
„Na, warum rennst du ihm nicht nach?“
„Wie soll ich ihm im Regen nachkommen, der kleine Sproß
(sein Freund) rennt auch noch mit, der Wang Zihao kann ihn nicht aufhalten,
wenn unserem Kind was passiert
wirst sehen wie ich abrechne mit dir!“
Ich ruf sofort meinen Sohn an,
niemand hebt ab,
Schweiß und Regen rinnen mir übers Gesicht,
ich fang an zu brüllen —
wer hat gesagt, „Kunst oder Leben?“
21. Juli, Shanghai
Übersetzt von MW im November 2020
If I write
a poem on Father
all thankful inside
caring as much as I can
no losing
my temper
no intimidating
even slapping him
then it won’t be
such a good
poem.
Mein Vater war Kader für politische Arbeit,
aber in seinem Leben
war er außerdem
Elektriker
Tischler
Installateur
Fleischhauer
Bauer
Holzfäller
Gärtner
Maurer
Tierpfleger
Friseur
Pflichtschullehrer
Traktorfahrer
und darin ist er
keineswegs eine Ausnahme.
Aber sein Sohn:
außer Wortspielereien,
außer einigen Texten,
auf anderen Gebieten,
ungefähr ein Idiot.
Beim Glühbirnenwechseln
wackeln die Beine,
der Bauch mit dazu.
Der Rasenmäher von Jim, dem Mann meiner Tante passt zufällig zu der Popmusik aus den Lautsprechern hier in Amerika. Es wirkt wie im Chor, ein langgezogenes „Scheren schleifen!“ — Ohne zu denken schrei ich unwillkürlich mit: „Gemüsemesser schleifen!“ — Plötzlich stoppt der Rasenmäher des Onkels, mein chinesisches „Messer“ kommt noch halb raus. Ich schau mich erschreckt um, niemand hat mich gehört.
Mutter ist vor einem Jahr dorthin gegangen. In wessen Hof fällt die Blüte, wer weiß. Ich weiß noch, Opa hat wahrsagen können. Er hat gemeint, Mutter hat Glück. Na dann fällt sie sicher zu guten Menschen.
12. August 2020 Übersetzt von MW im September 2020
Mamas kleine Schwester war 30 und noch nicht verheiratet. Im Dorf hat man gesagt, das ist nicht durchgegangen. Mit 32 hat sie geheiratet, links und rechts die Nachbarn sind gratulieren gekommen, die Ehe meiner Tante, die war durchgegangen.
Bei uns dort im Dorf findet man Ehe, das ist alte Zeitungen aufs Fenster kleben. Schicksal, das ist ein Streifen Licht der aufs Fenster fällt.
11 years ago I was happy. Our daughter had her first day of school, she was just turning 7. We knew she was smart, talented, beautiful. We were rather worried about her brother, he had hardly started to talk and wasn’t always well treated in Kindergarten. But we found a new place where he was happy, and we were happy for Maia. Our kids are born in Beijing, 2002 and 2005. China will always be part of their identity. Both of them know that. They don’t want to lose their Chinese, although there are lots of other problems. Maia’s primary school wasn’t good for her. Leo’s primary school wasn’t bad, he just takes a very long time for reading and writing. Both of them are native speakers of English. German is taken for granted, although it’s harder than English and Chinese. Yeah, I know, it takes so much effort to write in Chinese, to read and write. But maybe Leo would have done better in Chinese at first, maybe not. English for sure. Anyway, we had other problems. Leo is doing better now, and Maia is in a good high school. She is 18. Guess I should be happy.
Mein Onkel zieht seinen Karren. Auf dem Karren sitzen 800 Pfund Schnaps und sein achtjähriger Sohn. Er ist mein Cousin, ein halbes Jahr älter als ich. Onkel arbeitet im Transport für die Konsumgenossenschaft der Gemeinde Qingshan. Die Bergstraße ist holprig, das Kind sitzt stabil, der Schnaps leider nicht. Das Kind leckt den ganzen Weg an der Ritze wo Schnaps aus dem Deckel herauskommt. Die Bergstraße ist 18 Li lang, 800 Pfund Schnaps wollen nicht schlafen. Der achtjährige Sohn ist eingeschlafen und wacht nicht mehr auf.
Meine Kusine, ehrbar geworden, verheiratet, mit ihrem eigenen Geschäft das wunderbar geht. Auf WeChat sagt sie uns die ganze Zeit aus ihrer reichen Erfahrung wie wir es besser machen sollten. Aber in ihren Videos sagt sie kein Wort, spricht nur mit Blinzeln und Augenbrauen. Meine Kusine lebt in den Bergen, ungehemmt von Natur aus, nimmt was sie kriegen kann, und lauter Videos. Außerdem zeigt sie uns wie gut sie ihre Kinder erzieht.
Ich hab sie schon jahrelang nicht gesehen und hab auch gar keine Lust dazu.
Wenn ich müde bin leg ich mich gern aufs Sofa und ruh mich aus. Deshalb ist auf dem Sofa immer ein Kopfpolster. Heute nachmittag nimmt Guagua den Polster, schnuppert und sagt: „Riecht nach Papa!“ Meine Frau hört es, zieht sofort den Polster ab, geht den Überzug waschen.
Die Gemüse anbauen, sind Gemüsebauern. Die Obst anbauen, sind Obstbauern. Die Tee anbauen, heißen Teebauern. Die Blumen anbauen, nennt man Blumenbauern. Die Tabak pflanzen und rösten, heißen Tabakbauern. Die Seidenraupen halten, nennt man Seidenbauern. … … Felder bestellen und dabei Gedichte schreiben, das sind Poesiebauern. Was die betrifft, die in kalten Bergen von der Natur leben, das heißt, die sich winden auf der großen Erde, im Frost Käfer suchen und im Sommer Gras für ihre Familien da haben die Leute ein anderen Namen: Strohvolk, das ist auch ein Wort für ich.
Großer Bruder ist schweigsam. Ich fürchte, wenn Großer Bruder mit seiner Freundin zusammen ist hat er vielleicht nichts zu sagen. Aber Mama sagt, zwei Leute, die nichts zu sagen haben zusammen haben vielleicht auf einmal etwas zu sagen.
Freude ist einfach Freude Freiheit ist hoffentlich Freiheit Freude ist tief wie ein Traum Verschwunden war gottseidank nicht tot Glück ist einfach Glück
In der vierten Klasse lernen wir Abakus-Rechnen. Vater geht mit mir zum Laden der Produktionsbrigade und kauft mir den größten und teuersten Abakus. Ich trag ihn heim. Mutter, die Buchhaltung gelernt hat, murmelt: Jetzt haben wir immer weniger Geld und er kann immer weniger rechnen. Wer kauft einem Volksschüler einen so großen Abakus? Vater wirderspricht nicht, sagt nur trocken: „So lernt er nicht kleinlich zu rechnen.“
In meinem Traum haben viele Leute Masken weggeworfen. Manche davon noch original in der Verpackung. Ich geh mit meiner Familie in Reisfeldern Masken auflesen. So wie ich als Jugendlicher Reisähren aufgelesen habe. Wenn ich eine aufhebe, eine Maske, wink ich jedesmal, ruf den anderen zu: Maske! Maske! Maske!
Als er jung war hat er sich das Phoenix-Fahrrad im Brautpreis nicht leisten können und deshalb seine herzensgeliebte Xiao Fang nicht gekriegt. In mittleren Jahren hat sein Sohn als Mittelschüler mitgemacht beim Fahrraddiebstahl, wurde bei einer Großfahndung verhaftet, zu Gefängnis verurteilt. Als alter Mann lernt er, mit dem Smartphone den Barcode zu lesen, um ein Fahrrad zu leihen. Sieht Räder überall auf der Straße, lacht und lacht und weint.
Der älteste Mensch in unserer Familie liegt jetzt im Krankenhaus. Heute ist sein Geburtstag. Zwei Töchter in ihren Sechzigern haben die Torte organisiert. Er kann sie zwar nicht essen, aber eine Tochter führt ihm etwas zum Mund und eine macht ein Foto mit ihrem Handy. Er hat zwei Söhne, aber der ältere ist vor drei Monaten an einem Herzinfarkt plötzlich gestorben. Der zweite Sohn ist bald 70. Gegen Abend eilt er ans Bett mit Rasiermesser und einer Maschine um seinem Vater die Haare zu schneiden und ihn zu rasieren. Am Ende wischt er mit einem Papiertuch Butter von der Rasierklinge.
Grosse Schwester und ich schauen eng zusammen im Bett auf bilibili ein Holographie-Konzert von Hatsune Miku. Mir kommen beim Reden ein paar Haare in den Mund. Ich zieh meine Lippen zusammen und spuck die Haare aus. Grosse Schwester schaut mich erstaunt an und sagt, Das sind meine Haare!
Ich gebe zu, die Leute, die bei mir vorkommen sind Huang Vier, Li Drei oder Zhang Sechs, diese Namen hab ich erfunden. Ihre Kindernamen sind in Wirklichkeit Namen für Tiere, Windhund, Schäfchen, Ochse. Vielleicht haben sie auch Namen von körperlichen Gebrechen her, Lahmer, Blinder, Taubstummer. Ihre Vor-und Nachnamen hat man übersehen und sie nach ihren Vätern eingeteilt, Grundbesitzer, Rechtsabweichler, Konterrevolutionär.
Das sind echte Leute aus meinem Heimatort, nach ihrem Tod erst können sie auf ihrem Grabstein ihren eigenen Namen eingeschnitzt haben – zum Beispiel Herr Sowieso.
In der Schlafzimmerwand ist ein Loch für die Klimananlage. Letztes Jahr haben Spatzen darin ihr Nest gebaut. Ihre ganze Familie hat immer um fünf Uhr früh oder so mit lautem Gezwitscher unsere ganze Familie aufgeschreckt. In diesem langen Virusfrühling, nur daheim, nirgends hingehen, hab ich jeden Tag gewartet auf die verschiedenen hellen Stimmen die aus den Wänden ertönen. Aber bis jetzt hab ich sie nicht wieder gehört. Ich sag mir zum Trost, die haben sicher ein besseres Haus für sie gefunden.
Im Dorf wenn man zurückkommt von einem Grab oder einem Begräbnis muss man vor seinem Hoftor ein Feuer aufschichten, übers Feuer springen und so hineingehen. Alte Leute sagen, so bringt man die Geister nicht zu sich ins Haus. Nach vielen Tagen Quarantäne Komm ich zum ersten Mal von draußen zurück, nehm Schmierpapier vom Kalligraphie-Üben und zünd es beim Haustor an. Meine Frau fragt, was ich mach. Ich sag, der Virusteufel scheut das Feuer. Sie kommt sofort heraus und springt übers Feuer vor und zurück.
In der Nacht hat es geregnet. Auf dem Beton im Hof sind ein paar ganz gerade Regenwürmer. Mama mit Mundschutz rennt hinüber, sobald sie sie mit der Schaufel anhebt rollen sie sich sofort zusammen und kriechen in Panik.
Sie bringt sie zu den Blumenbeeten am Rand, schaufelt gleich ein bisschen Erde um die fünf aufgeschreckten Körper und deckt sie zu. Dabei sagt sie, lebt gut weiter, beschützt meine Kinder.
Mein Opa ist 1976 von uns gegangen, damals war er 66. Meine Oma ist 2011 von uns gegangen, sie war 93. Wenn jemand sagt, meine Oma habe als Witwe 35 Jahre lang das Andenken ihres Mannes gewahrt, dann muss ich ihm unbedingt sagen, und zwar Wort für Wort, damit er es kapiert: Meine liebe Oma hat in all den Tagen ohne meinen Opa ganz allein in harter Arbeit 35 Jahre an Kinder und Enkel gedacht.
Der Sohn meiner Kusine kommt aus Wuhan zurück. Sobald ich das erfahre, schärfe ich ihm am Telefon ein: Er soll mindestens ganze sieben Tage zuhause bleiben. Aber am nächsten Tag in der Früh steht er vor der Tür. Er kommt als Motorradchauffeur seiner Mama. Sie bringen ein lebendes Huhn. Außerdem einen kleines rotes Kuvert, Taschengeld zu Neujahr für meine Tochter. Es ist Mondneujahr, meine alte Mama will unbedingt, dass sie bleiben und mit uns essen. Ich bin überhaupt nicht froh, spiel mit der Tochter im Schlafzimmer. Meine Frau kommt herein, sagt ich soll rauskommen. Sie sagt, der Sohn der Kusine schaut eh ganz gut aus. Ich beiß die Zähne zusammen, komm ins Wohnzimmer und begrüße sie. Dann schluck ich meine Sorgen hinunter, setz mich mit meiner Kusine und ihrem Sohn zum Frühstück.
The virus is rampant, we are stuck at home. Mother says, how much time has it been since we two have been together for such a long time? I try to think back, before I was 15 and went away to teaching school.