Heimgefahren in den Feiertagen,
Besuch bei der bettlägrigen Tante.
Ich sitz an ihrem Bett
und bemüh mich
etwas Tröstliches zu sagen,
weiß aber nicht, wo ich anfangen soll.
Da sagt sie zu mir:
“Mach die Tür zu,
die Blüten riechen zu stark.”
Ich bin überrascht, sie sagt weiter:
“Ich kann den Osmanthus
sowieso nicht mehr riechen.”
Ich mach die Tür zu,
tret in den Hof, seh den Baum
mit lauter kleinen Blüten.
Wie kleine goldene Pillen,
die Zweige sind alle
ganz dicht uebersät.
Dieser Baum ist ganz klein
in unseren Hof gekommen,
meine Tante hat ihn wachsen gesehen,
so hat sie auch mich wachsen gesehen.
So viele Jahre zu dieser Zeit
möcht ich so gerne heimfahren,
unter dem Baum sitzen
die Blüten riechen.
Aber es hat nie funktioniert.
Heuer hab ich sogar drauf vergessen,
bin aber grad zur Blüte gekommen,
nur hat der Lungenkrebs meiner Tante
sich schon im ganzen Körper verbreitet,
deshalb ist ihr der Duft zu stark,
ihre Atemwege werden gereizt,
die Brust tut ihr weh.
Frau, Anfang 40, kriegt Krebs und stirbt. „Sie war wirklich ein guter Mensch, macht Sauerkraut für die ganze Anlage. Sogar der alte Wächter am Tor hat geweint.“ Nachbarn seufzen, „Gute Menschen haben kein langes Leben.“ Jemand, der eigentlich nicht religiös ist, sagt etwas gewunden, gute Menschen, die kommen zuerst ins Paradies des Buddha im Westen und habens dort besser.
Als Mutter Krebs gehabt hat,
als es ihr immer schlechter gegangen ist,
hat sie beschlossen wer Schuld war:
Vater, der sich die ganze Zeit um sie gekümmert hat.
Vater sei ja ein Tiger
und sie ein Huhn, die bekämpfen einander.
Würde sie Vater nicht mehr sehen,
dann würde es langsam besser werden.
Vater ist nichts übriggeblieben,
er hat sich in der Ecke versteckt
und still geweint.
Als Mutter eingesargt worden ist,
hat Vater seine Schweizer Uhr,
die er über 20 Jahre getragen hat,
Mutter um die Hand gelegt
und ein Foto von ihm als er jung war,
an der Brust eine große rote Blüte,
das hat er Mutter heimlich
unters Kopfkissen geschoben.
Der alte Freund in Chemo, Bett 40 ist aus meinem Heimatort. Er war ein großer Chef, wir haben zusammen Geschäfte gemacht, er war der Mann des Tages. Jetzt hat er eine Glatze, mit stumpfem Blick und kraftloser Stimme erzählt er von Operationen und seiner Behandlung. Ich sitz ihm gegenüber, mir stockt ein bisschen der Atem. Ich trau mich nicht mehr von ihm zu verlangen dass er mir die Zwanzigtausend zurückzahlt.
My love, time to get up.
The bridge towards the abyss will collapse.
You are going to burst, please hold on to my will.
Doubt begins from the stone of sisyphus,
faith begins from the house key you lost.
I hand all my panic and hate
over to you
alone,
so I can raise my head high
one more time
until the darkest hour.
From a poem by Liu Xiaobo (1997), adddressed to his wife Liu Xia.
Circulated on July 6, 2017, while Liu is being treated for liver cancer in Shenyang.
Meine Liebe, es ist Zeit, aufzustehen.
Die Brücke in Richtung Abgrund stürzt ein.
Wenn du platzt, beiß dich fest an meinem Willen.
Zweifel beginnt mit dem Stein des Sisyphos.
Glaube fängt an mit dem Hausschlüssel, den du verloren hast.
All meine Panik und meinen Hass
geb ich dir, dir allein.
So kann ich noch einmal,
ganz kostbar,
meinen Kopf hoch halten
bis zur dunkelsten Stunde.
Aus einem Gedicht von Liu Xiaobo an seine Frau Liu Xia, geschrieben 1997. Der inhaftierte Friedensnobelpreisträger wird derzeit wegen Leberkrebs in einem Krankenhaus in Shenyang behandelt.
Übersetzt von Martin Winter am 7. Juli 2017
Sie sagt zu einer anderen Patientin,
es gibt keine Metastasen, zum Glück.
Die beiden Brüste
haben einen Sohn gesäugt
und den Vater des Sohnes
und dann haben irgendwelche Männer
Abdrücke hinterlassen, von Händen und Lippen.
Jetzt sind die Brüste einfach verschwunden,
vielleicht noch Futter für Katzen und Hunde.
Den Rest ihres Lebens geht sie nicht aufrecht,
sogar sich selbst kriegt sie nicht mehr satt.