ist das ein baum?
das bin ich ganz allein
ist das ein baum im winter?
er ist das ganze jahr so
wo sind die blätter?
die sieht man nicht
warum zeichnest du einen baum?
ich mag die art wie er steht
wird der baum auf die dauer nicht müde?
auch ein müder baum muss stehen
leistet dir niemand gesellschaft?
es gibt vögel
ich sehe keine vögel
ich hör ihre flügel
wenn du vögel hinmalst sieht es doch gut aus?
ich bin alt und blind und seh sie nicht
du kannst überhaupt keine vögel zeichnen?
nein, kann ich nicht
du bist dieser alte und dumme baum
das bin ich
2013-12-12
Übersetzt von Martin Winter im November 2014
LIU XIA. Eine Fotografin aus China. Vernissage am 10.Februar 2015. Ausstellungsdauer: 21.Februar – 19.April 2015 m Martin Gropius Bau Berlin. LIAO YIWU, MARCUS HAGEMANN, MARTIN WINTER
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I n-need t-to b-b-break out
f-f-from y-y-your s-sp-pout-ting s-song
b-break o-out o-of y-your h-house
m-m-my sh-shoot-t-ting t-t-tongue
m-m-mach-chine g-g-gunn f-fire
it feels so good
i-in m-m-my s-st-tut-t-ter-ring l-life
the-there a-are n-no g-ghosts
ju-just l-llook at-t m-my f-face
I d-d-don’t c-care!
1991
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《结结巴巴》 ST-STO-TO-TT-TERN
m-mein st-sto-to-tt-ternd-der m-mund
b-b-behind-dderter schschlund
b-b-bei-sst- s-ich wund
an m-meinem r-rasenden hirn
und m-meine b-beine –
euer t-trief-fend-der,
schschimmliger schschleim
m-meine l-lunge
i-ist m-müd’ und hin
i-ich w-will r-r-aus
aus eurem g-gross-a-artiggen rh-rhythmus
a-aus eurem h-haus
m-m-meine
sch-schp-prache
m-masch-schinengewehr-s-salven
es tut so gut
in m-meinem st-stott-ttoterndem r-reim
auf m-mein l-leben g-gibt es k-keine l-leich-chen
s-s-seht m-mich a-an
m-m-mir i-ist all-les g-gleich!
1991
Übersetzt von MW im April 2013
<結結巴巴>
結結巴巴我的嘴
二二二等殘廢
咬不住我狂狂狂奔的思維
還有我的腿
你們四處流流流淌的口水
散著霉味
我我我的肺
多麼勞累
我要突突突圍
你們莫莫莫名其妙
的節奏
急待突圍
我我我的
我的機槍點點點射般
的語言
充滿快慰
結結巴巴我的命
我的命裡沒沒沒有鬼
你們瞧瞧瞧我
一臉無所謂
1991
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《精神病患者》 GEISTESKRANKE
theoretisch
weiß ich nicht
wie es sich äußert
wenn eine geisteskrankheit ausbricht
ich hab nur gesehen
in diesem land
in dieser stadt
wenn ein geisteskranker loslegt
streckt er den arm hoch und bricht aus
in parolen
der revolution
theoretically
I don’t know
how it should be
when a mental patient
suffers an outbreak
but what I have seen
in this country
in this city –
a mental patient suffers an outbreak:
up goes his arm
out come the slogans of revolution
1994
Tr. MW, 2013-2014
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《我想杀人》 ICH MÖCHTE JEMANDEN UMBRINGEN
ich fühle mich etwas komisch
ich will jemanden töten
oh! das war letztes jahr
herbst kroch über das laub
zwanzig todeskandidaten
am flussufer nördlich der stadt
“peng! peng!”
einer wurde aufgeschnitten
in der folgenden operation
erhielten WIR eine niere
I am feeling a little strange
– I want to kill someone
Oh! It was last year
autumn crept over the leaves
twenty death candidates lined up
at the river north of the city
„Peng! peng!“
One of them was cut open
and in the following operation
We got a kidney
1994
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《9/11心理报告》 9/11 AUF DER COUCH
erste sekunde mund offen scheunentor
zweite sekunde stumm wie ein holzhuhn
dritte sekunde das ist nicht wahr
vierte sekunde kein zweifel mehr da
fünfte sekunde das brennt nicht schlecht
sechste sekunde geschieht ihnen recht
siebte sekunde das ist die rache
achte sekunde sie verstehen ihre sache
neunte sekunde die sind sehr fromm
zehnte sekunde bis ich drauf komm
meine schwester
wohnt in new york
wo ist das telefon
bitte ein ferngespräch
komme nicht durch
spring zum computer
bitte ins internet
email ans mädl
zitternde finger
wo sind die tasten
mädl, schwester!
lebst du noch?
in sorge, dein bruder!
2001
Übersetzt 2013 von Martin Winter
Yi Sha 9.11 REPORT FROM THE COUCH
Ist second: mouth barn-door open
2nd second: wooden-chicken stiff
3rd second: couldn’t believe it
4th second: it must be true
5th second: what a great fire
6th second: well they deserve it
7th second: this is retribution
8th second: these buggers have guts
9th second: must be their religion
10th second: before I realize
my own little sister
lives in new york
I need a telephone
long distance call!
can’t get a connection!
I go storming for a computer
where is the internet
typing out characters
writing an email
shaky fingers
“sister, sister!
are you alive?
your elder brother is worried sick!”
sie huschen wie wandelnde seelen am bahnhof
an der maschine in der industriezone im schmutzigen mietquartier
ihre gestalten sind dünn wie messer, weisses papier,
haarsträhnen, luft. mit ihren fingern schneiden sie
eisen. filme. plastik … müde und taub sind sie
wandelnde seelen verpackt in maschinen
arbeitskleidung fließband ihre blitzenden augen
jugendlich huschen sie in ihrem
graudunklen strom ich kann sie nicht unterscheiden
steh ich unter ihnen sind wir auch nicht unterscheidbar
hautsäcke glieder bewegungen unbestimmte blicke lauter
unschuldige gesichter ständig werden sie aufgestellt organisiert
strukturiert ameisenvolk der elektronik bienen der spielzeugfabrik
sie lächeln stehen rennen bücken krümmen sich
werden verkürzt ein paar hände schenkel
sie werden festgedrehte schrauben abgetrennte metallflächen
gepresstes plastik gebogenes aluminium geschnittener stoff
ihr enttäuschter zufriedener erschöpfter glücklicher
aufgelöster hilfloser einsamer … ausdruck
sie kommen aus dörfern weilern gruppen ihre
intelligenten ungeschickten zaghaften feigen …
heute knien sie vor all den hohen hellblitzenden fenstern und türen
wachleute in schwarz glänzende autos grüne mandarinenbäumchen
das goldene fabriksschild gleißt in der sonne
sie knien vor dem fabrikstor halten ein stück karton
mit ungelenker schrift “gebt uns mit schweiß und blut verdientes geld”
furchtlos knien sie zu viert vor dem fabrikstor
die leute um sie herum vor ein paar tagen ihre kolleginnen
aus denselben dörfern freundinnen chefinnen mitarbeiterinnen
ausdruckslos betrachten sie diese vier arbeiterinnen
schauen zu wie die vier kolleginnen von wachleuten weggeschleift werden
wie eine einen schuh verliert wie einer anderen
die hose aufreißt schweigend schauen sie zu wie die
vier knienden arbeiterinnen weggebracht werden in ihren augen
steht weder freude noch leid … ausdruckslos gehen sie in die fabrik
ihr unglück macht mich traurig niedergeschlagen was soll ich sagen
2012
Übersetzt von MW, 2015
Photos and video recording: Beate Maria Wörz
郑小琼
《跪着的讨薪者》
她们如同幽灵闪过 在车站
在机台 在工业区 在肮脏的出租房
她们薄薄的身体 像刀片 像白纸
像发丝 像空气 她们用手指切过
铁 胶片 塑料 … … 她们疲倦而麻木
幽灵一样的神色 她们被装进机台
工衣 流水线 她们鲜亮的眼神
青春的年龄 她们闪进由自己构成的
幽暗的潮流中 我无法再分辨她们
就像我站在他们之中无法分辨 剩下皮囊
肢体 动作 面目模糊 一张张
无辜的脸孔 她们被不停地组合 排列
构成电子厂的蚁穴 玩具厂的蜂窝 她们
笑着 站着 跑着 弯曲着 卷缩着
她们被简化成为一双手指 大腿
她们成为被拧紧的螺丝 被切割的铁片
被压缩的塑料 被弯曲的铝线 被剪裁的布匹
她们失意的 得意的 疲惫的 幸福的
散乱的 无助的 孤独的 。。。表情
她们来自村 屯 坳 组 她们聪明的
笨拙的 她们胆怯的 懦弱的 。。。
如今 她们跪着 对面是高大明亮的玻璃门窗
黑色制服的保安 锃亮的车辆 绿色的年桔
金灿灿的厂名招牌在阳光下散发着光亮
她们跪在厂门口 举着一块硬纸牌
上面笨拙地写着 “给我血汗钱”
她们四个毫无惧色地跪在工厂门口
她们周围是一群观众 数天前 她们是老乡
工友 朋友 或者上下工位的同事
她们面无表情地看着四个跪下的女工
她们目睹四个工友被保安拖走 她们目睹
一个女工的鞋子掉了 她们目睹另一个女工
挣扎时裤子破了 她们沉默地看着
下跪的四个女工被拖到远方 她们眼神里
没有悲伤 没有喜悦 。。。 她们目无表情地走进厂房
她们深深的不幸让我悲伤或者沮丧
Zheng Xiaoqiong
KNEELING, DEMANDING THEIR WAGES
they scurry across like wandering souls at the train station
at the machines the industrial zone squalid rented rooms
their thin female bodies like knifeblades like paper
hair fibres air their fingers cut
iron plastic film etc they’re numb and exhausted
like wandering souls packed into machine tables
work clothes assembly lines their glowing eyes
in the bloom of their youth scurrying into the shadowy stream
they created themselves I can’t tell them apart
I am standing among them no one knows who I am a sack of skin
limbs movement vague expressions one harmless
face after another they are always assembled lined up
forming electronics factory anthill toy factory beehive females
smiling standing running bending curling
each simplified into one pair of hands thies
fastened screws cut iron sheets
compressed plastic curved aluminum cut fabric
their frustrated satisfied weary happy
tangled up helpless lonely expressions
they come from villages hamlets valleys teams they’re intelligent
awkward they are weak timid
today they are kneeling before the shining glass windows doors
black-clad security polished limousines green tangerines
gold-emblazoned factory name shining in sunlight
kneeling at the factory gate holding up a cardboard sign
awkward charakters “give us sweat-and-blood-money”
they look quite fearless as they kneel at the factory gate
surrounded by a crowd days ago they were colleagues
from the same province friends coworkers above or below
women without any expression watching four kneeling women workers
watching four colleagues dragged away by security watching
one of the four losing a shoe watching another worker
getting her pants torn in the struggle silently watching
four kneeling women dragged far away in their eyes
there is no sadness no joy without any expression they enter the factory
their tragedy leaving me sad or depressed