Ein Studienkollege lebt in Australien,
auf Besuch in Peking
kommt er zu mir zur Akupunktur.
Nach dem Schröpfen fragt er,
hab ich große Feuchtigkeit?
Ich denk mir,
er hat es von Australien her.
Er sagt, wenn er dort sagt, innere Hitze,
dann ist das schwer zu erklären,
es geht einfach nicht.
Aber Leute mit chinesischer Herkunft
wissen sofort, was gemeint ist.
Die Mayflower hat keine
Freiheit des Glaubens gebracht.
Plündern und Totschießen
und der Erfolg war eine Nation.
Ich feiere in diesem Land
in diesem blühendsten
von Grund auf gottlosen
New York
die zehnte Christnacht.
Rockefeller Square,
unter dem weltgrößten Christbaum,
unzählige rote Weihnachtsmützen
treiben und schweben
wie wandelnde Seelen.
Übersetzt von Martin Winter im Oktober 2020
Hong Junzhi, geb. in den 1960er Jahren. Dichter und Übersetzer aus dem Chinesischen ins Koreanische, Verleger, Redakteur in New York. 《新诗典》小档案:洪君植,60后,汉韩双语诗人、翻译家、出版人,居纽约。有著作50余部,现美国《HPW国际诗坛》杂志主编,纽约新世纪出版社社长。
Der offene Brief von der Sprachkunst ist sehr gut. Gestern hab ich ihn gelesen und gedacht, jetzt möcht ich doch etwas schreiben. Vorgestern hab ich mir die Rede das erste Mal herausgesucht, angeschaut, angehört. Sehr, sehr sehr gut. Sehr, sehr wichtig. Selten. Nicht feig, wie er selbst sagt. Das ist in Österreich schon viel.
Er wollte nicht reden, das glaube ich ihm. Weiß nicht, wer das auswählt. Aber wenn er redet, sagt er, macht er es sich nicht einfach. Das glaub ich ihm auch. Österreich hat ein unheilvolles Bedürfnis nach Harmonie. Klingt mir selbst zu pathetisch, wenn ich das sage. Oder ist es auch Kalkül? Es ist vielleicht beides. Sag etwas Positives. Etwas Konstruktives, Aufbauendes. Das hat Köhlmeier dann im Interview auf ORF2 gemacht. Ich glaube schon, dass er glaubt, was er sagt. Er will es tun. Er will Herrn Schrecken beim Wort nehmen. Natürlich, das sollten wir alle, Politiker beim Wort nehmen.
Wenn du es ernst meinst, bin ich bei dir. Sagt Köhlmeier. Ich will dir erst einmal vertrauen, sagt er. Wenn du sagst, die Partei muss sich ändern. Soll ich mir jetzt die Rede von Herrn Schrecken bei diesem Deutschnationalen Ball heraussuchen? Ich mag keine Videos. Ich mag auch keine Podcasts. Youtube ist etwas Tolles, auch etwas Demokratisches, aber ich mag es nicht. Ich mag Musik auf Platten. Kassetten. Filme im Kino. Reden live, ab und zu. Trete gern selber auf. Genommen werden, ausgewählt werden. Wer hat Köhlmeier ausgewählt? Danke! Tausend Dank! Ich könnte nicht sagen, ich vertraue Herrn Schrecken. Ist das eine Schwäche von Köhlmeier, wenn er sagt, dass er vertrauen will? Vielleicht nicht. Es ist nur im Interview. Die Rede war und ist sehr, sehr, sehr wichtig.
Bei Youtube kommt man vom Hundersten ins Tausendste, auch wenn man sagt, Herrn Schrecken hör ich mir sicher nicht freiwillig an. Aber gleich neben der Köhlmeier-Rede ist die von Arik Brauer. Auch schön. Auch sehr persönlich. Wenn er sich erinnert, an das Kriegsende in Wien. Am Flötzersteig. Hinauf zum Steinhof. Schrebergärten, wo sich Arik Brauer versteckt hat. Als sechzehnjähriger Jude. Noch ein Kind, vom Aussehen und von der Stimme. Ein schöner Sopran, sagt er. Sehr, sehr sympathisch. Das ist Österreich. Wien. Diese Sprache. Jüdisch gefärbtes Wienerisch. Selten. Sehr sehr kostbar, unsere Sprache. Es tut weh. Das Erinnern. Es ist sehr schön. Auch dass er gleich sagt, die meisten Leute haben sich nicht befreit gefühlt. Die Frauen. Die Leute in den Trümmern.
Die Demokratie. Ein zartes Pflänzchen. Man passt auf die anderen auf. In Europa. In der EU. Die Ironie, mit der er das sagt, ist auch sehr schön.
Die Einwanderung, sagt er, sei schuld. Am Rechtsruck. Die Einwanderung aus arabischen Ländern, wo so viele Leute die Juden zurück ins Meer werfen wollen. Da fühlt er sich bedroht. Sagt er. Von der Einwanderung. Die Einwanderung sei schuld am Rechtsruck, auch in Polen, Ungarn und so weiter. Das sagt er dann im Interview. Und Ex-Bundespräsident Ernst Fischer sitzt konsterniert dabei. Fischer war Flüchtling, im Zweiten Weltkrieg. Es tut weh. Die Kameras zeigen, wie die Politiker schauen. Das ist sehr gut.
Arik Brauer wird ganz besonders geliebt und bejubelt. Auch von der Regierung. Und Arik Brauer verbeugt sich mehrmals und schüttelt Herrn Schrecken freudig die Hand.
Welche Einwanderung? Es gibt nach wie vor keine Araber in Polen. Oder in Ungarn.
Welche Einwanderung? In Polen gibt es viele ukrainische Gastarbeiter. Stalin hat ja die Ukraine und Polen nach Westen verschoben. Also dort, wo die ukrainischen Gastarbeitern teilweise herkommen, war vorher Polen.
Wandern die Gastarbeiter ein? Manche, wenn sie können. Glaube ich.
Noch einmal, es gibt keine Einwanderung aus arabischen Ländern in Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei. Überhaupt keine. Vielleicht ein paar ganz wenige SyrerInnen, die es doch irgendwie geschaftt haben. Arbeit. Heirat. Wenige. In Polen ganz sicher noch viel weniger als in Ungarn. Geographie.
Warum sagt Arik Brauer so einen Blödsinn?
Soll ich es analysieren? Warum fallen die Leute auf Schrecken herein?
Es ist alles sehr kompliziert. Sagte Sinowatz, sagt Arik Brauer. In der Demokratie, in Europa. Das ist ja das, was so weh tut. Dass er so gut redet. Bis auf den Blödsinn, bis auf den Schrecken.
Jetzt könnte ich aufhören. Warum fällt jemand auf Schrecken herein?
Moslems gibt es mehr als früher. Muslime. In Österreich. Türken. Tschetschenen. Innen. Frauen. Frauen, Männer, Kinder. Viel mehr Muslime als Juden. Dass es beides gibt, Muslime und Juden, in Österreich, ist sehr, sehr wichtig. Musliminnen, Jüdinnen. Identität. Gehört zu uns, seit über hundert Jahren. Seit ewig. Seit immer. Österreich ist Europa.
Unlängst war im Standard ein Kommentar, der an das Arabische im Römischen Reich erinnert hat. Einige Kaiser, aus Syrien und so weiter. Lukian. Etwas bei Lukian. Europa gabs nie ohne Araber.
Harmonie. Hab ich jetzt auch Harmoniebedürfnis?
Moschee und Kasino. Eines meiner besten Gedichte. Chinesisch, ursprünglich. Geschrieben in Malaysia. Handelt auch von Singapur. Da gibt es Fotos. Wie ich Moslem spiele. Sozusagen. Es war sehr schön.
Jetzt hab ich doch sehr viel geschrieben. Kein Gedicht. Einmal. Friede sei mit Euch, mit uns. Amen.
To attain US citizenship,
at the official exam,
there was this question:
The US is under rule of law.
What does that mean?
Most Chinese applicants
answer it means
citizens have to obey the law.
The correct answer is
the government must obey the law.
Translated by MW in March 2018
Hong Junzhi ANTWORT
Die US-amerikanische Behörde
stellt bei der Prüfung für die Staatsbürgerschaft
die folgende Frage:
Die USA ist ein Rechtsstaat.
Was bedeutet das?
Die allermeisten Chinesen antworten,
das heißt, die Bürger müssen Gesetze beachten.
Die richtige Antwort lautet,
die Regierung muss die Gesetze beachten.
his master’s voice
who is his master
terror and fear
strache means terror and fear
he was in prison
as neonazi
now they are going to choose his buddy
the voice of reason
president
and federal chancellor
please do not say
austrians are stupid
there are always reasons
anyway if you go to new zealand
don’t say you’re an artist
say you speak chinese
lived 15 years in china and taiwan
they’ll think you’re great
for the economy
it must be a dream
I get to meet her
at the college where I teach
between the building for males
and the building for female students
she pushes me down on a ping-pong-table
and goes on to ride me
cheered on by students
from those two buildings
I’m beginning to stammer:
“th-th-this c-can’t b-be right?
th-th-they are all my students”
June 2015
Tr. MW, July 2015
Yi Sha TRAUM Nr. 533
es muss im traum sein
dass ihr begegne
an der uni wo ich unterrichte
zwischen den gebäuden
für die jungen damen und die jungen herren
drückt sie mich nieder
auf einen ping-pong-tisch
um auf mir zu reiten
anfeuernde rufe
von jungen leuten von beiden gebäuden
ich fang an zu stottern:
“d-d-das g-g-geht d-d-d-och n-n-nicht,
d-d-as sind a-alles m-m-meine schtudenten!”
xu jiang, hou ma and I
have formed a band
I play the guitar
xu jiang’s on the keyboards
hou ma plays the drums
xu jiang and I
take turns as singers
hou ma can’t hold a pitch
we don’t let him sing
he’s too busy at work
sends his little brother heng xiaoyang
at our rehearsals
he’s never there
so the day of our concert we blow it completely
not because of hou ma
cause of me
on the stage I realize
I can’t play guitar
I can’t even open my mouth to sing
I fly to some country
at the border control
immigration inspector in uniform
looks at me and says:
“please take out your poetry!”
oh! he can speak chinese
and looks familiar
I look again
then I exclaim:
“you are shang zhongmin!
what do you want with my poems?”
shang zhongmin
jumps up and salutes:
“sir! welcome to the holy poetry empire!
but you must show your poetry.”
sie sagen alle
ich sei ein junge der nicht viel spricht
das will ich gar nicht verleugnen
ob ich spreche oder nicht
mit dieser gesellschaft
bin ich im konflikt
I’m emigrating to the moon
you all shouldn’t be jealous
on the surface there’s all sorts of glory
actually I’m having headaches
for example how do I get there
which is the most practical vehicle
is it the bicycle the public bus
is it the ferry is it an air-plane
is it a rocket is it Shenzhou 10
I have no idea
and so I stretch my hand to the sky
to grasp a white cloud
just like Sun Wukong on TV
with a few somersaults I’m on the moon
at the time of my successful landing
I’m even receiving a telegram
with President Xi’s congratulations
Tr. MW, Nov. 2014
Xu Lizhi EMIGRATION
ich emigriere auf den mond
ihr braucht mich nicht beneiden
zwar ist der ruhm grenzenlos
aber in wirklichkeit hab ich kopfweh
vom überlegen wie ich da hinkomm!
was ist das praktischste verkehrsmittel –
ist es das fahrrad oder die straßenbahn
ist es die fähre oder das flugzeug
eine rakete oder die SHENZHOU 10
ich habe ja doch keine wahl
also streck ich die hand in den himmel
pflück mir eine weiße wolke
mach es wie Sun Wukong im TV
ein paar purzelbäume dann bin ich am mond
im augenblick meiner erfolgreichen landung
bekomme ich ein telegramm –
gratulation von Präsident Xi!
meat should be eaten
there is no other value for its existence
so while I’m eating the meat on my body
bit by bit
I realize
the value of my existence
Tr. MW, Nov. 2014
许立志 存在与价值
被吃掉
是肉存在的唯一价值
因此当我一片接一片地
吃掉自己身上的肉时
我实现了
自我存在的价值
Xu Lizhi ELEVATOR
I’m walking into
a standing casket
as the lid slowly closes
I and this world
are separated
Tr. MW, Nov. 2014
许立志 电梯
我走了进去
一副站起来的棺材
随着棺材盖缓缓合上
我与这个世界
从此隔绝
Xu Lizhi MEDITATION
after writing this poem
I’m going to go among the willows to sit in peace
I’ll watch the sky over the mountains, the sunset
let cicadas call over the lake
wash the dust off this world, and a traveller’s heart
Into the dusk I plead forgiveness, tolerance,
a little mercy, sympathy ….
gegessen werden
fleisch ist für nichts anderes wert
indem ich mich bissen für bissen verspeise
realisiere ich langsam den wert
meines daseins
Übersetzt von MW im Nov. 2014
Xu Lizhi FAHRSTUHL
ich gehe hinein
in einen sarg der aufrecht steht
dann geht der deckel ganz langsam zu
ich und die welt
sind nun getrennt
Übersetzt von MW im Nov. 2014
Xu Lizhi MEDITATION
wenn ich mit diesem gedicht fertig bin
geh ich unter die weiden und setz mich ruhig hin
schau in den himmel, die sonne sinkt hinter den berg
ich lass zikaden zirpen über dem see
wasch mir den staub von der welt,
vom herz eines wanderers,
fleh in den abend hinein um vergebung,
um toleranz, mitgefühl …
I flew from beijing into detroit
and there I walked to immigration
facing two members
of the border police
one checking people
one checking luggage
I didn’t care what they were doing
I came prepared with one magic word
“I am a poet”
(from my successful experience
at the embassy getting a visa)
one policeman was old, one was young
but their expressions
surprised and delighted and even respectful
were exactly the same
over and over they stamped my passport
actually I had some experience before
this is not the first time I’m going abroad
except in my country where I keep quiet
I beat my chest everywhere and exclaim:
“I am a poet!”
shsh! don’t let the terrorists hear me
god bless america
and keep it safe
Yi Sha
HAVING MY VISA REFUSED AT THE AMERICAN EMBASSY
all morning till noon
one hundred people in a small room
like smuggled in a container
among boring figures and faces
a beautiful girl studying ballet
brings us all to attention
before my meeting with the official
I have a bit of bad feeling
among the people who get a visa
not one man under 50
only two men
an old guy with his wife
and one so small he doesn’t reach to the counter
America’s scared
they are really afraid
must be scared of our men!
holy shit! visa-official with a big beard
looks like a muslim, much more than me
much more like a terrorist
he doesn’t deliberate
he’s very sure he’s refusing my visa
must have seen something in my eyes
we say big apes cherish each other
he saw some deep hidden blood lust
an intention to immigrate
he’s reading the signs
the great li taibo from the tang dynasty moving to persia
no fucking international jokes please
holding my head up while taking my leave
I see the ballet girl was also refused
at another counter by a black woman
but she’s one happy duckling
flying outside with a song on her lips
“her parents were forcing her to go to america …”
someone from the crowd knows how it is