That was 14 years ago
I was abroad for the first time
in Sweden
at a poetry festival in Nässjö.
I saw a female poet from Iceland,
she was reciting up on the stage
as if she was in bed
under a man reacting to him.
She was panting,
that was her voice.
She wrote in a poem:
“In a dark night in Island,
a woman
sticks a light bulb
into her vagina …”,
shocking even
our Chinese
lower body poetess.
But apart from the stage
she had no intercourse with anyone.
A lonely shadow,
a wandering soul.
Maybe like her country
on the map,
floating piece of ice
in the sea.
2016
Tr. MW, Sept. 2016
Yi Sha ISLAND
das war vor 14 jahren.
ich bin zum ersten mal im ausland,
in schweden.
auf dem poesiefestival in nässjö
seh ich eine dichterin aus island.
sie liest auf der bühne
als ob sie sich im bett
unter einem mann winden würde
ihre stimme
ist ein stöhnen.
“in einer langen nacht in island
steckt sich eine frau
eine glühbirne in ihre scheide …”
sie hat unsere chinesische dichterin
berühmt für ihre unterleibspoesie
umgeworfen.
aber außerhalb der bühne
spricht sie mit keinem menschen.
sie ist immer allein
eine wandernde seele.
so wie ihre nation
auf der karte,
eine eisscholle im meer.
I pick up my son
we walk home from school
all the way talking about
a little bear
maybe it’s that boy upstairs
Little Bear is his name
now we are already
at our home
I take out my key
to unlock the metal door
it’s pitch black inside
but there is a sound!
my son shouts:
“Who are you? Man or bear?”
he shouts so loud,
that little noise
gets louder too!
I push my son
away from the door
I rush in like an arrow
leap into the kitchen
stretch out both arms
grab two vegetable knives
from the rack by the sink
they gleam in the dark
I am very glad
I had them sharpened
two days ago
2012
Tr. MW, 2016
Yi Sha TRAUM 45
ich hol meinen sohn ab
wir gehn heim von der schule
reden die ganze zeit
von einem bären
vielleicht ist es der bub
der über uns wohnt
sein name ist kleiner bär
auf einmal sind wir
an unserer tür
ich nehm den schlüssel
sperr die metalltür auf
drinnen ist es pechschwarz
und es kommt ein geräusch!
mein sohn ruft laut:
“wer ist da? mensch oder bär?”
das leise geräusch
wird jetzt viel lauter
ich schieb mein kind
raus aus der tür
stürm selbst pfeilgeschwind
in die küche
streck beide hände aus
find im regal neben der spüle
zwei gemüsemesser
die glänzen im finstern
ich bin noch sehr froh
sie sind frisch geschliffen
From the end of a long corridor
in a Chinese courtyard
two gentlemen walking up slowly.
The older one with the grimy beard,
he is my idol from when I was young.
The younger one with the smooth chin
is my favorite active soccer player.
Maradonna and Messi
have arrived in fornt of me,
so I tell them:
“You have to win!
You must come out on top!
You must hold the World Cup!
If you guys are eliminated
our whole goddamn TV
will never stop playing
‘Don’t cry for me, Argentina’,
like it was your Memorial Day!”
Two soccer kings
look speechless at me.
Who is this impertinent Chinese fan?
2012
Tr. MW, 2016
Yi Sha TRAUM 47
in einem alten chinesischen hof:
aus einem ganz langen korridor
kommen mir langsam zwei herren entgegen
der alte herr mit dem speckigen bart
ist mein idol aus meiner jugend.
der junge herr mit glattem kinn
ist für mich der beste aktive fussballer.
maradonna und messi
sind vor mir angekommen.
ich sag den beiden herren
“ihr müsst unbedingt gewinnen!
ihr müsst weltmeister werden
und den pokal hochhalten!
denn wenn ihr ausscheidet
spielen sie bei uns im ganzen fernsehen
den ganzen tag ‘don’t cry for me, argentina’,
als wär es der trauertag eurer nation!”
die beiden fußballkönige
schauen mich ratlos an
was will dieser aufdringliche
chinesische fan?
voriges jahr im frühling in wien
war ich oft bei martin
rund um seine wohnung
sind lauter baustellen.
“viele von den arbeitern hier
sind in den 90er jahren
im jugoslawischen bürgerkrieg
nach österreich geflüchtet.”
ah, für mich als chinese
war das auch ein teil
unserer geschichte
den man uns nur
zum teil mitgeteilt hat
und in europa
ist es die wirklichkeit
mit der sie alle
umgehen müssen.
Juli 2016
Übersetzt von MW im Juli 2016
Yi Sha 《历史与现实》 HISTORY AND REALITY
last year in spring in vienna
I often went to martin’s home;
many construction sites
in the neighborhood.
“these workers around here,
most of them came in the 1990s,
refugees from the war in yugoslavia.”
martin said something like that.
oh, for me as a chinese person
this is another part of our history
they told us only in part.
whereas in europe,
it is the reality
they all have to face.
ich hab vergessen
ob es in vermont war
oder in wien
ich hab martin gefragt:
“die existenz von djokovic,
hat das im westen geholfen,
das schlechte image von serbien
zu verbessern?”
“selbstverständlich!”
hat martin gesagt.
Juli 2016
Übersetzt von MW im Juli 2016
Yi Sha DJOKOVIC’S EXISTENCE
was it in vermont
or in vienna?
anyway I asked martin
“has the existence of djocovic
improved the bad image
of serbia in the west?
“of course!”,
martin said
Seven years ago
at Qinghai Lake International Poetry Festival
one morning at breakfast
at Qinghai Hotel
I sat with two poets from Taiwan.
20 years before I had received them in Xi’an.
Time has flown very fast.
Now they are already 80 years old.
One of them was very eager to tell me: “This morning I still had an erection!”
I liked the old guy very much, so I said: “You should write this into a poem!”
Suddenly he took back everything I found so cute about him
and told me seriously:
“How could you write such a thing!”
Seven years have passed.
On the occasion of 100 years
of New Chinese Poetry
I thought about him.
I want to say,
this is a limitation in our New Poetry
or in our nation,
except for Avantgarde poets
or colloquial poems.
I am sleeping
with a poetess I have haven’t known very long
on the same bed
in our clothes feet to feet
late at night
I am beginning to wriggle,
thinking: such a great opportunity
if I don’t do anything
it would be a shame
if I don’t do anything
what will they think
in the poetry world
in arts and literature
they’ll take me for a eunuch!
der jähzornige onkel ist tot
so viele trauernde leute
bezeugen er war ein guter direktor
ich als der sohn seiner schwester
bin bei den verwandten gut angesehen
das ist das verdienst meiner mutter
bei diesem begräbnis
hab ich meinen onkel fast gar nicht erkannt
auf dem letzten bild
es ist 19 jahre her
seit unserer letzten begegnung
in diesen 19 jahren
war ich vier mal in shanghai
aber ich bin nie zu ihm gegangen
denn bei jeder begegnung
muss er mich fragen wieviel ich verdiene
dann sagt er meine kusine
in ihrer ausländischen firma
bekommt ein vielfaches
Juni 2016
Übersetzt von MW im Juni 2016
Yi Sha 《外甥送舅》 ONKEL BEGLEITET
jedesmal vor einer reise
zünd ich drei räucherstäbchen an
vor dem bild meiner mutter
aber dieses mal
ist ein räucherstäbchen
von selbst abgebrochen
ich hör auf einmal mein herz
fürcht es kommt etwas schlechtes
herzinfarkt und tod meines onkels
ich seh meinen sohn auf dem uni-theater
der beijing normal university
die nachricht kommt bevor ich hineingeh
also wird meine reise nach peking und zhejiang
auch eine nach shanghai
in shanghai
bei der longhua-bestattung
begleit ich den onkel
schau wie sie ihn wegführen
im herz ruf ich mama
hier kommt dein kleiner bruder
weiß nicht wann und von wo
fliegt herein eine fliege
stört meine siesta
ich such die fliegenklatsche
find sie nirgends
versuch es mit der blanken hand
krieg sie nicht
komm auf eine idee
lass das fliegengitter offen
bald kann ich schlafen
kleine fliege
nicht dass ich geahnt hab
du sehnst dich nach freiheit
ich hab dich durchschaut
dein grenzenloser durst nach gestank
die welt ist so groß
manche stinken noch stärker
wenn ich denk
ich fahr in die steppe
geht mir das herz auf
wenn ich denk
ich fahr in die steppe
schau in die sterne
krieg ich feuchte augen
dann bin ich in der steppe
dann wird es wirklich dunkel
dann kommen die sterne
aber es ist mir
ein bisschen peinlich
ich komm in die steppe
seh die von lyrischen leuten
verdorbene steppe
himmel wolken seen herden
ganz ohne eingriff
ich dreh mich verwirrt
und seh keine menschen
Juni 2016
Übersetzt von MW im Juni 2016
《铁律》
但凡说出
"诗不重要
我们是兄弟"者
从来都不是
我的兄弟
Yi Sha 《铁律》 EISERNE REGEL
aber alle die sagen
“gedichte sind nicht so wichtig,
wir sind ja brüder“
die waren nie
meine brüder.
kublai khan
befahl dem künstler:
“mal ihn nach mir,
er ist mein großvater.”
“wie mal ich dann dich?”
lag dem mann auf der zunge
die frage blieb ungelöst
Austrian poet and translator
Martin Winter
visits China again;
returns to old Chang’an,
gets a job at my university.
Finds a girlfriend
(no boobs and no brain);
she goes to Baoji with him
for a poetry festival,
upon returning complains:
“Professor Yi,
because you weren’t there,
they didn’t respect our Martin
like he deserves …”
I feel rather awkward,
and have to tell her:
“What do mean, our Martin?”
What are you to him?
You are not even a proper mistress,
you are a fill-in at best …”
June 2016
Tr. MW, June 2016
Yi Sha 《梦(791)》 TRAUM 791
der österreichische dichter
und übersetzer martin winter
besucht wieder china
und mein altes chang’an
wird angeheuert von meiner uni
findet eine freundin
ohne hirn und ohne brüste
sie geht mit ihm nach baoji
dort ist ein poesiefestival
nachher kommt sie sich beschweren:
“professor yi sha, weil sie nicht dort waren,
haben die unseren martin nicht respektiert.”
es ist mir peinlich,
ich muss sie zurechtweisen:
“bitte vergessen sie nicht wer sie sind.
sie sind kein teil seiner familie.
sie sind nicht einmal eine konkubine,
allerhöchstens eine freundin auf zeit …”
the camera on nigel mansell’s car
recorded how senna and prost
crashed into each other:
simple and perfect,
such a clear picture
enticing
this stinking intellectual with his big head:
a bout of poetry – death
just like this
a stroke of lightning
— but what the fuck!
that crazy mansell
steps on the gas. up from behind,
crushes my poetry.
no death at all. one million pairs
of spectator’s eyes see only victory!
die kamera auf dem wagen von nigel mansell
hat mitbekommen wie prost und senna
zusammengekracht sind
es war ganz einfach
ein klares bild
eine versuchung
für einen intellektuellen wie mich
für mein stinkendes hirn
ich mach gleich ein gedicht – über den tod
so schnell geht das
wie der blitz
– aber scheiße!
der verrückte mansell
steigt voll aufs gas, holt auf und ist vorn
mein schönes gedicht ist kaputt
es gibt keinen tod. in millionen
zuschaueraugen zählt nur der sieg
jetzt
stehe ich vor
einer schachtel
ich fische eine zigarette heraus
steck sie mir in den mund
reibe streichhölzer an
das zweite fängt feuer
nach sieben minuten
ist die sache zu ende
hat es einen sinn
ich fühle mich besser
in chang’an
hab ich angst dass ich zwinker
und im nächsten moment
sind dieser himmel sind diese stadtwälle
wildganspagoden und der fluss wei
noch einmal versunken für tausend jahre
so kann ich nur die augen zukneifen
die fäuste ballen
stehen im sand in der zeit
bis sie mich begraben und in tausend jahren
wieder entdecken:
kulturmonument!
1994
Übersetzt von MW im Mai 2016
《记忆》
爸爸 小时候
你给我把尿
让我以那种姿势
而对尘世
你口中嘘嘘不止
然后我尿柱掣天
如今 儿已是
口哨大王
在ADO乐队干
爸爸 记忆
是一种欲尿的感觉哇
1994
Yi Sha 《记忆》 ERINNERUNG
papa! als ich klein war
hast du mir beigebracht
ohne windeln zu pinkeln
als ich in dieser haltung
dem staub der erde
entgegenhing
hast du gepfiffen
bis mein strahl an den himmel ging
heut ist dein sohn
weltberühmter pfeifer
in der rockband ADO
papa! erinnerung –
das gefühl ich will pinkeln!
an diesem abend
bevor ich barcelona schau
schau ich den todfeind real madrid
und ihren rivalen athletico
ich hoff dass sie verlieren
oder wenigstens nicht gewinnen
so kann ein fußballfan
richtig das letzte sein
ein ganz gemeiner mensch sein ist fein
gottseidank hab ich sonst im leben
in allem was mit mir zu tun hat
niemandem solches
pech je gewünscht
At Burlington Airport,
security personnel gave me a sign
made out of plastic
with a sentence in English,
something like
“You are today’s one and only
control-exempt traveler.“
At first I was shocked
then I was ecstatic
held it high in the air
showing my status.
After security,
went to the bathroom,
did my business,
washed my hands;
looked up
into the mirror,
examined myself for a long time.
”Oh, that security person,
they must have second sight,
goddammit, you tried all your life,
they’ll never take you for a bad egg!”
My sister’s husband
picks me up at Phoenix airport.
Hardly says anything,
drives us into the city,
to a Sichuan restaurant.
Walking in,
it’s just like in China.
Customers mostly
black hair, yellow skin;
boss is from Chengdu.
Comes out himself,
greeting us with a smile,
all polite.
Only later when he’s alone
he is cursing and swearing,
pure Sichuan dirty language.
I am astonished.
“This is normal,
he is just homesick”,
says my brother in law.
I leave
my very best language
for my poems
for my lectures
when I’m back home
the records are sketchy
my words don’t make sense
I stutter and stammer
I’m hemming and hawing
so my wife doesn’t know
if I have what it takes.
I hope and I pray
everyone else
believes the opposite.
ein verwandter arbeitet
in einer großen staatlichen firma.
rennt herum auf der ganzen welt,
vertritt überall chinesische handys.
zum frühlingsfest kommt er zu uns,
schenkt mir kaffee aus äquatorial-guinea.
ich trink den kaffee die ganze zeit.
heut haben wir ihn wieder zu gast.
ich schenk ihm sein geschenk ein
und bin voll des lobes:
“der kaffee ist herrlich,
ich schmeck die sonne direkt am äquator.”
aber der herr diplomingenieur
weiß wirklich nicht was sich gehört
und korrigiert mich:
“onkel, verzeihung.
ich hab mich vertan.
der kaffee ist aus dem libanon.”
ich bin im dilemma.
der geschmack der sonne direkt am äquator
ist jetzt der geschmack von hizbollah-raketen?
ich hab schon den schaden
aber der sture diplomingenier
lässt mich noch nicht aus.
er nippt am kaffee
und schnalzt mit der zunge.
“onkel, du dichtest zuviel.
der kaffee schmeckt ein bisschen
wie frischer ingwer.”
each time I think of 1997,
when my mother died,
I also drag up a heap
of shards and splinters
of happiness.
a flower opened,
a poem was published.
a happy feeling
you only get
from having survived.
a process of healing,
a walking corpse
with small signs of waking.
maradonna 1983
gesund und gefährlich
im bernabéu-stadion
vorbei am verteidiger
am tormann vorbei
und ins leere tor
ein riesen-applaus
von erbittertsten feinden
mein idol
noch unvergiftet
ganz reines blut
im dem jahr ist erschienen
mein erstes gedicht
unsere dichtertour
kommt nach amerika
kommt bis nach tucson in arizona
dort wohnt meine schwester
die leute machen sightseeing
nur jiang tao und ich
wir sind bei meiner schwester daheim
kochen mit ihr zusammen
jeder zeigt was er kann
zwei, drei gerichte
draußen sonnenuntergang
goldene strahlen auf den kakteen
in meinen träumen in letzter zeit
bin ich die ganze zeit in malaysia
im hochland-casino kenting
jetzt bin ich am klo und uriniere
pan xichen kommt herein
stellt sich gleich neben mich
ich frag “bruder, wieso bist du hier?”
“du hast doch im internet mobilisiert,
alle spieler unter den dichtern
sollen zu dir kommen und mit dir spielen
ich hab mich sofort ins flugzeug gesetzt …”
wir verlassen das klo
und merken erst jetzt
es war keine männertoilette
auch keine damentoilette
sondern eine transentoilette
ich reite auf einem
elefanten in thailand
ich hab eine riesige drachenmondlanze
wie im roman der “drei reiche”
und meine eigene kampfmethode
ich und mein kriegselefant
wir töten ganz viele feinde
keine rüstung ist vor uns sicher
Februar 2016
Übers. v. MW im März 2016
《梦(632)》
我骑在一头
泰国战象上
手执青龙偃月刀
使出了我独创的
一套刀法
杀得敌人
片甲不留
Yi Sha 《梦(633)》 TRAUM 633
Ich schreite aus wie ein Komet
auf einer Straße der 70er Jahre
In Xi’an im Süden die Xingqing Road
wenige Menschen, fast keine Wagen
am Horizont sind die Berge
ganz ganz deutlich
mit Tusche gezeichnet
ich bin wieder in singapur
gesetze sind noch viel schärfer geworden
jeder muss englisch reden
inklusive touristen
wer nicht englisch spricht
wird am mund ausgepeitscht
es gibt einen aufstand
ich gehe auch zu den guerillas
unsere basis
liegt im malaysischen dschungel
ich bin immer noch in südostasien
wieder in vietnam
ein kleines dorf im norden
ein kokosnussbaum
dort oben sitz ich im hinterhalt
und wart auf die amis
aber ich schieße nicht mit kokosnüssen
sondern mit durians (die fürchterlich stinken)
in nanning
hat martin durchfall gehabt
das war sicher von seiner reise
20 stunden und mehr
am zweiten tag war es schon besser
hat martin in bangkok durchfall gehabt?
hat er in pattaya durchfall gehabt?
hat er in singapur dünnschiss gehabt?
hat er in malakka dünnschiss gehabt?
oder in kuala lumpur?
ich glaub überhaupt nicht
im hochland-casino-hotel von kenting
hat martin sicher durchfall gehabt
er hat nämlich gefehlt
beim abendlichen dichtergefecht
das war von durian und bier zusammen
also praktisch arsen
zurück in nanning war sicher kein durchfall
da hat er gewonnen, zum dritten mal
und den gesamtweltcup geholt
hat er dann auf der rückreise durchfall gehabt
in shanghai oder vielleicht in paris
oder bei der ankunft in wien?
er hat nichts gesagt
im traum hab ich alles genau aufgezählt
unser einziger nicht-chinese
auf unserer tour durch südostasien
sein gesundheitszustand
von vorne bis hinten
und aufgeschrieben
wieder hock ich im hinterhalt
auf einem baum
es ist ein banyan-baum
ich will jemanden töten
einen mann namens “iran”
aber es kommen nur lauter dichter
aus guangxi
auf unserer reise durch südostasien
hat uns jemand in eine falle gelockt
ein klassisches komplott
wie vor 2000 jahren in china
ich und frau chen
unsere starke malaysische reiseführerin
wir haben alles durchschaut
verschanzen uns auf der toilette
jeder von uns hat eine pistole
ich flüstere ihr zu:
“bitte geben sie den befehl
dann stürmen wir los
und retten die gruppe …”
im zweiten weltkrieg
bin ich in paris
ein spion für die allierten
ich habe viel glück und überlebe
mein geheimnis ist
jede zehnte information
an die ich herankomme
verkauf ich auch an die deutschen
immer die wertloseste information
durch die niemand sterben muss
unter dem siamesischen mond
kommt eine verführerische
brillenschlange daher
sie schießt sich selbst in den fluss
den chao phraya river
sie landet auf einem rücken
eines krokodils
und beisst sofort zu
aber das krokodil
frisst am ende die schlange
ich hab ein schönes lied auf den lippen
hab den text geändert
es ist von der neujahrsnacht
“soviel krach, soviel krach”
ich brenn feuerwerk ab
mein sohn folgt mir nach
die raketen die wir angeschleppt haben
sind etwas zuviel für unseren hof
wir werden höflich ersucht auf die straße zu gehen
vor einem hotel ist noch genug platz
heut nacht ist der himmel erhellt
das ganze land jauchzet und tanzt
als wir fertig sind mit unserm feuerwerk
dreh ich mich um
krieg einen schreck
das hotel ist erleuchtet
mit roten laternen
es gibt sogar einen lebendigen spruch:
ein hockender steinerner löwe
zu seinen füßen ein liegender bettler
und weiße schrift auf rotem grund:
“HARMONISCHE GESELLSCHAFT”
2007
Übersetzt von MW im Februar 2016
Yi Sha 《纹心》 INS HERZ GERITZT
auch wenn es
das herz ist das blutet
hört es auf eines tages
die narbe verkrustet
die kruste reißt ab
das jucken das bleibt
weckt den schmerz nicht mehr auf
aber
was eingebrannt ist
ein mal auf dem herzen
deiner generation
unauslöschliches
muttermal für euch alle
oder aber
nur für dich selbst
Second world war,
I am in Paris.
A spy for the allies,
a lucky survivor.
My secret is,
from every ten bits of intelligence
I sell one to the Germans.
The most worthless one,
the one that doesn’t get people killed.
ein kleines kind
ein kleines kind so gross wie ich
mit einem roten lampion
rennt durch die nacht
das zweite mal
dass ich ihn seh
seh ich einen feuerball
in seinen händen
der lampion hat feuer gefangen
er schreit vor verzweiflung
und rennt und rennt
das dritte mal kommt er im traum
gleich in der nacht
er ist ein feuerkind geworden
in der grenzenlosen nacht
hält er in der hand
einen kühlen klaren mond
während er rennt
2005
Übersetzt von MW im Februar 2014
Yi Sha 《无题(76)》 [OHNE TITEL NR. 76]
am laternenfest
wie soll ein junggeselle
den tag verbringen
am billardtisch im freien am nachmittag
schwingt er kugeln mit kollegen
verliert ziemlich viel
am abend daheim
kocht er ping-pong-bälle
schluckt sie allein
in der nacht geht er spazieren
brennt feuerwerk ab
für kinder die sich nicht trauen
hebt manchmal den kopf
zur geliebten in funken
zur familie im mond
2009
Übersetzt von MW im Februar 2016
Yi Sha 《无题(77)》 [OHNE TITEL NR. 77]
am laternenfest
am fünfzehnten tag
am ersten vollmond im mondkalender
schenkt ein onkel seinem neffen eine laterne.
von diesem chinesischen brauch her
denk ich an meinen neffen
in amerika: eric
auf chinesisch: wan yuxiang
pure american born chinese
jeder der uns beide gesehen hat
sagt ohne ausnahme
er ist eine kopie
von mir als bub
genau so ein schlingel
kräht auch wie ein enterich
sucht immer aufmerksamkeit
produziert sich vor gästen
wie der onkel so der neffe
ein chinesisches sprichwort
in new york geboren und groß geworden
mit der gratis-kuhmilch von new york state
am telefon ewig blabla
kann kein wort chinesisch
lieber eric, dein onkel zerbricht sich den kopf
wie du deine laterne bekommst
jetzt mal ich im computer
etwas wie einen heißluftballon
das ist deine laterne die schick ich sofort
bitte borg dir die fackel von lady liberty
und zünd sie dir an
In the green hills
each of these hermits
they all have a dog.
We are taking a walk
they jump out barking like mad.
I shout in Chinese: “Go to hell!”
Doesn’t help.
They are jumping us.
Woman writer JoAnn from Chicago
yells: “Shit!”
Dog starts to listen
and slinks away.
An der Fremdsprachenuni Xi’an
im Unikrankenhaus
am Sonntag
alle Angestellten zur Untersuchung
eine Schlange
bei der Tür zum Ultraschall
“Habt ihrs schon gehört?
Terror in Paris,
über 100 Tote ….
“Weiß schon.
Mir war gerade sehr langweilig,
dort ist jetzt etwas los …”
“Das ist ordentlich stark,
wie ein richtiger Volksaufstand …”
“Die Franzosen, die lieben die Revolution,
jetzt fällt ihnen Revolution auf den Schädel …”
……
“Was ist da für ein Lärm? Was gibts zu debattieren?”
Die Tür geht auf,
eine Ärztin in Weiß in mittleren Jahren:
“Sie sind im Krankenhaus,
nicht am Gemüsemarkt.
Die nächsten fünf bitte,
fertig zum Ultraschall!”
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 590
auf der steppe
peitschenschwingend
treiben drei reiter ihre pferde
ich bin ihre seele
sie treiben ihre pferde vorwärts
ich bin schon heruntergefallen
drei kopflose reiter
am endlosen horizont
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 596
ich steh auf in der früh
draußen auf den fluren
sind lauter kornkreise
außerirdische sind schon gelandet
ich habe sie noch nicht gesehen
aber ich brech schon zusammen
ich hab die wissenschafter gesehen
die schickt die regierung um uns zu beschützen
lauter schwachsinnige!
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 598
hier ist ein satz aus meinem traum:
“obst und gemüse aus meinem garten
sind überreif:
äpfel fallen,
werden zu herzen
für vogelscheuchen.”
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 601
ein geschenk des himmels
ich besitze
eine kleine insel
so groß wie mein bett
mit bergen und flüssen
einem dichten dschungel
im dschungel tummeln sich
ganz viele tiere
mit einem fallschirm
spring ich auf die insel
lauter giftschlangen
wo soll ich landen?
November 2015
Übersetzt von MW im Dezember 2015
Yi Sha TRAUM 602
Ich bin beim IS.
Trage eine AK47,
richte sie
auf junge Frauen in schwarzen Tüchern,
fang an zu schießen.
Ein Offizier mit Rauschebart
schreit mich an:
“He, Chinese!
Nicht töten!
Leben lassen als Sexsklavinnen!”
“Junge Mädchen
interessieren mich nicht”,
sage ich
und schieße weiter.
EINE KLEINE NACHTMUSIK – 伊沙 – DREI GEDICHTE VON 2002
Yi Sha 《傍晚的一個瞬间》 EINE SZENE AM ABEND
eine gruppe von teenagern
umringen und schlagen
eine schöne junge frau
mit fäusten und füßen
mit steinen
das war auf einer landstraße
im süden von frankreich
oder auf sizilien
das hab ich auf einmal im fernsehen gesehen
eine szene am abend
ich hab gewusst es war ein film
ich hatte noch etwas anderes zu tun
konnte nicht weiter schauen
ich fühlte mich ein bisschen schlecht
nicht nur ein bisschen schlecht
sondern selten schlecht
ich weiß schon
das hat mit der handlung konkret nichts zu tun
da kommt nur ein gefühl hoch
weil ich keinen bestimmten grund finden kann
häng ich in der luft
und find keinen halt
eine frau
mit einer stahlsäge
sägt meine nerven
sie weiß
meine nerven
halten gar keine säge aus
sie weiß
was am meisten weh tut
das ist der klang
wenn eine stahlsäge
nerven durchschneidet
ihr guten menschen
hört
eine kleine nachmusik
euch wird weit ums herz und leicht um den sinn
ein sehr schönes gefühl
die nerven sind schon durchgesägt
aber nachher
sieht man kein blut
euch guten menschen
tut es unerträglich weh
ich hab noch das herz
euch zu sagen
ich hab ein herz aus stahlbeton
dass ich nicht gerührt bin
das kommt von einem einfachen grund
einem ganz banalen
ich möchte leben
mitten unter den leuten
Yi Sha DIE GROSSE WILDGANSPAGODE BEHALT ICH, HIER IST EINE KLEINE PAGODE FÜR DICH
meine reisegefährten sind aufgestiegen
auf die wildganspagode
ich streck meine glieder
tief hinten im garten am alten tempel
hab ich mich so angenehm angelehnt
zitherklang aus der oper liang zhu
und die alte glocke an die ich gestoßen bin
lassen mich in den schlaf sinken
ein tausendjähriger mittagsschlummer
kurz und traumlos
schwarz vor den augen
beim aufwachen
sind meine wangen ganz feucht
mein gesicht ist noch immer
im weinen befangen
ich hab doch keinen grund
es muss etwas sein
etwas größeres
höheres
etwas kleineres
niedrigeres
das mich gebraucht hat
um sich auszuweinen
in these few days
I’ve read them again and again
four pages of orders
left behind by the suicide terrorists
“now is the time
you have to get up
get dressed as fast as you can”
so I get up
get dressed
“now is the time
go wash yourself
go to the bathroom
look into the mirror
get rid of unnecessary
small hairs on your face”
so I wash myself
and listen to
the sound of my razor
“now is the time
you have to go out
go downstairs call a taxi
when you sit in the cab
you will feel nervous
and the best method
against feeling nervous
you smile at the driver
when you get to the airport
you smile at everyone”
so I go out
call a cab, smiling
“now is the time
use your small dagger and your iron will
a massacre is about to begin”
I feel distracted –
are these two lines from a poem?
then something makes we weak altogether:
“now is the time
you must go through death
to enter paradise
the virgins in paradise
are already prepared
in their most beautiful clothes
to welcome you”
and so I decide
to give up the mission
they should not have said that
as soon as I read it I thought
maybe I don’t have to die
don’t have to kill so many people
to get at this thing
eau pas comme l‘eau
nuages en formation
ombres des nuages blancs
elles ne bougent pas?
sur l’eau et sur la terre
maintenant c’est seulement
des nuages blancs
c’est un privilege
d’être assis dans un avion
bien que maintenant tout le monde prend l’avion
vous prenez un avion c’est a dire vous avez l’argent
ou bien vous êtes assez importante
aller en avion, c’est très vite
mais dans un avion vous avez du temps
vous pouvez regarder les nuages
regarder un film
faire une conversation ou dormir
et vous pouvez écrire un poème
mais si vous prenez un avion tous les jours
c’est une chose différente
les nuages sont différents?
les ombres sont différents?
peut-être les conversations et les poèmes
seraient différentes.
Dieses Gedicht hab ich vor drei Monaten im August im Flugzeug nach China auf Chinesisch geschrieben. Bei einem Gespräch mit einem Schüler aus China. Er war aus Daqing. Es war eine ganze Klasse, sie kamen aus England zurück. Daqing ist der bekannteste Ort in China, wo es Öl gibt. Im Norden.
Die französische Version habe ich jetzt gerade geschrieben. Die Schweizer Künstlerin Anna Kubelik hat mich inspiriert. Sie hat ein Gedicht gelesen, in dem sie vorkommt. Zufällig, auf meinem Blog. Ein Gedicht von einem Flug von Montreal nach Istanbul, vor einem Jahr, vor über einem Jahr. Ich hatte das Gedicht schon vergessen. Es ist recht experimentell. Ungewöhnlich, sehr ungewöhnlich für mich. Aber zurück zu dem chinesischen Gedicht von diesem August.
Ich war auf dem Weg zum internationalen Poesie-Festival in Qinghai. Am Qinghai-See auf der tibetischen Hochebene und in Xining.
Am ersten Tag des Festivals bekam ich in der Früh einen Anruf im Hotelzimmer. Ob ich einen kleinen Vortrag halten könne? Ich hatte vorher gehört, dass sie kleine Vorträge über Poesie haben wollten. Aber dann hieß es wieder, das sei nicht unbedingt nötig. Gedichte vortragen sei genug. Und Übersetzen, in meinem Fall. Aber dann der Anruf. Was sollte ich vortragen? Keine Ahnung, erst einmal Frühstück. Unten beim Frühstück mit den anderen war natürlich auch keine Zeit, sich etwas zu überlegen. Dann war ich in der großen Konferenzhalle der Provinzhauptstadt Xining, gleich beim Hotel. Weltberühmte Poeten und Fachleute hielten ihre Vorträge. Übersetzt ins Englische und ins Chinesische, gleich dort auf der Bühne.
Ich saß neben einer tschechischen Übersetzerin, Zuzana Li. Wir hatten gute Gespräche davor und danach, auf Englisch mit Brocken aus Tschechisch und Deutsch. Ich versuchte unter der Bank mein chinesisches Gedicht aus dem Flugzeug ins Englische zu übersetzen. Dann wurde ich aufgerufen.
Ich ging nach vorn und erklärte auf Chinesisch und Englisch, ich habe keinen Vortrag über Poesie, nur ein Gedicht.
Dann las ich das Gedicht vor und versuchte, es auch auf Englisch deutlich zu machen.
Es beginnt mit vier Silben. Die erste Zeile besteht aus vier Silben. Die zweite auch. Wasser ist nicht wie Wasser. Das sind schon sechs Silben. Das Wasser ist überhaupt nicht wie Wasser. Eine Armee aus weißen Wolken. Die Schatten der weißen Wolken bewegen sich kaum. Auf dem Wasser und über dem Land.
When white clouds get thick, clouds become everything. It is a privilege to sit on a plane. Although nowadays everyone takes a plane. To sit on a plane means you have money. Or it means you are important.
Planes go very fast. But when you sit on a plane, your time is most often your own.
Hier hab ich eingehakt und erklärt, dass mich dieses Motiv, dass man Zeit hat für sich selbst, obwohl man sehr schnell unterwegs ist, dass mich dieses Motiv an Yi Shas 伊沙 berühmtes Gedicht von der Überquerung des Gelben Flusses erinnert 《车过黄河》.
In dem Gedicht überquert er im Zug den Gelben Fluss. Er sollte am Fenster sitzen mit Blick auf den Strom, oder an einer Türe stehen im Korridor, eine Hand an der Mütze, mit dem Blick auf den uralten Strom, mit alten Rechnungen aus der Geschichte. Und wie ein großer Mann aussehen, oder wenigstens wie ein Dichter. Aber er ist am Klo. Er hat schon so lange darauf gewartet. Und jetzt hat er Zeit. Jetzt hat er endlich Zeit für sich selbst. Und wenn er endlich fertig ist, ist der Gelbe Fluss schon weit weg geflossen.
Dieses Motiv, Zeit haben, sich Zeit nehmen können für sich selbst, während man unterwegs ist, das hab ich praktisch zitiert in meinem chinesischen Gedicht. Das hab ich erklärt, und das war mein Vortrag.
eine phalanx
nach der anderen
papiersoldaten
im stechschritt
papierlastwagen
gleiten langsam vorüber
tragen
papiermarschflugkörper
papierpanzer
sind unumgänglich
sie fahren von selber
und aus papier zusammengeklebte
gepanzerte wagen
papierflugzeuge
ziehen am himmel
wie drachen
mit abgerissener schnur
wohin sie wohl fliegen
wohin sie wohl fahren
wessen hand hat sie
zusammengeklebt
um sie am gräbertag
zu verbrennen
für welche schatten
für welche geister
shen haobo und ich
sprechen über poesie in einem cafe
reden bis es dunkel ist
“ich habe hunger” sagt shen haobo
“was haben die hier zum essen?”
“hier gibts nix zu essen”, sag ich,
“aber daneben machen sie torten
wir können uns eine torte bestellen.”
“ich will keine torte”, sagt shen haobo,
“ich will feuertopf.”
“also bestellen wir feuertopf”, sage ich
und nehme mein handy.
die ware wird gleich geliefert
eine cremetorte, zwölf zoll
in der form eines feuertopfs
mit brennenden kerzen
qin bazi und ich
schlafen im selben zimmer
in einem hotel
(das ist wirklich passiert
im letzten monat)
da reißt einer die tür auf
es ist ein zylinder
er hat einen kopf
und der körper ist ein zylinder
sagt mein alter freund qin:
“ist das ein mensch?
wenn du so gewachsen bist
wärst du besser kein mensch …”
ich sage:
“du musst doch ein mensch sein
zuerst bist du mensch
dann kommt alles andere”
auf dem bildschirm
ist mein personalausweis
ich muss mich selbst
diesen lebenden klotz
hineinpressen
um das bild zu ersetzen
nach mehreren versuchen
muss ich es aufgeben
September 2015
Übers. v. MW im Herbst 2015
《梦(557)》
电脑屏幕上
有一张我的身份证
我非要把我
这个大活人
嵌进去
取代那张照片
几番尝试
终难如愿
Yi Sha TRAUM 561
diese prüfung
ist schwieriger als ich dachte
ich soll alle die ich kenne
einteilen in:
1) unsere seite
2) gehört nicht zu unserer nation
September 2015
Übers. v. MW im Herbst 2015
《梦(561)》
卷面上的这道题
比我想象的难做
将我所认识的人
划归为:
1、自己人
2、非我族类
Yi Sha TRAUM 564
sie will es mit mir
im stehen machen
den rücken zur wand
als wir fertig sind
ist sie verschwunden
auf der wand
bleibt ein schatten
September 2015
Übers. v. MW im Herbst 2015
《梦(564)》
她要与我
站着做爱
背靠着墙
做完之后
她不见了
墙上留下
一个影子
Yi Sha TRAUM 565
ich lieg auf einer wiese
linke seite
rechte seite
auf dem rücken
auf dem bauch
fühlt sich alles gut an
ich sage dank
dem blauen himmel
on our first afternoon in shanghai
there was a symposium
at the academy of social sciences
dinner in another building
eating dinner
I have to go to the bathroom
from the bathroom window
I see the sky
it is just getting dark
the sun is setting
the sky is red
this is a whole different sky
my mother
grew up under this sky
now she and the sky
they have become one
my wife is on a business trip
asks me on the phone:
“who will sleep with you tonight?”
“a flea”
is my answer
it’s the truth
I had classes all day
had a nap at noon in the teacher’s room
on the old sofa
and got bitten all over
October 2015
Tr. MW, Nov. 2015
《谁陪你睡觉》
在外出差的妻
打来电话问:
“今晚谁陪你睡觉?”
“一只虱子”
我回答道
我说的是真的
今儿我全天有课
午休在教研室的
一张破沙发上
被咬了一身疙瘩
Yi Sha DREAM 566
I don’t trust this group of people
they are sitting at a round table
eating their fill from a big plate of living
bugs
October 2015
Tr. MW, Nov. 2015
《梦(566)》
我不信任的一伙人
围坐在一个圆桌边
在大吃一盘活着的
虫子
Yi Sha DREAM 567
the chinese men’s basketball team
came back after four years on top of asia
and earned their ticket for the olympics
in rio next year
after I saw the game
I fell asleep, then I saw it again
they still won the cup
but the process was different
even the finals
there was another opponent
the japanese have occupied china
and installed cameras in every classroom
they need to watch every minute
everything I am teaching
my hate for the japanese
keeps building up
till the day it explodes
I am a woman
the dissident zhang zhixin
trussed up for slaughter
led to the river bank
for execution
a bullet is coming
it goes right between my brows
but I don’t fall down
I am not dead
I feel electricity
up and down in my body
I dreamed of a window
what was outside the window
that was the part
I cannot remember
October 2015
Tr. MW, Nov. 2015
《梦(570)》
我梦见了
一扇窗子
窗外景色
是梦醒之后
忘却的部分
Yi Sha DREAM 571
I took a nap
I had a dream
I’m sure of that
but forgot all the contents
the whole afternoon
I couldn’t remember one thing
it felt as bad
as loosing money
I always thought
I don’t like women who are good in sports
but why am I dreaming
of a girl in high school
who sat next to me
she was javelin champion
I feel very nervous
I am very much under pressure
this is the second time
I am dreaming about her
I wrote another poem
about that first time
“this is a contemporary poem“,
says the shanghai poet lu yu
about a piece by qi guo.
“many people write modern poems,
but they don’t write contemporary poems.”
this really happened three days ago
in zhujiajiao water town next to shanghai
at a poetry festival.
now I have dreamed about it
because I have said a while ago:
“if it isn’t contemporary,
it isn’t really a modern poem.”
I am having a fight with my wife.
Some chicken-feather-small thing,
garlic-peal-thing, we can’t stop fighting.
An old holy man
comes down from the sky,
and touches the crown of her head.
She stops fighting with me.
I take a great leap
to jump into the sky
and beat that old man.
October 2015
Tr. MW, Nov. 2015
《梦(578)》
我和老婆在吵架
为件鸡毛蒜皮的小事
吵个不休
一个仙翁
从天而降
伸手摸了她的顶
她就不再跟我吵了
我一跃而起
跃上天空
追打仙翁
Yi Sha DREAM 580
some town in yunnan
probably dali
she is selling flowers
gets me to follow her
into a dark room
then she has changed
into a prostitute
I haven’t done anything
but I am getting caught
October 2015
Tr. MW, Nov. 2015
《梦(580)》
云南某城
好像是大理
一个卖花女
将我引诱到
一个小黑屋
摇身一变
成卖淫女
我啥都没干
却当场被抓
Yi Sha DREAM 581
As a volunteer
I walk into
a camp of syrian refugees
I am very surprised
everyone of them
looks like one of us
from the country I come from.
I know their faces,
they all look like family.
a smokestack
a chimney
a phone antenna
and a big tree
form lady liberty
maybe not
MW October 2015
BEI THOMAS & CORNELIA:Chang’an Poesiefest
wo 2 oder 3
oder auch 4
einander zuprosten
im namen der poesie
der musik
da bin ich mitten unter dem tisch
chang’an poesiefestival
diesmal ohne chinesen
in darmstadt bei frankfurt
ich lese liao yiwu
das neue lang-gedicht
MEIN GEFÄNGNIS. MEIN TEMPEL
aus der zeitschrift akzente
herausgegeben von herta müller
und mein GEBET
thomas spielt akkordeon
eine art knopfharmonika
cornelia querflöte
hauptsächlich arbeiterlieder
jackie singt lettische weisen
wir singen mit
fast wie wenn in china
unter der stadtautobahn
an einem neuen kanal
wo eine fabrik war
und jetzt teure wohnblöcke stehen
zwei, drei musik machen
chang’an poesiefestival
kommt natürlich aus xi’an
von yi sha gegründet
mit qin bazi & xidu heshang
& vielen anderen
chang’an poesiefestival
das gibt es an vielen anderen orten
nur nicht ohne yi sha
insgesamt über 200mal
private treffen mit poesie
das hat etwas von freiheit
es kommt mehr zur sprache
als auf großer bühne
wir haben auch so etwas gemacht
MW Oktober 2015
HORIZONT
ein rauchfang
ein schornstein
ein handymast
und ein großer baum
eine freiheitsstatue
oder auch nicht
MW Oktober 2015
《早上风景》
一条烟囱
一棵树
是一条烟囱吗?
一条电话天线
是这样说的吗?
一条电话天线
和一棵树
自由女神
也许不
2015.10.19
EIN GEDICHT
ein gedicht eine
berührung wen du
berührst weisst du nicht
one phalanx
after the other
of paper soldiers
passing in goose step
paper trucks
passing slowly
carrying
paper rockets
paper tanks
have to have tanks
they drive on their own
armoured vehicles
glued out of paper
and paper air-planes
pass in the sky
just like kites
with broken strings
don’t know where they’re flying
don’t know where they’re going
don’t know whose hands
have glued them together
guess they’ll be burned
on tomb-sweeping day
burned for some ghost
way down below
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM # 555
Shen Haobo and I
are in a coffee shop talking poetry,
talking into the night.
“I am hungry”, says Haobo.
“What do they have here for eating?”
“There is nothing to eat here”, I say.
“But there is a cake shop next door.
Maybe they can deliver a cake.”
“I don’t want to eat cake”, Haobo says.
“I want to eat hotpot.”
”Then we let them bring hotpot”, I say.
So I pick up my phone to call them.
Right away they deliver
a twelve-inch cream cake
in the form of a hotpot
with burning candles.
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM # 556
Qin Bazi and I
stay in one room
in a hotel
(this actually happened last month).
Someone barges in,
it is a person
shaped like a cylinder
and there’s a head.
My old friend says:
“Is this a person?
If you look like this
maybe you don’t want to
live as a human …”
I say,
“You have to live as a person.
First you’re a person,
all other possibilities
come afterwards.”
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM #557
a computer screen
with my identity card
I have to squeeze myself
my whole living body
into the computer
to substitute that photo
after several attempts
I succeed
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM #561
this question on the exam
is harder than I thought
I have to sort every person I know
into:
1) our side
2) other nations
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM #564
she wants to stand
making love
with her back to a wall
when we’re done
she is gone
but there’s a shadow
left on the wall
September 2015
Tr. MW, Oct. 2015
Yi Sha DREAM #565
I’m lying down on a lawn
on my left side
on my right side
then on my back
then on my belly
everything comfortable
I give thanks
to the blue sky above
mein trafikant hat seinen stand
wo etwas los ist in dieser stadt
die nächste trafik von meiner wohnung
dort sitzt er und hat scheinbar gar nichts zu tun
ich hab meinen unverrückbaren stundenplan
am vormittag schreiben, dann kommt der mittagschlaf
nachher ein spaziergang
dann komm ich bei seiner trafik vorbei
und kauf eine “sportwoche”
jetzt in der zeit der weltmeisterschaft
war die sportwoche ausverkauft
schon mehrere male. ich muss mich beschweren:
“großväterchen, könnten sie nicht ein paar mehr bestellen?”
“ein paar mehr sportwochen?”
“ein paar mehr sportwochen bleiben mir liegen!
am end’ zahl ich drauf!”
was soll ich da machen als fussballfan?
ich hab eine idee:
“großväterchen, schauen sie die wm?
sie schauen die wm am abend davor
sagen wir deutschland verliert oder spanien
vielleicht gegen österreich oder albanien
dann geht die zeitung doch wie warme semmeln?”
“na, das stimmt. da war schon am vormittag alles weg.
aber sie können leicht reden.
woher nehm ich die zeit?
untertags hock ich hier drinnen
den ganzen tag und krieg noch den hitzschlag
am abend pack ich zusammen
bis ich daheim bin
daheim ess ich mit meiner alten
waschen ins bett gehen
schlafen wie ein toter hund
wie soll ich die wm schauen!”
bei der deutschen schriftstellerin tina uebel
auf ihrem blog gibt es einen bericht
von ihrer iran-reise
der hat einen sehr guten titel
“die achse der netten”!
ihr eindruck von teheran und seinen leuten
herausforderung an die sprache der macht
klein und schlank wie das gras
ein blitz und die nacht ist erhellt
the german writer tina uebel
has on her blog a report from her days in iran
it has a great title
“axis of friendliness”
a challenge to the language of power
minute like the grass on the prairie
that burns with the lightning and lights up the night
i dreamt ma fei was a policeman
took yi sha many foreign poets and me
to the police station
because of public reciting of poetry
when we go in
yi sha shows his journalist’s card
it’s no use
we have to wait in the corridor
for a long time into the night
I wish he could just let us go
but he can’t
Hinter dem Bahnhof das Hotel Fuchs.
Fuchsgasse hat meine Oma gewohnt.
Die Wohnung war von einem Juden.
Ihr Mann war im Krieg.
Ist im Krieg geblieben.
Eine Wohnung mit Wasser draußen am Gang.
Meine Oma mit Kind.
Sie ist fast verhungert gleich nach dem Krieg.
Läuft nackt aus dem Haus und kommt nach Steinhof.
Steinhof war ein Ort des Schreckens in Wien.
Eine schöne Kirche von Otto Wagner.
Meine Oma hat viel gearbeitet.
Der Jude ist lange noch dort gestanden.
Mariahilferstraße.
Hat hingeschaut zu seiner Wohnung.
Noch mehrere Tage.
Meine Oma wars nicht hat sie gesagt.
Niemand in der Familie.
Niemand den sie gekannt hat.
Der Jude ist tagelang noch dortgestanden.
Meine Oma hat Maria geheißen.
MW 1. August 2015
KATASTROPHE
maia gibt leo eine schallende ohrfeige
ich gebe maia eine schallende ohrfeige
alle weinen
MW Juli/August 2015
DAS WICHTIGSTE
– für Daniel
das wichtigste war nicht das klo
das klo war wichtig und interessant
es ging um gerechtigkeit
ich hab das gedicht dann ganz übersetzt
wir haben es diskutiert
am lcb in berlin
ein workshop für übersetzer
das wichtigste war die gretchenfrage
wie hältst du es mit der religion
ich sing gerne mit
beim abendmahl bin ich gern dabei
aber ich bin nicht in der kirche
es hat sich so ergeben
ich glaube gern an die revolution
in china glaub ich nicht an die linke
an den widerstand ja
aber nicht an die linken
bevor sie nicht kacken
auf den vorsitzenden
wie hält es yi sha
mit der religion?
er glaubt an poesie
poesie macht dich zu einem besseren menschen
stimmt leider nicht immer
hab ich ihm gesagt
schau dir nur deinen papiertiger an
MW 2. August 2015
OSTERN
Christus starb 1944.
Christus starb 1943.
Christus starb 1942.
Christus starb 1941.
Leider auch früher
und später.
Christus starb im Holocaust.
Marc Chagall hat es gemalt.
at the most recent installment
of our Chang’an Poetry Festival
Zhu Jian recited a new poem
by deaf-mute poet Zuo You
Zuo You respectfully presented his phone
and stood next to Zhu Jian
Zhu Jian looked at Zuo You’s phone
to recite in his hoarse voice:
“this poem is called
I DON’T MAKE THIS GIRL”
before he spoke the last word
Zhu Jian had this lecherous smile
and on Zuo Lun’s face
there was the same smile
oh, it was like that before
Zuo You accompanies with his face
the reader’s expression
so there was this lecherous smile
coming up on two faces
at the same time
such a fucking clean smile
I was all wet at heart
I dream I am back in America
at Vermont Studio Center.
Last year in autumn
I lived there one month
in this small house.
Touching the door
I am afraid,
“I won’t sell this house,
this is my last
abode on this world.
Let me grow old here
and write my late work.”
it must be a dream
I get to meet her
at the college where I teach
between the building for males
and the building for female students
she pushes me down on a ping-pong-table
and goes on to ride me
cheered on by students
from those two buildings
I’m beginning to stammer:
“th-th-this c-can’t b-be right?
th-th-they are all my students”
June 2015
Tr. MW, July 2015
Yi Sha TRAUM Nr. 533
es muss im traum sein
dass ihr begegne
an der uni wo ich unterrichte
zwischen den gebäuden
für die jungen damen und die jungen herren
drückt sie mich nieder
auf einen ping-pong-tisch
um auf mir zu reiten
anfeuernde rufe
von jungen leuten von beiden gebäuden
ich fang an zu stottern:
“d-d-das g-g-geht d-d-d-och n-n-nicht,
d-d-as sind a-alles m-m-meine schtudenten!”
xu jiang, hou ma and I
have formed a band
I play the guitar
xu jiang’s on the keyboards
hou ma plays the drums
xu jiang and I
take turns as singers
hou ma can’t hold a pitch
we don’t let him sing
he’s too busy at work
sends his little brother heng xiaoyang
at our rehearsals
he’s never there
so the day of our concert we blow it completely
not because of hou ma
cause of me
on the stage I realize
I can’t play guitar
I can’t even open my mouth to sing
I fly to some country
at the border control
immigration inspector in uniform
looks at me and says:
“please take out your poetry!”
oh! he can speak chinese
and looks familiar
I look again
then I exclaim:
“you are shang zhongmin!
what do you want with my poems?”
shang zhongmin
jumps up and salutes:
“sir! welcome to the holy poetry empire!
but you must show your poetry.”
at the Eastern Tombs
they have a Spirit Road
when our lady guide
told us this path
was for calling the spirits
all of us poets
everyone diverted their feet
no matter which camp
intellectual or earthy
of the Third Generation
or the ones In Between
those with something to say
and those without
anyone who touched on the road by mistake
thought he stepped on a mine
and jumped back to the side
the road of the spirits
no trace of the living
no footprints at all
my nephew from america
eric wan
spent a year in china to learn chinese
now he’s going back
he sums it up for me:
“in my year in china
I ’ve learned two chinese songs ….”
he sings them to me
oh! I know at once
the first is the national anthem
of the people’s republic
“march of the volunteers”
the second one is the song of the young pioneers
”we carry on for communism …”
he makes me laugh
I ask him,
“they made you a young pioneer?”
he says,
“I don’t know,
I got a red scarf
from our teacher”
June 2015
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《親眼所見》 SAW IT WITH MY OWN EYES
a rainy day
a sprinkler truck
still spraying water
and with a song
one of those red
revolutionary anthems
just like a cartoon
June 2015
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《在北京仲夏詩歌節上》 BEIJING MIDSUMMER POETRY FESTIVAL
somehow I pity him
before and after
he reads a poem
he has to stress
his understanding of poetry
making him different
how many times I’ve heard him say
exactly the same with my own ears?
on the other hand
I put three centuries between me and him
between myself and other people
but I don’t explain that
it would be beneath me
Dreamt of two girls, seems I’ve known them for a long time; they are looking for books. My wife and I are on the road, not many books in our room. I am translating Patricia Highsmith. In my dream she writes in Chinese. Can’t give them the novel I am translating, so I take them to my former home, where I lived with my parents. In my dream it’s just through a corridor, books should be plenty. In my room I want to open the blinds; they become dragonfly wings.
MW March 2015. Written in Chinese, tr. May 2015
YI SHA IST VERFLOGEN JETZT TRÄUM ICH CHINESISCH
da sind zwei mädchen
die kenn ich schon lange
die kommen um bücher
meine frau und ich sind unterwegs
nicht viele bücher im zimmer
ich übersetze
patricia highsmith
sie schreibt auf chinesisch
das buch das ich übersetz kann ich ihnen nicht geben
also nehm ich sie mit dorthin wo ich gewohnt hab
das war bei meinen eltern
man geht durch einen gang und ist schon da
dort sind viele bücher
im zimmer will ich die jalousie aufmachen
ich greif sie an sie bewegt sich
es sind die flügel von einer libelle
MW März 2015. Auf Chinesisch geschrieben, übers. am 29. 5. 2015
I n-need t-to b-b-break out
f-f-from y-y-your s-sp-pout-ting s-song
b-break o-out o-of y-your h-house
m-m-my sh-shoot-t-ting t-t-tongue
m-m-mach-chine g-g-gunn f-fire
it feels so good
i-in m-m-my s-st-tut-t-ter-ring l-life
the-there a-are n-no g-ghosts
ju-just l-llook at-t m-my f-face
I d-d-don’t c-care!
1991
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《结结巴巴》 ST-STO-TO-TT-TERN
m-mein st-sto-to-tt-ternd-der m-mund
b-b-behind-dderter schschlund
b-b-bei-sst- s-ich wund
an m-meinem r-rasenden hirn
und m-meine b-beine –
euer t-trief-fend-der,
schschimmliger schschleim
m-meine l-lunge
i-ist m-müd’ und hin
i-ich w-will r-r-aus
aus eurem g-gross-a-artiggen rh-rhythmus
a-aus eurem h-haus
m-m-meine
sch-schp-prache
m-masch-schinengewehr-s-salven
es tut so gut
in m-meinem st-stott-ttoterndem r-reim
auf m-mein l-leben g-gibt es k-keine l-leich-chen
s-s-seht m-mich a-an
m-m-mir i-ist all-les g-gleich!
1991
Übersetzt von MW im April 2013
<結結巴巴>
結結巴巴我的嘴
二二二等殘廢
咬不住我狂狂狂奔的思維
還有我的腿
你們四處流流流淌的口水
散著霉味
我我我的肺
多麼勞累
我要突突突圍
你們莫莫莫名其妙
的節奏
急待突圍
我我我的
我的機槍點點點射般
的語言
充滿快慰
結結巴巴我的命
我的命裡沒沒沒有鬼
你們瞧瞧瞧我
一臉無所謂
1991
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《精神病患者》 GEISTESKRANKE
theoretisch
weiß ich nicht
wie es sich äußert
wenn eine geisteskrankheit ausbricht
ich hab nur gesehen
in diesem land
in dieser stadt
wenn ein geisteskranker loslegt
streckt er den arm hoch und bricht aus
in parolen
der revolution
theoretically
I don’t know
how it should be
when a mental patient
suffers an outbreak
but what I have seen
in this country
in this city –
a mental patient suffers an outbreak:
up goes his arm
out come the slogans of revolution
1994
Tr. MW, 2013-2014
Photos and videos by Beate Maria Wörz
Yi Sha 《我想杀人》 ICH MÖCHTE JEMANDEN UMBRINGEN
ich fühle mich etwas komisch
ich will jemanden töten
oh! das war letztes jahr
herbst kroch über das laub
zwanzig todeskandidaten
am flussufer nördlich der stadt
“peng! peng!”
einer wurde aufgeschnitten
in der folgenden operation
erhielten WIR eine niere
I am feeling a little strange
– I want to kill someone
Oh! It was last year
autumn crept over the leaves
twenty death candidates lined up
at the river north of the city
„Peng! peng!“
One of them was cut open
and in the following operation
We got a kidney
1994
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《9/11心理报告》 9/11 AUF DER COUCH
erste sekunde mund offen scheunentor
zweite sekunde stumm wie ein holzhuhn
dritte sekunde das ist nicht wahr
vierte sekunde kein zweifel mehr da
fünfte sekunde das brennt nicht schlecht
sechste sekunde geschieht ihnen recht
siebte sekunde das ist die rache
achte sekunde sie verstehen ihre sache
neunte sekunde die sind sehr fromm
zehnte sekunde bis ich drauf komm
meine schwester
wohnt in new york
wo ist das telefon
bitte ein ferngespräch
komme nicht durch
spring zum computer
bitte ins internet
email ans mädl
zitternde finger
wo sind die tasten
mädl, schwester!
lebst du noch?
in sorge, dein bruder!
2001
Übersetzt 2013 von Martin Winter
Yi Sha 9.11 REPORT FROM THE COUCH
Ist second: mouth barn-door open
2nd second: wooden-chicken stiff
3rd second: couldn’t believe it
4th second: it must be true
5th second: what a great fire
6th second: well they deserve it
7th second: this is retribution
8th second: these buggers have guts
9th second: must be their religion
10th second: before I realize
my own little sister
lives in new york
I need a telephone
long distance call!
can’t get a connection!
I go storming for a computer
where is the internet
typing out characters
writing an email
shaky fingers
“sister, sister!
are you alive?
your elder brother is worried sick!”
in yunnan hat jeder baum feste brüste
in jedem obst summt ein bienenstock
schlürfst du ihren saft, scheint die sonne auf dich
du brauchst solches glück, sonst verstehst du das leid nicht
ein mädchen weint unterm mangobaum, ihre liebe
ist ein elefant mit schwerem hintern. gestern noch saß sie
hinten auf dem motorrad, ihr freund mit rotem haar
fegt wie ein sturmgewehr, röhrt oben vom berg bis an den fluss.
der pfau, ein blauer dämon, ein kalter hahn, und berechnend
der pfau ist schön wie eine frau, der hahn ist ein dorfbürgermeister
kühl ist der mond, eine weiße taste springt auf einem schwarzen klavier
aus der kokosnuss am himmel gießt jemand kokosmilch
morgendämmerung, reispflanzerinnen spielen die felder hinauf
er streckt seine hand
hinter die friseuse
mit geübter bewegung
greift er ihr an den hintern
ich hab alles gesehen
am sitz neben ihm
kann ich es verstehen
eine menschliche regung
was ich nicht tolerier
sein gesicht im spiegel
die art von grinsen
nicht wegen der bewegung der lippen der zunge
wegen eines besonderen gefühls
nur weil er
als der andere teilnehmer
nachher
mit dem handrücken
seinen mund abwischte
at vermont studio center
drugs are taboo
no smoking inside
in case of sexual harassment
please dial this number
with a sigh I said to martin:
“even charles bukowski
such a great writer
had to go out himself to buy alcohol
this would never happen
in china …”
later we found
johnson town supermarket
stacked all kinds of booze
we breathed a sigh of relief
for old bukowski
one day later
we found the shop at the gas station
closer from the studios
another sigh of relief
for old bukowski
even later than that
we found a place
looked like a liquor store
complete selection
of local specialties
at cheaper prices
now
we could be rather sure
bukowski’s days at vsc
were happy days
drinking
and writing to his heart’s content
bukowski was happy
we were happy too
Oct. 2014
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《与布靠斯基同行》 MIT BUKOWSKI UNTERWEGS
im künstlerzentrum
sind drogen verboten
besonders das rauchen
bei sexueller belästigung
gibt es einen notruf
ich sage seufzend zu martin:
“sogar charles bukowski
der große dichter
musste hier selbst nach alkohol suchen
das wäre in china
undenkbar ….”
nachher fanden wir
im großen supermarkt mitten im ort
die regale voller alkohol
wir atmeten auf
in gedanken an bukowski
später fanden wir
bei der tankstelle auch einen supermarkt
noch näher am künstlerzentrum
wir atmeten noch einmal auf
für den alten bukowski
noch später
entdeckten wir ein spezialgeschäft
lauter alkohol in allen sorten
außerdem billiger
jetzt war es entschieden
wir konnten sicher sein
im vermont studio center
war bukowski glücklich
trank in frieden
schrieb in frieden
bukowski war glücklich
wir waren es auch
Oktober 2014
Übers. v. MW, 2014-2015
Yi Sha 《飞越太平洋》 FLUG ÜBER DEN PAZIFIK
von china nach amerika
von peking nach detroit
ich hatte geglaubt
wir würden den weiten pazifischen ozean
überqueren
doch unser flugzeug
war praktisch die ganze zeit
über festem boden
von peking nach nordosten
über harbin hinweg
ich sah die lichter
dann ging es nach russland
über das äußere hinggan-gebirge
über die halbinsel kamtschatka
über die beringsee
(der einzige schmale streifen meer
den wir überflogen)
dann kam alaska
(also war ich schon in amerika)
wir überquerten die kordilleren
flogen durch kanadas öde weiten
und dann nach südosten
bald darauf die landung
im üppigen grün
der häuser und villen rund um detroit
nach meinen informationen
gelangten die eskimos
aus der mongolischen hochebene
über genau diese route
auf den amerikanischen kontinent
Ende Sept. 2014
Übers. v. MW, 2015
Yi Sha 《窗外》 DRAUSSEN VORM FENSTER
jede nacht
fährt ein auto
auf der pearl street an meinem fenster vorbei
schnell wie der wind
ein mobiles
heavy metal konzert
lang nachdem der wagen verschwindet
hallt die musik in meinem herzen
das ist amerika
jedenfalls hab ich in china
oder in anderen ländern
so etwas nicht erlebt
Okt. 2014
Übers. v. MW, 2014-2015
Yi Sha 《异国小镇》 KLEINE ORTE IM AUSLAND
“solche kleinen orte
da krieg ich gleich
ein unheimliches gefühl
wahrscheinlich hab ich
zu viele amerikanische filme gesehen”
sag ich zu martin
martin antwortet:
“das geht mir auch so”
(hätt ich nicht erwartet)
“gibt es in österreich
auch solche orte?”
“natürlich, sehr viele”
“wenn du solche orte siehst
hast du dort auch
ein unheimliches gefühl?”
“ja”
“warum? dort ist deine heimat
dort muss dir alles vertraut sein …”
“in solchen orten
gibt es auch neonazis”
Okt. 2014
Übers. v. MW 2014-2015
Yi Sha 《在天涯》 AN DEN RÄNDERN DES HIMMELS
drückt mich lässt mich nicht los
heimatland
im computer
Ma Fei A CONSOLATION FOR THE LATE MR. ZHANG, MY FORMER TEACHER
In junior high,
there was a character,
I wrote it wrong
again and again,
every time
we had a dictation.
Now I can write it,
I’ll write it for you:
“rain” on the top,
“worms” down at the left,
as in “insects and worms”.
“Inside” at the right,
like “outside and inside”.
I can write it correctly
and make a phrase:
“fog-like haze”.
I can make sentences with “haze”,
many sentences.
Tr. MW, April 2015
Ma Fei FÜR HERRN LEHRER ZHANG IM HIMMEL ZUM TROST
in der mittelschule
gab es ein zeichen,
das schrieb ich immer falsch.
immer wieder,
jedesmal
beim diktat.
aber jetzt kann ich es schreiben.
ich schreib es dir vor:
oben kommt “regen”,
unten links “würmer”,
wie “insekten und würmer”.
unten rechts “innen”,
wie in “außen und innen”.
und nicht nur das,
ich kann das zeichen gebrauchen:
dunstglocke.
ich kann auch sätze mit “dunst” bilden,
ganz viele sätze.
I imagine
I am standing at the chairman’s rostrum
where hitler stood
but from up there you see it more clearly
all those kinds of olympic events
all sorts of people doing their best
no way of telling overall quality
how could he have arrived at
superiority of the german race?
he was a politician
for a raving politician
what does sport count after all?
he is so selfless
he can forget on the whole square
he’s the most meager ghost of them all
a pathetic born clown
2008
Tr. MW, April 2015
Yi Sha BERLIN 1936
ich stell mir vor
ich steh auf der plattform des vorsitzenden
dort wo hitler stand
aber von oben seh ich noch deutlicher
in allen sparten der olympiade
tut jeder sein bestes
alle arten von menschen
wie war es möglich wie kam er
zur überlegenheit der germanischen rasse?
er war ein politiker
was bedeutet der sport
für einen politiker mit minderwertigkeitskomplex?
er ist so selbstlos
vergisst dass er auf dem riesigen platz
der allerkleinste magerste teufel ist
der geborene clown
these days I’ve been reading
a biography of mao zedong
published overseas
each day a few chapters
many times
in the middle of reading
I have been grinning
having to think of
an older friend from former times
I’m surprised to discover
in many ways
he was learning from mao
his way of thinking
his style of talking
his habits on stage
I discover such older friends
are still all over town
they are all around us
even my father
is one of them
reading further
I discover I am
different from them
but the scary thing is
though I never tried to imitate him
the resemblance is there
2008
Tr. MW, 2015
Yi Sha 《毛》 MAO
in diesen tagen
lese ich eine außerhalb
des chinesischen festlands publizierte
biographie von mao zedong
jeden tag ein paar kapitel
viele male
mitten im lesen
muss ich grinsen
ich denk an einen
älteren freund
ich komme darauf
in vielerlei hinsicht
macht er mao nach
die art zu denken
die art zu reden
die art wie er auftritt
ich komme darauf in wirklichkeit
gibt es noch viele wie ihn
überall rings um mich
sogar mein vater
gehört dazu
beim weiterlesen
bemerk ich ich selber
bin nicht so wie sie
aber es ist noch schlimmer
ich mach ihn zwar nicht absichtlich nach
aber es kommt das gleiche heraus
das dach der volksschule war schräg
die schülerin aus der nebenklasse ging an meinem fenster vorbei
die meute las gerade mit herrn wang zusammen eine herde papageien
nach links hinunter waagrecht waagrecht senkrecht bogen und haken
nach links hinunter waagrecht waagrecht senkrecht bogen und haken
das war mein erstes chinesisches zeichen, deins auch
mein pass ohne visum
mit dem brief auf englisch
ist schneller als ich
zuhaus angekommen
vier jahre später noch einmal abgelehnt
nach amerika england
die begründung wie letztes mal:
dieser mensch will emigrieren
(tut mir unrecht!)
nur der unterschied ist
der beamte hat im vergleich zu den amis
konkrete anhaltspunkte
dass ich verdächtig bin
auf der einladung des aldeburgh poetry festivals
steht ganz unumstößlich
der beweis für mein verbrechen:
sie zahlen 200 pfund für meine lesung
der beamte schließt messerscharf: bezahlte arbeit
verstößt gegen britische paragraphen
und gar mein gedichtband der bald publiziert wird
sogar mit geld für mich im vertrag
huch! ich bin noch nicht in england
und hab dort schon gesetze gebrochen
andrerseits, diese 200 pfund
werden für dichter aus anderen ländern
eher nicht zum grund für ein ähnliches schicksal
die machen das festival
nun schon zum zehnten mal
die dichter aus irland australien
usa südafrika werden eher nicht abgelehnt
wegen etwaiger immigrationsabsichten
(die sind als emigranten wahrscheinlich willkommen)
also muss man sagen ich vertrete mein land
(noch eine furz-goldmedaille für china)
wegen dieser leute die unbedingt dort bleiben
schwarztellerwäscher schwarzbauarbeiter
was weiß ich vertret ich
ok dann vetret ich sie
wer hat mir geschaffen
der große chinesische dichter zu werden
2008
Übersetzt von MW, 2015
she was talking again about her stuff
I was falling asleep
but when she said for the first time
“my heart is broken like ground meat for pasta”
I woke up that moment
to tell her she’d said something very interesting
but she cried even more
you know the smallest number of people who ever came to my exhibition?
four.
myself, the gallery boss, a friend of mine who came all the way from denmark
and an old guy
who was lost.
he lived next door in a home,
mixed up the entrance,
walked in,
saw one painting,
bought it right away,
saying, “this is me!”
the lamp in the fruit department is red.
the lamp in the meat department is red.
in the alley at the night market,
red lantern hanging over each stand
the spotlight at the prize ceremony is red.
the guy on the stage with the prize in his hand,
he is one red-hot item,
red like he works in a darkroom.
when I was at work at the factory,
when there was not enough electricity,
the light bulb went red.
my master said: turn the screw on tight!
I praise cigarettes
the fingers that produce them
I imagine where tobacco comes from
in that golden season
people appear in and out of the sun like black slaves
a battered truck drives into the distance
smokestacks puff out grey curling clouds
the cigarettes I crave
that’s where they come from
on the assembly line
they are like bullets ready to fire
or like rows of standard white poplars
but I cannot compare them like this
I know the meaning of work
every good cigarette
retains a heavy taste of sweat
each time I enjoy them
watch them burn to ash
in a short time
I have a special satisfaction
because I care about origins
1989
Tr. MW, April 2015
Yi Sha LOB DER ZIGARETTE
ich preise zigaretten
die hände die sie produzieren
ich stelle mir vor wo der tabak herkommt
in der goldenen jahreszeit
leute tauchen auf aus der sonne wie sklaven
ein verbeulter lkw fährt in die ferne
schornsteine speien ringelnde wolken
die zigaretten auf die ich warte
dort kommen sie her
auf dem fließband
sind sie wie patronen fertig zum schießen
wie standard-reihen von weißen pappeln
aber so kann ich sie nicht vergleichen
ich weiß was arbeit heißt
eine gute zigarette
hat noch das schwere aroma von schweiß
wenn ich sie genieße
wenn sie in kurzer zeit
abbrennen
hab ich eine eigene befriedigung
ich achte auf herkunft
somewhere in the south on a restaurant table
I saw a pagoda
of red shining pork
(I hope I don’t remember its name)
when it appeared
I gazed on that thing
couldn’t take off my eyes
all the other dishes
had become worshippers
I was a worshipper
until I remembered
where I was born
in tibet
all those believers around a pagoda
their heads on the ground, offering incense
I was one of them
now I am one of them here
all those years, I kept my respect
for the mystery of a pagoda
I also kept my taboos about foods
looking at this pagoda of pork
red dazzling meat
I understand what appetite means:
people will eat all they can eat
and they will eat up all things they can’t
raising their chopsticks, sharing the food
the shining pagoda
pork dazzling red
I didn’t hear any sound
but it was as if I could see the dust
the rumbling dust
of our beliefs prostate on the ground
shoved down the throats of other people
their juices have no taboos
they clear it up without any sound
gestern war ich wieder bei martin
hab mit leo gespielt
seinem zehnjährigen sohn
in der nacht im traum
war ich sein kleiner spielkamerad
zehn jahre alt
sollte in österreich noch einmal aufwachsen
alles frühere ausradiert
unglaublich kompliziertes
gefühl
völlig durcheinander
martin und ich
kommen zum tiergarten
er hält ein kind
in windeln gewickelt
vor uns erscheint
eine riesige schlange
hebt ihren kopf
will das baby verschlingen
ich versteck mich hinter martin,
sag ihm: “schnell, gib mir das kind,
ich renn zuerst …”
drachenpferdhaus-sommerinsel des meisters
tranströmer- apfelbaumhain
was ich sage im herzen
ist nur für deine ohren
der alte versteht mein gedicht “farbenblind”
und lässt es gelten
aber ich entspring noch einmal
aus dem freudenmoment
auf dem couchtisch liegt
sein gedichtband auf hindi
ganz frisch hergeschickt
aber ich neid ihm nicht seinen erfolg
sondern wie er geliebt wird
in seinem alter
seit 12 jahren
vom schlaganfall stumm
kann grad noch summen
wie eine biene
nur seine monika
versteht was er sagt
seinen ganzen ausdruck
wie ein kind dass sich verirrt hat
voller erwartung
schaut er sie an, schaut sie an
liebe
ist das unsere zukunft
kann ich es verdienen
ich will nichts mehr sagen
von heute an
werd ich mich bemühen
Please take a look at my previous translations of Jun Er’s poems:以前翻譯了《針織廠》 KNITTING MILL、《鼠鈔》 RAT NOTES、《海棠花開》 CRABAPPLE BLOSSOMS。Today I have translated five poems – two into English, three into German. 今天翻譯了《懷念》、《色與空》、《啤酒花的來歷》、《給不在世的姐姐算命》、《一天》。別的也很喜歡。《歌鐘》、《體內異端》。。。
都因為碰到《熱愛讓我擁抱了它們的名字》很喜歡,一時不能翻譯,就翻到其他的。。。
Jun Er COLOR AND SPACE
my son – I hadn’t thought
the embarrassment I had met with
you would know it all over
our skin for example
we are those mesons
another kind
between black and yellow people
white in africa
dark in asia
what if we feel proud of ourselves?
and why the hell not?
2009
Tr. MW, 2015
Jun Er ONE DAY
sometimes I admire foreign women
sometimes I shop at taobao.com
sometimes I come home with garbage
sometimes my half soles come out of my shoes
May 2013
Tr. MW, March 2015
Jun Er SEHNSUCHT
lass mich hier im zimmer sitzen
sehnsucht verstehen
sehnsucht nach fremden phänomenen
leuchten zwanzigtausend jahr
in der ferne
in zwanzigtausend stillen jahren
bist du gekommen
bist verflogen
hast mir lauter blüten gemalt
auf meinen sutren
lass andere generationen
riechen und einander finden
om mani padme hum
lass meine gebetsmühlen fliegen
2004
Übers. v. MW, 2015
Jun Er WOHER KOMMT DAS BIER?
das bier das wir trinken
ist aus gerste gebraut und einem kraut namens hopfen
das kraut hat dornen und viele namen bei uns schlangenhanf
es bringt den geschmack ein bisschen bitter
Übers. v. MW im März 2015
Jun Er WAHRSAGEN FÜR MEINE SCHWESTER IM HIMMEL
große schwester
früher hab ich bücher verwendet
jetzt sitz ich am computer
rechne dein schicksal aus
ein horoskop
für jemanden der nicht mehr auf der welt ist
gibt es etwas absurderes
du hattest 46 punkte
ich 58
wir hatten beide zuwenig
12 punkte unterschied
du besuchst die gelben quellen
ich kleb noch am staub dieser welt
faul. schläfrig. wehr mich…
große schwester
schnee auf dem bildschirm
find dein gesicht, deine stimme nicht mehr
wo du jetzt bist
was ist das für eine welt
braucht man dort auch sechzig punkte
um durchzukommen
wie viele wiedergeburten
haben wir dann zuwenig punkte gemeinsam
in der wievielten komma wievielten
wievielten welt
when the earthquake struck in haiti
it was very different
from the sichuan earthquake two years ago
for me it was
only a piece of news
200.000 people dead
one more thing on the news
I had time and leisure
to wonder at the name
Port Au Prince
sounds rather bourgeois
I had time to remember
many years ago
one of the poorest most autocratic lands
on the planet
had had a man-eating dictator
it was my education
teaching me to make a difference
from childhood they taught me to be chinese
no one taught me to be a child of the earth
2010
Tr. MW, 2015/3
Yi Sha ERDBEBEN IN HAITI
in haiti passiert ein erdbeben
es ist ganz anders
als das erdbeben in sichuan vorvoriges jahr
für mich
ist es nur in den nachrichten
zweihunderttausend leute tot
nur in den nachrichten
ich hab noch die zeit
nachzudenken
über den namen der stadt
port au prince
klingt sehr bourgeois
ich kann mich noch erinnern
vor vielen jahren
an der spitze eines der ärmsten länder
auf dem planeten
saß ein kannibale
das war halt meine bildung
ich lernte zu unterscheiden
ich lernte ein guter chinese zu werden
und nicht ein guter bürger der erde
how many cows did I eat?
how many hogs
how many sheep
how many fish
how many hens
how many ducks
how much wild game
how much seafood
how many ….
how many decades!
what’s left after eating?
a set of false teeth.
what flies in the sky,
what runs on the earth,
what swims in the water,
piled into a mountain of meat.
yi yu! what a great peak!
now I am going to spit them all ounce by ounce …
outside of broadcasting studio #1
I’m holding on to a marten fur coat
stumbling about
I am holding the coat
for a #1 singer queen just like wang fei
to everyone
of the people who ask me what I am doing
I throw them one sentence
resounding and clear:
“I am a poet!”
“I am a poet!”
“I am a poet!”
finally there comes the day
of the last dress rehearsal
the director with pubic hair on his chin
is thinking of something
he’s calling me over:
“hey! you are a poet, right?”
how about a recital for our show?”
and so
with a country girl who sings in the underpass
and two migrant workers straining their throats
to tell you they’re old and alone
I am representing the downtrodden masses
the evening before the lunar new year
maybe because I’m a poet
I don’t look as nervous as the three others
after my son wrote his first poem
after I went through six poems
he wrote in one month
with the most critical eye
I think I could muster
when I firmly believed
he had what it takes
I sighed with relief
raised my head
discovered this world
had improved very much
in this very moment
I lost my anger, my fighting spirit
no angry words deep down in my heart
I was loosing my balance
stretched out my hands
for something to grab
something to hold onto
im abendlicht treten wir auf weizensprossen
die sind im winter auch noch nicht gelb
oma und opa gehen wir besuchen,
wohnen schon viele jahre im grab.
am grab ist ein grabstein, der stein hat die namen der ganzen familie.
oben die großen zeichen sind liebe toten
oh, oma hat keinen eigenen namen
sie heißt einfach shen, geborene yuan
unten sind ganz viele ganz kleine zeichen, das sind die enkel
ein haufen namen, ganz dicht beisammen
wie korn an korn verzahnt ineinander
auf einem maiskolben
die stärkste art von blutsverbindung
nicht zu vertreiben, nicht zu zerstören
all die namen auf dem grabstein
stehen zusammen noch viele jahre
der wind ist stark, das totengeld brennt immer schlecht
vor dem grab kniet meine tochter. “uropa, uroma!
bitte beschützt mich, macht mich ganz ganz froh, jeden tag hab ich zuckerl!”
Am liebsten würde ich ein ganzes Heft gestalten. Das Cover. Malala gewinnt den Friedensnobelpreis. Apple Daily in Hongkong. Malalas Kopf, rundherum alles Chinesisch.
“Ich möchte weder Rache an den Taliban, noch an irgendeiner anderen Organisation. Ich möchte meine Stimme nur dafür erheben, dass jedes Kind ein Recht auf Unterricht hat. Mein Traum ist, dass alle Kinder, auch die Söhne und Töchter der Terroristen und Radikalen, in die Schule gehen können und Bildung bekommen. Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch, ein Stift – kann die Welt verändern.” Hat sie das wirklich gesagt? Ich habe mir ihre Rede angeschaut, auf Youtube. Englisch, Urdu, Pashto. Auf der Bühne mit ihrer Familie. Ihr Bruder, ihre Eltern. Der Bruder wird neidisch sein. Sie bemüht sich sehr um Harmonie, ist wirklich froh, dass auch jemand aus Indien gewonnen hat, der für Kinderrechte einsteht.
Dieses Cover. Nur das Bild. Foto: Apple Daily. Das ist auch schon ein Hinweis auf die Proteste in Hongkong von August bis Dezember 2014. In den USA gab es auch Proteste, für Bürgerrechte, in der Nachfolge von Martin Luther King. Und in Österreich meldet wenigstens das Gratisblatt “Österreich” wieder einmal, dass Strache als Neo-Nazi im Gefängnis war. Strache heißt Furcht und Schrecken. Graz heißt Stadt. Eine wichtige Stadt für die Literatur. Eine gar nicht so heimliche Hauptstadt, zu manchen Zeiten. Für den Schrecken. Für die Literatur, etwas später. Yi Sha 伊沙, der am 17. März in Graz seine Texte vorstellt, die in manchem an Ernst Jandl erinnern, kommt aus Xi’an 西安. Hauptstadt schon vor über 2000 Jahren. Terrakottakrieger. Tang-Gedichte. Von daher kommt Gustav Mahlers Lied von der Erde.
Eine wilde Mischung. Sich der Gewalt stellen. Respekt geben, zeigen, und damit auch fordern. Haben sie das gemeinsam? Yang Lian 楊煉, ein großer Dichter, aktiv und engagiert seit den 1970er Jahren. Liu Zhenyun 刘震云, bis vor zwei Jahren vielleicht bekannter als Mo Yan, auf jeden Fall unterhaltsamer. Richard Claydermann und die Trommeln in den Bergen. Klingt vielleicht eskapistisch. Aber Liu Zhenyun geht es um Aufarbeitung, und um Respekt für die kleinen Leute. Er kommt aus einem armen Dorf und ging zur Armee, um schreiben zu können – wie auch Mo Yan 莫言 und manche andere.
Respekt zeigen, und damit einfordern. Zheng Xiaoqiong 郑小琼 tritt auch am 17. März in Graz auf. Ihre Texte kommen aus den Fabriken in Dongguan. Das ist im Perlflussdelta, nicht weit von Kanton 広州, Hongkong 香港 und Shenzhen 深圳. Xu Lizhi 许立志 sprang in Shenzhen in seinen Tod. Bei Foxconn 富士康, wo sich schon viele Arbeiter und Arbeiterinnen umgebracht haben. Foxconn fertigt Computer und Telefone für Apple. Xu Lizhi war ein sehr begabter Dichter. Bei Zheng Xiaoqiong kommen viele Kolleginnen vor, die nicht mehr am Leben sind. Oft wegen Unfällen. Viele sind auch verschwunden.
Respekt zeigen, und Hoffnung geben. Wie Malala. Viele Frauen sind in diesem Dossier, verglichen mit anderen Kunstsammlungen, nicht nur chinesischen. Fünf Frauen, von elf Autorinnen. Zwei mit Prosatexten. Zheng Xiaoqiong hat sehr gute Reportagen geschrieben, leider habe ich bis zum Redaktionsschluss noch keine fertig übersetzt. Aber von Zheng Xiaoqiong kommt bald ein Buch in Österreich heraus, mit Reportagen und Gedichten. Bei FabrikTransit. Und in Wien gibt es am 20 März am Ostasieninstitut der Universität Wien einen Workshop mit Zheng Xiaoqiong, auf der Grundlage von einer Reportage und anderen Texten. Und eine Lesung gibt es, veranstaltet vom Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst.
Hao Jingfangs 郝景芳 Science-Fiction-Geschichte ist der längste Text in diesem Dossier. Widerstand. Wie ist Widerstand möglich, wenn aller Widerstand gegen den Staat längst gebrochen wurde?
Kaufen Sie das Heft, lesen Sie, wie es geht. Oder lesen Sie von Ma Lans 马兰 ”Doppeluterus“, und unerklärlichen Spuren im Schnee. Von Liu Xias 刘霞 Charlotte Salomon. Soll noch einer sagen, chinesische Literatur sei nur über China. Alle Beiträge reden über Respekt, und über Rechte. Sehr allgemein.
Am Neujahrsmorgen
mach ich die Augen auf
und hör die Nachrichten.
35 Menschen am Bund getötet
im Gedränge um Mitternacht.
Im Schreck
weck ich gleich die Frau an meiner Seite,
sag ihr was passiert ist.
Was mich wirklich traurig macht
ist der Live-Bericht nachher:
In der Halle der Notaufnahme
liegt groß und klein.
Sie haben eines gemeinsam,
sie atmen nicht mehr.
Bei vielen sind Handys in ihren Taschen noch in Bewegung.
Man sieht, sie empfangen
Neujahrsgrüße.
“Ne perdons pas notre temps en vains discours. (Un temps. Avec véhémence.) Faisons quelque chose, pendant que l’occasion se présente! Ce n’est pas tout les jours que l’on a besoin de nous. Non pas a vrai dire qu’on ait précisément besoin de nous. D’autres feraient aussi bien l’affaire, sinon mieux. L’appel que nous venons d’entendre, c’est plutôt à l’humanité tout entière qu’il s’adresse. Mais à cet endroit, en ce moment, l’humanité c’est nous, que ça nous plaise ou non. Profitons-en, avant qu’il soit trop tard. Représentons dignement pour une fois l’engeance où le malheur nous a fourrés. Qu’en dis-tu? (Estragon n’en dit rien.) Il est vrai qu’en pesant, les bras croisés, le pour et le contre, nous faisons également honneur à notre condition. Le tigre se précipite au secours de ses congénères sans la moindre réflexion. Ou bien il se sauve au plus profond des taillis. Mais la question n’est pas là. Que faisons-nous ici, voilà ce qu’il faut se demander. Nous avons la chance de le savoir. Oui, dans cette immense confusion, une seule chose est claire : nous attendons que Godot vienne.”
Voici un texte publié par Charb, directeur de la rédaction de Charlie Hebdo tué ce matin. Il l’avait publié en octobre 2012. Il s’intitule “Rire, bordel de Dieu”
a slice of lemon
a slice of tangerine
a ginger cake
finally we have snow
MW Dec. 28, 2014
Yi Sha DREAM #203
I am on an iron ladder
on the side of a tall building
I’m facing outside
stepping down slowly
outside of my dreams
I’m not at all afraid of heights
but in this dream
my hands and feet are cold with fear
I’m risking a look
down to what I call
mother earth in my poems
getting dizzy
wanting to fall, headlong
gingerly feeling my way
step by step
finally
losing my feet
but – I’m still okay
because by now
it’s not more than a man’s height to the ground
lightly and softly
my feet touching down
I’m carrying a pack of poems to see my master.
In winter, three years since I left him.
He’s smoking cigars, listening to music he sits at the gate.
Takes all five hours to read my poems,
sometimes I think he has passed away.
I love his approval more than my poetry.
So I pour him tea, pat his back; then I light up my cigarette.
“Fine, very fine,” puts my papers aside,
“I am saying, some are not spoiled by your language.”
Presented by Tucson Poet Laureate Rebecca Seiferle!
Bentley’s House of Coffee and Tea, 6-8 pm
photo by Michael Gessner
4
Yi Sha SEX EDUCATION
One of our travels
We didn’t get out very much –
Nine years ago. Led us to Qingdao –
A summer of love
Sand castles, writing on rocks
Fresh clams in small restaurants
Very cheap. I remember
We lived in a school
A hotel for the summer
It was our summer of
Watching movies together
One night we sat
In the video room
All the way until morning
There was a flick about all kinds of fish
We were attracted
And then we felt
Shaken without compare
There was a fish called salmon
They had this one time
Of uninhibited communion
At the end of their lives
Fish of great beauty
Nine years ago
We don’t remember
How great it was
But no-one forgets
The pain at the end
Yi Sha Song dynasty lyrics: Qing Ping Yue
for Martin
Frost state has no temples,
but there are times to see each other.
In my country, small people keep chirping.
Beyond the skies I am finding my friends,
red maple leaves on the trails in green hills,
streams keep on flowing.
Two people born in the year of the horse:
We raise our heads, go like the wind.
Written 10/16/14 at Vermont Studio Center
Tr. MW, Oct. 2014
Yi Sha SONG OF VERMONT
(Tang dynasty style)
Green peaks raise blue skies,
clear brooks meet in ponds.
Maples reflected –
is this the real world?
Wang Wei walked here
to his Journey’s End.
Frost stopped in woods,
we have miles to go.
I am just a guest,
with geese flying south.
Red leaves send us off,
snowflakes greeting spring.
Written 10/16/14 at Vermont Studio Center
Tr. MW, Oct. 2014
Yi Sha RED LEAVES (Tang dynasty quatrain)
Have met frost, heart’s still warm.
So in this fall I meet red leaves.
Should we cover all the roads?
Like a bell I sit in Chang-An*.
Written 10/15/14 at Vermont Studio Center
Tr. MW, Oct. 2014
*Chang-An: Today called Xi’an, capital of China through 13 dynasties. Yi Sha’s home town.
the night they announced
the lu xun literature prize
my mobile phone rang
it was the ningxia muslim poet
shan yongzhen. he said:
“only if you are never considered
for the biggest official prize,
you can become
a great poet in china.
tonight my first candidate
would have been chang yao
(who died in 2000)
the second one I thought of
was you, brother yi!”
hearing these words
brother yi stammered
didn’t know what to say
would have liked to hang up
brother shan said:
“so you don’t want to
discuss this topic
in any way?”
I said:
“yes, yes ….”
he didn’t know
what I was doing
I didn’t want to discuss any topic
I was watching a porn flick
on my computer
there was this great
piece of ass from thailand
in front of my eyes
in burlington auf der straße
muss ich daran denken
wie ich vor 12 jahren
nach nordeuropa kam
das erste mal im ausland
das gleiche gefühl
hier wohnen die leute
so viele im wohlstand
im eigenen holzbaukasten
fast wie im märchen
ich denk an meine leute
mietsklaven sind wir ein ganzes leben
nur um unser plätzchen zu finden
im bienenstock in einem wohnblock
12 jahre später
hör ich das vaterland ist so viel stärker geworden
ich will plötzlich heulen ….
vaterland, in zwei tagen
ist dein geburtstag
auch ich war stolz
das du groß und stark bist
ich hab mitgesungen
jetzt kannst du mir erlauben
dass ich mich schäme
dass ich traurig bin
28. September 2014
Übers. v. MW, 2015
Yi Sha ICH SCHWÖRE
wer ganz ohne zweifel
als guter mensch gilt
von allen anerkannt
du
er
oder sie
wag es und zeig mir einen
sofort kann ich sagen
ihr seid schlechte menschen
in einer hinsicht
Sept. 2014
Übers. v. MW, 2015
Yi Sha I SWEAR
whoever is acknowledged by all
without any doubt
as a good person
you
him
or her
as soon as you dare
to point out one
I can say each of you
is a bad person
in that point at least
Sept. 2014
Tr. MW, Oct. 2014
Yi Sha ERKANNT
am frühen morgen
auf fremden straßen im ausland
sie machen ihre übungen
du gehst ihnen entgegen und jeder grüßt dich
wer dich ignoriert
hat ein gesicht aus ostasien
kein japaner
kein koreaner
auch kein taiwaner
keiner aus hongkong
es ist auf jeden fall jemand wie du
vom chinesischen festland
ihr seid wie hunde
erschnuppert den duft den ihr gemein habt
“an den rändern des himmels, den klippen der erde
muss ich euch noch treffen
ein rudel hundsfötter
stinkender
heuschrecken!”
28. Sept. 2014
Übers. v. MW, 2015
Yi Sha RECOGNIZED
early morning
walking on foreign streets
people doing their exercise
when you walk up everyone greets you
the only one who doesn’t look at you
he must be asian
not a japanese
not a korean
not a taiwanese
not a hongkonger
he could only be your compatriot
from the great chinese mainland
just like a dog
sniffs out the one scent we’ve in common
“what the fuck for have I made it all the way here
to the edge of the world
so I can run into
one stinking swarm of you
locusts!”
Sept. 28, 2014 in Burlington, Vt
Tr. MW, Oct. 2014 in Johnson, Vt
Yi Sha DREAM 452
my high school friend huang wenzhen
lives in melbourne, australia
last night I dreamed of her
she sits in a park
in the middle of a street
in australia
her clothes are all black
just like a witch
knows everything in the universe
I walk up to her
I’m sitting down
facing her
I ask her
what happened exactly
that time in our puberty
Sept. 2014
Tr. MW, Oct. 2014
Yi Sha DREAM #453: ON THE RUN
I am on the run
I run to my relative
he gives me a key
I can stay in his backyard
in a house made of glass …
I run to a woman
she is all smiles and takes me with her
to go see her husband
who is the kitchen chef
at public security …
I am crying
on the street in pouring rain
a helpless child
bawling
all through the rain
at vermont studio center
in front of maverick writing studio
a squirrel
shoots up a big maple tree
I think of you
I want to prove
to the world
in our time
there is still one person
who was unhappy
‘cause he did not become a poet
he could not find peace
that person was you
how does that sound
like a winter’s tale
but here in our world
there are no fairy tales
in fact you told me
25 years ago
“I am a hedonist
and would not be content
to become a poor poet …”
so I have to say
you did what you wanted
you followed the masses
went like all the people
so I relax
and the squirrel
jumps from the tall maple tree
to look at me
in his little eyes
I see only joy
no fear at all
it must be you
your soul is in heaven
jedes jahr im sommer
fahren frau und sohn
zu verwandten nach henan
ich bin endlich allein
für ein paar tage
ein paar porno-dvds
ein paar neue gedichte
in plötzlich groß gewordenen zimmern
ein paar gedanken
über ganz viel im leben
August 2014
Übers. v. MW, 2015
Yi Sha MOST IMPORTANT DAYS OF THE YEAR
summer holidays
my wife and my son
both gone to henan
to visit relatives
I’m all alone
to spend a few days
watching porn dvds
writing new poems
in this big empty flat
I have time to think
about my whole life
a public intellectual
that means a rightist
comes to our town
to present his new book
at a big bookstore
he asks me to come
and introduce him
my answer is
“I would rather not
go up on the stage
but I’m asking you to dinner”
a leftist professor
arrives in our town
to hold a speech at some university
he asks me to go and eat with him
I stoutly refuse
you’d first have to kill me
I am afraid of our picture together
all over the Internet
forever ruining my reputation
August 2014
Tr. MW, August 2014
Yi Sha 《我的立場》 MEIN STANDPUNKT
a public intellectual
also ein rechtsabweichler
kommt in die stadt
um sein buch vorzustellen
fragt mich ob ich bereit bin
im großen buchladen
ihn anzukündigen
ich sag “ich mag nicht auf die bühne,
aber ich lad dich zum essen ein!”
ein linker professor
kommt in die stadt
hält einen vortrag
an einer uni
lädt mich ein zum bankett
ich lehne ab
ich geh niemals hin und wenn er mich umbringt
ein foto mit ihm
kann mich im internet
fürs jahrhundert ruinieren
in this Internet bar
there is this old iron stove
from long time ago
with a metal chimney
going outside the house
up on the ledge
you can roast sweet potatoes
that kind of stove
above my head
there’s a gaslight
shining bright
just like the moon
August 2014
Tr. MW, August 2014
Yi Sha TRAUM NR. 442
es ist winter
in einem internetcafe
will ich online gehen
das internetcafe
hat einen großen eisenofen
aus dem letzten jahrhundert
mit einem blechummantelten rauchfang
auf dem ofen
kann man süßkartoffeln backen
über meinem kopf hängt ein
gaslicht
hell
wie der mond
on august 23rd 1931
sholohov and pasternak
sat down together for breakfast
at moscow airport
before bording a plane bound for kiev
to watch the soviet soccer team
they were invited
70 years ago in the soviet union
the official writer’s association chairman
and a dubious poet
the only time they went out together
it was all in the name of soccer
70 years later in china
one week ago
I had the same experience
2001
Tr. MW, June 2014
Yi Sha
MEMOIREN
am 23. august 1931
saßen scholochow und pasternak
am moskauer flughafen
im kaffeehaus zusammen beim frühstück
dann stiegen sie in ein flugzeug nach kiew
dort spielte das sowjetische team
sie waren beide eingeladen
vor 70 jahren in der sowjetunion
der präsident des autorenverbandes und ein dichter der grauzone
auf dieser einen gemeinsamen reise
und nur für den fußball
siebzig jahre später in china
vor einer woche
hatte ich die gleiche erfahrung
I dreamed of
dutch coach van marwijk
beaten in the finals
in his silver-grey suit
that familiar image
but on his left chest
a bloody hole as big as a plate
as if he’d been bombed
black smoke still curling
his heart fell out
a crimson frog
skinned for the frying pan
jumps on the lawn
his son-in-law
mark van bommel screaming
“quick! put our trainer’s heart back in place!”
bald robben looks old
missed three golden chances
now he’s kneeling down
picks up the heart
and puts it back
into the hole in van marwijk’s chest
and then the whole team
each one hugging the trainer
the hole in his chest
has disappeared
caught by a whiff of salty fish
I know I have entered the square
the biggest fish market in town
is on the south side
so the square has been reeking
all through the years
at the east is the science museum
never been in there
don’t know what they have
young pioneers palace is on the west side
I sneaked in alone
when I was 14
to see the human body display
I stood in front of a model
of female sexual organs forever
without understanding
now I’ve come to the north of the square
they call it the front side
from a double decker window
I can see everything
the province government building
looks quite imposing
up there my wife whiled her hours away
for shabby pay
the square – concrete slabs and some grass
they are lowering the flag
it’s at the middle now
looks like half-mast
22 years ago in september
we were standing here mourning
the former leader who had just died
red kerchiefs and our young faces
drenched in icy autumn rain
our white-haired principal
standing there howling through wind and rain
“What will happen to China?”*
I can see the whole scene
now I see the spectators gleaming
in the sunset
a heap of tangerines
I see two people
have left the ranks
they are two grown-up men
holding hands
running towards the east of the square
and my bus keeps going west
so I can’t make out
where they might be going
1998
Tr. MW, June 2014
*“What will happen to China?”, literally “Whither China?”, “Where is China going?”, in Chinese Zhongguo Xiang He Chu Qu 中国向何处去 was the title of a political essay published in Big Character Posters in 1968, written by the 19-year-old Yang Xiaokai 杨小凯 who was sentenced to 10 years in prison for his text. In the end he became an economist and taught at universities in China, USA and Australia (online sources).
ein gestank nach salzigem fisch
sagt mir ich bin auf den platz vorgedrungen
der größte fischmarkt der stadt
ist im süden des platzes
deshalb ist er durch die jahre
von diesem geruch durchweht
im osten steht das technische museum
ich bin nie hineingegangen
weiß nicht was es drinnen gibt
im westen steht der jugendpalast
einmal schlich ich mich hinein
als 14jähriger schüler
es ging um das geheimnis des körpers
ich stand sehr lange vor einem modell
weiblicher fortpflanzungsorgane
ich blickte auch am ende nicht durch
jetzt bin ich schon am nordrand des platzes
man sagt hier die vorderseite
aus einem doppeldeckerfenster
kann ich alles überblicken
das provinzregierungsgebäude
erhebt sich doch recht stattlich
meine frau war dort oben beschäftigt
für kümmerlichen lohn
über den platz – gras und betonziegel
man lässt gerade die fahne hinunter
sie ist bei der hälfte
sieht aus wie auf halbmast
im september vor 22 jahren
standen wir in trauer hier
der frühere staatsführer war grad gestorben
junge gesichter mit roten halstüchern
im eisigen herbstregen
der schuldirektor mit weißen haaren
stand heulend und jammernd im wind und im regen
“was wird aus china?”
ich hab es noch genau vor augen
jetzt seh ich die zuseher
in der sinkenden sonne
sehen sie aus wie ein haufen orangen
ich sehe auch zwei menschen
sie haben sich schon aus der menge gelöst
es sind zwei erwachsene männer
hand in hand
laufen sie zum osten des platzes
mein bus entfernt sich nach westen
ich kann nicht erkennen
wohin sie am ende gehen
in my first two days in lhasa
I bought two lighters
one with a picture of robben
the other with messi
they were both useless
breathless entirely
on this snowy highland
on the roof of the world
even lighters
show a reaction
even soccer stars
can’t keep up the flame
but on the third day
we went up the potala
when we came down again
at the bottom
in a small shop
I bought another one
this lighter had no problem at all
it showed a picture
of a living buddha
May 2012
Tr. MW, June 2014
Yi Sha 3 FEUERZEUGE
in meinen ersten zwei tagen in lhasa
kaufte ich zwei feuerzeuge
eines mit robben
eines mit messi
beide nutzlos
ausser atem
auf der hochebene
auf dem dach der welt
sogar feuerzeuge
werden höhenkrank
sogar fußballstars
geht hier das feuer aus
aber am dritten tag
waren wir im potala
und darunter
auf dem rückweg
in einem kleinen laden
kaufte ich ein feuerzeug
das funktionierte einwandfrei
auf ihm war ein
lebender buddha
a bunch of poets
on a big bus
arrive at a station
getting off
I take Ms. Xiang Lianzi’s trunk by mistake
pulling her pink
draw-bar trolley
what a show-off
coming through
Great Peace alley
where I lived when I was small
looking behind me
all the poets are gone
a young Uighur guy
is dragging by baggage
— no, Ms. Xiang Lianzi’s
draw-bar trunk, running like mad
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #396
father picks out
books from my school bag
points at a novel by one female author
growling:
“your teacher said you read books under your bench
now I see this is pornography
are you not ashamed?”
(this scene really happened
when I was young)
“You should be ashamed!
your whole generation
should all be ashamed!”
one rousing reply
then I turn around
and laugh at the sky
while I walk out the door
(this scene never happened
in my whole life)
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #398
Zhuang Sheng stands there
in jeans shorts
doesn’t do anything
he just stands there
there is joy in my heart
because I remember
though this is a dream
he told me on Weibo
he hoped one day
he could appear in my dreams
the ones I write down
a series of poems
now it has happened
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #401
I grab an old friend
by the throat
and push him
to the edge of a pit
snarling at him:
“I can throw you down
then bury you alive
do you believe me?”
“I … believe ….”
he stutters at me
I release him
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #402
I receive
miraculous news
Malaysian Airlines flight MH370
the plane has been found
in a picture by Li Yi
DREAM #403
In a lush
botanical garden
there is Yu Youyou
she is like Afanti
in those Nasreddin Afanti stories
she says: “I am Shen Haobo’s sister”
I say: “I know who you are”
she says: “stretch out your hands”
so I stretch out my hands
she says: “now step forward and grasp that plant”
so I step forward and grasp that plant
she says: “close your eyes. when you open your eyes
you have grown together with that plant”
I close my eyes
after a long while I open them —
no-one is there
no botanical garden
only city streets in the dusk
someone playing a violin
April 2014
Tr. MW, May 2014
DREAM #404
I am with a gang
we are robbing a store
a bookstore
the others are at the cash register
counting banknotes
I am at the book racks
counting the books
all those so-called platonists
all those rotten at heart
all those taking themselves for judges and kings
all those dreaming of giving
directions to mankind
all those fat shining bugs
wagging their hidden poisonous hairs
banning lions and wolves
banning desperate youths
banning indecent wives
banning loonies and thieves
banning beggars and thugs
banning satan
banning contrary jesus
banning poets
banning me
without need
you don’t need to ban me
I was just passing by
just came looking to see how you’re doing at home
I have seen enough
your republic
holds no place for loonies and no place for me
the light, the angel gabriel.
the evening light, the west, the east.
the train, the streetcar from the west.
the many towers of the town.
we don’t know where the light comes from.
the sun appears, the ancient stars.
we sleep, we wake,
we learn, we teach,
give birth and work.
we don’t know when the light goes out.
we know the morning comes again.
we don’t know where the light comes from.
an einem verschneiten tag
spritzt matsch auf der strasse
einmalig auf dieser welt
brüllend wie sonst
ein polizeiwagen
flott unterwegs
und sehr unterhaltsam
in seinem kleid
ganz gleich wie er drängt
das kriegt er nicht runter
auf einmal ganz gleich
nicht zu unterscheiden
von anderen autos
sie schleichen daher
wie leichenwagen
das macht ihn nervös
von seinen rädern
spritzte der schmutz
auf den der vorbeikam
den stapfenden zeugen
dem kamen die tränen
es dachte der dichter
an die poesie
die sei doch wie schnee
in beziehung
zum wagen des staates
Übersetzt von MW im Februar 2008