Am Mondfest verkühlt den Doktor bitten beim Testen sanfter zu sein.
Am Mondfest Familie Verwandte in Straßen und Städten unter Quarantäne.
Am Mondfest 33 Stunden 2000 Kilometer hin und zurück Schwiegereltern
besuchen und nah am Ziel Fehldiagnose, festgehalten, zurückgeschickt.
Am Mondfest heult Schwiegermama ununterbrochen Schwiegerpapa schweigt.
Am Mondfest 2000 Kilometer entfernt vom Sohn am Telefon verhandeln.
Am Mondfest 43 Jahre mit meinem Mann immer noch umeinander besorgt.
Am Mondfest Hand in Hand am Fluss unterm Mond Knie an Knie reden, Lilien riechen.
Am Mondfest fressen Hunde Mondhundekuchen, Katzen knabbern Katzenmondkeks.
Am Mondfest haben die Spinnen reiche Ernte in ihren Netzen unter den Lampen.
Am Mondfest springt ein Marder fröhlich aus hohem Gras auf einen Holzstoß.
Am Mondfest Vollmond über allen Dingen in allen Formen, Arten und Weisen.
Spät am Abend,
sagt mein Vater,
war er auf dem Berg an einem Teich,
hat beim Angeln zugeschaut.
Rund um den Fischteich
sind ein Dutzend Männer gesessen.
Er sagt, ihre Seelen
waren alle im Wasser.
Er sagt, das Angeln kostet 150 Yuan.
Er hat kein Ticket gekauft.
Er sagt, ohne Geld kann er auch angeln.
Denn seine Seele
sei mit den anderen Seelen zusamengewesen.
Ich war sieben Jahre verheiratet,
hab einen Sohn geboren
und nachher erst gewusst,
meine Arbeitsstelle hat bei der Familienplanung
mich jedes Jahr inkludiert,
mich jedes Jahr einbezogen.
Nur in dem Jahr unserer Hochzeit
war noch nichts eingeplant.
Watching
fireworks unfolding
up in the air
my son says
wah,
pitching bomb balls!
I laugh and say,
this ain’t no war.
But in my mind,
there are the pictures
of Russian raids
on Ukraine.
2/11/24
Tr. MW, 2/12/24
OLD NEWS
In my hometown,
villages around
combined their primary schools,
because the kids in each one
were less than the chicken
raised by the school.
They had hardly more students
than pigs.
Auf dieser Straße
sind Unfälle häufig.
Die meisten Toten
kommen aus
Guizhou und so,
Minenarbeiter.
Sie kümmern sich
wenig um Verkehrsregeln.
Haben offenbar
kaum Angst vor dem Tod.
Ihre Unfälle
sind leicht zu regeln.
Ganz einfach,
Angehörige kommen von weit,
tausend Kilometer.
Regen sich nicht auf,
nehmen ein paar
zehntausend Yuan Entschädigung
und fahren zurück.
Sogar ohne die Asche.
Apes are telling
higher primates,
you have got to survive!
Higher primates
tell homo erectus,
got to survive!
Homo erectus
tells homo sapiens,
gotta survive!
Homo sapiens
tells ancient man,
gotta survive!
Ancient man
tells the new man,
gotta survive!
New man
tells an old person,
gotta survive!
Old person
tells a young person,
gotta survive!
Young person asks,
survive to do what?
Old person says,
to pass on
these words.
Sad at heart,
not easy to write.
Maybe you would like
to make up with someone.
Maybe that person would want
to be friends with you again.
But you are both used to it,
used to the hate.
Because there was love,
because that love is still there
it is hard to pass by the hate,
hard to let go.
So when you see each other you´re happy,
and at heart
you feel sad.
MW Early February 2022 in Chinese,
translated in December 2023
Traurig im Herzen,
nicht leicht zu schreiben.
Vielleicht willst du gern
mit jemandem gut sein.
Der Mensch möchte auch
gut Freund mit dir sein.
Aber ihr habt euch daran gewöhnt,
gewöhnt an den Hass.
Weil da Liebe war,
die im Grunde noch da ist,
deshalb kommst du am Hass nicht vorbei,
du kannst ihn nicht lassen.
Deshalb, beim Wiedersehen bist du froh,
und im Herzen
bleibst du traurig.
MW Anfang Februar 2022 auf Chinesisch,
auf Deutsch im Dezember 2023
New book! 新诗集出来了!Neues Buch!
WAH!
wah! wah! wah!
wah! wah! wah!
wah! wah! wah!
bitte nicht alles wahrnehmen!
bitte nicht alles wahrnehmen!
Because of some
historical reasons,
my father took our whole family
to a remote corner of this village
so we could lead a quiet life
away from the masses.
Since then, I have a sort of natural fear
of the dark.
After many years in this way,
my grandparents died,
then also grandma and granddad
on my mother’s side.
And later some younger people.
They were all buried here,
one chasing the other.
It got more and more busy
in front of our door.
Ein Studienkollege lebt in Australien,
auf Besuch in Peking
kommt er zu mir zur Akupunktur.
Nach dem Schröpfen fragt er,
hab ich große Feuchtigkeit?
Ich denk mir,
er hat es von Australien her.
Er sagt, wenn er dort sagt, innere Hitze,
dann ist das schwer zu erklären,
es geht einfach nicht.
Aber Leute mit chinesischer Herkunft
wissen sofort, was gemeint ist.
Ich war zehn, zwölf
und schon berühmt.
Die Schule lag am Kanal.
Wenn die Fähre von der Truppe
von meiner Schwester
vorbeigekommen ist,
hat mein Schwager, der Kapitän,
Signal geben lassen,
meinen Namen gerufen.
„Papa, warum streitest du mit Opa?”
„Dein Opa ist für Russlands Krieg gegen die Ukraine,
Papa ist für die Ukraine gegen die Invasion…
Das heißt politische Meinungsverschiedenheit.”
„Warum ist Opa für Russland?”
„Weil er Putin bewundert,
er glaubt, ein starkes Land soll ein schwaches einschüchtern,
der Starke soll den Schwachen einschüchtern,
nur so wird die Gesellschaft stabil,
so ist die Umgebung erst sicher.
So sollen Eltern sich um ein Kind kümmern,
dann wird es brav sein…
Aber die Ukraine
ist ja auch ein unabhängiges Land,
wer gibt Russland das Recht, sie zu unterdrücken?
Dein Opa hat keine Ahnung, keine Ahnung…”
„Keine Ahnung, dass er selbst ein Schwacher ist.”
„Genau! Haha … genau!”
Last night a Latvian father’s daughter and a Latvian mother’s son sang together at our place. Latvia has a Song Festival every five years, Jackie participated last time, in 2018, end of June, first days of July. I don’t speak Latvian, but there was a song I could hum along. Our son Leo speaks even less, but he loves singing. The two representatives didn’t sing perfectly, but it was moving. Jackie said let’s sing one in Chinese, so she and I sang that song with the small white boat in the milky way in a blue sky with a white rabbit, no rudders or sails, floating west. Then we sang Kein schöner Land. It’s about loving the land, the valley, the company when we meet again. Yes, it’s German. Later we talked, society family views and experience. Our friend worried about chaos in Russia, with nuclear weapons. Although Latvian songs celebrate independence. I have been humming Wagner’s Walkürenritt for a few days. What could be better than Russian fascists at each other’s throats? Chaos in Russia may be the only chance for peace in Ukraine. When are they going to stop bombing people in Syria? This morning I get up at 6:30, one little bird stops on the balcony, yellow and red on its chest, a string in its beak. Looks right and left, takes its time, dives and is gone.
Gestern Abend haben eine Tochter eines Vaters aus Lettland und ein Sohn einer lettischen Mutter zusammen gesungen, in unserer Wohnung. Lettland hat alle fünf Jahre ein großes Liederfest. Jackie hat letztes Mal teilgenommen, 2018, Ende Juni und Anfang Juli. Ich spreche kein Lettisch, nur bei einem Lied hab ich mitgesummt. Unser Sohn Leo spricht noch weniger, singt aber sehr gern. Der Repräsentant und die Repräsentantin singen die Lieder überhaupt nicht perfekt, aber bewegend. Jackie will auch ein chinesisches Lied, also singen wir das mit dem blauen Himmel, der Milchstraße, dem kleinen weißen Boot und dem weißen Hasen. Ohne Ruder, kein Segel, das Boot treibt nach Westen, fern in die Sphären. Dann singen wir Kein schöner Land. Kein schöner Land in dieser Zeit, als hier das unsre weit und breit, wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit. Funktioniert nur im Singen, wahrscheinlich nicht immer. Unser Gast hat es nicht gekannt. Später sprechen wir von Gott und der Welt, Gesellschaft, Familie, Meinung, Erfahrung. Unser Freund war besorgt über das Chaos in Russland, auch wegen Atomwaffen. Obwohl lettische Lieder Unabhängigkeit feiern. Ich hab unbesorgt tagelang zu den Nachrichten Wagners Walkürenritt schadenfroh zitiert. Russische Faschisten springen einander an die Kehle! Chaos in Russland, gibts eine andere Chance auf Frieden? Wann hören die auf mit Bomben auf Syrien? Heute in der Früh komm ich um 6:30 auf den Balkon. Ein sehr kleiner Vogel, gelb und rot auf der Brust, sitzt am Geländer, mit einem weißen Faden im Schnabel. Schaut sich um ohne Hast, taucht ab und ist weg.
Du bist die Frucht deiner Eltern,
ohne Liebe.
Deine Mutter ist von ihrem Bruder, dem Onkel,
aus den Bergen gebracht worden.
Sie hat sprechen können,
also hat sie fünftausend Yuan RMB
mehr eingebracht
als die anderen vom selben Dorf.
Deine Oma kommt aus Guangxi,
Kreis Guigang Pingnan.
Als du noch nichts gewusst hast,
bist du einmal hingetragen worden,
von da an waren Mutter und Tochter getrennt.
Sie haben nur aneinander denken können,
das war ihre Beziehung.
Dein Onkel ist damals heimgekommen,
hat das Geld deinem Opa gegeben.
Er hat 200 behalten,
für einmal im Fußwaschbad in der Kreisstadt,
also im Bordell.
Das verfallene Haus
am Goldteich von Dinghai.
Die Großeltern und die Urahnen
begraben am Berg des Grünen Drachens.
Am Gräbertag
haben die Pflaumen rund um den Berg
gerade geblüht.
Vom Grab aus gesehen
blühen Pfirsich und Raps.
In der Ferne hinter den Hängen,
dort ist das Meer.
Fast hat mich meine Mutter
wieder ausgesperrt, sie spielt gern
mit dem Zahlencode.
Bins gewöhnt,
habs angefangen zu genießen,
draußen vorm Tor
die Mama im Singsang zu hören,
meine Tochter,
mein Fleisch und Blut,
mein herzlieber Schatz,
wie hab ich dich schon wieder ausgesperrt!
Krach! Wieder bricht ein Zahn!
Krach! Krach!
Mama mag diesen Holzkamm am liebsten,
ich zieh ihm die Zähne, bis er kahl ist.
In der schwülen Sommernacht,
von der Physikübung schwillt mir der Kopf,
wenn die Holzzähne krachen,
kann ich mich entspannen,
vor Schadenfreude.
Mama hat nicht geschimpft,
nur gesagt, schade,
wenn mir der Kamm die Kopfhaut massiert,
das hör ich nicht mehr.
Viele Jahre sind vergangen, Mama ist nicht mehr auf der Welt.
Die Lust an böser Versuchung,
das Krachen der Zähne,
es erinnert mich noch.
Später war alles anders als an diesem Abend.
9. März 2022,
Endfassung 8. März 2023
Übersetzt von MW im Juni 2023
Covid the chameleon tiger
has chosen summer days in May 2023
to jump at me. Whatever for,
the weather is hot, plants are thriving.
The virus wants to borrow my body.
Is there no better choice? Well, ok.
Go ahead. I know there is a ruin inside me,
must be some other garbage I don’t know about.
That feeling of being roasted on a fire,
if you take out the pain,
it’s very much like being drunk, weightless moment,
soul taking flight.
I have cooked crabs over a fire,
I fried fish and eggs.
Now I am also over a fire,
slowly cooking me till my last breath.
There is a fly,
came in when the food express guy
opened the door.
To kill it or not
maybe requires a UN session.
Little brother comes with medicine,
wants to cook for us.
I push him out the door,
he says “so what if I get it”,
sending himself to the tiger’s mouth.
It throws people to sick beds,
shrinks the economy,
still they crown it with a corona.
New corona,
lord of the future,
man, makes me shudder.
High fever is like riding clouds,
body changing into sweet taffy.
Flames burning, burning
until they consume you.
Who has invented this fabulous thing
over three years ago, no-one admits it.
They are making a big science-fiction movie,
an amazing court case.
For now it’s politics,
ruling, curing, controlling,
coughing and dying, everyone goes through sieves.
Who knows where it comes from,
it goes through your body,
just for a short while, goes no-one knows where.
This back and forth, does it hide any absolute truth,
I can’t sleep at night,
looking for answers.
Brautigan comes
right on time
my book for this sickness
He says at my death, at my death,
what a desperate fellow
May 2023
Translated by MW, May 2023
《布劳提根》
佐我度病的读物
竟然正好是
病中到货的布劳提根
他说我的死上 我的死上
真是一个绝望的家伙
A POEM COMES FLOATING
A poem comes floating
out of my brain
riding a cloud
A chicken a bird
it is what it is
May 2023
Translated by MW, May 2023
《漂过一首诗》
有时一首诗
从头脑中漂过
骑着一片云
一只鸟 或一只鸡
都无碍于它的本质
Sculpture and photo by Tristan Tréhin
FEAR ACCORDING TO AGE
Fear changes according to age.
I was very small,
afraid of the dark.
Afraid of remaining alone in the dark.
I was a little bigger,
could work in the fields.
Afraid of snakes,
needed to clear a path with a sickle step after step.
Then even bigger,
for years afraid of the crazy guy.
He lives in the village where I go to school,
lonely and evil, chasing the women.
Chased me right up to the dormitory,
scared me out of my wits.
Grown up,
afraid of working forever and ever
year after year,
consuming my life.
A few years later,
maybe because of writing,
taking part in poetry meetings:
Fear of missing a train,
of leaving behind my make-up things.
I want to present a beautiful face
at the assembly,
so I wake from dreaming I can’t find my ticket,
I can’t find my make-up, I run back and forth.
Actually
when you want it how could it be there
it is a chase for life
Getting just a little closer
occasionally grabbing a claw or a fin
could knock your teeth out with shock
Like right now
do you see it
That dinosaur
running at you
In my own cook book
there is a page with a dish called “Prajna”,
in brackets (ship).
Cucumber bits, sesame, chili powder,
garlic paste, garlic oil, soy sauce,
oyster sauce, sugar.
From December 2019 until May 2023
When I was infected for the first time
how many things did we go through?
Cities sealed off, roads, villages, apartments,
mouths and noses. Vaccination, testing,
isolation. Containers,
health code. Mobility code. Green code,
red code, orange code. Three colors code.
Big sieve. Daily sieve. Sieve after sieve after sieve…
Ambulance. Crematorium.
Frozen cows and sheep.
Escaping on foot.
If after screaming howling going crazy
crying you don’t figure out the meaning of life
how about learning from master fly?
Going through cracks, ruling the room,
moving at will. Slurps, sucks and bites,
gnaws, chews and licks, swallows and picks,
then suddenly stretching its limbs
dead to the sky.
Houdini the great escape magician
once rode an elephant on the stage
And to prove the power of the mind
in an instant
he made the elephant disappear.
Imagine people’s excitement.
Kids would have wondered before going to sleep
where could the elephant be?
Conan Doyle said it was supernatural,
Houdini said it was just a trick.
Covid der Chamäleontiger
ausgerechnet in Sommertagen Mai 2023
fällt er mich an wozu denn
das Wetter ist Wachsen und Gedeihen
Das Virus will sich meinen Körper borgen
gibts nichts Besseres na gut
bedien dich. Ich weiß in mir steckt eine Ruine,
wahrscheinlich noch Müll von dem ich nichts weiß
Langsam gegrillt werden ist das Gefühl
Ohne das Bisschen Schmerzen
wär ich halt betrunken schwerelos werden
die Seele will fliegen
Ich hab auf dem Feuer Krebse gegrillt
Fische und Eier
jetzt lieg ich auch auf einem Feuer
Werd langsam und sorgfältig ausgedörrt
Da ist eine Fliege
mit dem Essensboten
zur Tür reingekommen
die Frage ob töten oder nicht
kommt vor ein Gericht der Vereinten Nationen
Der kleine Bruder kommt mit Medizin
will für uns kochen
ich schieb ihn zur Tür hinaus
er sagt “krieg ich’s halt”
und liefert sich wirklich dem Tiger aus
Wirft einfach so Leute aufs Bett
lässt ganz klar die Wirtschaft schrumpfen
und wird doch gekrönt
aufs Neue gekrönt
die Herrin der Zukunft
der Schluss lässt mich jedenfalls zittern
Hohes Fieber, Wolken reiten,
der Körper wird Zuckerwatte
die züngelden Flammen
Du weißt nicht bis wann haben sie dich verzehrt
Wer hat das erfunden
vor über drei Jahren niemand gibts zu
wahrscheinlich kommt bald ein SF-Film
ein großer Gerichtsfall
Jetzt schon Politik
regieren kurieren kontrollieren
die Toten die Kranken jeder kommt durch ein Sieb
Wer weiß woher das Virus kommt
es geht durch deinen Körper
Es wohnt kurz darin geht wer weiß wohin
Im Kommen und Gehen, liegt da höchste Wahrheit
das lässt mich nicht schlafen
ich such die ganze Nacht eine Antwort
Mai 2023
Übersetzt von MW im Mai 2023
BRAUTIGAN
Meine Lektüre für die Krankheit
Brautigan ist
ganz pünktlich gekommen
Er sagt mein Tod, er sagt mein Tod,
ein richtig verzweifelter Kerl
GEDICHT KOMMT GEFLOGEN
Manchmal fliegt ein Gedicht
aus meinem Hirn
auf einer Wolke
Ein Vogel ein Huhn
es ist was es ist
ANGST JE NACH ALTER
Ängste ändern sich nach dem Alter
Als ganz kleines Kind:
Angst vor der Dunkelheit
Auf einmal bin ich im Dunkeln allein
Ein bisschen größer:
Alt genug für Feldarbeit
Angst vor Schlangen
Schritt für Schritt mit der Sichel kämpf ich mich vor
Noch ein bisschen größer:
Jahrelang Angst vor dem Verrückten
Er wohnt in dem Dorf auf meinem Schulweg
ein ekliger einsamer Mann
Er rennt mir nach bis zum Schülerwohnheim
ich heul mir die Seele aus dem Leib
Endlich groß geworden:
Angst vor endloser Arbeit
Jahr um Jahr verbrauchen
die Schönheit der Jahre
Noch später:
Weil ich schreibe
ab und zu teilnehme an einem Treffen
Angst den Zug zu versäumen
das Make-up zu vergessen
Weil ich ein schönes Gesicht zeigen will
vor der Versammlung
wach ich dann auf aus einem Traum
in dem ich Tickets und Make-up nicht find
WAHRHEIT
Wirklich
wieso soll sie da sein wenn du sie willst
du rennst ihr ein Leben lang nach
kommst ein bisschen näher
erwischt ein kleines Stück von der Flosse der Kralle
vom Schrecken verlierst du gleich einen Zahn
wie jetzt im Moment
hast du sie gesehen
der Saurier rennt
grad auf dich zu
PRAJNA DIE SPEISE
In meinem eigenen Kochbuch
steht wirklich die Speise “Prajna”,
in Klammer (Schiff).
Gurkenstücke, Sesam, Paprikapulver,
Knoblauchpaste, Knoblauchöl, Soyasauce,
Austernsauce, Zucker
SIEBENUNDSIEBZIG MAL GESIEBT
Vom Dezember 2019 bis zum Mai 2023
bis ich erst angesteckt worden bin
was ist dazwischen alles passiert
Stadt eingeschlossen Straße Dorf Wohnung
Mundschutz Impfung Testen
Isolierung Container
Gesundheitspass Mobilpass Grüner Pass
Roter Pass Oranger Pass dreifacher Pass
Großes Sieb Tagessieb Sieb Sieb Sieb…
Rettungswagen Krematorium
Erfrorene Rinder und Schafe
Zu Fuß über alle Grenzen und Zäune…
ÜBER DEN SINN
Wenn Kreischen Brüllen Wahnsinnig werden
Heulen nichts helfen beim Suchen nach Sinn
warum nicht lernen von Frau Fliege hier
kriecht durch jeden Spalt herrscht in jedem Raum
fliegt wohin sie will saugt schlürft beisst und nagt
kaut leckt schluckt und pickt
in einem Moment alle Viere gestreckt
in den Himmel das wars
HOUDINIS ELEFANT
Der große Entfesselungskünstler Houdini
ritt eines Tags einen Elefanten
auf die Bühne
und um Gedankenkraft zu beweisen
ließ er in einem Augenblick
den Elefanten verschwinden
Man stelle sich nachher die Aufregung vor
Die Kinder die vor dem Einschlafen fragen
wo ist der Elefant
Conan Doyle meinte das sei übernatürlich
Houdini sagte es sei nur ein Trick
Sein Vater hat sein ganzes Leben
Bienen gezüchtet
um damit ihm und seinem Bruder
das Studium zu finanzieren.
Nachher ist er dement geworden.
Sein Sohn denkt sich die ganze Zeit,
die Demenz kommt davon,
wenn er den Bienenstock aufmacht,
dieses Summen, niedrige Frequenzen,
das hat ihn
sein ganzes Leben begleitet.
Und eines Tages sind ihm die Bienen
praktisch in den Schädel geflogen
um dem Honig zu holen.
Meine Frau liegt auf dem Bett und stillt Shuyan.
Mir fällt ein:
Unter der Achsel.
Unter der Flüssigkeit.
Unten auf der Seite.
Klingt alles völlig gleich auf Chinesisch, klingt wie: Blätter unten.
Eine Schafherde sucht Futter am Dorfrand. Dort sind lauter sehr üppig gewachsene Maulbeerbäume, die ihre langen Zweige ausstrecken. Die Schafe knabbern mit ihren kleinen Mäulern und Zähnen an den unteren Blättern. Sie fressen völlig ohne Hemmung, das ist für sie einfach natürliche Nahrung!
Jedes Paar Mutter-Tochter ist eine Bestimmung, ein Schicksal.
Der drittälteste Wang
will vor seinem Tor
den alten Götterbaum
(so dick dass er grade herumreicht)
fällen,
als Sargmaterial.
Nach dem Frühstück
spuckt er in die Hände,
nimmt die große Axt,
fängt an zu hacken.
Peng, peng, peng!
Noch ein paar
kräftige Schläge,
aber die Klinge
fällt herunter,
ganz genau
auf seinen rechten Fuß.
Blut spritzt!
Wang Nummer Drei
heult und hält
seinen Fuß,
hüpft wie ein Känguruh
bis zur Klinik.
Dass der alte Baum
am Abend noch steht,
verdankt er
der Axt,
die hat ihm geholfen.
Nach dem zweiten Schlaganfall
kann meine Schwiegermutter
nicht mehr sprechen.
Im Spital
schreibt sie mit der linken Hand
schief auf ein Blatt Papier
nur ein Wort: Sterben.
Die Familie
schaut das Blatt an,
wir legen es stumm
auf den Nachttisch.
Niemand sagt etwas dazu,
bis sie
gegangen ist.
Je höher ich steig,
desto näher bin ich an Gottes Sicht.
Der zehnte Stock ist nicht genug.
Vom 23. Stock
seh ich den Pfirsichhain überm Fluss.
Überhaupt nicht schön!
Ganz quadratisch,
wie ein dreckiger rosa Kuchen,
der runtergefallen ist.
Ich nehm den Lift wieder hinunter
und geh zum Fluss.
Auf der anderen Seite
sind nur ein paar Bauernhäuser,
die bald abgerissen werden.
Der Pfirsichhain ist nicht zu sehen.
Ich denk an die gelben Pfirsiche vom letzten Sommer,
die waren sehr gut.
Die Mutter von meiner Freundin ist beim Kochen
ausgerutscht und war
ohnmächtig bei der Einlieferung ins Spital.
Der Vater hat ihr pünktlich Essen geliefert.
Nach zwei Tagen
hat sich die Mutter verabschiedet.
Sie hat nicht gewusst,
dass der Vater ein paar Stunden früher
daheim gestorben ist.
Wir waren bei ihr zum letzten Geleit.
Im Krankenzimmer daneben haben ein paar geflüstert:
“Die zwei sind ganz auf einmal gegangen,
sie waren überhaupt keine Last,
und haben gar nicht leiden müssen.
Diese Familie, die haben
gutes Karma von mehreren Generationen.”
Du kommst sicher nicht darauf,
als ich studiert hab,
hab ich mir die Haare blond gefärbt.
Ich komm in den Sommerferien zurück,
steh neben meinem Vater,
wir sind ungefähr gleich groß.
Mein Vater hat sich jahrelang
mit Waschpulver die Haare gewaschen,
deshalb haben seine Haare
auch so ein leichtes Gelb oder Braun.
Mein Opa hat damals noch gelebt,
er hat gesagt, wir beiden
schauen immer mehr wie Brüder aus.
Damals war mein Vater noch nicht so alt,
ich war selbst grad erwachsen geworden.
Nach Vaters Tod
hat Mutter sein Konto geerbt,
älterer Bruder Haus und Wagen
(Wagen für fußlahme alte Leute)
Ich erbe
Vaters Rentnerausweis, die Altenbrille, das Vergrößerungsglas, sein Tagebuch
und seine geliebte Topfpflanze.
Die Vorfahren
sind auch heimgekommen zu Mondneujahr.
Auf dem Schnee Spuren, die nicht mehr da sind.
Opas Schneeschuhe mit Strohfutter.
Omas “4-Zoll-Silberlotos” für eingebundene Füße.
Sohn bricht in die Welt,
sein erster großer Schritt
auf Papier
leuchtend rot:
Hand und Fuß
als Sinnbild, als Warnung.
Er ist grad rausgestürzt
aus Mamas Bauch,
wie soll er verstehen:
Ein ganzes Leben
ist ein Gang auf dünnem Eis,
auf dünnem Papier.
Sie hat auf ihrem Konto
100.000 gespart.
Als der Sohn sich verlobt hat,
hat sie am selben Tag
die Karte der Schwiegertochter gegeben.
Die SMS-Nachrichten der Bank
hat sie vergessen abzubestellen.
Jedesmal, wenn die Schwiegertochter abhebt,
tuts ihr innerlich weh.
Manchmal zweimal pro Tag!
Sie hälts nicht mehr aus,
muss das Handy abschalten.
Nach einer Woche dreht sies wieder auf,
das Konto ist leer.
In den letzten Jahren in Formularen
wo sie fragen was wir mit uns tragen
da füll ich aus Apple
Meine Frau Samsung
Meine Tochter Xiaomi
Manche Freunde schreiben Huawei
Die Konkurrenz wird immer schärfer
In China und außerhalb
müssen Personalabteilungen
vor diesem Hintergrund überlegen
welche von den erwähnten
in Notsituationen
zuerst den Geist aufgeben
Huang Wenqing WER KOCHEN KANN HATS VON EINER MUTTER
Erwachsene, die kochen können,
haben mehr von ihren Müttern gelernt.
Aber die’s nie gelernt haben,
viele arbeiten ziemlich weit weg,
Essenszeit ist längst vorbei
und ihr Magen ist leer,
und die Mutter im Himmel
macht sich immer noch
Sorgen.
Als Kind hat er Rossknödel gesammelt.
Als Jugendlicher die Schule geschmissen und Holzarbeiter gelernt.
Hat in der Kreisstadt Arbeit gesucht,
mit 24
war er zweifacher Vater.
In den 90ern ist er in den Nordosten arbeiten gegangen.
Im Winter im Zug hat er Zeitschriften
mit Geschichten gelesen.
Er hat mich in der Schule besucht
und mir Shangrao-Hendlhaxen gebracht.
Er hat einmal lange Haare gehabt,
hat Lieder gegrölt.
Die Bücher über den Bürgerkrieg
hat er stehengelassen,
aber jeden Abend Nachrichten geschaut.
Einmal am Abend
hat er ein Ausweisfoto genommen
und zu sich selber gesagt:
Wie bin ich so alt geworden?
Er hat gesagt, er kümmert sich nur, bis ich fertig bin mit der Ausbildung,
aber er hat nie wirklich aufgehört.
Er hat im Dorf ein neues Haus gebaut
und mich gedrängt, bald zu heiraten.
Mit 50 im Kreiskrankenhaus
war er irrsinnig froh, Opa zu sein.
Er hat sogar noch mehr gearbeitet,
damit ich mich draußen einrichten kann.
Mit 53 Leberkrebs, Endstadium,
hat er mich vom Bett ermahnt:
“Kauf keinen zu großen Sarg,
die Träger habens sonst schwer,
bitte nicht weinen…”
Ganz in der Früh
fragt mich mein kleiner Bruder auf WeChat:
Du bist mit Reis aus unserm Dorf aufgewachsen,
warum isst du jetzt nicht mehr Reis
aus unserer Gegend?
Ich schick ihm ein Smiley zurück:
Reis vom Nordosten schmeckt besser.
Er schickt auch ein Smiley:
Kannst du von meiner Frage aus
über unseren Reis
ein Gedicht schreiben?
Um Mondneujahr, von einem Essen zum nächsten,
fällt mir beim Fahren ein Lied ein, vom Flaschensammeln.
80er Jahre, ich hab eine Armeetasche,
mit Notizbuch, Feder, Zigaretten, Zündhölzer
und eine Kassette von Su Rui.
Das Titellied, vom Flaschensammeln.
Ein paar Jahrzehnte sind vergangen.
In meinem Herzen bleibt ein Bild,
eine alte Frau ist unterwegs, kauft leere Flaschen,
sie hat ein Kind daheim, das auf sie wartet,
das Kind bin ich.
Alte Leute sind Naschkatzen,
sagt ein Sprichwort.
Kranke alte Leute
sind es noch mehr.
Als Vater krank geworden ist,
hat er alle Snacks, die wir gekauft haben,
in sein Nachtkästchen eingeschlossen.
Unsere alte Mutter
war überhaupt nicht amüsiert.
Nachher haben wir die Snacks
in zwei Hälften geteilt,
jeder hatte sein Lager,
so gabs keinen Streit.
Diese Gewohnheit
haben wir bis heute beibehalten.
Auf dem Steintisch vorm Grab,
Opfergaben getrennt
links und rechts.
Ich war sechs,
an einem Julitag
nach dem Frühstück
gibt Mama Großer Schwester ein paar Kekse
dami sie mit mir und meinem kleinen Bruder
draußen spielen geht.
Der Kleine wollte nicht,
Mama hat noch ein paar Kekse gebraucht,
dann sind wir gegangen.
Wir sind am Fluss Nie entlang spaziert
und dann wieder heim.
Mama ist auf dem Kang gelegen,
mit einem roten Tuch um den Kopf.
Neben ihr
unsere neue kleine Schwester.
Vater trinkt seine Vollmilch, presst die Schachtel flach,
reißt die oberste Schicht weg (die mit der Aufschrift),
um auf der weißen Innenschicht
etwas zu notieren.
Ein Dutzend Zeilen Menschenweisheit,
Zeichen für Zeichen aufgeschrieben.
Er ist Grund- und Mittelschullehrer mit Berufskrankheit,
also gewissenhaft und genau,
nie wütend werden.
Sein Leben lang schlicht, arbeitsam.
Letzte Nacht im Traum geht er mit der Harke,
will ein Stück Land umgraben,
Kürbissamen säen, nördliche, südliche,
im Traum sagt er noch, nicht so viele,
ein paar Stauden sind schon genug.
Ein verletzter Steinadler
ist in unserem Hof gelandet,
mit Blut auf den Flügeln.
Zuerst haben wir nicht gewusst, was es war.
Mutter nannte ihn Großer Vogel.
Großer Vogel war groß,
er stand größer als ich.
Sein Schnabel war ein großer Haken.
Mutter hat mich nicht zu ihm gelassen,
er könnte mich verletzen.
Er hat nichts gefressen,
nur ein bisschen Wasser aus der Schale getrunken.
In der Nacht hat er sich in den Hühnerkäfig
aus Maiskolben verkrochen.
Mutter hat die Tür zugemacht
und hat ihm jeden Tag Wasser gegeben.
Alle im Dorf sind schauen gekommen.
Jemand hat gesagt, das ist ein Adler,
ein anderer sagt, das ist ein Habicht,
noch jemand sagt, das ist ein Geier.
Die ganze Kommune war aufgeregt.
Jemand wie ein Kader
ist zu uns gekommen,
hat ein Buch mitgebracht und nachgeschaut.
Hat gesagt, das ist ein Steinadler,
eine national geschützte Art.
Morgen werde er ihn abtransportieren.
Mutter ist in der Nacht hinaufgestiegen,
hat Räucherstäbchen angezündet.
In der Früh
hat sie die Käfigtür aufgemacht
und den Großen Vogel heraus gelassen.
Mutter hat ihre Arme
auf und ab ausgebreitet,
hat ihm gezeigt,
flieg!
Er ist gehüpft und gehüpft,
bis auf die Hofmauer geflattert.
Er hat zurückgeschaut.
Ich hab seine großen Augen gesehen,
goldene Augen.
Drinnen hat ein tiefes Schwarz geblitzt,
als wollt er mich einsaugen.
“Gu … gua…”
Er hat die Flügel ausgestreckt,
sinken lassen,
hat die Flügel geschlagen.
Ein Wind ist gekommen,
ein großes schwarzes Kreuz
ist übers Dach
in den Himmel geschossen.
Ich hab Mutter am Arm gehalten,
bin dagestanden
zum Abschied
von einem Gott.
Papa sagt, wir sollen sie verkaufen.
Ich will sie behalten,
denn
ich hab ihr doch schon
den Namen “Pfirsich” gegeben.
Wer einen Namen hat,
der soll nicht wegverkauft werden.
Vater steht im Regen
Der Regen geht durch seinen Körper
Ich geb ihm einen Schirm
Der Griff geht durch seine Hand
Ich leg ihm einen Regenmantel um
Der Regenmantel fällt auf den Boden
Ich geb meinem Vater die Hand
Ich hab nur mich selbst an der Hand
Sein Körper aus Wasser und Blitz
tanzt um mich herum
Er sagt etwas, was ich nicht versteh
Vielleicht ist er betrunken
Ich will ihn stützen
er fällt auf den Beton
und fliesst ab wie Wasser
Papa trinkt nicht gern Wasser.
Jedesmal am Telefon
muss ich ihn erinnern.
Er sagt, weiß schon, weiß schon.
Mama sagt,
er trinkt ja doch keinen Schluck.
Ich denk oft, als kleines Kind
bin ich auf Papas Rücken gehockt,
bin hin- und hergeschlenkert,
wie eine Trinkflasche bei der Armee.
Damals war ich schon eine Weile in der Polizeischule.
Es war das erste Mondfest.
Wir haben selbst in der Klasse gelernt.
Ein Ausbildungsleiter kommt herein,
sagt, er hat eine wichtige Ankündigung.
Die Schule kümmert sich um die Familien der Auszubildenden
und wird an alle eine Alte verteilen.
Ich war sehr überrascht
und auch sehr aufgeregt.
Gleich nach seiner Rede
kommt ein Offizier mit einem Sack.
Die beiden machen den Sack auf
und nehmen Mondkuchen heraus.
Die ganze Klasse,
Männer und Frauen,
zwei Stück pro Person.
Die Alte,
das war die Mondkuchenmarke,
so ein Betrug!
Li Xunyang DAMALS HAT UNS OFT DIESSELBE MÜCKE GESTOCHEN
Als ich klein war,
haben sich auf uns
noch Flöhe vermehrt.
Großer Bruder, kleiner Bruder und ich
haben uns oft
auf einem Ofenbett gedrängt.
Jeden Abend vorm Schlafen
lässt der große Bruder uns zwei jüngere
ihm den Rücken kratzen.
Jeder kratzt hundert Mal.
Aber jedesmal hab ich gehandelt,
er muss mir auch hundert kratzen.
Und jedesmal kratzt er nur fünfzig!
Die anderen fünfzig macht der kleine Bruder.
Natürlich hab ich nichts dagegen.
Und
fast jedesmal wenn der kleine Bruder
mir den Rest gekratzt hat
bin ich dazwischen
einfach
ein-
ge-
schlafen.
Ich schwing meinen Stift,
hock am Schreibtisch,
blas meinen Chef auf.
Der Neffe bläst die Suona
bei der Hochzeit, beim Begräbnis,
mit vollen Wangen so stark er kann.
Ich sag: “Bläser sein
ist gar nicht so leicht.
Ich blas Kleines groß,
ich blas Schlechtes gut,
ich blas Böses heilig,
bis ganz gute Augen
auf einmal blind werden.”
Der Neffe sagt: “Ah,
Onkel, wenns dus schwer hast,
ich habs sicher schwerer.
Du sitzt in der Stube,
brennst nicht in der Sonne,
spürst keinen Wind,
wirst im Regen nicht nass.
Aber beim frohen oder traurigen Anlass
obs stürmt oder regnet,
ich muss draußen blasen.
Ich bin zwar noch jünger
aber überall zwickts mich.
Einmal in Wuxiang im Tal von den Wangs,
hab in der Nacht bei den Gräbern geblasen,
auf einmal schneits große Flocken.
Mir war so kalt,
ich hab mich ins Grab gezwängt
und hab mich eingerollt bis in der Früh.”
Ein alter Freund nach einem Schlaganfall
wird von seinem Sohn in die Reha gebracht
und ich besuch ihn.
Er sagt oh oh oh,
der einzige Satz, den er herausbringt,
ist “sterben, kann noch nicht sterben,
leben, kann nicht mehr leben.”
Auf die Frage, ob sein Sohn noch zu ihm kommt,
wandert seine Hand zitternd
zu seiner Jackentasche.
Er stottert und sagt,
der muss kommen! Jeden Monat!
Ich geb ihm doch nicht alles Geld
vom Sparbuch auf einmal!
Heimgefahren in den Feiertagen,
Besuch bei der bettlägrigen Tante.
Ich sitz an ihrem Bett
und bemüh mich
etwas Tröstliches zu sagen,
weiß aber nicht, wo ich anfangen soll.
Da sagt sie zu mir:
“Mach die Tür zu,
die Blüten riechen zu stark.”
Ich bin überrascht, sie sagt weiter:
“Ich kann den Osmanthus
sowieso nicht mehr riechen.”
Ich mach die Tür zu,
tret in den Hof, seh den Baum
mit lauter kleinen Blüten.
Wie kleine goldene Pillen,
die Zweige sind alle
ganz dicht uebersät.
Dieser Baum ist ganz klein
in unseren Hof gekommen,
meine Tante hat ihn wachsen gesehen,
so hat sie auch mich wachsen gesehen.
So viele Jahre zu dieser Zeit
möcht ich so gerne heimfahren,
unter dem Baum sitzen
die Blüten riechen.
Aber es hat nie funktioniert.
Heuer hab ich sogar drauf vergessen,
bin aber grad zur Blüte gekommen,
nur hat der Lungenkrebs meiner Tante
sich schon im ganzen Körper verbreitet,
deshalb ist ihr der Duft zu stark,
ihre Atemwege werden gereizt,
die Brust tut ihr weh.
Wish I could write like my child,
wish I could write like the moon.
Last night the moon was out,
now she is back behind the clouds.
Wish I could write like she did at twelve,
like I did at ten.
Write stories, poetry.
Wish I could write like I treat my child,
wish I could write like that all the time.
Wish I could treat everyone like that,
everyone treat everyone in this way,
we’d have world peace.
And the earth would not overheat.
I have two children.
It is five o’clock in the morning.
The tramway is running.
It starts at five, through the year.
It is still dark.
It’s after six now.
Dawn starting soon.
You can see the planes go up,
floating up on the horizon,
on a clear day.
It is winter.
Almost new year.
Wish I could sleep,
write it out later.
Dawn must be starting now.
Maybe it would, without the fog.
Dawn starts at seven, maybe.
My daughter wrote wonderful stories
when she was twelve.
Also some poetry.
My son doesn’t write very much.
He writes & paints & reads every day.
Two children are luxury.
Yeah, I know, people have ten children.
I knew a family like that, in the alps.
Two of them adopted.
Ida took me there.
She worked on ships much of her life.
They skied down to school
in the winter.
That’s what she told me,
guess it was true.
So they weren’t poor, they all had shoes,
even had skis,
though not ten pairs, probably.
Why am I writing this?
Tramway is running.
Getting on seven.
My daughter would be at work now,
gardening work.
She’s on vacation, christmas, new year.
They start at six.
Across the danube.
There is a train.
Trains go until one and start after four.
My uncle worked for the trains,
Austrian railways.
My grandfather too, on my mother’s side.
My mother’s father, never met him.
He died before I was born.
Both grandfathers did.
One didn’t come back from the war.
His father also worked at the railways,
no, it was my grandmother’s father.
Have to ask my father again.
I could get up now.
Haven’t mentioned China.
It is seven.
Wish I could sleep,
write it out later.
Have to get coffee.
Coffee or cocao, hot chocolate.
Maybe both together.
Makes you go to the bathroom, I know.
It is eight.
Morning news, December 30.
Ukraine needs more weapons.
Rockets and drones on Ukrainian cities.
Netanyahus sixth government.
Mostly extreme right.
They want to get justice under control.
Pele is dead.
He was content.
China is not under control.
Not anymore.
Many people are sick.
Most are infected
or have been infected
or will be infected.
Borders are open,
borders are opening.
People still need tests at the border,
or going to the hospital, here in Vienna.
Sometimes they don’t.
Vivienne Westwood is dead.
Aung San Su Ki is sentenced again.
Women in Afghanistan.
Three children survived three days
in a car, parents died in an accident
in the outbacks in Australia.
90 degrees Fahrenheit maybe.
It’s summer there.
Classical music again on the radio.
Bach, the Well Tempered Piano.
Well tempered cembalo, clavicord,
something that sounds very full,
right in the middle. Not very fast.
Celine Frisch. Never heard of her.
Piano again, something similar.
I wrote a little piece recently.
Very simple, just for one finger,
one or two fingers.
How many notes? Let me count it.
18 notes altogether.
cegCDhhCDhhCDEFhhC,
guess that’s in German.
Maybe b instead of h,
the white key before c.
Now they are playing a poem by Goethe,
Es schlug mein Herz,
geschwind zu Pferde!
Goethe and Schubert.
Now there’s a string quartet
on the same poem, is it string trio?
Wish I could write like my child,
wish I could write like the moon.
Moon’s somewhere else now.
Niels Wilhelm Gade, string quartet.
Gade or Gabe?
Last song is called Strom.
Strom like the Danube.
Willi Resetarits, died very suddenly.
Song by Ernst Molden.
The old man and the fish,
something like that. Yes, Hemingway.
Should take a shower.
Not a bad morning, I guess.
Went on a walk,
then we went shopping.
Wish I could treat everyone like my son.
When he is cross, I cannot scold him.
It is no use. I have to wait,
go on as usual.
There is simply no other way.
It will pass.
He is well-tempered,
his temper is the best in our family.
Wish everyone could be like that.
We’d have world peace, probably.
Mein Mann ist plötzlich gestorben,
mit nur 51 Jahren.
Leute, die ihm nah waren,
meine Mutter, seine ältere Schwester, seine Schwägerin,
seine Nichte, sein geliebtes Kind,
alle haben Angst, nur ich nicht.
Meine Mutter fragt, hast du überhaupt keine Angst?
Ich überleg und überleg, sag langsam,
schon eine ganze Weile
hat er mir nicht in die Augen geschaut.
Um Mitternacht
fängt der Drucker an zu rattern.
Ich erschreck mich,
spring aus dem Bett
und bemerke, der Hund
ist auf den Drucker getreten.
Jetzt hab ich über 30 Seiten
PCR-Test-Nachweis
meiner alten Mutter.
Zu meinem Geburtstag
laden wir Freunde und Familie ein.
Auf einmal
schaut Bruder Yong neben mir
ernst auf sein Handy und sagt:
“Achtung Achtung!
Weiß nicht wo, gleich gibts ein Erdbeben!”
Alles stoppt am Buffet und beim Trinken.
Und wirklich
nach zwanzig Sekunden
wackeln Lampen, Fensterscheiben, Stühle, der Boden.
Meine ängstliche große Schwester
starrt auf die Decke
und murmelt, “Verdammt, verdammt,
rennen oder nicht?”
Mo Gao steht hinter mir, hält meine Schultern,
sagt zu mir
und zu allen:
“Kein Problem, kein Problem, wir haben Glück, es ist nicht so stark, hört gleich auf.
Kommt, kommt, wir trinken darauf, gan bei!”
Schwiegermutter ist krank,
mein Mann hilft ihr beim Waschen.
Aber mich lässt sie nicht.
Ich frag meinen Mann,
wie das ist, deine Mama waschen.
„Haut und Knochen“,
sagt er trocken.
Nach einer Weile
noch dazu,
„wie ein kleines Mädchen“.
Die Leute, die normalerweise
von dem, was passiert, was der Fall ist,
nichts hören,
nichts sehen,
nichts sagen:
In dieser Stunde
tun ihnen allen
die Ohren weh,
die Augen weh,
die Kehlen weh.
Als ob Omikron
sie erinnert,
sie haben
Ohren
und Augen
und Münder.
Man sagt, Omikron
lässt in jedem Haushalt
jemanden mit leichten Symptomen,
um für die anderen zu sorgen.
Aber in vielen Familien
sind das dann halt
dreijährige Kinder.
Die alte Mami ist eine Löwin
und füttert vier Münder.
Papa ist der Älteste,
dann komme ich,
dann meine Schwester,
die jüngste ist meine Tochter.
Sie schnappt sich jede Arbeit
und macht sie zuerst,
bedient alle vier,
wir sind ihre Babies,
die gar nichts tun als aufs Essen warten.
Jetzt gerade
ruft meine Schwester an,
lädt Mami zu sich übers Wochenende ein.
Papa kommt grad von der Nachtschicht,
verdreht die Augen: „Das geht nicht!
Du gehst und was wird aus mir?“
Zu Mittag
um 12 herum
schauen ich und mein kleiner
nur 21 Tage alter Enkel
einander in die Augen.
Ich weiß wer er ist,
er weiß nicht wer ich bin.
Vielleicht schauen wir einander
nach ein paar Jahren
an so einem Tag
in die Augen,
er weiß wer ich bin,
aber ich weiß nicht,
wer er ist.
Liang Yuan KONFUZIUS SAGT, ELTERN KÖNNEN NICHT WARTEN
Jemand fragt mich,
was soll sie machen?
Ihr Vater ist krank,
doch die Behandlung tut ihm sehr weh.
Ich weiß, was zu tun ist,
aber kanns ihr nicht sagen.
Als mein Vater krank war,
hat der Arzt gesagt,
er hat höchstens drei Monate.
Er hat sieben Monate gelebt,
hat aber am Ende nicht essen können,
hat Nahrung und Schmerzmittel am Tropf bekommen.
Mein Vater hat nichts mehr gewusst,
aber wir haben für ihn gesorgt,
er hat noch vier Monate aushalten müssen.
Eine ganze Weile
nach unserer Heirat
als unsere Familien
sich immer näher gekommen sind
(mein Schwiegervater hat noch gelebt)
haben sie halb im Scherz angezweifelt
dass ich von meinen Eltern abstamme.
Von wegen arbeitet, hält etwas aus,
da sei mein kleiner Bruder besser.
Von wegen Intelligenzquotient
sei ich nicht so gut wie die kleine Schwester,
und die beiden schauen
genau wie meine Eltern aus.
Erst als meine Tochter größer geworden ist,
da hat sie gelacht und die Stirn gerunzelt
ganz wie meine Mutter,
und was mir gefehlt hat,
das haben sie alles bei ihr gesehen.
Dann haben sies erst geglaubt,
dass ich nicht adoptiert bin.
(Mein Schwiegervater hat
nicht mehr gelebt)
Wir sind den Hang hinunter gegangen,
meine Mutter hat mich am Arm gepackt,
wollte nicht, dass ich hinschau,
aber ich hab die rote Decke gesehen, in der Schachtel,
und den weißen Schädel.
Damals haben sie früh verstorbene Mädchen
alle auf diesen Hang gebracht
dass wilde Hunde oder Wölfe sie wegtragen.
In der Nacht in der Nähe hört man im Wind
noch das Weinen der Kinder.
Nachher hab ich von der Mutter gehört,
ich hätt eine ältere Schwester gehabt,
die ist mit zwei an Pocken gestorben.
Sie ist in ihren Armen
auf einmal ganz weich geworden.
Ob sie dann auch
auf den Hang gekommen ist,
hat mir die Mutter nie gesagt,
ich hab mich nicht getraut
zu fragen.
Der Hang vorm Dorf,
wo feiner roter Sandstein heraus kommt
und ein kleiner verzierter Schuh liegt,
der
Kleinmädchenhang.
Die Tochter schreibt auf WeChat,
“Gorbatschow ist gestorben!”
Ich denk mir,
das lässt sie nicht kalt.
Will ihr grad antworten,
da schreibt sie wieder,
“Hab geglaubt, er wär schon lang tot.”
Die letzten paar Zentimeter Land
werden von Autosalons besetzt.
Wo soll in hundert Jahren
unsere alte Mutter liegen?
Die ganze Familie sitzt um den Herd
und bespricht diese Frage.
Die alte Mutter sagt:
In den Fluss schmeißen.
Mit einem Fuß steig ich in einen Turnschuh von meinem Papa,
mit dem anderen Fuß in einen hochhackigen Schuh von meiner Mama.
Ein Fuß tiefer, einer höher,
ein wackliges Schwanken.
Aber ich mag das,
so kann ich zwischen beiden
mein Gleichgewicht finden.
Zu Mittag
bringt Papa meinen Gedichtband
“Champion”
nach Hause.
Ich juble.
Dann sag ich Papa,
wir gehen zum Großelternort,
zum Familientempel der You
und verbrennen das Buch
für Oma und Opa.
Damit sie wissen,
die Enkelin
die im Stammbaum
nicht stehen hat dürfen,
die hat
was drauf.
She was my parents’ and grandparents’ world,
she had it cushier than all of them.
My son knows Freddie Mercury,
not sure if he knows her,
hasn’t been to Britain.
I went with my folks when I was young.
My dad was in England as an exchange student,
when he was young, maybe twelve.
We visited Marjory,
dad was at her place.
Marjory almost like the prime minister,
but a much nicer person.
We went to England and Wales
in a small car.
I even got to swim in the sea
somewhere in Wales on the coast,
no-one was there.
Beautiful, though cold of course.
Queen Mother was still around,
not in Wales at the time.
Freddie Mercury and friends,
I saw them in Vienna,
my first big concert
aside from classical music.
Boy, that was a long time ago.
Spät am Abend nach zehn kommen wir
auf den Mangrovenwald-Holzsteg am Meer.
Die Flut war schon lange zurück gegangen.
Der Schlamm am Ufer
stank nach fauligem Fisch.
Wir gingen ein paar Kilometer den Steg entlang
und bemerkten, unter unseren Füßen
kam wieder die Flut.
Der Schlamm war weg und der Gestank.
Wir schauen nach der Zeit, schon Mitternacht.
Qinqin sagt,
das war nur ein Spaziergang,
und wir haben Ebbe und Flut erlebt.
Ich sag, es ist vierter Tag nach Neumond,
da steigt sie sehr hoch.
Drei Tage nach Neumond oder Vollmond
steigt das Wasser am höchsten.
Sie dreht den Kopf, schaut mich an.
Du heiratest bald,
da hast du in der Nacht
hoffentlich auch
gute Flut.
Der erste Todestag meines Vaters ist da.
Früher hatten wir Essen zusammen,
jetzt brennen drei Räucherstäbchen.
Wie geht es Dir, Vater, dort drüben?
Bei Familienfeiern sagt es dem Alten.
Was kann ich Dir sagen zum Trost?
Oh, mein “Li Bai” ist schon gedruckt!
Der das hinterlassen hat mit der Feier,
über den mach ich auch noch ein Buch.
Am 27. 10. 1963
hat die 17jährige Mama
mich geboren.
2016 im Frühling
ist Mama krank geworden.
Im selben Jahr im Herbst
war ich auch krank,
meine Krankheit war schwerer.
Nach dem Jahreswechsel
ist Mama von uns gegangen.
Und ich – wurde wie durch ein Wunder gesund.
Erst heute,
wenn ich an die Intensivstation denke,
ich hab Mama die Hand gehalten,
sie hat schon lange nichts mehr gespürt.
Auf einmal seh ich, wie aus ihren Augenwinkeln
ganz große Tränen rollen.
Erst jetzt versteh ich,
das war davon, dass Mama für ihren Sohn
noch etwas fertiggebracht hat,
sie war traurig und froh –
– sie hat selbst die Welt verlassen
und so einen Graben ausgehoben,
zur dauerhaften Isolierung
zwischen mir und dem Tod.
Das war am 3. August 2017,
da hat mich Mama
noch einmal geboren.
2021-10-27, an meinem 58. Geburtstag
Übersetzt von MW im August 2022
Nirgendwo unterm Himmel schwätzt jemand mehr als meine Mutter.
Als ich klein war bei der Arbeit im Feld
da konnte sie den ganzen Tag über uns reden.
Nirgendwo unterm Himmel liebt jemand mehr Sauberkeit als meine Mutter.
Sie ist beschäftigt von früh bis spät, wischt hier, putzt dort…
Nirgendwo unterm Himmel hebt jemand lieber Sachen auf als meine Mutter.
Sogar die Kleider, die wir als Kinder getragen haben, will sie nicht wegwerfen.
Was wir daheim am meisten haben, sind Plastiktaschen.
Nirgendwo unterm Himmel ist jemand sturer als meine Mutter,
Wenn sie was beschlossen hat, bringen sie zehn Rinder nicht davon weg.
Nirgendwo unterm Himmel kann sich jemand weniger schön machen als meine Mutter.
Sie hat nie Schminke verwendet und kennt keinen Lippenstift.
Nirgendwo unterm Himmel gibt es jemanden, der uns lieber hat, als meine Mutter.
Vor Vaters Grab
auf einem Laubbaum
links und rechts
zwei neue Blätter.
Frisches Grün.
Ich heb den Kopf,
es ist wie wenn
unserm einäugigen Vater
im Frühlingslicht
zwei neue leuchtende
Augen wachsen.
Mutter hatte schütteres Haar.
Bei der Feldarbeit
trug sie das ganze Jahr
ein weißes Kopftuch.
“Weißes Tuch,
weißes Tuch,
im Sommer gegen die Sonne,
im Winter gegen den Frost,
an klaren Tagen gegen den Staub,
und im Regen wird es ein Schirm.”
Das hat mir Mutter
vorgesungen
als ich klein war.
Am Krematorium
hab ich Mutter
ein rotes Kopftuch gebunden.
Auf meinem Schulweg ist eine kleine Straße,
ohne Licht, ohne Häuser, still und entlegen.
Wo viele wilde Hunde wohnen.
In der Volksschule denk ich, in der Mittelschule wirds besser.
In der Mittelschule denk ich, in der Oberstufe wirds besser!
In der Oberstufe möcht ich zurück auf die kleine Straße!
In der Oberstufe lassen sich Papa und Mama scheiden,
ich bin umgezogen!
Am Abend plaudre ich mit meinem Vater,
wir kommen auf Alkohol zu sprechen.
Ich will ihn necken,
sag ihm lächelnd,
weisst Du noch, als ich klein war,
hast Du so viel getrunken,
Du hast den Baum im Hof umarmt und geschlafen!
Wieso geht das jetzt nicht mehr?
Mein Vater lacht.
Kind, weisst Du nicht,
wir waren recht arm.
Dein Papa war sturzbesoffen,
dann hat er nicht zahlen müssen.
Das Licht oben sticht,
mir verschwimmen die Augen.
Dein Geburtstag ist am 2. 2.
Am 2. 2.
hebt der Drache den Kopf.
Aber als Du 12 warst, ist Dein Vater gestorben
und Deine Mutter war alt.
Deine Tante hat Dich aufziehen müssen.
Dann bist Du verheiratet worden.
Mein Vater war jähzornig.
Du hattest Dein ganzes Leben
nie eine Chance, Deinen Kopf zu heben.
Als Du klein warst, hat Dir Oma
Rosenpfefferkörner in die Ohren gerieben
um Löcher zu machen.
Aber Du hast nie Ohrringe getragen.
Verstorbene Menschen holt man nicht ein.
Ich bleibe immer hinter Dir zurück,
kann Dir nie helfen,
Deinen Kopf zu heben,
oder Ohrringe zu tragen.
Mein Papa nimmt meine
zwei frischen Ausweise,
Elektriker
und Freileitungsmonteur.
Er neckt mich,
unser Dichter
spielt also nicht nur mit Strom,
er klettert auf den Strommast!
Ich geb zurück,
ein Dichter muss mit dem Strom spielen,
mit dem Strom der Sprache,
mit dem Strom der Poesie.
Ich leg die Schalter um,
Reihenschaltung, Parallelschaltung.
Ich lass die Seele klettern,
den Strommast hinauf,
ein bisschen höher,
noch ein bisschen höher,
dann mit den Eisenschuhen
ganz in Ruhe hinunter.
Im Dorf bei mehreren Onkeln
über der Tür
war ein Schild befestigt,
aus Email.
Rote Zeichen auf weißem Grund.
Ich war sehr neugierig,
wollt auf einen Hocker steigen,
so ein Schild runternehmen und damit spielen.
Als ich erwachsener war
und ein paar Zeichen lesen konnte,
“Ruhmreiche Märtyrer-Familie”,
hab ich bemerkt,
als Kind hab ich nichts kapiert.
So etwas
ist nicht zum Spielen.
“Es ist Zeit,
fang an mit den Nadeln!”
“Bin gleich fertig mit dem Spiel.”
“Verdammter Arsch,
was ist wichtig, dein Spiel oder ich?”
Der Patient mit den Schulterschmerzen
schimpft und pudelt sich auf,
aber ich habs überhaupt nicht eilig.
Es ist Sonntag daheim,
er ist mein Vater.
Als Vater gestorben ist,
hats keinen Vatertag gegeben,
hab von keinem gewusst.
Heute, was soll ich am Vatertag machen?
Ich schau ins WeChat
und jetzt kapier ich:
Wenn der Vater da ist,
gratulieren die Freunde.
Wenn er nicht mehr da ist,
dann wird seiner gedacht.
Meine kleine Schwester hat mir gesagt,
die Asche unserer Mutter wird am Heimatort im Fluss verstreut.
Im siebenten Jahr nach Mutters Tod
schickt mir die Schwester aus Seol eine Schmuckschachtel für Ringe,
mit einem kleinen Rest, der nicht pulverisiert ist.
In der kleinen Schachtel
ist meine Mutter.
Ich sitz 13 Stunden starr am Schreibtisch,
nehm das Bisschen Asche in den Mund,
lutsche vorsichtig,
kau, bis das Blut kommt,
schlucks langsam runter,
schrei wie verrückt
Mama –
Mein Vater kommt aus einer armen Familie,
es gibt kein Kinderfoto von ihm.
Erst von der Arbeit
kommt ein Schwarzweiß-Bild.
Als er in Pension ging,
hat er ein strahlendes Farb-Foto geschossen.
Voriges Jahr hab ich dieses Foto genommen,
daraus ein Schwarzweiß-Bild gemacht,
für sein Grab.
Tante Fünf
sitzt im Hof
unterm Marillenbaum,
kaut Zuckerrohr.
Zu ihren Füßen spuckt sie
einen Haufen
weißer Brösel.
Der Marillenbaum spuckt zu seinen Füßen
auch weiße Brösel.
Tante Fünf hat ihr Zuckerrohr
schnell fertig gekaut.
Aber im Himmel über dem Baum
strömen lauter weiße Wolken
wie Soldaten
zusammen.
Am Totentag zum Grab,
Opfergaben hingestellt,
aber da war ein Haufen Totengeld,
was sollen wir machen?
Anzünden –
und wenn wir erwischt werden?
Nicht anzünden –
und die Vorfahren enttäuschen.
Mein großer Bruder, Schwerarbeiter,
sagt, eure Jobs gefährden wir nicht,
ich zünd es an.
Auf dem Rückweg
hat mein großer Bruder, der sonst wenig sagt,
den ganzen Weg geredet.
Unterm Zwetschkenbaum
im Tempel Gaofeng sitzt mein Sohn.
Er bückt sich,
nimmt ein paar abgefallene Blüten
und ruft:
“Schneeflocken sind tot!”
Ich deute ihm,
er soll leiser sein.
Der kleine Kerl steht vom Boden auf,
reißt die Maske runter
hängt sich an meinen Hals
und flüstert:
“Hast Du Angst,
dass der Berggeist
hört, wenn ich zornig bin?
Und diese Leute,
die immer knien,
warum können sie nicht
einmal heulen und klagen?”
Li Dongze IM GEHEN ANGEFANGEN, VOM KRIEG ZU SPRECHEN
Meine Tochter fragt, wenn Krieg ist,
sind wir hier sicher, in Daqing?
Ich sag, Daqing hat Öl.
Hast du vergessen, warum Japan
Pearl Harbour überfallen hat?
Sie denkt nach, fragt: Ist Xi’an sicher?
Xi’an ist eine Kaiserstadt, “an” heisst zwar Frieden, aber das hilft nicht.
Und Beijing?
Das politische Zentrum.
Shanghai?
Finanzzentrum.
Kanton?
Im Süden am Meer, auch nicht weit von Taiwan.
Meine neunjährige Tochter denkt nach und sagt,
dann sollt ich ein Testament schreiben.
Aber an wen? Ich hab noch keine Kinder.
An den kleinen Cousin? Der wird ja auch sterben.
Nehmen wir 100 Heliumflaschen
und steigen in den Himmel?
Und wenn wir eine Rakete erwischen?
Dann sind wir alle nur Müll.
Auf einmal bin ich traurig.
Liebe Tochter, wir können nichts tun,
außer
beten, im Stillen.
Vater zieht sich an,
kommt nicht ins Gewand.
Er zieht mir den Mantel an.
Es fängt an zu regnen.
Wir rennen im Regen.
Ich trage Vaters Regenmantel.
Vater wird nass.
Ich will ihm einen Regenschirm kaufen.
Der Regen wird stärker, kein Schirm ist zu finden.
Wir rennen im Regen,
ich find keinen Schirm.
Wir kommen nicht aus dem Regen heraus.
Vater ist vor zehn Jahren gestorben,
aber in meinen Träumen, der Mantel,
der Schirm. Vater, wie bring ich ihn Dir?
Früher war Schmalz
etwas Herrliches.
Schmalz machen und damit braten,
Fladen mit Fleisch, der beste Duft.
Aber die tiefste
Erinnerung ist für mich
damals im Winter:
Meine Handrücken,
aufgesprungen vor Kälte.
Mutter streicht Schmalz
auf meinen
erfrorenen Handrücken,
grillt die Hand überm Kohleofen.
Es zischt und zischt.
Ein paar Mal grillen,
die aufgesprungene Haut ist geheilt.
Neujahrsfeiern in der Fabrik,
Papa hat jahrelange Erfahrung,
in letzter Zeit hat er Fortschritte gemacht.
Er kommt sicher allein nach Haus.
Papa raucht nicht,
wird nicht verrückt, wenn er trinkt.
Aber er produziert Poesie.
Heute gießt ihm Mama Honig mit Wasser auf.
Ich nehm die Waschschüssel von gestern abend.
Papa sitzt sinnend am Tisch.
Auf einmal sagt er:
“Heute trink ich Maotai,
der ist fürs Kotzen zu teuer.”
Die Bäume an der Strasse
sind alle umgehaut!
Sauerstoff wird immer weniger.
Wir werden uns
die Nase zuhalten beim Atmen,
damit wir nicht so viel verbrauchen.
Als erfahrene Therapeutin
hat sie damit vielen geholfen.
Liebeskranken,
Schulversagern,
Alleinerziehenden,
Taxifahrern,
Leitenden Managern,
Streunern…
Sie hat auch durch Hypnose
jemanden, der wegen eines Fehlers
für immer die Augen geschlossen hatte,
lebendig gemacht.
der geheimnisvollste ort in der stadt
ist unter den kanaldeckellöchern.
da schau ich in die unterwelt,
seh überhaupt nichts
und glaub umso eher
dass da unten was lebt.
wenn ich es anschau,
werd ich auch angeschaut.
endlich kommt der tag,
der deckel geht auf,
da stehen zwei
menschliche gestalten
mit helmen.
die augen, die nasen, die hände, die kleider,
alles pechschwarz.
ich weiß,
das sind ureinwohner
von unten,
vertreter der unterwelt,
mit leuten von oben durch heirat verbunden.
also jemandes sohn,
jemandes ehemann,
jemandes vater.
Oma Zhen ist gegangen,
sie ist 109 geworden.
Leute vom Dorf sind vorbeigekommen,
sie ist ganz still vor dem Grabstein gesessen.
Im Grab war kein Körper, nur Kleider,
von ihrem “Gatten”, den sie nie getroffen hat,
er wurde nach Burma verschickt als Soldat
und starb im Grenzgebiet vor ein paar Jahren.
Er war nicht der einzige dort
ohne Staatsangehörigkeit.
Als Oma Zhen in seine Familie kam,
trug sie bei der Zeremonie einen Hahn.
Der Mann war gerade eingezogen worden, zum Verteidigungskrieg.
Die Schwiegereltern wollten ihn vorher verheiraten.
Später schrieb der Mann aus Yunnan,
da war ein Foto von ihm in Uniform.
Das war ihr einziges Andenken von ihm.
Als sie starb,
hielt sie dieses Bild
auf ihrem Schoß.
Der Frauentag kommt.
In der Kalligraphie
schreiben alle Kinder:
Du bist eine Lilie.
Als Geschenk für die Mama.
Nur ich schreib:
Mama ist nicht gemein.
Das ist ein Geschenk, das Mama will.
Manche können es gar nicht erwarten,
anderen die Tür zu versiegeln.
Manche verbieten anderen zu pflügen,
verbannen das Rind und den Menschen dazu.
Manche verprügeln alte Leute auf ihrem Spaziergang im Hof.
Manche schnappen ein Ehepaar auf dem Weg ins Spital.
Manche kaufen mit Lebensmitteln in isolierten Höfen
die Körper von Frauen.
Andere verkaufen Passierscheine.
Manche isolieren infizierte Bewohner
von ihren Kindern,
verweigern Versorgung und Medizin bis zum Tod.
Manche verkaufen Tofu so teuer wie Fleisch.
Manche ziehen weiße Kittel an
wie die Parteiuniform der Armee.
Sie sind die Übermenschen
in Macht im Glück,
die anderen sind Juden.
Diese Leute versündigen sich
und handeln im öffentlichen Auftrag.
Da und dort bis zum Himmel sind noch viele Leute,
die können es gar nicht erwarten
“zu helfen”.
Ich steh vor dem zaundürren
angeheirateten Onkel
und mich schauderts unwillkürlich.
Ich weiß,
das ist ein Zittern
tief in den Knochen.
Vor ein paar Jahren
ist Vater gestorben,
da hab ich einige Male
gezittert.
Der kalte Schauder,
das kommt nicht aus dem Leben,
sondern vielleicht
aus einer anderen Welt.
Am 2. Februar am späten Abend
schälen Vater und Sohn eine Schüssel voll Knoblauch.
Sie haben beide daheim einen Haarschnitt bekommen.
Ich poste ein Video von ihnen
in unsere WeChat Familiengruppe
und steck den Knoblauch
in ein Essigglas mit Rosengelee und Honig,
dazu trockene Orangenschale, Anis,
Kandiszucker, Lorbeerblätter und Kochwein.
Nach sieben Tagen mach ich das Glas auf,
die Knoblauchzehen sind dunkelgrün
wie vergiftet.
Ich schau in mein WeChat
und ruf aus dem tausende Meilen entfernten Süden
meinen Vater an.
“Bei Euch ist es so schön,
alles weiß,
wie als ich klein war,
möcht gleich zurückfliegen!”
“Dein Großonkel ist gestern abend gestorben,
gefrorener Boden, die Strasse ist eisig,
es ist niemand da, um den Sarg zu tragen.”
Stille Klause in Zhanjiang, Januar 2022
Übersetzt von MW im April 2022