Mein Vater kommt aus einer armen Familie,
es gibt kein Kinderfoto von ihm.
Erst von der Arbeit
kommt ein Schwarzweiß-Bild.
Als er in Pension ging,
hat er ein strahlendes Farb-Foto geschossen.
Voriges Jahr hab ich dieses Foto genommen,
daraus ein Schwarzweiß-Bild gemacht,
für sein Grab.
Jeden Nachmittag um 4
erklingt pünktlich die Melodie
zur Zeitansage in der kleinen Stadt
seit über 30 Jahren
weiß nicht warum
um diese Zeit
weiß auch nicht wer das festgelegt hat
Die Zeiten sind anders aber nicht die Musik
es gibt andere Chefs die Musik ist nicht anders
woher der Klang kommt
hat mich nie gekümmert
Ich glaub es weiß kaum ein Mensch
40 Jahre in der kleinen Stadt
30 Jahre die Zeitmelodie
an jedem Nachmittag um 4
Ab jetzt an den Nachmittagen um 4
egal ob du sie brauchst oder nicht
wenn sie jemand brauchen kann, wird sie erklingen
Ich schaus mir an: Ein Frauenleben.
Denk an dich, nimm einen Schluck
und sag: Geh sterben!
In der Brust tuts auf einmal weh,
dann sag ich: Ich vergeb dir,
Lieber.
Das ist mein Schicksal,
nachdem ich dich abgelehnt hab,
lässt du das Fahrrad stehen, an der Sungang-Brücke.
Ich hab Angst, dass du wütend wirst,
Angst, dass irgendwer wütend wird.
Das ist meine Ahnungslosigkeit,
die ich von meinen Eltern hab.
Ja, ich war feig.
Wir haben geheiratet,
wir haben beide ein Zuhause gebraucht,
besonders hier,
wos keine Wärme gibt.
Wie Hund und Katz,
verschiedene Leute.
Du magst Fleisch,
ich Gemüse.
Fleisch und Gemüse gemischt,
passts oder nicht?
Man pickt was heraus
und füllt sich den Bauch.
Jetzt riecht die Wohnung
ganz nach Likör.
Ich geh dem Geruch nach,
beim Buddha-Altar
der selbstgemachte Pflaumenwein,
da fehlt der Korken…
Du hast gesagt, das sei kein richtiger Wein,
als du noch gelebt hast.
Jetzt seh ich dich nicht,
aber willst du mir sagen,
du magst ihn jetzt, bist mir nah?
Ich find den Verschluss nicht,
in der ganzen Wohnung.
Mein Lieber,
ich muss das fertig kriegen,
nicht mehr auf dich angewiesen sein,
und zwar ohne dich.
Letztes Jahr hat Yi Sha
zum Drachenbootfest
geschrieben,
wenn er seine Verwandten in Amerika bittet,
Brotstückchen in den Mississippi zu werfen,
würden die das nicht machen.
Aber wenn er mich bittet,
geh ich sofort zur Donau
und füttere die Fische und Schwäne.
Ich hab gesagt, ist mir eine Ehre,
ich mach das sowieso
die ganze Zeit mit den Kindern,
egal woran man in China gedenkt.
Vielleicht wars vor zwei, drei Jahren,
jedenfalls vor meinem Streit mit Yi Sha.
Werd ich noch zur Donau gehen
und Semmelbrösel reinwerfen?
Die Kinder sind schon groß,
also wahrscheinlich nicht.
Aber das Gefühl
wird nicht verschwinden.
toothache is the best state
to write a poem
you are more careful
just kidding
you go to the dentist
they make you comfortably numb
you go home again
the state is still there
in the background
you know it will come out
to bite you
quite soon
MW 6/2/22
56
fifty – six
sechsundfünfzig
sex & fifty
德语说五十六
就是 sex & 50
五十几和做爱
whatever
其实什么时候有爱
什么时候有光明
和阴影就好
liebe haben
licht & schatten
actually to have love
to see the sun
to be warm
to have light and shade
whenever is fine
every breath
of any animal
including you
each drop of water
that nourishes
a tree
or anything
nourishing
giving shade
is worth more
than a poem.
what is poetry for then?
maybe
among other things
to remind you
was bin ich
was sind wir
was sind wir vier
oder fünf
was ist dieser zug
europa afrika
leben
was immer
morgen früh
wenn gott will
wirst du wieder geweckt
oder halt an der grenze
und morgen ist urlaub
oder halt in der früh
wenn du viel glück hast
Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen im Unterleib der S-förmigen Gestalt in diese katholische Schule. Am Vormittag auswendig lernen von “Pfaue fliegen nach Südosten”, am Nachmittag Rezitieren aus dem Truyện Kiều. Sie aßen Fladen aus Fujian, tranken Coca-Cola mit Eis, Salz und Zitrone. Sie schauten Lady Chatterley’s Lover und hörten “Heute kommst du nicht heim” von Yao Surong. Sie lernten für die Matura und waren verliebt.
Aus welchem Grund würd ichs vergessen?
Tränen fließen entlang der immer wieder nach Süden begradigten Fronten des Unterleibs. Der Fluß rauscht ganz nah an den Straßen der Stadt. Ein Kampflugzeug fliegt den Nachbarn ins Wohnzimmer. Ein Panzer bricht durch den Bildschirm des Fernsehers. Ein Stahlhelm ohne Gesicht nach dem anderen hebt sich fragend zum Himmel. Eine Uniform ohne Glieder nach der anderen lässt die M16 sinken. Ein Flachboot ohne Pulverdampf nach dem anderen. Ein Mädchen winkt und wird getrennt.
Aus welchem Grund werd ich 2022 den Jahrestag des Falls von Saigon vor 47 Jahren vergessen?
Nicht ins WeChat schauen.
Keine Nachrichten und auch nichts lesen.
Schwimmen, die Sonne untergehen sehen.
Am Wasser sitzen,
denken.
An die Menschen aus den Höhlen in Afrika,
mit ihnen ziehen,
in alle Ecken und Enden der Erde.
Dabei natürlich nicht daran denken
wie sie einander bekämpfen und töten.
Das würde das Glück reduzieren.
Das Cover ist abgenutzt,
die Seiten vergilbt.
Ich habs vor zehn Jahren in die Hand bekommen,
aber nie richtig ernsthaft
auch nur einen Abschnitt gelesen,
obwohls meine Jugend repräsentiert.
He, du Nobelpreisträger,
mit Zigarette und Gitarre,
lieber Herr Dylan,
bitte hören Sie zu:
Ich verkaufe Sie, aber das heißt nicht,
dass meine Welt zusammenbricht.
Ich hör noch Rock’n’roll,
alle möglichen Arten,
obwohl nicht mehr live in der Bar oder auf einem Festival.
Aber ich glaub –
ich hab Ihr Buch schon verstanden.
Unzähligen Trivialitäten und Problemen ins Auge schauen,
das ist ja auch Rock’n’roll.
Außerdem bin ich 8x oder mehr
umgezogen, in Shanghai allein.
Also schon länger ein rolling stone.
Ich nehm am Einheitsfronttreffen teil,
einer neben mir fragt:
“Von welcher Religion kommen Sie?”
“Konfuzianismus.”
“Was ist die Adresse?”
“Konfuziustempel.”
“Welche heiligen Schriften?”
“NPC: Neues Buch der Lieder.”
Wald dieser warmen Nacht
ist ein Stöhnen. Regenwürmer
kriechen auf die Straße,
wechseln ihre Höhlen.
Nachtigallen singen die ganze Zeit diese Nacht,
unter dem Baum, wo du oft hingehst.
Schatten überlagern einander.
Deine Frau schläft, Gesicht zur Wand,
mit einem tiefen Ausdruck,
sehr berührend, wie sie daliegt.
Sollst du das Licht ausmachen und schlafen gehen,
oder die Tür öffnen, das Licht aufdrehen?
In dieser Nacht
weißt du noch gar nicht,
wie du den Morgen erwarten willst.
Vater zieht sich an,
kommt nicht ins Gewand.
Er zieht mir den Mantel an.
Es fängt an zu regnen.
Wir rennen im Regen.
Ich trage Vaters Regenmantel.
Vater wird nass.
Ich will ihm einen Regenschirm kaufen.
Der Regen wird stärker, kein Schirm ist zu finden.
Wir rennen im Regen,
ich find keinen Schirm.
Wir kommen nicht aus dem Regen heraus.
Vater ist vor zehn Jahren gestorben,
aber in meinen Träumen, der Mantel,
der Schirm. Vater, wie bring ich ihn Dir?
Früher war Schmalz
etwas Herrliches.
Schmalz machen und damit braten,
Fladen mit Fleisch, der beste Duft.
Aber die tiefste
Erinnerung ist für mich
damals im Winter:
Meine Handrücken,
aufgesprungen vor Kälte.
Mutter streicht Schmalz
auf meinen
erfrorenen Handrücken,
grillt die Hand überm Kohleofen.
Es zischt und zischt.
Ein paar Mal grillen,
die aufgesprungene Haut ist geheilt.
Die Bäume an der Strasse
sind alle umgehaut!
Sauerstoff wird immer weniger.
Wir werden uns
die Nase zuhalten beim Atmen,
damit wir nicht so viel verbrauchen.
In Paris im 10. Bezirk
verlässt ein junger Mann
mit einem Buch von Patti Smith
eine Buchhandlung.
Ein Wächter schreit:
“Halt! Sie haben nicht bezahlt!”
Er packt
den jungen Mann am Arm,
und starrt ihn an.
Draußen
strömen die Leute
mit Weihnachtseinkäufen,
ein friedliches Treiben.
“Ich gebs zurück wenn ich fertig bin”,
sagt der junge Mann.
Der Wachmann nimmt ihm das Buch aus der Hand
und schiebt ihn aus der Tür:
“Du Dieb!”
Der junge Mann
geht auf der Strasse,
verschwindet langsam
zwischen den Menschen.
Oma Zhen ist gegangen,
sie ist 109 geworden.
Leute vom Dorf sind vorbeigekommen,
sie ist ganz still vor dem Grabstein gesessen.
Im Grab war kein Körper, nur Kleider,
von ihrem “Gatten”, den sie nie getroffen hat,
er wurde nach Burma verschickt als Soldat
und starb im Grenzgebiet vor ein paar Jahren.
Er war nicht der einzige dort
ohne Staatsangehörigkeit.
Als Oma Zhen in seine Familie kam,
trug sie bei der Zeremonie einen Hahn.
Der Mann war gerade eingezogen worden, zum Verteidigungskrieg.
Die Schwiegereltern wollten ihn vorher verheiraten.
Später schrieb der Mann aus Yunnan,
da war ein Foto von ihm in Uniform.
Das war ihr einziges Andenken von ihm.
Als sie starb,
hielt sie dieses Bild
auf ihrem Schoß.
Im Gedränge im Luftschutzbunker
bleibt er dicht bei Mama.
Mit zitternden Fingern
malt er auf das Zeichenpapier
eine zähnefletschende
Kanonenkugel
mit rotem Hintern.
Aber gleich
knirscht er selbst mit den Zähnen
und zerreißt sein Bild.
Manche können es gar nicht erwarten,
anderen die Tür zu versiegeln.
Manche verbieten anderen zu pflügen,
verbannen das Rind und den Menschen dazu.
Manche verprügeln alte Leute auf ihrem Spaziergang im Hof.
Manche schnappen ein Ehepaar auf dem Weg ins Spital.
Manche kaufen mit Lebensmitteln in isolierten Höfen
die Körper von Frauen.
Andere verkaufen Passierscheine.
Manche isolieren infizierte Bewohner
von ihren Kindern,
verweigern Versorgung und Medizin bis zum Tod.
Manche verkaufen Tofu so teuer wie Fleisch.
Manche ziehen weiße Kittel an
wie die Parteiuniform der Armee.
Sie sind die Übermenschen
in Macht im Glück,
die anderen sind Juden.
Diese Leute versündigen sich
und handeln im öffentlichen Auftrag.
Da und dort bis zum Himmel sind noch viele Leute,
die können es gar nicht erwarten
“zu helfen”.
people are the same anywhere
anytime, although progress
is very very precious
you don’t have to be a poet
to realize people and animals
and plants and the sun
and the earth should be respected
sometimes it’s nice to root for a place
even a continent maybe
but to begin a war is wrong
especially if you are big and strong
you don’t have to talk about the war
it’s close, but not that close, thank god
we talk about each others’ lives
we are all thankful we’re not in Shanghai
art is good, pictures, music, words
to meet each other and care for another
to read, to listen, to eat and to drink
life is very precious
take care
Xing Hao EIN SCHREIBERLING SPOTTET, LI BAI KANN NICHT SCHREIBEN
Ihr Dichterlinge
sollt nicht arrogant sein.
Müsst ihr Unterlagen schreiben,
könnt ihr keinen Furz tun.
Li Bai konnte wohl
recht gut Sätze bilden.
Er hat sich den Kopf zerbrochen,
wollte gerne im System sein,
vielleicht der große Pinsel
zu Rechten des Kaisers.
Aber er hat gemerkt,
er hat nicht das Zeug,
um das Zeug zu schreiben.
Am 2. Februar am späten Abend
schälen Vater und Sohn eine Schüssel voll Knoblauch.
Sie haben beide daheim einen Haarschnitt bekommen.
Ich poste ein Video von ihnen
in unsere WeChat Familiengruppe
und steck den Knoblauch
in ein Essigglas mit Rosengelee und Honig,
dazu trockene Orangenschale, Anis,
Kandiszucker, Lorbeerblätter und Kochwein.
Nach sieben Tagen mach ich das Glas auf,
die Knoblauchzehen sind dunkelgrün
wie vergiftet.
The pandemic has brought original problems out for all to see very clearly War has brought original problems out for all to see very clearly and even faster economy problems society problems relationship problems ordinary people what can they do? we need to help each other that’s clear for all to see what else can we do? we thought society as it was economy as it was relations as they were would go on like that nothing could stop it well, we were wrong
MW April 2022
PROBLEME, DIE DA WAREN
Die Pandemie bringt die Probleme, die da waren, ganz klar heraus. Der Krieg bringt die Probleme, die da waren, ganz klar heraus, und zwar noch schneller. Die Wirtschaft, die da war. Die Gesellschaft, die da war. Die Beziehungen, die da waren. Was können die Leute da tun? Wir müssen einander helfen, das ist auch ganz klar. Was kann man noch tun? Früher haben wir geglaubt, die Gesellschaft, die da war, die Wirtschaft, die da war, die Beziehungen, die da waren, das geht immer so weiter, das hält niemand auf. Das ist gar nicht so, da kommt man halt drauf.
Ich schau in mein WeChat
und ruf aus dem tausende Meilen entfernten Süden
meinen Vater an.
“Bei Euch ist es so schön,
alles weiß,
wie als ich klein war,
möcht gleich zurückfliegen!”
“Dein Großonkel ist gestern abend gestorben,
gefrorener Boden, die Strasse ist eisig,
es ist niemand da, um den Sarg zu tragen.”
Stille Klause in Zhanjiang, Januar 2022
Übersetzt von MW im April 2022
Ich war in Osteuropa in einem Weingarten bei einer Kleinstadt.
Strauch und Gras, alles still. Niemand empfängt uns.
Kein kleiner Hund, keine Katze.
Aber es war ein sehr schöner Spaziergang.
Ich war in Teheran im Zentrum in einem Park,
Muslime breiten Teppiche aufs Gras, da sitzt man im Kreis,
Burschen und Mädchen tauchen die nackten Füße in den eiskalten Kanal.
Sie sind froh, tun nicht nur so.
Ich war auch in einem dichten Wald bei New Jersey,
am Straßenrand geparkt, ein Hirsch rennt schnell weg.
Die Leute dort sagen mir, von ganz nah
schaut mich vielleicht ein Wolf kaltblütig an.
Überall wo ich hingeh, hör ich die Ansage:
Wenn Sie aussteigen, achten Sie auf Ihre Wertsachen!
Ich hab mir gedacht, die wertvollsten Sachen, die ich bei mir hab,
das bin ich selbst, und mein Herz.
Als Maßnahme gegen die Pandemie
wird unser Büro kaserniert.
Nach dem Frühstueck in der Kantine
treff ich Herrn Shi, den alten Kollegen.
Will ihn grad grüßen,
da zieht er sich schon die Maske herunter,
bis der Mund ein bisschen hervorschaut:
“Mahlzeit!”
Ich machs ihm nach, automatisch:
“Mahlzeit!”
Nach dem Abendessen sagt Zhao Meimei [unsere Tochter],
Zhao Keqiang, nimm mich mit zum Zahnarzt,
ich glaub meine Karies sind schon eine Wohnung mit mindestens drei Schlafzimmern,
wenns auf eine Villa hinauskommt,
wirds noch viel teurer.
Zwei Tage verhüllt und verrührt Himmel und Erde der gelbe Wind,
das ist der Sandsturm, der Staub und der Smog.
Am dritten Tag erbarmt sich der Regen,
zuerst einen Tag Nieseln,
dann einen Tag mäßiger Regen,
dann drittens Schneeregen.
Nach dem Mittagessen weht dichter Schnee,
zu Mittag drehen alle die Scheinwerfer auf.
Und am vierten Tag klarer Himmel zehntausend Meilen.
Auf einem Hang Pfirsichblüten am Föhrenwald.
Vor elf Jahren hab ich mit lahmem Fuß
13 Stämme gezählt.
Jetzt zähl ich dreimal, es sind vierzehn!
Mein Hirn war elf Jahre lahm!
You think
you have to say what’s right.
So you write
sodden poetry.
No one has to say what’s true or not.
If you have a feeling
you can write how the war is absurd,
how people suffer.
You can write what you feel.
You cannot write
what people should think.
Yesterday I told a friend
a story from the year 2000.
I was in Xinjiang,
spent the night in Kashgar.
In the lobby at the hotel,
someone screamed:
Wanna fight?
In several languages,
including Chinese.
Huge guy,
not a bad fighter.
Some people tried,
couldn’t get past him.
I said something,
don’t remember exactly,
maybe let’s sit down,
have a drink.
He calmed down a little,
sat down with me, told me his story.
He was from Kazakhstan,
going back and forth
buying and selling,
had been on the road for many years.
He spoke Russian at home.
At that time Putin had just come to power.
He really liked Putin,
Putin would reinstate the Soviet Union.
We were sitting and talking,
sometimes he would get up
to see if anyone
would want to fight him.
Calming down
was a process.
I remember feeling
he was very direct,
I could respect him.
At the same time
I was hoping no one would get hurt.
I respect him,
like every ordinary person.
He is a person,
his Putin is a fantasy.
A rather funny fantasy at the time.
You are an ordinary person,
you tell me your fantasy,
I don’t get mad at you.
You think a poet
has to tell you what’s true.
On the contrary,
you can say what you feel,
what’s in your heart.
Some say it well,
it gets very moving.
If you take your fantasy
to tell people
what you think is right,
I’d rather have that guy
who wanted to fight.
du glaubst
du musst sagen was richtig sei
deshalb schreibst du
schlechte gedichte
niemand muss sagen was stimmt oder nicht
wenn du das gefühl hast
kannst du schreiben wie absurd der krieg sei
wie hilflos die leute
du kannst schreiben was du spürst
du kannst nicht schreiben
was irgendwer denken soll
gestern hab ich einem freund
eine geschichte erzählt
im jahr 2000, vor über 20 jahren
war ich in xinjiang unterwegs,
nicht weit von pakistan
hab in kashgar übernachtet
im hotel in der lobby
hat auf einmal einer geschrien
wer will mit mir raufen?
in mehreren sprachen
auch auf chinesisch
ein grosser kerl,
wahrscheinlich betrunken
nicht schlecht im raufen,
ein paar habens versucht
ich hab mit ihm geredet,
vielleicht hab ich gesagt,
trinken wir was zusammen
er hat sich hingesetzt und erzählt,
er sei ein händler aus kasachstan,
er lebe schon viele jahre auf reisen,
kaufen und verkaufen
in seiner familie spreche er russisch
putin war damals erst grad an der macht
der raufende händler
war sehr für putin
putin werde die sowjetunion wiederherstellen
wir sind gesessen und haben geredet
manchmal ist er noch aufgestanden
er hat sehen wollen
ob noch wer bereit war zu raufen
es hat länger gedauert
es war ein prozess
ich hab das gefühl
er war sehr direkt
ich kann ihn respektieren
gleichzeitig hoff ich
dass niemand verletzt war
ich respektier ihn
ich respektier alle gewöhnlichen leute
hoffentlich
er ist ein mensch
sein putin ist seine vorstellung
damals eine eher lustige vorstellung
du bist ein gewöhnlicher mensch
du erzählst mir was du dir vorstellst
ich reg mich nicht auf
du glaubst ein dichter
muss sagen was richtig sei
ich mein im gegenteil
du kannst von deinen gefühlen erzählen
was du auf dem herzen hast
manche können das sehr bewegend
wenn du deine vorstellung nimmst
und allen sagst was stimmt oder nicht
dann hab ich noch lieber
den raufenden händler
MW auf Chinesisch am 5. April,
auf Deutsch am 6. April 2022
A very long table.
One lone guy
sits at one end.
He’s dead.
Maybe this is the last thing recorded.
Maybe all other records are lost.
Hard to say
who is going to watch it.
MW 30/3/22
AUFZEICHNUNG
Ein sehr langer Tisch.
Ein einsamer Kerl
sitzt an einem Ende.
Er ist tot.
Vielleicht ist das die letzte Aufzeichnung.
Vielleicht sind alle anderen verloren gegangen.
Schwer zu sagen
wer sie anschauen wird.
MW Chinesisch 29. März 2022, deutsche Fassung 5. April 2022
GEDICHTE SCHREIBEN
Gedichte schreiben ist keine Schule,
es ist ein Spiel für zwischendrin.
Schreiben ist nicht etwas begründen,
Gedichte sind grundlos.
Manche haben Regeln,
Regeln des Klanges,
eine Stimmung für die Musik.
Klang und Bedeutung sind nicht zu trennen.
Im Kern des Gedichts steckt dein Gefühl.
Dein Gefühl, wenn dus schreibst,
dein Gefühl, wenn dus liest.
Dein heimlicher Spaß außer der Schule,
deine diebische Freiheit.
MW Chinesisch März 2022, deutsche Fassung 5. April 2022
Gestern hier in der Klasse
hat jemand gesagt,
Gedichte Schreiben sei grundlos.
Heute werden wir diskutieren
warum diese Annahme
völlig grundlos ist.
Werfen wir einen Blick
auf das Buch der Lieder,
aufgezeichnet um 500 vor unserer Zeitrechnung.
Darin sieht man ganz deutlich
den Stand der Gesellschaft,
die Situation der Zentralebene.
Schauen wir noch
auf andere Kulturen,
zum Beispiel sumerische
oder ägyptische alte Gedichte,
die sind von Gesellschaft und Religion
überhaupt nicht zu trennen!
Ich glaub hier in der Klasse
hat noch jemand gesagt,
durch dreitausend Jahre
seien im Buch der Lieder
die Liebesgeschichten
immer am beliebtesten gewesen!
Das sei ähnlich wie mit dem Hohelied
in der hebräischen Bibel!
Liebesgeschichten
als Liebesgeschichten
sind völlig grundlos!
Gut, Schluss für heute,
morgen schreiben wir Prüfung,
ihr müsst euch gut vorbereiten!
MW Chinesisch März 2022, deutsche Fassung 7. April 2022
Hoffentlich hat jeder gern keinen Krieg,
hoffentlich hat jeder gern keinen Streit.
Ich muss nicht unbedingt sehr viel schreiben.
Deutsch zwei Gedichte, Englisch zwei Texte,
noch ein paar Chinesisch ist schon genug.
Manche Wut muss ich nicht wieder herzeigen.
what did we have ten years ago?
what did not have ten years ago?
we had everything
we must have lacked something
where did we screw up?
where did we succeed?
some things I know
some things I don’t know
it was yesterday
it was long ago
world day of snot
world day of coughing
world day of short breath
world day of exhaustion
world day of pain
world day of forgetting
world day
of spring
or fall
Vaters kleinen Geheimschrank
haben wir Jungen gemeinsam aufgemacht.
Mit fiebrigem Blick und flinker Hand
hab ich mir wie der Blitz was geschnappt.
Nach dem Brauch im Dorf
verbrennen wir Vaters Sachen vorm Tor.
Das Feuer schlägt hoch,
ich werf hinein, was ich geschnappt hab.
Sie machens genauso,
niemand hat mich gefragt,
was ich mir gegriffen
und wieder verbrannt hab.
Gewittertag
Nur ein Schirm ist übrig
Aber da sind zwei Leute,
ich und ein früherer Freund.
Er spannt den Schirm auf,
ich geh unterm Schirm,
wir gehen und schweigen
auf dem ganzen Weg.
2018
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1510
Ich bin
ein jüdisches Kind
und versteck mich in jedem Eck,
das es im Traum gibt
und fühl mich immer noch
nicht sicher.
Erwacht
fühl ich noch weniger sicher.
2018
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1538
Meiner früh verstorbenen großen Schwester
(vielleicht in Wirklichkeit die früh verstorbene Tante?)
wird in der Unterwelt vor dem Richter gewährt
sie darf wiederkehren,
sie darf wieder leben.
Sie hat abgelehnt
und diese Chance weitergegeben,
an den Dichter Lu Xun.
Der große Meister lebt also länger,
er wird 71
und schreibt seinen weltberühmten Roman:
„Dinocruta, die Riesenhyäne“.
2018
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1541
Poesiefestival in einem Hotel,
heute Abend gibts einen Ball.
Zhong Dao sagt:
„Wir haben zuwenig Damen,
ruf Chen Hong an!“
Ich sag: „Sie schreibt keine Gedichte,
das geht nicht!“
…
Chen Hong,
meine Spielkameradin, als ich klein war,
im Traum will ich sie noch beschützen.
2019
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1542
Ich schwimme oben in einem Strom,
über mir am Himmel ist noch ein Strom.
2019
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1595
Äxte stecken weithin in der Erde.
Jede Axt
ist ein Grabstein.
Jeder Stein ist voller Namen
von den Erschlagenen.
Auf jeder Axt.
2019
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1660
Ich geh mit der Mutter zusammen,
sie geht schnell,
ich geh langsam.
Sie wird vor meinen Augen
in den Strom von Menschen hineingezogen.
Um sie noch zu erwischen,
muss ich auf eine Mauer klettern
und oben weitergehen.
Als ich sie eingeholt hab,
kann ich nicht gut hinunter.
Die Mutter schreit,
um mich vom Springen abzuhalten.
2020
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1698
Seltsames Gedicht.
Die Zeilen berühren
ist wie in der Nacht
eine Hand ergreifen,
mit lauter Haaren.
2020
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1695
Der Traum letzte Nacht
ist wie die Mondkuchen
vom Mondfest im Jahr 2020.
In der schwarzen Bohnenpaste
mit grob gemahlenem Zucker
steckt ein kaltes Herz
aus bitteren
Mandeln.
2020
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha DAUERFEUER
Sie kennen ihr ganzes Leben
nur was auf dem Tisch liegt,
nur dieses Prinzip.
Abgesehen davon
sind sie keine Menschen.
Februar 2022
Übersetzt von MW im Februar 2022
《点射》
伊沙
他们一辈子
就懂桌面上
这点道理
除此之外
不是人
2022.2.24
Yi Sha ICH FÄLSCHE KAFKAS TAGEBUCH
Tigerjahr 22, 24. Tag
Vormittag, Russland-Ukraine Krieg ausgebrochen
Nachmittag, Fußball
Februar 2022
Übersetzt von MW im Februar 2022
《仿卡夫卡日记》
伊沙
壬寅虎年,正月二十四
上午,俄乌战争爆发
下午,踢球
2022.2.24
Yi Sha FRIEDEN UND KRIEG
Der ukrainische Sportler,
der letzten Monat
bei der Olympiade in Peking
einen russischen Sportler
so herzlich umarmt hat,
der ist jetzt auf dem Schlachtfeld gefallen.
Ich kann nicht garantieren,
ob diese Nachricht stimmt.
In einem Roman
so etwas zu schreiben
würde mir etwas
künstlich vorkommen.
Aber das beeinflusst nicht
mein Gesamturteil
von diesen Jahren der Pandemie:
Die Köpfe der Menschen
sind vom Virus vergiftet.
Was früher da war,
wird zusammengepresst
und in eine Dose gesteckt,
inklusive Frieden und Krieg.
Ein Krematorium in Kiev,
Urnen
in einer Ecke,
niemand holt sie ab.
Die Kirchenglocken
läuten pünktlich,
das macht nicht der Priester,
das machen die Menschen.
März 2022
Übersetzt von MW im März 2022
Yi Sha TRAUM 1934
Mach mir immer noch Sorgen wegen der schlechten Note in Chemie.
Mach mir immer noch Vorwürfe,
weil den Schal verloren hab, den mir die Mutter gestrickt hat.
Im Traum in den Bergen ist ein Regenbogen,
dort kann ich in die Kindheit.
Am Friedhof ist alles streng verboten,
Papier verbrennen, Feuerwerkknallen.
Am Friedhofstor
verkauft jemand Popcorn.
Eine Weile, dann Peng!
Eine Weile, dann Peng!
Bald sind es
21 Schuss Salut
für alle Seelen.
ich komm aus dem tempel
eine frau mit kopftuch im mittleren alter
ruft mich an
“kleine schwester lass dir lesen!”
hehe, was mir zustoßen soll
ist mir ungefähr schon zugestoßen
die kleine schwester lässt nicht lesen
Ein Kreis von Menschen
rund um den Tisch.
Sie
tauschen
auf dem Tisch
Zeitungen
und Bücher aus,
diskutieren
alle möglichen Themen.
Ein Buch
ist auf den Boden gefallen.
Ich beug mich hinunter
um es aufzuheben
und bemerke
sie haben keine Beine.
Unterm Tisch
ist alles leer.
Zu Neujahr spazier ich am Ufer des Ting.
Ein paar alte Junge Intellektuelle
erzählen von der Landverschickung.
Wo sie gewohnt haben auf dem Land,
der Hausherr war Haus Ost,
die Hausfrau haben sie Haus West genannt.
Zuerst war das für mich sehr neu.
Am nächsten Tag im Yancheng-Gebäude
kauf ich ein Buch mit Geschichten von solchen Leuten,
es heißt “Der Taiba-Walzer”.
Die erste Geschichte ist von Shu Ting,
genau über Haus-Ost und Haus-West.
Ich habs auf dem Weg ein paarmal gelesen
und für mich geschmunzelt und geseufzt.
Die jungen Verschickten waren sehr weise.
Ost-West, das heißt Ding, alle Dinge:
Essen, Trinken, Frauen, Männer
unter einem Haus.
Übersetzt von MW am 1. April 2022
Anmerkung: In der Kulturrevolution wurden ‘junge Intellektuelle’ oder “gebildete Jugendliche” (“zhiqing”) in Massen aus den Staedten in entlegene Gebiete aufs Land verschickt, um dort zu arbeiten. Hausherr, Vermieter oder Vermieterin heißt auf Chinesisch Fang-dong, wörtlich Haus-Ost (der Hausherr wohnte im Osten des Hofes).
Dong-xi, wörtlich Ost-West, ist ‘Ding’ oder ‘Dinge’.
Während der Pandemie
hab ich von Kolleginnen und Kollegen
eine Scheibe Brot bekommen,
eine halbe Mandarine,
einen verschrumpelten Apfel.
Eier von meiner Nachbarin Lao G.
Bilder von Kindern im Hof.
Handwärmer von Fremden.
Bücher von weit entfernten Freunden.
Deng’s Corona-Kräuter von Landsleuten im Süden.
Sellerie, Rettich und Koriander von der Regierung.
Und auf dem Heimweg um Mitternacht auf der Straße,
von einem aufmerksamen Polizisten
einen Salut.
Wenn alle im Alter Pension bekommen,
werden viele Filme
verschwinden.
Wenn es vom Kindergarten bis zur Oberstufe Pflichtschule gibt,
werden viele Filme
verschwinden.
Wenn alle Menschen öffentlich krankenversichert sind,
werden viele Filme
verschwinden.
Wie wenn ein Meer plötzlich austrocknet!
Z.B. 1981 “Xi Ying Men”, dieser Film mit dem alten Hoftor.
Das Qinling-Gebirge
im silbernen Schnee.
Kleiner weißer Weg,
eine Wildspur
schräg darüber.
Im Reif am Wegrand
ein Haufen Müll.
Trinkflaschen, Esstaschen
wirr durcheinander.
Stop! Wünsch mir nicht sofort
Frohes Neues Jahr!
Ich will dich zuerst fragen,
Die Blütenpracht letztes Jahr im Garten,
Bauhinie, Azalee, Kamelie, Magnolie…
Jetzt sind alle verblasst,
und warum?
Ich habe einige Bücher gesammelt,
von Lu Xun
und von seinem Bruder Zhou Zuoren.
Zuerst in einem kleinen Teil des Bücherschranks,
dann in einem großen Rahmen.
Ich hab die zwei Brüder
niemals getrennt.
Ich glaub ihre beiden Seelen im Himmel
haben auch nichts dagegen.
Die Dampfbrötchen-Verkäuferin
kommt vorbei an unserer Tür,
fragt uns,
ob wir welche wollen.
Mutter wedelt mit der Hand,
das heißt nein.
Als sie weg ist,
sagt die kleine Schwester,
“Ihre Mantous sind nicht gut.”
Ich werde neugierig,
“Woher weisst du das?”
“Mama hat einen schlechten Magen,
wenn etwas nicht stimmt mit der Qualität,
wird sie sofort krank,
gleich nach dem Essen.
Das ist genauer
als jeder Test.”
Als ich klein war, waren wir arm.
Mond-Neujahrsgeld, das waren vielleicht ein paar Mao,
also ein Bruchteil von einem Yuan.
Meine Eltern haben es lang vorbereitet,
ich hab sie oft gehört,
sie haben gestritten,
wem geben wir mehr,
wem geben wir weniger.
Zum Schluss hat natürlich
meine Mutter entschieden.
Später hab ich gemerkt,
bei Verwandten, die ihm wichtig waren,
da hat mein Vater offen etwas gegeben,
und dann hinterm Rücken von Mutter
heimlich noch einmal etwas dazu.
er ist eingesperrt im verhörraum,
sieht mich stehen am fenster, ich starr in den pechschwarzen himmel
er fragt, ob es sterne gibt,
ich sage, nein
er reibt sich die glatze mit der linken hand,
dann mit der rechten,
sagt, in der nacht als ihr mich hereingebracht habt,
da war der himmel
noch voller sterne
Eines Tages hat eine jüngere Schwester
ein leuchtend grünes Kostüm getragen,
grün wie eine Melone. Ich frag warum,
sie sagt, mein Mann hat mich betrogen,
und ich geh so zu seiner Familie,
ich will, dass das allen bei ihnen auffällt,
was er aus mir gemacht hat.
Meihua Yi EINSIEDLER AUFGESUCHT, NICHT ANGETROFFEN
Wir gehen in die Berge, Hundertjährigen-Suche.
Ein alter Mann sitzt vor der Tür
beim Körbeflechten.
Wir fragen ihn nach seinem Alter.
Der alte Mann sagt, 97.
Als er erfährt, warum wir kommen,
sagt er, ihr seid ein bisschen zu spät.
Seit ein paar Tagen gibts keinen mehr.
Kommt in drei Jahren,
vielleicht könnt ihr dann einen sehen.
Meine Tochter schreibt zehn Emails
an ihre Doktormutter
dann kommt erst die Antwort:
Keine Sorge,
das ist noch nicht das Schlimmste.
Meine Mutter ist Professorin in Moskau,
meine Tochter vermietet ihre Gebärmutter.
2
Meine Tochter heult,
fürchtet, dass ihre Professorin sich umbringt.
Früher sind sie von Achmatovas Gedichten
auf den 2. Weltkrieg gekommen,
dann auf Stefan Zweigs “Die Welt von Gestern”.
Diese Wütenden und das Gejohle der Invasoren!
Und als eine, die weint,
verehrt sie Achmatova,
aber sie wird wie Zweig
sich die Pistole
an die Schläfe setzen!
3
Meine Tochter schreibt wieder Emails,
rät ihrer Professorin, rasch wegzugehen,
zu einem behördlich bereitgestellten Schutzraum,
aber die Professorin sagt nein.
Sie glaubt nicht an russische Raketen,
sie will den Palast der Kunst nicht im Stich lassen,
in der Sowjetunion eine der drei größten Akademien,
sie will bleiben.
Meine Tochter sagt, bitte malen Sie
eine chinesische Flagge, hängen Sie die vom Fenster!
Die Professorin tippt ein Smiley,
danke,
mein Kindchen,
pass Du auch gut auf,
auf Dich und Dein Kind.
4
Am Sonntag
geht die Professorin mit dem Studenten Viktor
in die Sophienkathedrale.
Viktor sagt,
von heute an
wird er nie wieder Russisch sprechen.
Kind!
Was kann Russisch dafür,
was kann der Kiever Rus für das Ganze?
Meine Tochter erinnert sich,
als sie zuerst auf Ukrainisch unterrichten sollte,
hatte die Professorin oft so protestiert.
Neujahr Da sollt man was schreiben
Aber Was eigentlich Der Heimatort ist
von Mikroben erobert Was soll ich reden
Das ist schwer zu sagen Und die großen Länder – Beziehungssorgen
Die schauen nicht so schlimm aus
Wie die von den Nachbarn Die über
90jährige Tante seufzt Schon so lang
war nichts mehr da das einen freut Auf
einmal im WeChat sagt einer Warum
nicht tanzen? Hm, gute Frage Stimmt
Eine gute Antwort Warum nicht tanzen
Also Probiert man Die alten Glieder
zum Tanzen zu bringen Aber die Tochter
sagt dazu Das ist richtig schrecklich
Du bist die Meisterin der Trauer, die aus Wunden weint.
Die Meister-Asketin, die Schönheit von Falten und Narben her kennt.
Die Meister-Überlebende, die ihre Krone abwirft.
Die Meisterin der Anmut, die Weidenblätter trägt in der Jugend, Pappellaub in mittleren Jahren, Ahornblätter im Alter.
Sie sagen, du seist im Alter am schönsten.
In Wirklichkeit bist du am schönsten als Tote.
Du einsamer Laubbaum!
Deine Schönheit ist weit entfernt von der Schönheit der Massen.
Du Meisterin der Freude, die nicht daran glaubt, dass sie stirbt!
Du Meisterin des Düfte, die aus der Wüste das Meer destilliert!
Du Meisterin der Kunst des Alterns und des Todes!
Der Papa von meinem Cousin raucht nicht,
der junge Cousin kann keine Zigaretten stehlen,
also dreht er sich welche aus Laub
und raucht sie mit Spielkameraden.
Andere haben gelernt zu rauchen,
dem Cousin hat man wegen Vergiftung den Magen ausgewaschen,
er hat es sich bis heute nicht angewöhnt.
Russland überfällt die Ukraine.
Diese paar Wochen
haben sies die ganze Zeit vorbereitet,
die ganze Zeit verleugnet,
dass sie Krieg machen.
Russland überfällt die Ukraine.
Frieden in Europa
ist auf einmal gestrichen.
Viele haben gesagt,
2020 war schlecht,
2021 wollen wir nicht mehr,
2022 wird besser.
Russland überfällt die Ukraine.
Können wir dieses Tigerjahr
streichen?
MW 24. Februar 2022,
auf Chinesisch geschrieben, selbst übersetzt
to write
is a privilege
to read
is a privilege
to eat to drink
to play to work
to dance
to open your eyes
to listen
we need to look out for each other
people need to treat one another
with respect
with dignity
people aren’t cattle
cattle need to be treated well
soil needs to be treated well
we need to respect one another
we need to care for each other
as human people
no matter what
no matter what we say
we believe in
no matter what the government says
we are people
no matter what
every one needs dignity
if we have games
but we don’t have respect
we don’t have dignity
when the games are over
what do we have?
oh yeah, we have guns.
Großer Brunnen,
das Wasserspeicherprojekt unseres Dorfes,
dafür hat die “Jugend-Guerilla”
einen Teich ausgehoben,
zwanzig Meter Durchmesser.
Buben schwimmen darin,
Mädchen waschen ihr Haar,
Männer gießen die Felder,
Frauen waschen Kleider.
Und einige wenige jungen Leute
bringen sich darin um.
My desk neighbor,
to get ahead of me next term
at the history exams,
bought a roll of toilet paper on Taobao,
printed with the main points of history.
One day when she didn’t pay attention,
I ripped off a square
and ran to the bathroom.
Just when I returned to class,
she who would never leave the room,
flew at me, chasing me
all through the corridor.
I wake up in the morning,
A Yu tells me old Mr. Ren is gone.
Just saw him last year,
he was hale and strong.
I make a sound,
then go out to buy food.
Lifting my head to look at the sky,
a rare clear blue.
You can see how a plane flies by,
a grey blinking light.
Snow has fallen,
the compound is clean and still.
A cat slinks out
along the wall
looking for something.
It is very light,
but the sound-sensitive lamp
above the door
goes on.
ich geh bis ans ende der sprache
und verstehe die sprache der vögel
ich geh bis ans ende der farbe
und sehe das wesen der blüten
ich geh bis ans ende des lebens
und träume vom neugeborenen kind
ich geh bis ans ende der liebe
und treffe die mutter
Eine wilde brache Fläche
bleibt in den Feldern.
Nachdem die Pächter geerntet haben,
sind die Stoppeln
im Wind verdorrt.
Vor über 20 Jahren waren hier
500 Hektar wogender Weizen.
In den hohen Pappeln am Graben
sind immer noch Vogelnester ganz oben.
Am Altwarenmarkt
vor dem Won-Ton Laden aus Fujian
mit dem Schild Laden Abzugeben
zwischen den Resten von Zuckerrohrstangen
liegt ein Paar Krücken
die ganze Nacht
und wartet vergeblich
auf seinen Menschen.
Seit ich verheiratet war, ist er in meinem Zimmer
und schläft in meinem Bett.
Ich hab den blöden Kerl unbedingt wollen,
deswegen hat mein Vater sicher in meinen Polster geweint.
Und bei meiner Scheidung
ist er dort gelegen, unter Lachen und Tränen.
Wegen meiner Krankheit
hat er in meinem Bett geseufzt bis zum Morgen,
unzählige Nächte.
Ab und zu komm ich auf Besuch,
jedesmal geh ich in mein Zimmer,
also in sein Zimmer,
und sitz still eine Zeit.
Xing Hao AUF DEM LANGSAMEN GLEIS BEIM BAHNHOF HUANG SHAN
Mehrere Fans des Dichters Haizi
[er hat sich vor einen Zug geworfen]
stehen direkt auf dem Gleis,
es sind Dichterinnen in hohem Alter.
Sie bringen Gedichtbände,
halten Blumen hoch, die sie gepflückt haben,
sie tanzen mit Tüchern,
erheben die Köpfe in schrillen Schreien.
Sie werfen ihr Haar kokett in die Luft.
Sie klappern und hören nicht auf.
Die Bahnarbeiter
rufen sich heiser,
es hilft einfach nichts.
im supermarkt eier kaufen
sie glaubt immer ich kanns nicht
erinnert mich jedesmal
ich muss die eier wählen
die auf der schale
hühnerscheisse haben
dann brauch ich mich nicht sorgen
dass die eier schlecht sind
obwohls zehntausendmal zuwider ist
aber ich halt mich immer daran
was sie gesagt hat
und bring einen sack
kotverschmierter eier
heim
Ich sag ihm ich fühl mich nicht gut.
Er sagt, der Mensch isst Körner und Bohnen, jeder wird einmal krank.
Nachher sag ichs ihm nicht mehr.
Ich sag ihm, im Büro hat es jemand auf mich abgesehen.
Er sagt, fang bei dir selber an.
Nachher sag ichs ihm nicht mehr, wenn was passiert.
Nachher klagt meine Mama, sie fühlt sich nicht gut.
Ich sag, Menschen essen Körner und Bohnen, jeder wird einmal krank.
Meine Mama sagt mir nichts mehr.
Nachher sagt mir meine kleine Schwester, sie wird in ihrer Ehe gekränkt.
Ich sag, du musst bei dir selbst beginnen.
Meine Schwester sagt mir nichts mehr.
Enttäuscht sein, Verzweiflung lassen mich spüren,
dass sie von mir enttäuscht und verzweifelt sind.
Aber ich kann nichts machen, es wird halt nicht wärmer.
Li Yan BIN BIS HEUTE KEIN MÖNCH UND HABS NICHT BEREUT
Als ich 36 war,
wollte meine Mutter, dass ich ein Mönch werde.
Ich hab Frau und Kind nicht verlassen können
und hab der Alten den Wunsch nicht erfüllt.
Ich hab auch gar keinen Antrieb gehabt.
Für Mutter wär es das Höchste gewesen.
Sie war damals 58
und grad vom Qigong des Dorfes der Schwebenden Kraniche
zum Buddhismus gekommen.
Den ganzen Tag hat sie die Hühner aufgescheucht
und erklärt,
sie wird gehen und Nonne werden.
Das Notebook vom Anfang des Jahrtausends,
irrsinnig teuer, irrsinnig schwer.
Über zehn Jahre unten im Bücherschrank
praktisch vergessen.
Beim Bücherordnen entdeckt, bisschen schlechtes Gewissen.
Schnell den Staub abgewischt von der Tasche,
aufgestellt, angesteckt, grumbelnd wirds hell.
Er lebt noch! Leben in Dokumenten!
Nacheinander aufgemacht, wie war Xiaolong?
Nicht viele zweifelhafte Stellen,
Aber viel Mist.
Er brummt und vibriert,
gefrorene Erde fängt an zu schmelzen.
Uralte Viren wachen auf,
kriechen aus dem Dunkel, es steht auf dem Schirm
die Armee des Khan in Reihen um Reihen.
All diese Zeichen, diese Jahre,
all die Zeit
in meinem Leben.
Im Warteraum
schaut mich eine Frau lange an,
auf einmal kommt sie zu mir.
Großer Bruder, eine Frage, kennen Sie mich noch?
Ich schüttle den Kopf. Die große Schwester von Soundso Ping, sagt sie,
vor über 20 Jahren bin ich zu Ihnen gekommen,
mein kleiner Bruder ist, wie Sie wissen,
dann statt zum Tod zu lebenslänglich verurteilt worden.
So viele Jahre sind meine Eltern und ich
die ganze Zeit auf dem Weg zum Gefängnisbesuch gewesen.
Die Fabrik daheim ist auch schon weg,
verkauft worden, wir haben Geld gebraucht.
Papa ist auf dem Weg zum Gefängnis gestorben,
Mama auch bald danach.
Ich selbst bin immer noch allein.
Mein Bruder war verrückt und hat jemanden umgebracht,
aber er lebt noch, nur unsere Familie ist schon gestorben.
Ich will sagen, hätte man ihn gleich zum Tod verurteilt,
wärs vielleicht besser gewesen.
Aber ich halt mich zurück.
Du Hua WARTEN AUF DEN BUS AN DER KREUZUNG BEIM DORF GAOCHENG ZHAI IN KREIS JINGNING
Mit Frau
und Kind
auf Besuch im Heimatort.
Fertig besucht,
nachher
warten wir auf den Bus.
Ein Bauernhof hat ein einziges Schaf
in einem Pferch.
Das Schaf blökt
monoton und verzweifelt.
Der Rufer hat keine Absicht,
der Hörer hört etwas
und weint bitterlich.
Dreamt of an injured bicycle,
or was it a deer pulling a vehicle?
Or something in between,
brown, very beautiful.
I want to pull it out of a fence.
Have to be careful, of course.
Seems to be female, probably.
She is quiet, must be in pain.
I think someone has hurt her.
Body and bicycle buttoned together,
I see there are buttons.
Brown leather with metal,
not strange at all in my dream.
July 2021, written in Chinese in a train in Italy.
English version January 5, 2022
Martin Winter TRAUM VOM VERLETZTEN FAHRRAD
hab von einem verletzten fahrrad getraeumt
oder war es ein reh, das einen wagen zieht
oder etwas dazwischen
jedenfalls sehr schoen
ich wollte es aus einem zaun befreien
das war nicht einfach
wahrscheinlich ein weibliches reh
es ist ganz ruhig, trotz seiner wunden
da ist sicher ein mensch schuld
koerper und fahrrad sind eine einheit
aber es gibt knoepfe
leder mit fell und metall oder so
im traum bin ich nicht sehr erstaunt
MW 3. Juli 2021, zuerst auf Chinesisch geschrieben, im Zug nach Rom.
An dem Tag als mein Vater starb,
hab ich auch ein Gedicht vorgestellt.
Den Autor
vergess ich mein Lebtag nicht.
Nächstes Mal, wenn ich sie seh,
frag ich, ob sie mir ein Essen spendiert,
oder eine Zigarette.
Denn das war
wirklich sehr schwer.
Ich hab die allerkürzeste
Präsentation
aller Zeiten geschrieben.
Ein kleiner Satz mehr
war einfach nicht möglich.
Obwohl
es eine Dichterin war.
Hast du meinen Fuehrerschein gesehen?
frag ich die Freundin, sie kocht in der Küche.
Schlafzimmer, Wohnzimmer, Bibliothek und Büro
hab ich schon ganz durchsucht.
Ohne Führerschein, wenn mich ein Polizist erwischt,
muss ich Strafe zahlen!
Nicht gesehen, sagt die Freundin,
und fügt hinzu,
du und ich,
wir fahren bald drei Jahre ohne Schein,
es ist noch kein Polizist kontrollieren gekommen.
Kinder möchten sich kümmern, dann ist niemand mehr da, heißt es bei Konfuzius.
Mama, nach so vielen Jahren,
können wir uns endlich versöhnen,
einander lieb haben.
Mit 40 Mutterliebe genießen ist auch nicht zu spät.
Draußen kracht es, schon wieder Neujahr.
Lass uns aus dem Haus gehen,
lass uns umherstreifen,
umherstreifen und nah beisammen bleiben,
verbunden in Leben und Tod.
Mama, ich hab schon Angst, Du gehst fort, eines Tages.
Du bist der einzige Mensch auf der Welt,
der weiß, wie ich empfangen worden,
wie ich auf die Welt gekommen bin,
die ersten schlimmen Sachen überlebt hab.
Heute, Mama,
seh ich in der Früh, wie Du aufwachst,
am Abend ess ich was du kochst, obwohls nicht gut schmeckt.
Du stellst meine Unterhosen aus am Balkon,
die sammle ich sonst die ganze Woche
und wasch sie am Sonntag.
Aber Du findest sie immer früher
in einem Eck von meinem Bett.
Dann wäscht Du sie mit der schmutzigen Jacke,
die ich ein paar Monate angehabt hab.
Ich kauf Dir einen Buddha mit dickem Bauch,
er bringt Dir vielleicht ein friedliches Herz.
Ich kauf Dir Mittel für Herz und Kopf,
dann kannst Du besser schlafen als früher.
Ich kauf Dir mit Melanzani gefülltes Huhn,
und zwei lebende Hasen, um die kannst Du Dich sorgen.
Ich kauf Dir einen kleinen modischen Spiegel,
Du entdeckst mit ihm drei kleine Wimmerl am Mund.
Sehr oft keifst Du noch unerbittlich,
aber Mama, ich bin schon zufrieden.
Weil Du jetzt froh sein kannst,
zauber ich auf einmal drei Weihrauchschalen herbei,
für die Guanyin mit tausend Augen und Armen,
die einzige Göttin, die Du gut kennst.
Ich will, dass Deine Wünsche weit aufsteigen können.
Ich will, dass Du merkst,
Glück ist, wenn Leute zusammenhalten
ohne Fremdheit dazwischen.
Ich bring Dich ins Gasthaus, ins Restaurant,
Du kriegst jeden Tee, isst nur, was Dich freut.
Mama, wir haben die dreifache Sichuan-Suppe gelöffelt,
was kann uns noch fehlen?
Im Flugzeug
seh ich dicht an dicht Dörfer
und bin beruhigt.
Unser Land hat überall Leute.
Ich seh sogar
die Strasse für Heiratsvermittlung
von einem Dorf
zu einem anderen.
Sie haben Gräber gesprengt,
der kleine Schneider
hat einen kleinen Stein
an die Schläfe bekommen.
Er war im Spital,
über zehn Jahre später
schreibt er mir auf WeChat.
Sie haben etwas Neues,
nicht mehr Dynamit wie im Bergbau.
Die Bäume dort oben
haben seine Hosen an,
liegen im Sarg.
Hab gehört, er sei reich geworden,
er macht seit Jahren Live-Videos,
dabei steht er vor einem Schornstein,
redet mit Händen und Füßen,
lässt sein Publikum raten
welche Art von Hose
er dem Rauchfang anzieht.
At the beginning of the 1990s,
this town where I am
didn’t celebrate Christmas.
The college I teach at,
the foreign studies university, did.
Every class had their parties,
students and their foreign teachers.
Christmas carols in foreign languages,
wafting out from the classroom windows,
singing in harmony with the snowflakes,
whether it was snowing or not.
I stopped and listened,
feeling culture and beauty
closing the fresh wound in my heart.
Am Anfang der 1990er Jahre
hat die Stadt wo ich war
Weihnachten nicht gefeiert.
Die Uni wo ich unterrichtet hab,
eine Fremdsprachenhochschule, schon.
Parties in jedem Fach, jedem Jahrgang.
Studenten mit ausländischen Lehrkräften
singen in Fremdsprachen Weihnachtslieder.
Es weht aus den Fenstern des Lehrgebäudes,
klingt in Harmonie mit dem Schnee,
ob es schneit oder nicht.
Ich bleib stehen, hör zu,
spür Schönheit, Kultur,
das heilt meine frische Wunde im Herzen.
Übersetzt von MW am 24. 12. 2021
Merry Christmas! Click on the link to read more poems by different authors in Chinese.
Wegen Corona
kommen keine Touristen.
Der chinesische Wirt
zeigt auf WeChat
grünes Gras vom Sommer,
gelbe Blumen,
Moos auf Felsen, grün und grau.
Weißer Wasserfall,
dunkle Berge, Erde, Strände im Winter.
Blaue Eishöhlen, faszinierend.
Roter Meeresginseng, sehr günstig!
Die lange Nacht wacht nicht auf,
Nordlichter sieht man von seinem Balkon.
der alte yang wurde in schweren zeiten geboren,
es gab nichts zu essen.
von klein auf hat er das besteck abgeleckt,
stäbchen und schalen, manchmal auch teller.
als die verhältnisse besser wurden,
hat sich viel geändert.
aber vor dem gebrauch die stäbchen ablecken,
das macht er immer noch.
er sagt das sei der geschmack des lebens.
unlängst besucht er den sohn in peking,
der sohn muss früh aufstehen,
also macht ihm der alte frühstück.
aus der mikrowelle nimmt er gares rindfleisch,
schneidet mit dem obstmesser stücke,
legt sie auf den teller.
er sieht auf dem messer noch
saft und schönes fleisch,
leckt es ab aus gewohnheit.
leider passt auf die zunge kein pflaster.
Leute in Chengdu sind flink und gescheit,
es ist die Provinzhauptstadt,
da wird mehr erwartet als auf dem Land.
Diese paar Tage
war die Virussituation angespannt,
an diesem Tag auf der Straße
sind zwei Elektroräder zusammengestoßen.
Die zwei haben zuerst geschaut
ob der andere einen grünen Pass hat.
Dann erst haben sie angefangen,
zu keifen und zu streiten.
Am Abwasserkanal unserer Schule
sind ein paar alte Männer am Fischen.
Die glauben sicher,
in jedem Wasserlauf gibt es Fische.
Ein alter Herr fragt einen anderen,
ob er heut schon was gefangen hat?
Der Gefragte antwortet sehr deutlich,
Nagel auf den Kopf, hörst du!
“Wie kann da drin ein Fisch sein?
Ich will nur nicht nach Haus!”
Auf einmal ist es 7.7., Liebestag, wenn Mondkalender. Viruskampf wie Widerstand gegen Japan, Autofahren wie frischer Führerschein, Tastatur wie früher, Bildschirm wie gestern…
Daheim im Büro durch das Jahr, immer wieder desinfizieren, im Herzen am ersten Arbeitstag, immer noch
überall Staub aufgewirbelt.
Ich geh selten zur Firma,
heute ruft mich die Gruppe,
ich komm halt vorbei.
Im Hof kenn ich die Bäume,
nicken mir die ganze Zeit zu.
Im Büro kenn ich die Pflanzen,
die lächeln mich die ganze Zeit an.
Die Leute, die ich kenne,
sind mir fremd.
Der Hocker, auf dem ich gesessen bin,
mag mich nicht mehr,
hat mir die Knie verletzt,
großer blauer Fleck!
Einer kommt eine Anzeige machen,
er hat etwas verloren.
Was hat er verloren, fragt der Polizist.
Er sagt, er hat Flaschen verloren,
Alkohol und Getränke, weit über 100.
Und er hat eine Spur!
Es waren Kollegen, die haben sie gestohlen!
Das war ein ganzer Arbeitstag!
Der Polizist sagt müde:
Ihr Müllsammler müsst schon selbst
auf eure gesammelten Sachen aufpassen.
Wenn du weggehst,
glauben die anderen, du willst es nicht mehr.
Da können wir wirklich nichts machen.
Der Müllsammler dreht sich stumm um
und geht grimmig weg.
Vor dem Familientempel der Chen stehen 8 Fahnenstangen.
Jede Fahnenstange wird an beiden Seiten von Steinen gehalten.
Auf den Steinen stehen die Absolventen der Palastprüfungen von der Song- bis zur Qing-Dynastie.
Auf dem Platz davor liegen 6 abgezogene Föhrenstämme.
Bürgermeister Chen sagt, manche Stangen müssen ersetzt werden.
Ich frage, was ist, wenn jetzt jemand aus der Familie
seinen Doktor macht und so weiter, kriegt er vielleicht eine Stange?
Der Bürgermeister schüttelt den Kopf.
Aber er fügt gleich hinzu, bei der letzten Renovierung vor über zehn Jahren
haben die Ältesten sich besprochen,
falls ein Nachfahre
etwas Höheres wird als Vize-Kreisvorstand,
dann kann man schon darüber beraten.
In den 1970er Jahren
bei einer Handelsreise ins Ausland
ist mein Onkel im Flugzeug gesessen.
Für jeden Fluggast gab es zwei Zigaretten, Marke CHUNGHWA.
Mein Onkel hat eine davon geraucht,
die andere hat meine Schwiegermutter bekommen.
Ungefähr ein Dutzend Jahre später
ist meine Schwiegermutter gestorben.
Unter ihrem Kopfpolster war eine kleine Blechdose,
darin ist der Zigarettenfilter gelegen,
eingewickelt
in Papier.
Beim Essen in Hohhot,
am Nachbartisch sind Leute aus Henan.
Ich versteh eher nicht was sie reden,
aber sie regen sich gar nicht auf.
Fast zwei Wochen nach der grossen Überschwemmung
wird mein Herz zum ersten Mal ruhig.
Pang Qiongzhen SAKA SAKA!
– für meine Freundinnen aus der Republik Kongo
Saka Saka!
Das Geräusch der Maniokblätter,
mir rinnt das Wasser im Mund zusammen.
Saka Saka!
Wir sind in Strandkleidung im Unterricht,
Saka Saka!
wenn wir müde sind, kauen wir Blätter und tanzen.
Saka Saka!
Es ist lustig, aber ich lächle gezwungen.
Saka Saka!
Kongo! Kongo!
Zwei Mal im Leben ein großes Fest!
Hochzeit! Begräbnis!
Uebersetzt von MW im Nov. 2021
(Saka Saka ist im Kongo ein typisches Essen aus Maniokblättern.)
Wer vom Osten daherrast auf der Autobahn,
der passt nicht zum Rhythmus hier in der Wildnis.
Wenn die Sonne untergeht, wird es noch einsamer.
Vorn auf der Strasse trotten die Kuehe.
Egal, wie du hupst, egal wie du schreist,
egal wie du bruellst, sie geben nicht Vorrang.
Diese Viecher sagen dir damit:
Sie sind eigentlich hier die Herren!
Späte Jahre, das beginnt mit Verlust?
Die Namen in der Familie weiß sie nicht mehr,
von ihrem Mann weiß sie nichts mehr.
Jetzt weiß sie auch nicht mehr, wer sie ist.
Aber ich glaub, sie geht zurück,
bis in ihre Kindheit in Chongqing.
Gestern sagt sie, ihre Geschwister kommen sie abholen,
sie muss unbedingt unten warten.
Aber warum sind sie dann nicht gekommen?
Wahrscheinlich hat es bei ihnen geregnet.
Die Namen von Onkel und Tante stimmen,
aber der Wohnort ist halt Beijing.
Außerdem bin ich einer von ihnen.
Das hätt ich wirklich nie gedacht,
dass meine Mutter zu meiner Schwester wird.